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Herr Lang, laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) ist die Zahl der Apotheken in Deutschland zum Jahresende 2023 auf das Allzeittief von 17.571 gesunken. Das sind 497 Apotheken weniger als zum Jahresende 2022 – der größte jährliche Verlust an Apotheken in der Geschichte der Bundesrepublik. Worauf führen Sie den Rückgang zurück?

Herbert Lang: 500 Apothekenschließungen in nur einem Jahr, das ist eine dramatische Entwicklung, die mir große Sorgen bereitet. So etwas hatten wir noch nie. Die Ursachen für diesen historisch einmaligen Rückgang sind in der wirtschaftlichen Situation der Apotheken zu suchen, die mittlerweile mehr als angespannt ist. Die gesetzlich festgelegten Apothekerhonorare für verschreibungspflichtige Arzneimittel wurden letztmals vor über zehn Jahren angepasst. Seitdem ist nichts mehr passiert. Gleichzeitig sind die Ausgaben wie bei allen Unternehmen massiv gestiegen, insbesondere die Personal- und Energiekosten. Inzwischen stehen die Apotheken wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Ohne Einkaufsvorteile durch den pharmazeutischen Großhandel zahlen sie bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln zwischenzeitlich 0,46 Euro pro Packung drauf. Sie kommen also nur noch durch die Einkaufsvorteile des Großhandels einigermaßen auf null. Erhöhte Umsätze der Apotheken in der Corona-Zeit hatten die schwierige Situation ein Stück weit verdeckt, aber jetzt steht es bei vielen Apotheken Spitz auf Knopf. Um es kurz zu machen: Eine Anpassung der Apothekerhonorare ist mehr als überfällig.

„Ich würde behaupten, dass momentan ein Drittel aller selbstständigen Apotheken in Deutschland defizitär arbeitet. Eine Zahl, die nichts Gutes erwarten lässt.“

Was passiert, wenn keine Anpassung der Apothekerhonorare kommt?

Lang: Ich fürchte, wir werden weitere Schließungen sehen. In früheren Jahren haben in Deutschland pro Jahr zwischen 200 und 280 Apotheken aufgegeben, diese Zahl hat sich im vergangenen Jahr verdoppelt. Wir sehen die Zahlungsschwierigkeiten unserer Mitglieder auch bei uns im Debitorenmanagement, das hat dramatisch zugenommen. Ich würde behaupten, dass momentan ein Drittel aller selbstständigen Apotheken in Deutschland defizitär arbeitet. Eine Zahl, die nichts Gutes erwarten lässt.
 

Welche Folgen hätte es für die Menschen, wenn noch mehr Apotheken vor Ort schließen? Gibt es dabei Unterschiede zwischen Stadt und Land?

Lang: Am Ende des Tages wirkt sich die Schließung jeder einzelnen Apotheke auf die Versorgungssituation aus. In vielen Städten, vor allem Großstädten, ist die Situation noch nicht dramatisch. Wenn eine Apotheke aufgibt, ist die nächste meist nicht weit. Auf dem Land sieht das jedoch ganz anders aus.  Da beträgt die Fahrzeit mit dem Auto häufig schon heute 20 bis 30 Minuten bis zur nächsten Apotheke. Das macht es vor allem Menschen, die nicht mehr so mobil sind, schwer, schnell und unkompliziert an ihre oftmals lebenswichtigen Medikamente zu kommen. In der Fläche steht die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch Apotheken inzwischen massiv infrage. Das muss man leider so sagen. Wobei es inzwischen auch in Ballungsgebieten ganze Stadtteile ohne Apotheke vor Ort gibt. Das hängt auch davon ab, wie hoch die Ladenmieten sind. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei der Versorgung mit Apotheken vor Ort eher am unteren Ende.

„Bei der Sanacorp haben wir in den vergangenen Jahren 15 Vollzeitstellen geschaffen, einzig und allein aufgrund der zunehmenden Bürokratie.“

Was muss – abgesehen von einer Honoraranpassung – noch passieren, damit die Apotheken vor Ort langfristig eine Zukunft haben?

Lang: Wir brauchen bei neuen Gesetzen dringend mehr Vorlaufzeit, damit sich die Branche darauf einstellen kann. Das betrifft auch die Sanacorp. Und wir ersticken in Bürokratie, daran wird auch das geplante Bürokratieentlastungsgesetz nicht viel ändern. Bei der Sanacorp haben wir in den vergangenen Jahren 15 Vollzeitstellen geschaffen, einzig und allein aufgrund der zunehmenden Bürokratie.


Geben Sie uns ein Beispiel…

Lang: Jedes der 16 Bundesländer hat eine eigene Behörde für die Arzneimittelüberwachung. Der Gesetzgeber hat jedoch entschieden, dass es für die Überwachung des Handels mit Tierarzneimitteln eine separate Behörde braucht. Dafür werden neue Beamtenstellen geschaffen. Die Sanacorp liefert auch Tierarzneimittel aus. Wir brauchen also in Zukunft nicht nur von einer Behörde die entsprechenden Genehmigungen für den Arzneimittelhandel, sondern von zwei. Dazu kommt, dass wir beinahe alles lückenlos dokumentieren müssen. Wir haben an jeder Ecke mit Bürokratie zu kämpfen, ein enormer Aufwand. Das geht den Apotheken vor Ort ganz genauso, zumal sie mit dem Management von Lieferengpässen ohnehin schon an ihre Grenzen kommen.

Die Sanacorp in Stichpunkten

  • Muttergesellschaft: Sanacorp eG Pharmazeutische Großhandlung
  • Sitz: Planegg bei München
  • Niederlassungen in Deutschland: 19
  • Mitglieder: 7.400 selbstständige Apothekerinnen und Apotheker
  • Versorgte Apotheken: ca. 8.000
  • Mitarbeitende: ca. 3.000
  • Gesamtumsatz 2023: 6,9 Milliarden Euro
  • Sortiment: Rund 140.000 Arzneimittel sowie Gesundheitsprodukte
  • Durchschnittliche Lieferzeit: 1,5 Stunden
  • Gründungsjahr der ersten Vorgängergenossenschaft: 1924

Lieferengpässe bei Medikamenten waren zur Corona-Zeit und auch im vergangenen Jahr ein großes Thema in Politik und Medien. Wie sieht es heute aus?

Lang: Bei Kinderfiebersäften kann ich Entwarnung geben. Da ist die Situation momentan entspannt. Nichtsdestotrotz gibt es immer noch rund 500 Arzneimittel, davon viele lebenswichtige Medikamente, die aktuell entweder nur schwer oder gar nicht verfügbar sind. Die Apothekerinnen und Apotheker vor Ort haben deshalb weiterhin alle Hände voll zu tun, Lieferengpässe zu managen und nach Alternativen zu suchen. Diese Zeit geht ihnen vom normalen Geschäft ab, zumal ihnen diese Arbeit keiner bezahlt. Auch deshalb sollten die Honorare dringend angepasst werden.

„Die Lieferengpässe sind nach wie vor sehr kritisch, wenngleich sie nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen.“

Was schlagen Sie zur Lösung der Lieferengpässe vor?

Lang: Dieses Problem kann man nicht kurzfristig lösen, auch nicht durch Gesetze, machen wir uns nichts vor. Die Sanacorp ist zwar jetzt verpflichtet, bei bestimmten Arzneimitteln einen höheren Lagerbestand vorzuhalten. Allerdings können wir nur auf Lager legen, was wir auch geliefert bekommen. Niemand kann vorhersagen, wann in China oder Indien eine Fabrik für bestimmte Arzneimittelgrundstoffe ausfällt und die Produktion zum Erliegen kommt. Wir können vorbeugend gar nicht genug Ware auf Lager legen, um solche Ausfälle zu überbrücken. Die Situation ist also nach wie vor sehr kritisch, wenngleich sie nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit steht. Aktuell betreffen die Engpässe vor allem kleinere Patientengruppen und nicht mehr unsere Kinder, was im vergangenen Jahr für den enormen öffentlichen Aufschrei gesorgt hat.

Es müsste sich also grundlegend etwas ändern?

Lang: Das Grundproblem ist die enorme Abhängigkeit der Arzneimittelproduktion von außereuropäischen Lieferanten. Daran wird sich erst dann etwas ändern, wenn die Politik alles daransetzt, die Pharmaproduktion wieder zurück nach Deutschland oder zumindest nach Europa zu holen. Über 70 Prozent unserer Arzneimittel werden in China oder Indien produziert. Das betrifft nicht nur fertige Medikamente, sondern auch Ausgangsstoffe, Hilfsstoffe und Verpackungsmaterialien.


Das heißt, die Globalisierung der Arzneimittelproduktion rächt sich nun…

Lang: Die Krankenkassen haben viele Jahre lang nur auf die Kosten geschaut und mit den Herstellern Rabatte ausgehandelt. Das hat dazu geführt, dass diese nach möglichst günstigen Produktionsorten gesucht haben. Sie haben dann alles an wenige Produzenten vornehmlich in China und Indien ausgelagert. Jetzt bekommen wir die Rechnung präsentiert. Eine hohe Qualität der Arzneimittel und eine zuverlässige Versorgung kosten einfach Geld. Wenn es uns das wert ist, müssen wir dieses Geld ausgeben. Die Politik war bisher aber eher darauf gepolt, die Kosten zu drücken. Bei der Energieversorgung ist es ähnlich. Da müssen wir als Gesellschaft in Deutschland umdenken, angefangen bei der Gesundheitsversorgung. Denn um Arthur Schopenhauer zu zitieren: Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.

„Wir tun, was wir können, aber das Grundproblem der Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferanten müssen andere lösen.“

Was unternimmt die Sanacorp, um Lieferschwierigkeiten vorzubeugen?

Lang: Wir versuchen bei Arzneimitteln, wo wir von Engpässen wissen, über alternative Lieferanten einen Vorrat anzulegen. Aber die Mengen, die wir über solche Wege bekommen, werden vom Markt sofort aufgesaugt. Wie wenn ein paar Tropfen Wasser auf einen trockenen Schwamm fallen. Mittlerweile setzen wir Frühwarnsysteme ein, die mit Künstlicher Intelligenz (KI) weltweit nach Hinweisen auf Unterbrechungen der Lieferkette bei bestimmten Arzneimitteln suchen. Die Software analysiert dabei eine Unmenge von unterschiedlichen Datenbanken. Da geht es zum Beispiel um die Routen von Containerschiffen und ob diese nach Fahrplan unterwegs sind. Das System wertet dank seiner KI auch Internetmeldungen in allen möglichen Sprachen aus, derer wir nicht mächtig sind. So erfahren wir, ob es bei bestimmten Herstellern Probleme gibt, etwa durch einen Brand im Werk. Dann schauen wir uns das an und nehmen gegebenenfalls von diesem Medikament vorsichtshalber mehr auf Lager. Manchmal treffen die Prognosen ein, manchmal investieren wir auch Kapital, und am Ende gibt es keine Probleme. Wir tun, was wir können, aber das Grundproblem der Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferanten müssen andere lösen.


Die Digitalisierungswelle hat den gesamten Gesundheitssektor erfasst. Inwiefern sind die Online- und Versandapotheken für die Apotheken vor Ort mittlerweile zur Konkurrenz geworden?

Lang: Bisher hatten die Versandapotheken bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln einen Marktanteil von 1,0 bis 1,5 Prozent, also eher vernachlässigbar. Dafür gab es einen Grund, und der hieß Papierrezept. Wer bei einer Versandapotheke ein Rezept einlösen wollte, musste dieses bisher irgendwo hinschicken, in der Regel nach Holland. Dort wurde das Rezept kontrolliert und das Medikament anschließend verschickt. Bis das Medikament dann da war, sind zwei bis vier Tage vergangen. Da waren die Apotheken vor Ort immer schneller. Jetzt haben wir seit 1. Januar 2024 das E-Rezept und alles soll elektronisch abgewickelt werden. Theoretisch lässt sich das E-Rezept auch an eine Versandapotheke im Ausland weiterleiten. Aktuell ist das aus technischen Gründen aber noch nicht möglich. Wenn dieses Hemmnis in absehbarer Zeit wegfällt, dann werden die Versandapotheken für die Apotheken vor Ort zu einem ernsthaften Wettbewerber.

„Ich halte es für möglich, dass der Marktanteil der Versandapotheken in Deutschland perspektivisch auf zehn bis zwölf Prozent klettert.“

Wie hoch schätzen Sie das Potenzial der Versandapotheken ein?

Lang: In anderen Ländern wie den USA, wo Versandapotheken seit vielen Jahren etabliert sind, liegt deren Marktanteil zwischen 15 und 20 Prozent. Ich halte es für möglich, dass der Marktanteil in Deutschland perspektivisch auf zehn bis zwölf Prozent klettert. Ich nenne ganz bewusst einen etwas niedrigeren Prozentsatz als in den USA, weil die Vereinigten Staaten abseits der Ballungsräume ein sehr dünn besiedeltes Land sind. In Deutschland ist die Bevölkerungsdichte viel höher und es gibt trotz aller Schließungen immer noch die Apotheken vor Ort. Von daher ist bei uns die Notwendigkeit nicht so stark gegeben, Rezepte online einzulösen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir in der Corona-Zeit alle gelernt haben, Besprechungen digital abzuhalten und online alle möglichen Dinge einzukaufen. Das lief relativ problemlos und war bequem. Diese Bequemlichkeit möchten die Verbraucher nicht mehr missen.


Was heißt das für die Apotheken vor Ort und die Sanacorp?

Lang:  Die Menschen werden diese Bequemlichkeit oder Convenience, wie man auf Neudeutsch sagt, auch bei der Arzneimittelversorgung erwarten. Die Apotheken vor Ort brauchen also alternative Angebote wie einen Onlineshop und nach Möglichkeit auch einen Lieferdienst, um den wachsenden Convenience-Ansprüchen der Verbraucher gerecht zu werden. Die Sanacorp arbeitet seit Jahren daran, solche Angebote aufzubauen. Mittlerweile sind wir deutschlandweit der größte Anbieter von Onlineshops für Apotheken. Ergänzend dazu bietet die Sanacorp weitere digitale Services an, zum Beispiel eine Chatfunktion, damit Verbraucher sich online beraten lassen können. Solche digitalen Leistungen sind notwendig, damit die Apotheken vor Ort wettbewerbsfähig bleiben. Wir haben auch eine App im Angebot, mit der Kunden unkompliziert Medikamente in ihrer Apotheke vor Ort vorbestellen können. Mit unserer Dachmarke „mea – meine Apotheke“ mit deutschlandweit über 3.000 Kooperationsapotheken unterstützen wir die Wahrnehmung der Apotheken vor Ort mit ihren vielfältigen Leistungen.

Wie organisieren Sie bei der Sanacorp die Entwicklung der digitalen Leistungen?

Lang: Unsere digitalen Leistungen reichen weit über den eigentlichen Kundenkontakt hinaus, das ist alles in ein Gesamtkonzept eingebunden. Wir bieten mittlerweile mit Sanacorp Connect ein umfangreiches Portal an, in dem wir die wichtigsten Informationen und Leistungen für die Apotheken vor Ort bündeln. Dort können die Apothekerinnen und Apotheker schnell und unkompliziert auf ihre Geschäftsdaten bei Sanacorp zugreifen oder den Status ihrer Lieferaufträge einsehen. Oder sie schauen sich Schulungsvideos in dem Portal an. Außerdem helfen wir den Apotheken mit weiteren Anwendungen beim Warenbezug und der Preisgestaltung. So gewinnen die Apotheken wertvolle Zeit für die Beratung ihrer Kunden. Für diese Fülle an digitalen Leistungen haben wir eine eigene große Abteilung aufgebaut, die sogenannte Digital Unit. Vieles davon läuft unter der Dachmarke „mea – meine Apotheke“, aber wir bieten unseren Mitgliedern auch Whitelabel-Lösungen an, denn nicht jede Apotheke ist Kooperationspartner von „mea“.


Wie treibt die Sanacorp ihre eigene Digitalisierung voran?

Lang: Die Apotheken bestellen ihre Arzneimittel bei uns schon seit vielen Jahren elektronisch. Relativ neu sind die digitalen Leistungen wie der Onlineshop, da kommt natürlich ständig etwas Neues hinzu. Wir haben jedoch festgestellt, dass die Digitalisierung der Apotheken vor Ort nicht von alleine läuft. Deswegen bauen wir eine neue Einheit auf, die die Apotheken bei der Digitalisierung buchstäblich an die Hand nimmt. Wir helfen ihnen dabei, einen vernünftigen Webauftritt zu gestalten, wir beraten sie dabei, wie sie digital präsenter werden können und worauf sie bei digitalen Kundenkontakten achten müssen. Da kommt es zum Beispiel auf schnelle Reaktionszeiten an. Wir nutzen dafür die vorhandene digitale Kompetenz in der Sanacorp, um die Apotheken vor Ort fit für die digitale Welt zu machen. Viele Pharmazeutinnen und Pharmazeuten freuen sich über unsere Unterstützung, die wir nun ganz professionell anbieten.


Inwiefern beeinflusst die aktuelle Zinssituation das Geschäft der Sanacorp?

Lang: Die Zinsentwicklung stellt uns vor echte Herausforderungen. Unser Warenlager hat einen Wert von rund einer halben Milliarde Euro, dazu kommen unsere Forderungen. Nach zehn Jahren Niedrigzinsphase ist es für uns angesichts der aktuell hohen Zinsen sehr viel teurer geworden, das Warenlager und die Forderungen durch Fremdkapital zu decken. Unser Kapitalbedarf ist dadurch deutlich gestiegen. Das hat uns massiv getroffen. Deswegen müssen wir unsere Hausaufgaben machen und unsere Rendite verbessern. Dafür haben wir ein groß angelegtes Kostenprojekt gestartet. Aus Sicht der Banken brauchen wir eine deutlich bessere Rendite, um wieder zu vernünftigen Konditionen an Kapital zu kommen. Das ist ein Thema, das uns aktuell sehr stark umtreibt.

Was treibt Sie noch um?

Lang: Der Bundesgerichtshof hat vor Kurzem entschieden, dass die Einkaufsvorteile von Apotheken bei 3,15 Prozent gedeckelt werden müssen. Das betrifft alle Rabattformen und wird die wirtschaftliche Situation der Apotheken über die bereits beschriebenen Probleme hinaus nochmal stärker belasten. Zusätzliche Rabatte wie die Gewährung von Skonto bei schneller Zahlung sind dann nicht mehr zulässig. Das betrifft uns auch intern, weil wir sämtliche Abrechnungen an die neue Rechtsprechung anpassen müssen. Das Urteil des Bundesgerichtshofs zeigt anschaulich, wie stark die Apotheken finanziell von Faktoren abhängen, die sie nicht beeinflussen können. Wir bewegen uns in einem extrem regulierten Markt. Weder die Apotheker noch die Sanacorp als Pharma-Großhändler haben in diesem Rahmen viel Bewegungsspielraum. Und von der Politik ist angesichts leerer Kassen in dieser Hinsicht keine Entlastung zu erwarten.

„Mitglieder, die mit der Sanacorp mehr als 600.000 Euro Umsatz machen, erhalten eine Dividende von fast 16 Prozent – bisher habe ich niemanden gehört, der damit unzufrieden ist.“

Wie steht die Sanacorp angesichts dieser äußeren Umstände wirtschaftlich da? Können Sie schon etwas zum Geschäftsjahr 2023 sagen?

Lang: Trotz allem war 2023 für die Sanacorp in der Summe ein zufriedenstellendes Jahr. Wir haben vor Steuern etwas mehr verdient als im Vorjahr, knapp 30 Millionen Euro. Die Umsatzrendite liegt bei 0,46 Prozent – das ist für ein Handelsunternehmen wie die Sanacorp mit 6,9 Milliarden Euro Umsatz nicht viel. Aber wir können wieder eine ordentliche Dividende an die Genossenschaftsmitglieder zahlen. Die Basisdividende liegt bei 3,3 Prozent. Alle Mitglieder, die im vergangenen Jahr mehr als 600.000 Euro Umsatz mit uns gemacht haben, bekommen in Summe 14 Prozent Dividende auf ihre Anteile. Dieses Jahr kommt noch einmal eine Jubiläumsdividende von durchschnittlich 1,9 Prozent obendrauf, weil die Sanacorp ihr 100-jähriges Bestehen feiert. Insgesamt macht das für die Mitglieder, die mit uns in einer aktiven Geschäftsbeziehung stehen und mit uns mehr als 600.000 Euro Umsatz machen, eine Dividende von fast 16 Prozent – bisher habe ich niemanden gehört, der damit unzufrieden ist.


Sie haben es erwähnt: In diesem Jahr feiern Sie das Jubiläum 100 Jahre Sanacorp – 1924 wurde mit der Einkaufsvereinigung Württembergischer Apotheker die erste Vorläufergenossenschaft gegründet. Worauf führen Sie es zurück, dass sich die Sanacorp eG über 100 Jahre sowie über wirtschaftliche Höhen und Tiefen hinweg dauerhaft als Partner der Apotheken etablieren konnte?

Lang: Was die Sanacorp meines Erachtens über alle Zeiten hinweg auszeichnet, ist ihre Anpassungsfähigkeit und der Wille, sich immer wieder auf Veränderungen einzustellen. Wir haben gerade darüber gesprochen: Unternehmen im Arzneimittelhandel müssen sich regelmäßig mit neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen befassen, die das eigene Geschäftsmodell infrage stellen. Die Sanacorp hat immer wieder die Fähigkeit besessen, neue Ideen zu entwickeln und sich effizienter zu organisieren. Das trägt alles dazu bei, dass die Sanacorp trotz aller Widrigkeiten heuer ihren 100. Geburtstag feiert. Ich bin seit 27 Jahren im Unternehmen. Es gab schwierigere und leichtere Jahre, aber in jedem Jahr gab es Veränderungen. Dadurch hat das Unternehmen gelernt, sich regelmäßig mit Problemen auseinanderzusetzen und sie zu lösen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Lang: Nehmen wir die Corona-Zeit, das ist noch gar nicht lange her. Weder die Apotheken noch der Pharma-Großhandel konnten ins Homeoffice wechseln. Die Medikamente mussten ausgeliefert werden. Bei der Sanacorp wusste jeder, was er zu tun hat. Das hat mich stolz gemacht. Genauso haben sich die Apotheken vor Ort gegenseitig unterstützt, als zum Beispiel die Desinfektionsmittel knapp wurden. In der Corona-Zeit ist der genossenschaftliche Urgedanke der gemeinschaftlichen Selbsthilfe mal wieder richtig groß rausgekommen. Es gab sehr viele positive Rückmeldungen der Mitglieder. Wir haben in einer absoluten Ausnahmesituation lebenswichtige Arzneimittel ausgeliefert und mit dem Corona-Impfstoff ganz maßgeblich auch das Produkt, das am Ende dazu geführt hat, diese Ausnahmesituation in Deutschland und der Welt auch wieder zu beenden. Jeder kannte seine Rolle und hat seine Ideen eingebracht. Das zeigt mir, was die Sanacorp seit 100 Jahren ausmacht.


Sie haben sich entschlossen, zum 30. Juni 2024 in den Ruhestand zu gehen. Sie waren dann durchgehend 27 Jahre bei der Sanacorp, davon über 20 Jahre im Vorstand und 14 Jahre als Vorstandsvorsitzender. Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit? Wo konnten Sie etwas bewegen, was ist möglicherweise liegen geblieben?

Lang: Meine Aufgaben waren immer spannend und herausfordernd. Ich durfte schon das 75-jährige Bestehen der Sanacorp mitgestalten. Insofern freue ich mich, dieses Unternehmen vom 75. zum 100. Geburtstag geführt zu haben. Wir haben in dieser Zeit gemeinsam viel geschafft. Allerdings ist es zu wenig gelungen, die Sanacorp und den Pharma-Großhandel in Deutschland insgesamt in der Öffentlichkeit stärker zu positionieren. Die Arzneimittelversorgung in Deutschland wäre ohne den Pharma-Großhandel nicht denkbar, nur weiß das kaum jemand. Wenn Sie heute ein Rezept einlösen und der Apotheker sagt, Sie können das Medikament in zwei Stunden abholen, dann fährt nicht der Apotheker irgendwohin, um das Medikament zu holen. Es ist der Pharma-Großhandel, der so organisiert ist, dass er deutschlandweit jedes Arzneimittel innerhalb von zwei Stunden in jede Apotheke bringen kann. Ich würde mir wünschen, dass das in Zukunft noch stärker wahrgenommen wird.


Lassen Sie uns das Interview mit einem positiven Ausblick beschließen. Was macht Sie zuversichtlich, dass es die Sanacorp auch in 100 Jahren noch geben wird?

Lang: Die Sanacorp-Familie. Zwar wird auch bei uns teilweise heftig gestritten, aber wenn es hart auf hart kommt, dann ziehen alle an einem Strang. Am Ende kommt es immer auf die Menschen an. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sanacorp kommen auf eine durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von 17 Jahren. Wir verabschieden regelmäßig Kolleginnen und Kollegen, die seit 40 oder 45 Jahren dabei sind. Mich erstaunt immer wieder, mit welchem Gestaltungswillen unsere Leute die Sanacorp voranbringen wollen. Deshalb mache ich mir keine Sorgen, dass wir es mit den richtigen Menschen und ihren Ideen immer wieder schaffen, uns an neue Rahmenbedingungen anzupassen. Die Leute bei Sanacorp sind ein tolles Team, die wuppen das schon.


Herr Lang, herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für Ihren Ruhestand!

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