Krisenmanagement: Was brauchen die bayerischen Genossenschaften jetzt, um einigermaßen heil aus der Corona-Krise zu kommen? Ein Interview mit GVB-Präsident Jürgen Gros.
Die wichtigsten Informationen
- Die Brennereigenossenschaft Oberding brennt seit Mitte März wieder Alkohol. Zuvor ruhte der Betrieb rund sieben Jahre, da sich die Produktion nicht mehr lohnte (Ende des Branntweinmonopols).
- Der Ethanol geht exklusiv an das Landratsamt Erding. Dort wird er verteilt und anschließend zu Desinfektionsmitteln weiterverarbeitet.
- Die Genossenschaft hofft, dass sie ihre Anlage auch nach der Corona-Krise weiter betreiben kann.
Lange Jahre stellte die Brennereigenossenschaft Oberding – einem Ort in Sichtweite des Münchner Flughafens – aus den Kartoffeln ihrer Mitglieder Industriealkohol her. Doch mit dem Ende des Branntweinmonopols ging das Geschäftsmodell verloren, 2013 stellte die Brennerei ihren Betrieb ein. „Ich habe aber immer gesagt: Irgendwann kommt der Tag, an dem die Anlage wieder in Betrieb geht“, sagt Fritz Müller, Vorstandsvorsitzender der Brennereigenossenschaft.
Müller behielt Recht – auch wenn der Anlass viele Menschen und Unternehmer an den Rand der Verzweiflung bringt. Seit dem 20. März läuft die Brennanlage wegen der Corona-Krise wieder auf Hochtouren. Um sich vor den Viren zu schützen, benötigen vor allem Ärzte und Pfleger ausreichend Desinfektionsmittel. Die Basis dafür ist Ethanol, der zurzeit wegen der weltweit hohen Nachfrage schwer zu bekommen ist. Auch die Mitglieder der Führungsgruppe Katastrophenschutz im Erdinger Landratsamt dachten intensiv darüber nach, wie die Bestände an Desinfektionsmitteln im Landkreis aufgestockt werden könnten. Die rettende Idee hatte der Oberdinger Feuerwehrkommandant und Kreisbrandinspektor Lorenz Huber: „Ich kannte die Brennerei von früher und wusste, dass diese Ethanol produzieren kann“, sagt er.
Die Produktion konnte sofort beginnen
Huber kontaktierte Brennerei-Chef Müller, der sofort zusagte und wiederum umgehend den früheren Brennmeister Werner Ippisch anrief, der die Anlage von 1997 bis zum Produktionsende 2013 betreut hatte. Vorsichtig nahmen sie den Dampfkessel in Betrieb, überprüften die Pumpen und heizten die Gärbottiche – alles lief noch, die Produktion konnte beginnen. „Zum großen Glück hat unser Brennmeister die Anlage damals in einem sehr guten Zustand hinterlassen. Das kam uns sehr entgegen“, erzählt Müller. Um die Arbeit zu stemmen, packte auch Braumeister Stefan Hofmann vom Erdinger Weißbräu mit an, der dafür extra frei bekommen hatte.
Für die Ethanolproduktion verwenden die beiden Brennmeister Kartoffeln, die speziell für die Herstellung von Pommes Frites angebaut wurden. Diese Sorten finden derzeit kaum Käufer, da Kantinen und Gastbetriebe geschlossen haben. Die Kartoffeln stammen von den 16 Mitgliedern der Genossenschaft, laut Fritz Müller sind ausreichende Mengen vorhanden. „Wenn es doch Engpässe geben sollte: Die Landwirte bauen auch Getreide und Mais an. Daraus können wir ebenfalls Alkohol brennen“, sagt er.
9.000 Liter in einer Woche
In der ersten Woche hat die Brennereigenossenschaft 9.000 Liter Ethanol produziert. Das reicht für rund 11.000 bis 12.000 Liter Desinfektionsmittel. Der Alkohol wird exklusiv an das Landratsamt Erding geliefert. Von dort geht er einerseits an die Feuerwehr, die daraus gemeinsam mit dem Stadtapotheker Armin Braun die dringend benötigten Desinfektionsmittel herstellt und anschließend an Kliniken und Heime im Landkreis verteilt. Andererseits gibt die Behörde den übrigen Alkohol an andere Gemeinde und Städte. Zudem kümmert sich das Landratsamt um den Zoll: Normalerweise müssen Alkoholproduzenten die Branntweinsteuer zahlen. Derzeit ist die Steuer jedoch für die Herstellung von Desinfektionsmitteln ausgesetzt.
Die Verantwortlichen der Brennereigenossenschaft Oberding freuen sich, dass sie ihren Teil dazu beitragen können, die Versorgung mit Desinfektionsmitteln sicherzustellen. „Wir produzieren so lange, wie der Bedarf da ist“, sagt Fritz Müller. Er hofft, dass die Gärbottiche und Kessel auch nach der Corona-Krise in Betrieb bleiben und die Mitglieder der Genossenschaft wieder regelmäßig Kartoffeln liefern, um daraus Ethanol zu brennen – ob für Desinfektionsmittel, Kosmetik oder Spirituosen, ist Müller erst einmal gleich. „Hauptsache, die Anlage läuft. Das wäre schön.“