Gemeinwohl: Eine Genossenschaft vernetzt die kommunalen Pflegeeinrichtungen im Freistaat.
Besucher sind nur begrenzt erlaubt, Gruppenaktivitäten wie Singen oder Gymnastik lediglich mit wenigen Teilnehmern möglich und Ausflüge schwierig bis unmöglich umzusetzen: Die Situation in den bayerischen Alten- und Pflegeheimen ist nach über einem Jahr Corona-Pandemie immer noch sehr angespannt. Die Vorschriften sind streng und viele Bewohner leiden stark unter den Einschränkungen, betont Alexander Schraml, Geschäftsführer der Senioreneinrichtungen des Landkreises Würzburg sowie Vorstand der Genossenschaft Kommunale Altenhilfe Bayern eG. „Die psychischen und physischen Folgen sind gewaltig, schließlich befinden sich die Menschen mittlerweile seit über einem Jahr de facto im Lockdown. Viele von ihnen vereinsamen ohne ihre gewohnten Kontakte und bauen als Reaktion auch körperlich immer mehr ab“, sagt Schraml.
Die 2019 gegründete Kommunale Altenhilfe Bayern eG, ein Zusammenschluss kommunaler Pflegeeinrichtungen bayerischer Landkreise, Städte, Märkte und Gemeinden, setzt sich deshalb für mehr Perspektiven für alte und pflegebedürftige Menschen ein. Schraml: „Es ist dringend erforderlich, die Kontaktbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Wir müssen mit der nötigen Sicherheit zurück zur Normalität, wenn wir Pflegebedürftige nicht weiterhin sozial ausgrenzen und psychisch belasten wollen.“
Fast alle Bewohner sind zweifach geimpft
Es sei bisher sinnvoll gewesen, die Menschen in den Heimen besonders zu schützen, betont der Vorstand der Genossenschaft. Schließlich zählen sie aufgrund ihres Alters oder wegen Vorerkrankungen zur Hochrisiko-Gruppe. Doch durch die Impfungen habe sich die Situation entscheidend geändert, führt Schraml aus: „Weit über 90 Prozent der Bewohner sind zweimal geimpft. Für sie ist die Gefahr, schlimm oder tödlich zu erkranken, extrem gesunken.“ Zwar können sich auch Geimpfte weiterhin mit dem Corona-Virus anstecken, doch die Fälle verlaufen selbst bei älteren Menschen überwiegend mild oder sogar ohne Symptome.
Die Alten- und Pflegeheime haben über Jahre Strukturen geschaffen, die den Menschen Halt geben und ihnen einen abwechslungsreichen Alltag ermöglichen. Welche Folgen es hat, wenn diese Angebote wegfallen, kann Indira Schmude erklären. Sie ist Pflegedirektorin am NürnbergStift, ein Mitglied der Kommunalen Altenhilfe Bayern eG. Das NürnbergStift betreibt mehrere Pflege- und Altenheime in der Stadt Nürnberg. Im Alltag erlebt Schmude zahlreiche Menschen, die mit den geltenden Besuchs- und Kontaktbeschränkungen hadern. Noch immer müssen sie sich vor dem Besuch anmelden und können die Bewohner nur alleine treffen. „Doch gerade die Angehörigen bringen sich normalerweise stark in die Pflege ein und entlasten damit die Mitarbeiter“, sagt Schmude. Als Beispiel führt sie ein Ehepaar an, bei dem der Mann im Heim lebt. Vor Corona sei seine Frau jeden Tag für mehrere Stunden vorbeigekommen, sie hätten gemeinsam zu Mittag gegessen und den Nachmittag zusammen verbracht. Die Schmutzwäsche habe sie mitgenommen und gewaschen. Nun kommt die Frau nicht mehr regelmäßig vorbei, da sie den Aufwand der Anmeldung scheut und unter der FFP2-Maske nur schlecht Luft bekommt. Ihr Mann fühlt sich zurückgesetzt und ist zunehmend verbittert. „Für solche Fälle bräuchten wir dringend mehr Angebote im Bereich Seelsorge und Psychotherapie, das lässt sich aber finanziell und personell nicht stemmen“, sagt Schmude.
Noch schlimmer sind Menschen mit Demenzerkrankungen betroffen. Sie haben Schwierigkeiten, die aktuelle Situation und die Kontaktbeschränkungen zu verstehen. „Für die Mitarbeiter ist es eine große Herausforderung, die betroffenen Personen auf die Abstandsgebote oder die Maskenpflicht hinzuweisen“, sagt die Pflegedirektorin. Viele Demenzkranke reagieren darauf mit Rückzug, gesteigerter Unruhe und Aggressionen. Zudem fehlen den Menschen ihre gewohnten Aktivitäten wie Spaziergänge oder einfach nur die gemeinsamen Mahlzeiten mit ihren Angehörigen. „Wir beobachten, dass die Demenz als Konsequenz bei manchen Personen schneller voranschreitet“, erklärt Schmude.
Genossenschaftsmitglieder profitieren vom Erfahrungsaustausch
Über solche und weitere Folgen der Corona-Pandemie tauschen sich die Mitglieder der Kommunalen Altenhilfe Bayern eG regelmäßig aus. Denn ein Hauptziel der Genossenschaft ist es, Know-how weiterzugeben und sich gegenseitig zu unterstützen. „Von dem Erfahrungsaustausch profitieren wir sehr, gerade in dieser herausfordernden Zeit“, bekräftigt Vorstand Alexander Schraml. Seit dem Start der Genossenschaft haben sich die Experten der jeweiligen Einrichtungen miteinander vernetzt und können sich etwa bei Fragen unkompliziert weiterhelfen. Außerdem stellen die jeweiligen Unternehmen Dokumente wie Leitfäden zum Krisenmanagement in der Corona-Pandemie zur Verfügung. „Das kommt vor allem kleineren Häusern zugute, die nicht die entsprechenden Kapazitäten haben“, sagt Schraml. Letztlich gewinnen aber alle Mitglieder, wenn sie auf bestehendes Wissen zurückgreifen können.
Zudem können sich die einzelnen Häuser über die Genossenschaft mehr Gehör bei der Politik verschaffen. Beispielsweise hatte die Bayerische Staatsregierung im April Lockerungen für Geimpfte und Genesene beschlossen. Gleichzeitig sollten die Besucher von Pflegeheimen weiterhin einen aktuellen negativen Corona-Test vorweisen – auch, wenn sie bereits vollständig geimpft waren. „Diese Vorschrift war nicht praxistauglich und hätte das Treffen der Verwandten mit den Pflegebedürftigen weiterhin unnötig erschwert“, erklärt Schraml. Die Genossenschaft forderte, die Regel abzuschaffen. Mit Erfolg: Mitte Mai hob das Bayerische Gesundheitsministerium die Vorschrift auf.
Stück für Stück zurück zur Normalität
Geimpfte Bewohner, Besucher und auch Angestellte von Alten- und Pflegeheimen müssen weiterhin eine FFP2-Maske tragen. Diese Vorschrift ist derzeit ein stark diskutiertes Thema in den Heimen. „Gerade ältere Menschen haben große Probleme, damit Luft zu bekommen“, sagt Indira Schmude vom NürnbergStift. Auch die Beschäftigten würden über Atemnot und Unwohlsein klagen. Kein Wunder: Selbst das Robert-Koch-Institut empfiehlt, FFP2-Masken nur für 75 Minuten zu tragen und anschließend eine halbe Stunde Pause einzulegen. „Die Arbeitsfähigkeit sinkt durch FFP2-Masken definitiv. Wir würden uns wünschen, dass geimpfte Personen stattdessen nur noch eine OP-Maske tragen müssen“, sagt Schmude.
Die Kommunale Altenhilfe Bayern eG macht sich dafür stark, dass Stück für Stück wieder Normalität in die Alten- und Pflegeheime einzieht. „Das Infektionsrisiko ist durch die Impfungen deutlich geringer geworden. Deshalb plädieren wir dafür, in die Entscheidung, ob Schutzvorschriften gelockert werden können, auch Aspekte der Lebensqualität einzubeziehen. Dazu gehört etwa das Recht auf Selbstbestimmung“, sagt Schraml. Schließlich werden auch die älteren Menschen zunehmend ungeduldig. „Warum bin ich überhaupt geimpft, wenn ich sowieso nichts darf? Diese Frage stellen die Bewohner immer häufiger“, berichtet der Vorstand der Kommunalen Altenhilfe Bayern eG. Schraml hofft deshalb, dass die Beschränkungen für die Alten- und Pflegeheime zügig aufgehoben werden und sich dadurch die Perspektiven für die Menschen verbessern.