Warenhandel: Raiffeisen-Lagerhäuser halfen den Bauern Ende des 19. Jahrhunderts, den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu meistern.
„Die Erhaltung unserer Raiffeisengenossenschaften ist jetzt dringender, als es je der Fall gewesen ist. Die Genossenschaft als eine besondere Wirtschaftsform hat jetzt ihre erhöhten Aufgaben. Das, was der einzelne nicht mehr leisten kann, das kann mit Hilfe aller im Dorfe, das heißt mit Hilfe der Raiffeisengenossenschaft, noch gemacht werden.“
Michael Horlacher, Direktor des Bayerischen Raiffeisenverbands, 1948
Nachdem die Nationalsozialisten die Notenpresse zur Rüstungsfinanzierung angeworfen hatten, lag die Reichsmark nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 ebenso am Boden wie die gesamte deutsche Wirtschaft. Eine gigantische Geldmenge stand einer minimalen Menge produzierter Güter gegenüber. Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs waren nur über Bezugsscheine und zu amtlich festgesetzten Preisen erhältlich. Das Grundprinzip der Preisgestaltung durch Angebot und Nachfrage war ausgehebelt. Niemand wollte für den legalen Markt produzieren, da dies wirtschaftlich uninteressant war. Als Folge florierte der Schwarzmarkthandel, die Händler schufen sich mit Zigaretten ihre eigene Währung. Dieser Zustand ließ sich nur beheben, indem der massive Geldüberhang aus der NS-Zeit beseitigt wurde.
Die Währungsreform vom 20. Juni 1948 war für die Deutschen in der Westzone eine enorme Zäsur. Über Nacht waren die Auslagen der Geschäfte wieder gefüllt, weil viele Händler ihre Waren bis dahin zurückgehalten hatten. Für die Banken bedeutete die Währungsreform zunächst eine massive Belastung. So verpflichtete § 6 des „Zweiten Gesetzes zur Neuordnung des Geldwesens (Emissionsgesetz)“ die Institute, in bestimmter Höhe zinslose Mindestreserven sowie gering verzinsliche sogenannte „Ausgleichsforderungen“ zu halten. Ebenso waren der Wertverlust sämtlicher vorhandener Aktiva sowie die entsprechende Abwertung der Forderungen eine schwere Bürde für die Banken. Auch die Einlagen der Sparer schmolzen zusammen. Das war für viele besonders bitter, denn bei der Umstellung auf die D-Mark wurde nicht zwischen ehemals werthaltigen Altspareinlagen und solchen aus der Inflationszeit unterschieden.
Ansturm auf die Raiffeisenbanken
Die bayerischen Kreditgenossenschaften waren zunächst intensiv damit beschäftigt, die Währungsreform praktisch zu bewältigen: In den Tagen nach dem 20. Juni wurden bei den Raiffeisenkassen in Bayern 544 Millionen Reichsmark Bargeld einbezahlt und an 22 Prozent der Bevölkerung die „Kopfprämie“ in Höhe von 40 D-Mark ausbezahlt. Der erhöhte Arbeitsaufwand auch in den folgenden Monaten hatte die Auswirkung, dass oftmals die für eine Genossenschaft so wichtige Generalversammlung nicht abgehalten werden konnte und auch Bilanzen erst mehrere Monate, zum Teil sogar erst Jahre später erstellt werden konnten.
Die Raiffeisenkassen hatten jedoch nicht nur mit praktischen Problemen der Währungsreform zu kämpfen: Auch der Handlungsspielraum der Institute wurde extrem eingeschränkt. Sowohl bei den Kreditgenossenschaften vor Ort als auch bei den genossenschaftlichen Zentralkassen veränderte die Währungsreform das Bilanzbild massiv. Während die Gesamtbilanzsumme aller bayerischen Raiffeisenkassen am 20. Juni 1948 rund 3,84 Milliarden Reichsmark betrug, schmolz sie einen Tag später auf rund 264 Millionen Deutsche Mark zusammen. Gleichzeitig betrug die Durchschnittsbilanzsumme der bayerischen Raiffeisenkassen nur noch 67.000 Deutsche Mark pro Kreditgenossenschaft. In der Folge mussten sie sich enorm anstrengen, um ihre Rentabilität und Liquidität sicherzustellen. Die Bayerische Raiffeisen-Zentralkasse als Geldausgleichsstelle unterstützte sie dabei.
Raiffeisen-Bausteine für den Wiederaufbau
Gleichzeitig war es das erklärte Ziel der Kreditgenossenschaften, sowohl das Vertrauen in die neue Währung zu stärken als auch den Spargedanken bei der ländlichen Bevölkerung wiederzuerwecken. Ein ebenso wichtiges Vorhaben war der Wiederaufbau des genossenschaftlichen Kreditwesens. Kriegsbedingt bestand in der Landwirtschaft und dem ländlichen Gewerbe, dem traditionellen Kundenkreis der Raiffeisenkassen, eine über viele Jahre aufgestaute Nachfrage nach Produktionsgütern und Maschinen. Diese waren für die Betriebe überlebenswichtig. Daher war der Kreditbedarf der Mitglieder zunächst sehr hoch. Vor allem in den fränkischen Gebieten waren viele Höfe durch den Krieg stark beschädigt worden. Um die dringend benötigten Mittel für Kredite zu beschaffen, gaben die genossenschaftlichen Kreditinstitute 50.000 sogenannte „Raiffeisen-Bausteine“ zu je 20 Deutsche Mark aus. Diese Sondereinlagen der Sparer reichten sie als zinsverbilligte Darlehen an die Besitzer kriegsbeschädigter Anwesen weiter.
Die Menschen auf dem Land verwendeten ihre zunächst sehr bescheidenen Einnahmen nach der Währungsreform überwiegend dazu, lebenswichtige Güter zu beschaffen. Der Spargedanke lag ihnen noch fern. Außerdem flüchteten sie sich nach den negativen Erfahrungen der Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre lieber in Sachwerte. Grund dafür war das fehlende Vertrauen der Bevölkerung in die Kaufkraft und Stabilität der neuen Währung. Weil sich bestimmte Waren nach der Umstellung erst einmal verknappten und starken Preisschwankungen unterlagen, wurde die Akzeptanz der Deutschen Mark auf eine harte Probe gestellt.
Kunden entdecken ihren Sparsinn wieder
Das änderte sich jedoch, je länger der Aufschwung der deutschen Wirtschaft anhielt. Bis zur Mitte der 1950er Jahre wuchs das Vertrauen in die D-Mark stetig. Allmählich entdeckten die Kunden der Raiffeisenkassen ihren Sparsinn wieder. Das ist auch auf die intensive und anhaltende Werbetätigkeit der Kreditgenossenschaften vor Ort in Zusammenarbeit mit dem genossenschaftlichen Verbund zurückzuführen. Mit vielfältigen, seit 1948 aufgelegten Sondersparformen wie dem „Steuerbegünstigten Sparen“, dem Prämiensparen oder dem Gewinnsparen, war es den Raiffeisenkassen möglich, einen beachtlichen Grundstock an Spareinlagen anzusammeln. Damit konnten die Genossenschaftsbanken ihrer Kernaufgabe, der einlagenfinanzierten Kreditvergabe an Landwirte und Handwerker, nach Jahren der Mangelwirtschaft wieder nachfragegerecht nachkommen. Teilweise gibt es diese Sondersparformen heute noch.
Dank der erfolgreichen Arbeit der Raiffeisenorganisation in Bayern stiegen die Einlagen bei den Raiffeisenkassen im Freistaat in den zehn Jahren nach der Währungsreform langsam, aber stetig von knapp 192 Millionen Deutsche Mark zum 31. Dezember 1948 auf 1,4 Milliarden Deutsche Mark im Jahr 1958. Gleiches gilt für die Forderungen der Raiffeisenkassen, die sich im selben Zeitraum von 17,4 Millionen Deutsche Mark auf 670,1 Millionen Deutsche Mark erhöhten. Bis 1968 stiegen die Einlagen auf 6,7 Milliarden Deutsche Mark, die Forderungen auf 4,3 Milliarden Deutsche Mark. Gleichzeitig erhöhte sich die Gesamtbilanzsumme der bayerischen Raiffeisenkassen von 264 Millionen Deutsche Mark zum 21. Juni 1948 auf 1,6 Milliarden Deutsche Mark im Jahr 1958 und auf 7,8 Milliarden Deutsche Mark im Jahr 1968.
Verantwortung für das Gemeinwohl
Im Ergebnis übernahmen die bayerischen Raiffeisenbanken nach einem schwierigen Start schnell Verantwortung für das Gemeinwohl. Sie halfen mit Krediten dabei, die Not der ländlichen Bevölkerung zu lindern. Und sie sorgten nach Jahren der kriegsbedingten Entbehrungen dafür, dass die Menschen das Sparen wieder für sich entdeckten. Damit war es den Raiffeisenbanken möglich, weitere Darlehen auszugeben und den Wirtschaftsaufschwung zu unterstützen. So trugen sie in den Jahren nach der Währungsreform ihren Teil zur Stabilisierung der neuen Währung bei.
Schon in seinem Jahresbericht 1949/50 stellte der Bayerische Raiffeisenverband fest, dass die bayerischen Raiffeisenkassen „trotz aller Schwierigkeiten, Hemmnisse und Rückschläge […] in den Geschäftsjahren 1949 und 1950 […] jedoch befriedigende Erfolge erzielt und eine bedeutsame Strecke auf dem Weg zur allmählichen Wiedererlangung ihrer vollen Leistungskraft zurückgelegt“ haben.
Sana‘a Wittmann ist Mitarbeiterin des Historischen Vereins Bayerischer Genossenschaften.