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Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist glücklicherweise über den Punkt hinweg, an dem sie täglich die Feuerwehr rufen muss. Wir können daher endlich wieder stärker über ihre Architektur sprechen. Diese günstige Situation müssen wir nutzen, um die Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren und endlich eine Eurozone zu schaffen, die nicht nur nachhaltig stabil ist, sondern auch wieder für Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern sorgt. Für die Europäische Kommission ist ein nächster zentraler Schritt die Vollendung der Bankenunion durch die Schaffung eines europäischen Einlagensicherungssystems (EDIS). Aber brauchen wir wirklich ein solches System?

Die Antwort ist so klar wie einfach: Eine Bankenunion, die Risiken komplett vergemeinschaftet und bei der sich die Sparer deutscher Banken zum Beispiel an einer italienischen Bankenkrise beteiligen müssten, hilft niemandem. Dafür gibt es meines Erachtens vier zentrale Gründe: 

  • Erstens kann der Begriff Einlagensicherung mit dem Begriff der Haftung gleichgesetzt werden. Dies bedeutet, dass einzelne Mitgliedsstaaten ihre eigenen Probleme auf die Banken anderer Staaten abwälzen könnten – ein Vorgang, der die völlig falschen Anreize setzt. 
  • Zweitens verfügt Deutschland über ein hervorragend ausgestaltetes nationales Einlagensicherungssystem. Insbesondere der genossenschaftliche Sektor und die deutsche Sparkassenfamilie verfügen über sehr gut funktionierende eigene Systeme. Die aktuellen Vorschläge der Kommission gehen auf diese bestehenden Systeme aber leider nur unzureichend ein. Sie würdigen nicht ihren erheblichen Beitrag zu Stabilität und Vertrauen im Kreditsektor. Aus genossenschaftlicher Perspektive ist die Frage bezüglich der Notwendigkeit einer europäischen Einlagensicherung daher mehr als berechtigt.
  • Drittens ist es ohnehin fahrlässig, über eine Vergemeinschaftung von Risiken zu sprechen, solange die Bilanzen vieler europäischer Banken nach wie vor mit immensen notleidenden Krediten belastet sind. Die Fortschrittsberichte der Kommission zum Abbau der notleidenden Kredite in Europa zeigen deutlich, dass sich Verbesserungen bisher nur im Nachkommabereich abspielen. Statt also möglichst verschlungene Wege zur schwer nachvollziehbaren Vermischung von Kreditrisiken zu entwerfen, sollte nachhaltig und konsequent dafür gesorgt werden, dass die notleidenden Kredite abgebaut werden. Verluste müssen von der jeweiligen Bank und deren Eigentürmern getragen werden – denjenigen, die auch das Risiko eingegangen sind. 
  • Viertens gibt es auch vonseiten der Ökonomie bisher kein wissenschaftliches Argument, das die Notwendigkeit dieser dritten Säule und damit einer staatlich verordneten Zentralisierung der gewachsenen Sicherungssysteme nachweist. Warum sollte man sich für eine Weiterentwicklung einsetzen, die ökonomisch keinen Mehrwert bringt?

Daher möchte ich einen Gegenvorschlag anbieten: Wäre es aus ordnungspolitischer Perspektive nicht besser, wenn wir bestehende Hindernisse gegenüber der Bildung grenzüberschreitender freiwilliger Risikoverbünde abbauen? So könnten einzelne Institute in einem Abwägungsprozess selbst entscheiden, ob und vor allem welchem Risikoverbund sie angehören wollen. Der Risikoverbund könnte wiederum entscheiden, ob die Aufnahme im Interesse seiner Sparer ist oder nicht.

„Statt die Eurozone mit weiteren Umverteilungsmechanismen kurzfristig zu stabilisieren, sollten wir die Banken- und Kapitalmarktunion zum Kern eines starken europäischen Bankensektors machen.“

Wenn also zum Beispiel eine weniger solide italienische Bank zur besseren Absicherung ihrer Kunden einem bestimmten Einlagensicherungsverbund angehören will, dann finden zwischen dem Einlagensicherungsverbund und der Bank Verhandlungen über die Höhe des risikoadäquaten Beitrags und über sonstige Aufnahmebedingungen statt. Dies beinhaltet zwei wesentliche Vorteile: So bildet der individuelle Beitragssatz einer Bank das eigene Risiko bestmöglich ab und durch die marktgerechte Festlegung des Beitragssatzes wäre der Anreiz erhöht, dass die Bank aus eigenem Antrieb den Abbau von Risikopositionen vorantreibt.

Insgesamt bleibt festzuhalten: Statt die Eurozone mit weiteren, später kaum noch korrigierbaren Umverteilungsmechanismen kurzfristig zu stabilisieren, sollten wir die Banken- und Kapitalmarktunion zum Kern eines starken und global wettbewerbsfähigen europäischen Bankensektors machen. Dazu gehört neben der Vertiefung des Binnenmarkts für Bank- und Finanzdienstleistungen zum Beispiel auch die Nutzung digitaler Geschäftsmodelle für eine stärkere Integration der europäischen Finanzmärkte oder auch eine Verschärfung der europäischen Vorschriften zur Bankenabwicklung. Bei der Diskussion über ein potenzielles europäisches Einlagensicherungssystem sollten wir aber Vorsicht walten lassen und uns kritisch fragen, ob diese Variante der Vertiefung wirklich auch eine Verbesserung der Wirtschafts- und Währungsunion darstellt.

Christian Lindner ist seit Dezember 2013 Bundesvorsitzender der Freien Demokraten. Nach dem Wiedereinzug der FDP in den Deutschen Bundestag im September 2017 wurde Lindner auch zum Fraktionsvorsitzenden gewählt. Der 39-Jährige gehört der FDP seit 1995 an. 2000 wurde er als Abgeordneter erstmals in den nordrhein‐westfälischen Landtag gewählt. Von 2012 bis 2017 war er Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion NRW.

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