Zustimmung: Ein Gutachten im Auftrag des GVB nennt die informelle Aufsichtspraxis der BaFin „rechtsstaatlich zweifelhaft“. Die BaFin darf nicht zum Ersatzgesetzgeber werden, fordert GVB-Präsident Gros.
Das Wichtigste in Kürze
- Informelle Bankregulierung ist die nicht rechtsförmige Setzung allgemeiner Verhaltensstandards durch die BaFin in Merkblättern und Rundschreiben, aber auch in Aufsätzen oder sogar Interviews.
- Die informelle Bankregulierung birgt Gefahren. Denn in der Praxis behandeln Banken aus Sorge um ihren guten Ruf informelle Bankregulierung wie Gesetze.
- Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist informelle Bankregulierung daher durchaus zweifelhaft, so die Feststellung von Professor Klöhn.
- Ein Beispiel ist der von der BaFin empfohlene Dividenden-Stopp im vergangenen Jahr. Weil die BaFin bei Missachtung ihrer Empfehlung den Banken mit Vertrauensverlust gedroht hat, kam sie einem faktischen Verbot gleich.
Herr Klöhn, Sie haben sich für ein Gutachten im Auftrag des GVB mit der Praxis der informellen Bankregulierung der Finanzaufsicht BaFin befasst. Was versteht man unter informeller Bankregulierung?
Lars Klöhn: Informelle Bankregulierung ist die nicht rechtsförmige Setzung allgemeiner Verhaltensstandards durch die BaFin. Das heißt, dass die BaFin nicht nur Gesetze vollzieht, sondern durch mannigfaltige allgemein formulierte Verlautbarungen deutlich macht, wie sie das Recht versteht. Dazu gehören Merkblätter, Rundschreiben, besonders in jüngster Zeit auch Aufsätze im BaFin-Journal oder sogar Interviewaussagen und Reden, die später auf der BaFin-Webseite veröffentlicht werden. Dadurch schafft sie gewissermaßen „unterhalb“ der Gesetzesebene eine weitere Normebene, obwohl sie nicht Gesetzgeber ist.
Warum ist dieses Vorgehen der BaFin bedenklich?
Klöhn: Informelle Bankregulierung hat Vor- und Nachteile. Es gibt viele gute Gründe für informelle Bankregulierung. Die BaFin macht ihr Verständnis des Rechts transparent, die Marktteilnehmer können sich darauf einstellen, die BaFin schafft gleiche Standards für alle und kommuniziert diese. Dadurch schafft sie ein Level-Playing-Field und wirft Licht auf Bereiche, in denen vorher nur vermutet werden konnte, was die BaFin sich bei ihrer Aufsichtspraxis denkt. Die informelle Bankregulierung birgt aber auch Gefahren. Denn in der Praxis behandeln Banken informelle Bankregulierung wie Gesetze. Das liegt daran, dass Banken aus Sorge um ihren guten Ruf einen denkbar geringen Anreiz haben, die Konfrontation mit der BaFin zu suchen. Man wird wohl annehmen dürfen, dass sich die BaFin dessen bewusst ist und deshalb geneigt sein könnte, manchmal mehr zu regulieren, als ihr zusteht. Daraus resultiert die grundsätzliche Gefahr, dass die BaFin faktisch selbst gesetztes Recht vollzieht und dabei die Grenzen des aufsichtsrechtlich Zulässigen systematisch überschreitet. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist informelle Bankregulierung daher durchaus zweifelhaft.
„Daraus resultiert die grundsätzliche Gefahr, dass die BaFin faktisch selbst gesetztes Recht vollzieht und dabei die Grenzen des aufsichtsrechtlich Zulässigen systematisch überschreitet.“
In der Studie haben Sie sich vor allem mit dem von der BaFin im vergangenen Jahr empfohlenen Dividenden-Stopp während der Corona-Krise im Frühjahr 2020 befasst. Was ist die Besonderheit an diesem Beispiel?
Klöhn: Die BaFin hat eine sehr weitgehende informelle Entscheidung getroffen, unter ganz besonderen, hoffentlich einmaligen Umständen. Sie hat dabei explizit auf die rein faktische Bindungswirkung der Maßnahme gesetzt. Konkret hat die BaFin sämtlichen nicht bedeutenden Kreditinstituten (LSIs) unabhängig von deren Größe, Finanzstabilität und Geschäftsmodell gesagt: „Ihr dürft im Jahr 2020 aufgrund der Corona-Krise keine Dividenden ausschütten.“ Das galt, egal ob Privatbank, Sparkasse oder Genossenschaftsinstitut. Die BaFin war sich bewusst, dass sie für dieses „Dividenden-Verbot“ keine Rechtsgrundlage hatte. Daher hat sie auch kein Verbot ausgesprochen, sondern eine Empfehlung zum Dividenden-Verzicht gegeben. Gleichzeitig hat sie gesagt, dass sich Geschäftsleiter von Banken, die dennoch ausschütten, fragen müssen, ob sie noch das volle Vertrauen der Aufsicht verdienen.
„Die BaFin war sich bewusst, dass sie für dieses ,Dividenden-Verbot‘ keine Rechtsgrundlage hatte. Daher hat sie auch kein Verbot ausgesprochen, sondern eine Empfehlung zum Dividenden-Verzicht gegeben.“
Warum steht dieses Vorgehen einer Behörde nicht zu?
Klöhn: Ich würde nicht sagen, dass es ihr pauschal nicht zusteht. Das Problem war, dass die BaFin diese Maßnahme auf alle weniger bedeutenden Kreditinstitute angewandt hat. Damit ließ sie keinen Platz für institutsspezifische Differenzierungen. Dadurch wurden Genossenschaftsbanken besonders hart getroffen.
„Das Problem war, dass die BaFin diese Maßnahme auf alle weniger bedeutenden Kreditinstitute angewandt hat. Damit ließ sie keinen Platz für institutsspezifische Differenzierungen.“
Warum wurden Genossenschaftsbanken härter getroffen?
Klöhn: Bei einer Privatbank werden die Aktionäre von dem Dividendenverbot betroffen. Aktionäre sind nicht unbedingt auch Kunden der Bank. Bei Genossenschaftsbanken ist das anders. Besonders in ländlichen Bereichen sind Sparer so gut wie immer auch Mitglieder der Genossenschaftsbank. Die Gewinnausschüttung, die sie bekommen, ist rechtlich gesehen eine Dividende. Faktisch gesehen haben Genossenschaftsbanken ein so grundsolides, sicheres Geschäftsmodell, dass der Gewinn, den sie ausschütten, in der Praxis eher wie ein Zins wahrgenommen wird. Das Mitgliedsbuch eines Sparers einer Genossenschaftsbank ist eher mit einer Festgeldanlage vergleichbar, als mit einer Aktie. Daher war das Dividendenverbot für Genossenschaftsbanken eher ein Zinsausschüttungsverbot. Aktionäre können zudem nicht ihre Einlagen zurückverlangen, wenn sie mit der Dividendenpolitik unzufrieden sind. Bei Genossenschaftsbanken ist das anders, und das ist in der Praxis auch passiert: Vor allem Neumitglieder von Genossenschaftsbanken haben im Jahr 2020 ihre Mitgliedschaft gekündigt. Dadurch ist die Eigenkapitalbasis bei den Genossenschaftsbanken geschwächt worden. Die BaFin-Empfehlung hatte bei den Genossenschaftsinstituten also womöglich einen adversen Effekt.
Was bedeutet es für die Banken, wenn sie sich solchen Erwartungshaltungen, wie der nach einem Dividenden-Stopp, gegenübersehen?
Klöhn: Banken können sich aus meiner Sicht relativ frühzeitig gegen Maßnahmen der BaFin wehren, die auf informeller Bankregulierung beruhen. Allerdings erst dann, wenn die BaFin diese Maßnahmen gegenüber dem einzelnen Kreditinstitut konkretisiert hat. Eine Bank kann sich also nicht direkt gegen eine Pressemeldung der BaFin wehren. Sie muss warten, bis die BaFin aufgrund der Pressemeldung gegenüber dem Institut aktiv wird. Davor kann sich die Bank informell an die BaFin wenden, um ihr deutlich zu machen, dass sie sich in einer besonderen Lage befindet und die BaFin dies im Einzelfall berücksichtigen soll.
„Wenn die BaFin mit dem Vertrauensentzug droht, droht sie letztlich mit der Abberufung des Geschäftsleiters.“
Die BaFin droht häufig gegenüber der Bank oder deren Geschäftsleitern mit Vertrauensentzug, wenn sie der Erwartungshaltung nicht entsprechen. Welche Folgen kann das haben?
Klöhn: Für Geschäftsleiter kann dies das Karriereende bedeuten. Der Vertrauensverlust ist ein Grund für die BaFin, Geschäftsleiter abzuberufen. Wenn die BaFin mit dem Vertrauensentzug droht, droht sie also letztlich mit der Abberufung des Geschäftsleiters. Oft muss die BaFin das in der Praxis aber nicht selbst tun, denn das übernehmen die Kreditinstitute aus Angst vor der BaFin, sobald die BaFin signalisiert, dass sie den Geschäftsleiter abberufen würde. In einem solchen Fall tut sich ein Geschäftsleiter schwer, woanders eine Anstellung zu bekommen. Kreditinstitute haben kaum einen Grund, jemanden in eine Führungsposition zu berufen, der schon einmal einen Konflikt mit der BaFin hatte. In der Praxis werden Geschäftsleiter daher einen Teufel tun, sich mit der BaFin anzulegen, selbst wenn sie das Vorgehen der Behörde für rechtswidrig halten.
„Die BaFin schließt jedoch von der Nicht-Beachtung ihrer Verlautbarungen häufig nicht nur auf Fahrlässigkeit, sondern sogar auf Leichtfertigkeit. Das ist meiner Ansicht nach grundsätzlich unzulässig.“
Setzt sich ein Bankvorstand, der sich über informelle Regulierung hinwegsetzt, automatisch dem Vorwurf aus, dass sein Verhalten fahrlässig oder sogar leichtfertig war?
Klöhn: Bei der Beurteilung der Fahrlässigkeit muss berücksichtigt werden, dass die BaFin im Wege der informellen Bankregulierung deutlich gemacht hat, wie sie das Gesetz versteht. Wenn sich ein Geschäftsleiter dagegenstellt, muss man ergründen, warum er das getan hat. Es kann gute Gründe geben, den Ansichten der BaFin nicht zu folgen. Häufig kann man Zweifel haben, ob die BaFin genau den Fall vor Augen hatte, der sich in der Praxis ergeben hat. Außerdem ist auch die BaFin nicht unfehlbar und kann das Gesetz falsch verstehen. Dafür gibt es Beispiele: Ansichten, die die BaFin vertreten hat, sind später von Verwaltungs-, Zivil- oder Strafgerichten gekippt worden – zuletzt etwa im Zusammenhang mit der aufsichtsrechtlichen Einordnung von Bitcoins. Ein Geschäftsleiter handelt daher nicht automatisch fahrlässig, wenn er gegen eine BaFin-Verlautbarung verstößt. Er steht jedoch unter einem erhöhten Rechtfertigungszwang. Diese Anforderung kann man erfüllen, indem man internen oder externen Rechtsrat einholt. Doch auch hier gilt: Die Anreize für Geschäftsleiter, dies zu tun, sind gering. Die BaFin schließt jedoch von der Nicht-Beachtung ihrer Verlautbarungen häufig nicht nur auf Fahrlässigkeit, sondern sogar auf Leichtfertigkeit. Das ist meiner Ansicht nach grundsätzlich unzulässig.
Wenn eine informelle Regulierung kein offizieller Verwaltungsakt ist, gibt es dann gar keine Rechtsmittel dagegen?
Klöhn: Doch. Die Verwaltungsgerichtsordnung geht zwar grundsätzlich davon aus, dass der Rechtsschutz erst beginnt, wenn die Behörde einen Verwaltungsakt erlassen hat. Es gibt aber Möglichkeiten eines früheren Rechtsschutzes. Die Kernfrage ist immer: Wie lange ist es Kreditinstituten zumutbar, zu warten? Mein Rechtsgutachten hat ergeben, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten regelmäßig früher eröffnet sind, als dies gemeinhin angenommen wird. Grundlage ist die so genannte „Damokles-Rechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts. Sie besagt im Kern: Niemand muss warten, bis die Behörde drastische Maßnahmen ergreift, um eine offene Rechtsfrage gerichtlich klären zu lassen. Diese Rechtsprechung hat im Bankaufsichtsrecht eine hohe Bedeutung, weil Kreditinstituten und Geschäftsleitern regelmäßig solche drastischen Maßnahmen drohen.
„Die BaFin sollte stärker auf den Verhältnismäßigkeits- und Gleichheitsgrundsatz achten. Dazu gehört eine stärkere Differenzierung nach größeren und kleineren Instituten.“
Sollte die BaFin auf Instrumente der informellen Bankenregulierung verzichten?
Klöhn: Das würde ich nicht sagen. Informelle Bankregulierung hat Potenzial, von dem auch Kreditinstitute profitieren können. Ich plädiere aber dafür, dass die BaFin von diesem Instrument auf behutsamere Art und Weise Gebrauch macht und berücksichtigt, dass vor allem kleine Institute ihren Verlautbarungen auch dann folgen, wenn sie diese für falsch halten. Die BaFin sollte stärker auf den Verhältnismäßigkeits- und Gleichheitsgrundsatz achten. Dazu gehört eine stärkere Differenzierung nach größeren und kleineren Instituten. Das zeigt das „Dividenden-Verbot“ der BaFin. Die Empfehlung selbst war nicht falsch – falsch war allerdings deren pauschale Anwendung auf sämtliche nicht bedeutenden Kreditinstitute.
Herr Professor Klöhn, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Prof. Dr. jur. Lars Klöhn, LL.M. (Harvard) ist seit 2016 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen und Cambridge, Massachusetts (USA) sowie der Promotion und Habilitation in Göttingen folgten Rufe an die Universitäten Bremen, Bonn, Hamburg, Marburg und zuletzt München. Klöhn ist unter anderem Mitherausgeber der Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (ZBB) und Herausgeberbeirat der Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP). Seine Forschungsgebiete sind unter anderem das Kapitalmarkt- und Bankrecht mit rechtsvergleichender und interdisziplinärer Perspektive sowie richterliche Entscheidungsfindung.