Zahlungsverkehr: Ist der digitale Euro Innovation oder Stabilitätsrisiko? Ein Beitrag zur Zukunft unseres Geldes von Burkhard Balz, Vorstand der Deutschen Bundesbank.
Das Bargeld ist der Deutschen liebstes Kind, heißt es oft. Tatsächlich wird hierzulande im Vergleich zu anderen Ländern des Euroraums nach wie vor überdurchschnittlich häufig mit Banknoten und Münzen bezahlt. 58 Prozent aller Einkäufe im stationären Handel wurden im Jahr 2021 bar abgewickelt. An bundesweit mehr als 50.000 Geldautomaten können sich die Bürgerinnen und Bürger mit Bargeld versorgen.
Die Deutschen schätzen das Bargeld als einfaches und anonymes Zahlungsmittel, das zugleich eine gute Kontrolle über die eigenen Ausgaben ermöglicht. Besonders Menschen mit niedrigem Einkommen und Menschen mit Beeinträchtigungen nutzen das Bargeld überproportional häufig, da es ihnen ermöglicht, gleichberechtigt am Wirtschaftsleben teilzuhaben. Zudem hat sich in jüngster Zeit gezeigt, dass Bargeld gerade in Krisenzeiten als Wertaufbewahrungsmittel stark nachgefragt wird, etwa zu Beginn der Corona-Pandemie oder des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.
Der Anteil bargeldloser Käufe nimmt zu
Als Zahlungsmittel ist die Verwendung von Bargeld in den vergangenen Jahren jedoch deutlich zurückgegangen. Der Anteil bargeldlos abgewickelter Käufe an der Ladenkasse ist im Zeitraum 2017 bis 2021 von rund 26 Prozent auf 42 Prozent aller Transaktionen gestiegen. Vor allem junge und digital affine Menschen nutzen vermehrt das Smartphone oder die Smartwatch zum Bezahlen. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Bankfilialen und Geldautomaten ab, auch wenn die Versorgungslage noch als zufriedenstellend angesehen werden kann. Derzeit wird mit dem Single Currency Package ein Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission diskutiert, der den ausreichenden Zugang zu Bargeld gesetzlich verankern soll. Darüber hinaus ist vorgesehen, die grundsätzliche Annahmepflicht von Bargeld im gesamten Euroraum festzuschreiben und von den Euroländern überwachen zu lassen.
Die einschneidenden Veränderungen in der deutschen Zahlungslandschaft nahmen wir in der Bundesbank zum Anlass, die Zukunft des Bargelds in den kommenden 15 bis 20 Jahren systematisch zu untersuchen. Ziel war es, ein besseres Verständnis des künftigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfelds zu erlangen und daraus Handlungsoptionen abzuleiten, um Bargeld weiterhin als attraktives, allgemein verfügbares und akzeptiertes Zahlungsmittel zu erhalten. Zu diesem Zweck gaben wir eine Studie in Auftrag, die diese Fragen mit Methoden der strategischen Vorausschau beantworten soll. Unter anderem wurden viele Fachleute aus der Bargeldbranche, der Wissenschaft und anderen Institutionen interviewt, eine repräsentative Bevölkerungsbefragung durchgeführt und bestehende Literatur systematisch ausgewertet.
Keine Prognosen, aber plausible Zukunftsbilder
Das Kernstück der Studie bilden drei mögliche und klar voneinander abgrenzbare Szenarien, die aus den erhobenen Daten abgeleitet wurden. Diese Szenarien sind ausdrücklich nicht als Prognosen zu verstehen, sondern stellen lediglich plausible und datenbasierte Zukunftsbilder dar, die zeigen, wie das Bezahlen im Jahr 2037 in Deutschland aussehen könnte. In keinem der drei Szenarien wird das Bargeld vollständig verschwinden. Alle Szenarien gehen jedoch in unterschiedlichem Ausmaß von einem Rückgang der Nutzung von Bargeld als Zahlungsmittel aus. Die Szenarien im Einzelnen:
Szenario 1: Die hyperdigitale Bezahlwelt
Das Szenario „Die hyperdigitale Bezahlwelt“ beschreibt eine stark digitalisierte Welt, in der Bargeld aus dem Alltag der meisten Menschen nahezu verschwunden ist. Als analoges Zahlungsmittel konnte das Bargeld nicht in digitale Prozesse integriert werden und wurde zunehmend verdrängt. Der Anteil der Barzahlungen an allen Transaktionen beträgt nur noch 15 Prozent. Allenfalls als Wertaufbewahrungsmittel wird Bargeld neben anderen Methoden weiterhin in größerem Umfang genutzt. Der Bargeldbezug ist kaum noch im Handel, sondern im Wesentlichen nur noch über Banken und Sparkassen möglich. Und auch dort steht lediglich ein massiv ausgedünntes Geldautomatennetz zur Verfügung. Die Verwundbarkeit des unbaren Zahlungsverkehrs ist durch die Digitalisierung gestiegen, die Bürgerinnen und Bürger reagieren jedoch gleichmütig, da eine Vielzahl von unbaren Zahlungsalternativen zur Verfügung steht. Einzelne gesellschaftliche Gruppen – vor allem die über 80-Jährigen und Menschen mit niedrigem Bildungsstand – stehen dem zunehmenden Verschwinden des Bargelds aus ihrem Alltag jedoch zwiespältig gegenüber.
Szenario 2: Die Bezahlwelt in der Bargeld-Renaissance
Das zweite Szenario „Die Bezahlwelt in der Bargeld-Renaissance“ beschreibt eine teilweise Rückbesinnung auf das Bargeld und seine Vorzüge. Als Reaktion auf globale Krisen kaufen die Menschen wieder vermehrt lokal und regional ein. Zudem ist das Bewusstsein in der Bevölkerung, sich auf Katastrophen und Krisensituationen vorzubereiten, durch ihre Erfahrungen in der jüngsten Vergangenheit gestiegen. Auch digital affine Bevölkerungsgruppen setzen aufgrund der Datensparsamkeit und digitalen Souveränität bewusst wieder verstärkt auf Bargeld. Es wird mit Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit assoziiert und dient zur Abgrenzung vom Mainstream. Darüber hinaus empfiehlt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der EU-Verordnung Anfang der 2030er Jahre dem Handel, Bargeld grundsätzlich zu akzeptieren. Die regulatorischen Eingriffe haben dazu geführt, dass auch das Netz an Bezugspunkten für Bargeld weiterhin dicht ist. Insgesamt stabilisiert sich die Nachfrage nach Bargeld wieder, nachdem der Bargeldanteil in den 2020er Jahren zunächst auf unter 50 Prozent der Transaktionen gesunken war.
Szenario 3: Die verschwindende hybride Bezahlwelt
Das Szenario „Die verschwindende hybride Bezahlwelt“ spiegelt ein Umfeld wider, in dem die Nutzung von Bargeld stark von den individuellen Lebensumständen und Einstellungen der Menschen abhängt. Verschiedene Zahlungsmittel existieren nebeneinander und werden von jeweils unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen genutzt. Innovationsfreudige Menschen nutzen verstärkt digitale Zahlungsmittel. Ökonomisch eingeschränkte Personen und Personen, die digitalen Angeboten skeptisch gegenüberstehen, ziehen hingegen Bargeld anderen Zahlungsmitteln vor. Dennoch sinkt der Bargeldanteil in diesem Szenario kontinuierlich auf rund 30 Prozent an den Gesamttransaktionen. Der Handel passt das Portfolio der akzeptierten Zahlungsmittel an die jeweilige Kundschaft an und wirbt aus Kostengründen gleichzeitig für eine bargeldlose Zahlung. Cashback- und Cash-in-Shop-Services sind daher nur noch eingeschränkt möglich. Die EU-Verordnung erweist sich insgesamt als ungeeignet, um das Akzeptanzniveau der frühen 2020er Jahre zu erhalten. Die Banken dünnen ihr Geldautomatennetz zusehends aus und der Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu Bargeld wird immer weiter erschwert. Insgesamt findet ein schleichender Rückgang des Bargelds statt, der jedoch kaum auf größere Aufmerksamkeit oder Widerstand stößt.
Wahlfreiheit und Stabilisierungsfunktion gefährdet
In zwei der drei Szenarien wäre der Zugang zu Bargeld und dessen Akzeptanz nicht mehr in vollem Umfang gewährleistet und damit die freie Wahl der Zahlungsmittel praktisch nicht länger gegeben. In einer weitgehend bargeldlosen Zukunft wäre auch die Stabilisierungsfunktion des Bargelds in Krisenzeiten gefährdet und die gesamte Bezahlinfrastruktur insgesamt verletzlicher.
Aus einer im Rahmen der Studie durchgeführten repräsentativen Bevölkerungsbefragung wissen wir, dass 93 Prozent der Befragten auch in Zukunft selbst entscheiden wollen, ob sie bar oder bargeldlos bezahlen. Die Menschen werden Bargeld aber nur dann in großer Zahl nutzen, wenn der Umgang damit einfach und bequem bleibt. Werden Zugang zu Bargeld und dessen Akzeptanz hingegen eingeschränkt, verringert sich die Bequemlichkeit der Handhabung von Bargeld für die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Bargeldnutzung sinkt. Aufgrund der hohen Fixkosten der Bargeldinfrastruktur steigen die Kosten pro Transaktion. Infolgedessen könnten der Zugang zu Bargeld und die Bargeldakzeptanz weiter reduziert werden – eine Abwärtsspirale droht.
Dritte Euro-Banknotenserie in der Entwicklung
Um dies zu verhindern und Bargeld auch künftig als attraktives, zuverlässiges, wettbewerbsfähiges und allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel zu positionieren, unternehmen die Bundesbank und das gesamte Eurosystem große Anstrengungen. Hierzu gehört auch die dritte Euro-Banknotenserie, an der das Eurosystem derzeit arbeitet. Diese wird noch sicherer und nachhaltiger sein als die bisherige Euro-Banknotenserie.
Nationales Bargeldforum gegründet
Von zentraler Bedeutung ist zudem eine bessere Vernetzung und Abstimmung der verschiedenen Akteure im Bargeldkreislauf untereinander. Dazu wurde auf Initiative der Bundesbank am 16. Februar dieses Jahres das Nationale Bargeldforum gegründet, in dem Verbände der Kreditwirtschaft, des Einzelhandels, des Verbraucherschutzes, der Geld- und Wertdienstleistungsbranche sowie der Automatenbetreiber sich künftig gemeinsam den Herausforderungen des Bargelds stellen und Handlungsempfehlungen erarbeiten.
Aber ich bin überzeugt: Wenn sich alle Akteure des baren Zahlungsverkehrs und die Politik den Herausforderungen entschlossen und tatkräftig stellen, bleiben die Szenarien einer nahezu bargeldlosen Welt das, was sie heute noch sind – Szenarien.
Burkhard Balz ist Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Foto: Tim Wegner