Bürgernah: Europa muss ein Projekt für die Menschen werden. Dafür spricht sich der EVP-Spitzenkandidaten im Interiew mit „Profil“ aus
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Herr Dr. Gros, bei einer Diskussionsveranstaltung haben Sie kürzlich gesagt, diese Europawahl sei vielleicht die wichtigste, die es je gegeben hat. Warum sehen Sie das so?
Jürgen Gros: Die kommende Europawahl ist richtungsweisend, nicht nur personell, sondern auch politisch. Zunächst einmal, weil das Wahlergebnis auch auf die Politik im Inland ausstrahlen wird. Je nach Ausgang kann sich eine Diskussion entfachen, wer künftig mit wem die Bundesregierung bildet. Zudem gehe ich davon aus, dass wir bei der Neubesetzung der Europäischen Kommission Überraschungen erleben werden. Europa war nie so zerklüftet in der politischen Meinung wie heute - vom linken bis zum rechten Spektrum. Es ist davon auszugehen, dass es künftig eine Reihe von EU-Kommissaren geben wird, die eine ganz eigene Position zu Europa einnehmen. Das wird die Zusammenarbeit nicht einfacher machen. Zumal sich die europäische Politik auf eine sich abschwächende Konjunktur wird einstellen müssen. Die EZB hat ihr Pulver verschossen und fällt als Impulsgeber aus. Es wird sich also die Frage stellen, mit welchen politischen Initiativen die Wachstumskräfte in Europa gestärkt werden können.
GVB-Positionen zur Europawahl
Die Europawahl im Mai ist auch für Bayern und seine Genossenschaften richtungsweisend. Ihre Erwartungen an die zukünftigen Parlamentarier hat der Genossenschaftsverband Bayern in einem Positionspapier gebündelt.
Der GVB hat ein umfangreiches Positionspapier zur Europawahl vorgelegt. Wieso ist Europapolitik für die bayerischen Genossenschaften ein so bedeutendes Thema?
Jürgen Gros: Die politischen Grundlinien werden in Brüssel und Straßburg gezeichnet. Der nationale Gesetzgeber ist bei vielen Fragestellungen nur noch Ausgestalter. Deshalb ist es auch für Heimatunternehmen wie die bayerischen Genossenschaften erforderlich, das politische Geschehen auf europäischer Ebene im Blick zu behalten. Nehmen Sie als Beispiel die EU-Wertpapierrichtlinie MiFID II, die Anfang 2018 in Kraft getreten ist. Das Regelwerk hat für Anleger den Erwerb von Wertpapieren verkompliziert. Zugleich war die Umsetzung der Regeln auch für die Kreditgenossenschaften mit erheblichen Kosten verbunden. Das zeigt, welche Auswirkungen die politische Arbeit in Europa auf die GVB-Mitgliedsunternehmen – in diesem Fall die 236 Volksbanken und Raiffeisenbanken – haben kann.
„Wer etwas verbockt, soll die Konsequenzen nicht auf die Gemeinschaft abwälzen dürfen.“
Der GVB spricht sich dafür aus, dass sich Europa wieder stärker auf seine Grundsätze besinnt. Welche sind Ihnen besonders wichtig?
Jürgen Gros: Die europäische Gemeinschaft braucht Spielregeln, wenn sie ein Garant für Stabilität und Wachstum bleiben soll. Die Grundlagen dafür sind in den europäischen Verträgen und Rechtstexten längst verankert - nur leider werden sie im politischen Alltag zu oft missachtet. Die Europapolitik muss das Prinzip der Subsidiarität wieder beherzigen. Sie soll nur dann eingreifen, wenn bestehende regionale oder nationale Maßnahmen nicht ausreichen. Sie muss der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen, indem sie viel stärker darauf achtet, welchen Aufwand regulatorische Maßnahmen nach sich ziehen. Sie muss sich den Haftungsgedanken in Erinnerung rufen. Um es ganz deutlich zu formulieren: Wer etwas verbockt, soll die Konsequenzen nicht auf die Gemeinschaft abwälzen dürfen. Und natürlich wünschen sich die bayerischen Genossenschaften auch wieder mehr Regeltreue in Europa. Es kann nicht sein, dass die EU-Mitgliedsstaaten nach langwierigen Debatten Regeln verabschieden, die dann nicht befolgt werden. Das haben wir bei der jüngsten Bankenrettung in Italien gesehen. Dem Vertrauen in die EU dient das nicht.
Sie machen sich auch für das Prinzip „Vorfahrt für kleine und mittlere Betriebe“ stark. Was verstehen Sie darunter?
Jürgen Gros: Die europäische Wirtschaft wird von kleinen und mittelgroßen Unternehmen getragen. Das gilt besonders für Bayern. Mehr als 99 Prozent aller Unternehmen, darunter auch die meisten Genossenschaften, gehören zu den sogenannten KMUs. Diese Betriebe haben weniger als 500 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von weniger als 50 Millionen Euro. Gemeinsam nehmen sie jedoch eine wirtschaftliche Schlüsselrolle ein. Sie bieten mehr als vier Millionen Beschäftigten Arbeit und erzielen einen Gesamtumsatz von mehr als 400 Milliarden Euro pro Jahr. Das muss die europäische Politik berücksichtigen. Nichts anderes ist mit "Vorfahrt für KMU" gemeint. Dieses Prinzip ist in Europa längst verankert, wird aber nicht hinreichend gelebt. Stattdessen hemmen Überregulierung und zu viel Bürokratie das Wirtschaftswachstum.
Als Beispiel für die Missachtung des Subsidiaritätsprinzips zieht der GVB immer wieder die umstrittenen Vorschläge der EU-Kommission für ein zentrales europäisches Einlagensicherungssystem heran. Zuletzt ist es darum still geworden. Wie steht es um das Thema nach Ihrer Einschätzung?
Jürgen Gros: Die umstrittenen Pläne für ein europäisches Einlagensicherungssystem sind längst nicht vom Tisch. Vordergründig ist es ruhig geworden um dieses Thema. Und ja, in den kommenden Monaten wird wegen der Europawahl und der Neubildung der EU-Kommission in Brüssel zumindest nach außen Stillstand einkehren. Doch hinter den Kulissen wird die Vergemeinschaftung des Sparerschutzes weiter vorangetrieben. Es gibt Arbeitsgruppen, es gibt einen Staatssekretärsausschuss. In diesen Kreisen wird darüber gesprochen, wie eine EU-Einlagensicherung aussehen könnte und was die nächsten Schritte sind. Wir bleiben bei unserer Position. Wir lehnen ab, dass die Volksbanken und Raiffeisenbanken ihre funktionierende Einlagensicherung in ein fragwürdiges europäisches System überführen sollen. Denn das widerspricht dem Subsidiaritätsgedanken und setzt die Finanzstabilität aufs Spiel. Wir sprechen uns für mehr Risikoabbau und -prävention in Europa aus – nicht für mehr Risikoteilung.
„Am Ende ist es uns gelungen, maßgebliche Gestaltungsvorschläge in das sogenannte Bankenpaket einzubringen.“
Warum schaltet sich der GVB als Regionalverband überhaupt bei der Interessenvertretung auf europäischer Ebene ein?
Jürgen Gros: Weil es gut ist, wenn wir uns in der unserer genossenschaftlichen Organisation immer wieder gegenseitig verstärken. So gelingt es, Themen bei entscheidenden Akteuren nachdrücklich und glaubhaft zu platzieren. Das war zum Beispiel bei der Neufassung zentraler europäischer Vorgaben für die Bankenregulierung der Fall, da hatten wir aus Bayern heraus einen direkten Zugang zu relevanten Politikern. Am Ende ist es uns gelungen, maßgebliche Gestaltungsvorschläge in das sogenannte Bankenpaket einzubringen, die kleinere Regionalbanken von unverhältnismäßig hohen Bürokratielasten befreien. Beispielsweise haben wir angeregt, Kriterien festzulegen, nach denen ein Institut entlastet wird. Wie hilfreich diese Anregungen für die Politik waren, hat der schwäbische Europaabgeordnete Markus Ferber bei der GVB-Veranstaltung „Klartext am Türkentor" Ende Februar bestätigt. Auch Vertreter der Bundesbank haben dieser Tage im persönlichen Gespräch den Beitrag des GVB gewürdigt. Darüber freuen wir uns, weil es zeigt, was wir für unsere Mitglieder bewirken können.
Der GVB setzt sich nicht nur für die Volksbanken und Raiffeisenbanken, sondern auch für seine Mitglieder aus dem ländlichen und gewerblichen Bereich ein. Welche Politikfelder sind hier in Europa besonders wichtig?
Jürgen Gros: Die EU-Agrarpolitik ist für viele unserer ländlichen Mitglieder von Bedeutung. Uns treibt die Sorge um, dass auch im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik mancher gute Grundsatz unter den Tisch fällt. Der GVB lehnt zum Beispiel staatliche Eingriffe in die Autonomie der genossenschaftlichen Milchlieferbeziehungen ab. Die Abnahmegarantie in Kombination mit der Andienungspflicht bietet den Landwirten Planungssicherheit trotz Volatilität. Selbst bei schwierigen Marktbedingungen können Landwirte ihre Milch bei Molkereigenossenschaften absetzen. Eine EU-Reglementierung würde diese Stabilität gefährden. Aber auch die Energiepolitik in Europa ist ein Kernthema für den GVB. Die Energiegenossenschaften in Bayern bieten eine regionale Plattform, um die europäischen Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu unterstützen.
Welche Auswirkungen hätte für die bayerischen Genossenschaften eigentlich ein Brexit?
Jürgen Gros: Großbritannien gehört zu den fünf wichtigsten Handelspartnern der bayerischen Wirtschaft. Es wäre illusorisch zu glauben, dass ein Brexit folgenlos bliebe. Eine direkte Betroffenheit besteht beispielsweise bei den Molkereigenossenschaften, die nach Großbritannien exportieren. Die stellen sich die praktische Frage was passiert, wenn die Zollabfertigung am Ärmelkanal nicht reibungslos funktioniert und der Laster drei Tage in der Sonne steht. Aber auch unsere Volksbanken und Raiffeisenbanken haben den Brexit im Blick. Sie sind als Finanzpartner fest mit dem Mittelstand verbunden. Und es ist nicht auszuschließen, dass sich der Austritt der Briten bremsend auf die Konjunktur im Freistaat auswirkt.
Herr Dr. Gros, vielen Dank für das Gespräch!