Geschäftsentwicklung: Die genossenschaftlichen Waren- und Dienstleistungsunternehmen in Bayern konnten sich im Corona-Jahr 2020 behaupten. GVB-Präsident Jürgen Gros zieht Bilanz.
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Herr Augustin, eigentlich ist die Baubranche bisher relativ unbeschadet durch die Corona-Pandemie gekommen, doch nun häufen sich Berichte über Lieferengpässe und Preisexplosionen bei zahlreichen Baustoffen. Was ist passiert?
Björn Augustin: In den vergangenen acht Wochen hat sich die Verfügbarkeit von zahlreichen Produkten drastisch verschlechtert. Die Ursachen dafür sind unterschiedlich: Beispielsweise exportieren Holzhändler und Sägewerke vermehrt Roh- und Schnittholz ins Ausland, gleichzeitig ist die Nachfrage im Inland erheblich gestiegen. Im Bereich der Dämmstoffe gibt es Mängel, weil ein Produktionswerk ausgefallen ist. Zudem spüren wir die Folgen der Corona-Pandemie. Beispielsweise haben die USA und China im vergangenen Jahr ihre Produktionskapazitäten zurückgefahren und sie bisher nicht vollständig wiederaufgebaut. Dazu kommt ein starker Wintereinbruch, der die Holzproduktion und -verarbeitung in den Vereinigten Staaten teilweise lahmgelegt hat. In Kanada wiederum sind zahlreiche Bäume vom Bergkiefernkäfer befallen. Und aufgrund der Pandemie gibt es global gesehen eine höhere Nachfrage nach Baustoffen. Der Grund dafür ist relativ simpel: Weil die Menschen weniger weggehen und nicht in den Urlaub fahren können oder wollen, stecken sie ihr Geld ins eigene Heim.
„Die Situation bereitet uns wirklich große Sorgen.“
Nun sind kurzzeitige Preissteigerungen oder Lieferprobleme nicht unüblich. Wird die Lage dramatisiert?
Augustin: Natürlich kommt es immer wieder vor, dass ein Produkt mal nicht lieferbar ist oder sich die Preise erhöhen. Das haben wir in den vergangenen Jahren beispielsweise bei Werkstoffplatten oder Mineralfaserdämmstoffen erlebt. Es gab jedoch immer Alternativen und die Produkte waren meist schnell wieder verfügbar. Die aktuelle Situation, eine Kombination aus Lieferengpässen und extremen Preissteigerungen, ist hingegen neu. Selbst Kollegen, die seit mehreren Jahrzehnten bei uns arbeiten, haben so etwas noch nicht erlebt. Das bereitet uns wirklich große Sorgen.
Bei welchen Baustoffen gibt es denn aktuell einen großen Mangel?
Augustin: Am härtesten trifft uns Dachdecker der Bereich Holz, Holzweichfaser und Plattenwerkstoffe. Daneben gibt es momentan sehr lange Lieferzeiten für EPS-, XPS- sowie PU-Dämmstoffe. Auch Flachdachabdichtungsbahnen aus Kunststoff oder Bitumen werden langsam knapp.
Sie hatten bereits mehrfach den Baustoff Holz angesprochen. Einige Experten befürchten derzeit gar einen Ausverkauf des deutschen Walds. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Augustin: Die Lage im Holzbereich ist dramatisch. Zu unseren Mitgliedern zählen beispielsweise Zimmereien. Dort haben die ersten Betriebe für 14 Tage Kurzarbeit angemeldet – nicht wegen Corona, sondern weil ihnen schlicht das Material fehlt. Es ist gut, dass Verbände und Innungen die Politik auf diese Situation aufmerksam gemacht haben, damit schnell eine Lösung gefunden wird.
Die Dachdecker-Einkauf Süd eG beliefert rund 2.150 Mitglieder mit Baustoffen. Wie haben sich aufgrund der Lieferengpässe die Preise für Baumaterialien entwickelt und wie stark ist Ihre Genossenschaft davon betroffen? Wie gehen Sie damit um?
Augustin: Im Dämmstoffbereich liegen die Preissteigerungen je nach Produkt zwischen 20 und 70 Prozent, beim Holz sind es bis zu 200 Prozent. Wir informieren unsere Mitglieder ständig über die Entwicklung, auf unserer Homepage bieten wir eine tagesaktuelle Übersicht über Verfügbarkeiten und Lieferzeiten. Zudem empfehlen wir unseren Mitgliedsbetrieben, sogenannte Preisgleitklauseln in ihre Angebote zu schreiben. Damit behalten sie sich das Recht vor, den Preis anzupassen, wenn sich die Selbstkosten einer Ware erhöhen.
„Es ist nicht auszuschließen, dass zahlreiche Dachdecker-Betriebe in absehbarer Zeit Kurzarbeit beantragen müssen.“
Wie wirken sich die Lieferengpässe und die Preisrallye aktuell auf die Mitglieder der Genossenschaft aus?
Augustin: Die Situation ist für alle Beteiligten sehr herausfordernd. Normalerweise kommt ein Handwerker ein bis zwei Wochen vor den Arbeiten auf uns zu, um Material zu bestellen. Dann hat er schon alles exakt ausgemessen und weiß genau, was er benötigt. Nun hingegen müssen die Betriebe deutlich mehr Vorlaufzeit einplanen und Material anfordern, welches sie im August oder September benötigen. Das stellt sie jedoch vor Probleme: Bei Bestandsgebäuden kann der Bauherr schließlich noch kurzfristig ein Fenster einplanen oder das Dach um einen Meter verlängern oder verkürzen. Im schlimmsten Fall steht dann nicht genug oder viel zu viel Material bereit. Beim Neubau hingegen lässt sich häufig noch nichts ausmessen, da das Dach erst gebaut wird. Dann bestellt der Dachdecker das Material auf Basis von Plänen. Oder nehmen wir Sturm- oder Wasserschäden, bei denen die Handwerker kurzfristig ein Notdach errichten sollen. Wenn kein Material vorhanden ist, ist das schwierig bis unmöglich.
Mit welchen Folgen rechnen Sie für die Betriebe im Sommer, falls sich die Situation bis dahin nicht verbessert?
Augustin: Wie bereits erwähnt, haben mit den Zimmereien unsere ersten Mitgliedsbetriebe Kurzarbeit angemeldet. Weitere Unternehmen werden folgen. Generell ist es so, dass die Verfügbarkeit von Baumaterial aktuell den Zeitplan bestimmt. Auch die Dachdecker verschieben Bauvorhaben und ziehen andere Arbeiten vor. Das können zum Beispiel Ausbesserungstätigkeiten oder der Einbau eines Fensters sein. Umgekehrt werden auch die Bauherren so manches Vorhaben nicht realisieren können, wenn sie sich ein Budget von 50.000 Euro gesetzt haben und das Vorhaben durch die gestiegenen Preise plötzlich 80.000 Euro kostet. Es ist also nicht auszuschließen, dass auch zahlreiche Dachdecker-Betriebe in absehbarer Zeit Kurzarbeit beantragen müssen, weil ihnen einerseits Material fehlt und andererseits die Aufträge wegbrechen.
Was unternimmt Ihre Genossenschaft, um die Mitglieder in dieser Situation zu unterstützen?
Augustin: Wir haben unsere Mitglieder sehr früh auf die absehbaren Preissteigerungen hingewiesen und konnten glücklicherweise einigermaßen akzeptable Preisbedingungen mit den Industriepartnern verhandeln. Zudem haben wir unsere Warenbestände frühzeitig deutlich erhöht, um unserem Versorgungsauftrag gerecht zu werden. Das kommt unseren Mitgliedern nun zugute, denn bisher ist es uns fast immer gelungen, für jedes Bauvorhaben eine Lösung zu finden.
Funktioniert das auch für die kommenden Monate?
Augustin: Das ist schwierig abzuschätzen. Wir haben ein großes Netz aus 30 Standorten und sind aktuell voll handlungsfähig. Wenn mal irgendwo etwas fehlt, lässt sich das Produkt zumeist über einen anderen Standort beziehen. Aber: Einige unserer Vorlieferanten haben im Mai keine Aufträge entgegengenommen, im Juni sieht es ähnlich aus. Und wenn wir keine neue Ware bekommen, leeren sich auch unsere Lagerbestände nach und nach.
„Haben wir den Klopapier-Effekt?“
Rechnen Sie damit, dass sich die Märkte in den kommenden Monaten entspannen? Oder werden sich die Lieferengpässe weiter zuspitzen?
Augustin: Aufgrund der aktuellen Situation erwarte ich keine kurzfristige Entspannung in den kommenden Wochen. Nun ist die entscheidende Frage: Haben wir den Klopapier-Effekt? Decken sich also derzeit alle Unternehmen mit Baustoffen ein – so wie im Frühjahr 2020 die Privatverbraucher mit Klopapier – und am Ende gibt es doch genug für alle? Oder haben wir es mit einem wirklichen Mangel zu tun? Wir hoffen jedenfalls, dass sich die Lage bis zum Herbst stabilisiert. In der Zwischenzeit unternehmen wir alles, was in unserer Macht steht, um unsere Mitglieder bestmöglich zu beliefern.
Herr Augustin, vielen Dank für das Gespräch!