Grenzüberschreitung: Der Berliner Rechtswissenschaftler Lars Klöhn hält die informelle Bankregulierung durch die BaFin in Teilen für „durchaus zweifelhaft“. Im Interview erklärt er, warum.
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Prof. Klöhn zu den Gefahren der informellen Bankenregulierung durch die BaFin:
„Nicht zu übersehen sind jedoch auch die Gefahren, die mit der informellen Bankregulierung der BaFin verbunden sind und die man schlagwortartig zusammenfassen kann als Legitimations-, Kontroll- und Rechtsstaatlichkeitsprobleme. Sie ergeben sich aus dem grundsätzlichen Befund, dass Kreditinstitute aufgrund der auf dem Bankenmarkt besonders wirksamen Reputationsmechanismen die Auseinandersetzung mit der BaFin prinzipiell auch dann scheuen, wenn sie der Ansicht sind, dass die BaFin rechtswidrig handelt. Daraus resultiert die grundsätzliche Gefahr, dass die BaFin faktisch selbst gesetztes Recht vollzieht und dabei die Grenzen des aufsichtsrechtlich Zulässigen systematisch überschreitet.“ (Seite 4)
Dazu meine ich: „In Politik und Medien wird momentan lautstark über eine Reform der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) diskutiert. In Bezug auf Finanzskandale wie jener von Wirecard ist häufig zu lesen, die BaFin sei zu unentschlossen, zu schwach und zu wenig durchsetzungsfähig. Der Behörde fehlten nicht nur das Personal, sondern auch die rechtlichen Mittel, um durchzugreifen, so der allgemeine Eindruck.
Mit Blick auf die Aufsicht kleiner und mittlerer Kreditinstitute trügt diese Einschätzung der zahnlosen Aufsicht durch die BaFin jedoch gewaltig. In der Bankenregulierung hat die BaFin in den letzten Jahren ihre Wirkmacht und ihren Instrumentenkasten systematisch ausgeweitet. Auf diese Entwicklung habe ich schon im vergangenen Jahr in einem Gastbeitrag in der Wirtschaftswoche („Wie die Finanzaufsicht beginnt, ihre Macht zu missbrauchen“, siehe dazu auch „Profil“ 06/2020) hingewiesen und eine stärkere politische Kontrolle der BaFin gefordert.
Das zitierte Gutachten des Berliner Rechtsprofessors Lars Klöhn (Humboldt-Universität) bestätigt diesen Eindruck. Die von der BaFin zunehmend genutzte informelle Regulierung stärkt die Macht der Behörde. Zwar entfalten informelle Regeln keine rechtliche Bindungswirkung für die Banken, schreibt der Gutachter. Gleichwohl haben sie eine hohe faktische Bindungswirkung, weil die Banken und deren Vorstände im Falle einer Auseinandersetzung mit der BaFin Reputationsschäden zu befürchten haben. Das führt laut Gutachten in der Praxis dazu, dass Kreditinstitute den Verlautbarungen der BaFin auch dann folgen, wenn sie sie für rechtswidrig halten. Daraus ergibt sich die Gefahr, so Klöhn, dass die BaFin selbst Recht setzt und dieses vollzieht – auch wenn das aufsichtsrechtlich gar nicht zulässig ist.
Fragwürdiger Dividendenstopp durch die BaFin
Wohin diese Entwicklung führen kann, verdeutlicht das Beispiel des Dividendenstopps für Banken, den die BaFin im Frühjahr 2020 während der ersten Phase von Corona verordnet hat. Die Behörde hatte damals unter anderem per Pressemitteilung die Erwartung geäußert, dass Banken aufgrund der unsicheren Pandemielage zunächst keine Dividende auszahlen sollen, und bei Zuwiderhandlungen mit „Vertrauensentzug“ gedroht. Wäre der Dividendenstopp für Banken als Allgemeinverfügung ergangen, stellt der Gutachter fest, hätte diese kaum einer verfassungsrechtlichen Kontrolle standgehalten. Eine Allgemeinverfügung wäre, so der Gutachter, unverhältnismäßig und gleichheitswidrig gewesen, denn sie hätte Genossenschaftsbanken härter getroffen als andere Banken, weil die Mitgliederrechte berührt sind.
Die Diagnose des Gutachtens ist besorgniserregend. Wo die BaFin selbst gesetztes Recht vollzieht, verlässt sie zunehmend ihre angestammte Rolle als Aufseher und betätigt sich als Ersatzgesetzgeber. Durch die Nutzung informeller Bankenregulierung hat die BaFin ein Instrument, mit dem sie ihre Macht schleichend immer weiter ausbauen kann. Der eigentliche Nutzen der informellen Regulierung, darüber zu informieren, wie die BaFin denkt, Gesetze auslegt und welches Maß sie folglich an die Banken anlegt, wird ins Gegenteil verkehrt. Anstatt Berechenbarkeit zu schaffen, ist die informelle Bankenregulierung ein gefährlicher Machtzuwachs für die BaFin.
Dieser Fehlentwicklung ist im BaFin-Reformprozess entgegenzuwirken. Die BaFin muss zurück in ein rechtsstaatliches Korsett. Der Rechtsstaat darf nicht zulassen, dass eine Behörde in die Rolle des Gesetzgebers schlüpft. Dort, wo es keine gesetzlichen Regelungen gibt, kann nicht die BaFin diese Lücke über informelle Methoden füllen und quasi eigenes Recht setzen und anwenden. Dort, wo es rechtliche Zweifel an der Zulässigkeit des Aufsichtshandelns gibt, wie beim Dividendenstopp, darf die Behörde nicht einfach auf informelle Instrumente ausweichen, weil es für sie bequem ist. Ein solches Vorgehen steht einer Behörde nicht zu.
Politische Kontrolle über die BaFin ausweiten
Es gibt einfache Wege, um zu verhindern, dass die BaFin sich als Ersatzgesetzgeber betätigt. Insbesondere der „Dienstherr“ der BaFin, das Bundesministerium der Finanzen (BMF), und der Verwaltungsrat, das oberste Kontrollgremium der BaFin, sind gefordert. Das BMF muss echte politische Kontrolle über die BaFin ausüben und darf den Aufsehern nicht nur freie Hand lassen. Der Verwaltungsrat braucht die notwendigen Kompetenzen, um als unabhängiges Überwachungsgremium fungieren zu können. Bisher erfüllt das Gremium eher eine repräsentative Funktion und übt die Haushaltskontrolle aus. Diese schwache Rolle muss sich ändern, hin zu einer durchsetzungsstarken Aufsicht über die Aufsicht.
Des Weiteren soll die BaFin dazu verpflichtet werden, regelmäßig dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags Auskunft über ihre Aufsichtspraxis zu erteilen. In Brüssel ist die europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA (European Banking Authority) und der EU-Aufsichtsmechanismus SSM (Single Supervisory Mechanism) dem EU-Parlament bereits rechenschaftspflichtig. Diese Transparenz, die auf europäischer Ebene praktiziert wird, sollte sich der deutsche Gesetzgeber zum Vorbild nehmen. Damit könnten die Abgeordneten das Aufsichtshandeln der BaFin kritisch prüfen. Der Gesetzgeber muss peinlich darauf achten, dass die BaFin nicht zum Neben-Gesetzgeber wird.
Zudem braucht es einen fundamentalen Kulturwandel im Umgang der BaFin mit den von ihr beaufsichtigten Instituten. Drohungen, wie sie die BaFin beim Dividendenstopp angewandt hat, sind kein Vorgehen, das einer Bundesbehörde gut zu Gesicht steht – insbesondere in der Auseinandersetzung mit einer kleinen, nicht komplexen Bank, der die BaFin als übermächtige Behörde gegenübersteht.“
Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.