Fehlanreize: Im Interview erklärt GVB-Präsident Jürgen Gros, was er vom deutschen EU-Ratsvorsitz erwartet und warum die Pläne der EU-Kommission dem Mittelstand schaden.
Die EU-Kommission hält einen volkswirtschaftlichen Paradigmenwechsel für nötig, um die europäischen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele zu erreichen. Im März 2018 hat sie dazu ihren „Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ veröffentlicht. Alle maßgeblichen EU-Gremien haben sich seither mit dem Aktionsplan beschäftigt und das Regulierungsvorhaben konkretisiert.
Der EU-Aktionsplan zielt im Kern darauf ab, die Finanzwirtschaft als Hebel für den Umbau der Wirtschaft und damit wiederum zum Erreichen klimapolitischer Ziele zu nutzen. Finanzströme sollen gezielt in nachhaltige Projekte und Unternehmen gelenkt werden. Im Mittelpunkt des EU-Plans steht die Entwicklung einer gemeinsamen Taxonomie, also einer einheitlichen Klassifizierung „nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten“ in allen EU-Ländern.
Im Dezember 2019 hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren „Green Deal" vorgestellt. Dieser ist zunächst ein Gesetzgebungs- und Investitionsprogramm, dessen Details noch ausgearbeitet werden. Ziel des Green Deals ist, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird, das heißt netto keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre abgibt. Allein bis 2030 soll dazu eine Billion Euro investiert werden.
Unternehmen unterstützen Klimaschutz
Die Wirtschaft bekennt sich zum Klimaschutz. In einer Umfrage der bayerischen Industrie- und Handelskammern haben sich 90 Prozent der Unternehmen für klimapolitische Maßnahmen ausgesprochen und lediglich zehn Prozent grundsätzlich dagegen. Allerdings sind rund 40 Prozent der Betriebe gegen Schritte, die zu weiteren finanziellen oder bürokratischen Belastungen führen. Deswegen muss bei allen Planungen der EU auf folgende vier Leitlinien geachtet werden:
- Die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und des Wettbewerbs müssen weiter Bestand haben.
- Unter keinen Umständen darf die Finanzierung des Mittelstands gefährdet werden.
- Die Finanzmarktstabilität muss gesichert sein.
- Unternehmen dürfen nicht mit weiterem Bürokratieaufwand belastet werden.
Technokratische Überreaktionen vermeiden
Eine große Gefahr bei den Brüsseler Plänen sind technokratische Überreaktionen, die den Bedürfnissen und Zwängen der Realwirtschaft im internationalen Wettbewerb diametral entgegenstehen. So gibt es zum Beispiel vonseiten des EU-Parlaments bereits Überlegungen, den Anwendungsbereich der Taxonomie auf alle Bank- und Versicherungsprodukte auszuweiten. Davon wären auch Unternehmenskredite betroffen. Gut 80 Prozent der Unternehmensfinanzierung in Europa werden letztlich über Kreditinstitute geleistet. Dieser Finanzierungsweg ist für die Wirtschaft von essenzieller Bedeutung, um Investitionen tätigen zu können. Bisher stellen Banken als Finanzintermediäre bei der Kreditgewährung das Ausfallrisiko in den Mittelpunkt der Betrachtung. Das muss im Sinne der Finanzmarktstabilität auch so bleiben und darf nicht durch politisch motivierte Ziele ausgehebelt werden.
Deswegen setzen wir uns auf allen Ebenen dafür ein, dass die Taxonomie lediglich deskriptiven und keinen normativen Charakter haben darf sowie weiterhin nur auf Finanzprodukte Anwendung findet. Keinesfalls darf die Taxonomie für alle Bank- und Versicherungsprodukte verpflichtend sein, sonst drohen massive Engpässe bei der Unternehmensfinanzierung und Nachteile europäischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb.
Wirtschaft muss einbezogen werden
Außerdem sollte die Wirtschaft deutlich intensiver in die laufenden Beratungen einbezogen werden. Vertreter aus der Realwirtschaft, insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), müssen bei der geplanten „Plattform für Sustainable Finance“ eine wichtige Rolle spielen.
Auch ganz praktische Überlegungen gehören berücksichtigt: Die Einführung einer sogenannten „braunen Liste“ könnte dazu führen, dass betroffene Unternehmen nicht mehr finanzierbar sind, obwohl sie oftmals auch unter Nachhaltigkeitsaspekten in der Gesamtbetrachtung einer Wertschöpfungskette eine unverzichtbare Funktion übernehmen. Ein Beispiel sind Windräder mit ihren Rotorblättern, die zum Großteil aus nicht-recyclingfähigen Kunststoffen bestehen. Wäre es nicht ein großer Fehler, die Zulieferer dieser Kunststoffe als „braun“, also als „nicht nachhaltig“ zu klassifizieren? Ebenso Gaskraftwerke: Um die Versorgungssicherheit während des Ausstiegs aus Kohle- und Atomstrom und während des Umbaus zu erneuerbaren Energien zu gewährleisten, werden in vielen Regionen Europas auf absehbare Zeit noch konventionelle Kraftwerkskapazitäten benötigt. Welches Unternehmen soll das finanzieren, wenn ein solches Investment von vornherein mit einem Malus belegt wird?
IHK präsentiert ifo-Studie zu „Sustainable Finance“
Wie würde sich ein nachhaltiges Finanzwesen auf den Mittelstand auswirken? Das hat das Münchner ifo-Institut für Wirtschaftsforschung im Auftrag der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern untersucht. Am Donnerstag, 26. März 2020, stellen IHK und ifo-Institut gemeinsam die Studie vor. ifo-Präsident Clemens Fuest wird die Ergebnisse präsentieren und anschließend mit dem Europaabgeordneten Sven Giegold, dem Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Jörg Kukies, dem Bundestagsabgeordneten Alexander Radwan und dem Münchner IHK-Vizepräsidenten Hubert Johannes Winklhofer darüber diskutieren, was auf die Unternehmen durch „Sustainable Finance“ zukommt. Beginn ist um 10:30 Uhr im Börsensaal der IHK München, Max-Joseph-Straße 2. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist jedoch erforderlich. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite der IHK.
Sachverstand und Transparenz gefordert
Standards der Sustainable Finance-Agenda und des Green Deal müssen im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gesetzt werden, nicht aber durch nachgelagerte Aufsichtsbehörden oder intransparente „Expertengremien“. Es ist zwingend erforderlich, dass die Konkretisierung der Maßnahmen transparent und in enger Abstimmung mit den Fachleuten der Unternehmen aus der Realwirtschaft geschieht.
Von neuen Berichtspflichten wären durch den Kaskadeneffekt auch mittlere, kleine und Kleinstunternehmen betroffen. Bevor eine Ausweitung von Berichtspflichten erfolgt, die mit dem Unternehmenserfolg nicht direkt in Verbindung stehen, ist immer der Nutzen kritisch zu hinterfragen. Die aktuellen Überlegungen zur Definition einer nachhaltigen Wirtschaftstätigkeit entlang der gesamten Lieferkette gehen definitiv zu weit, stellen unverhältnismäßige Eingriffe in die unternehmerische Freiheit dar und sind in weiten Teilen der Unternehmenslandschaft auch gar nicht umsetzbar: Das Erfassen, die Dokumentation, die Bewertung und die Kontrolle von Nachhaltigkeitskriterien in der bisher diskutierten Kleinteiligkeit würde alle bisher bekannten bürokratischen Regulierungen potenzieren und vor allem kleinere bayerische Unternehmen komplett überfordern. Auch vor diesem Hintergrund muss daran erinnert werden, dass 96 Prozent aller Betriebe in Bayern weniger als 20 Beschäftigte aufweisen.
Vernünftige Rahmenbedingungen für die Wirtschaft
Die IHK für München und Oberbayern betrachtet die Aktivitäten zum Thema Sustainable Finance und Green Deal grundsätzlich als wichtige und richtige Schritte zur Erreichung der definierten Klimaziele. Verantwortliches Wirtschaften ist für den Großteil der Unternehmen in Bayern, zumeist familiengeführte Personengesellschaften, seit jeher selbstverständlich. Für die Politik gilt es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Dreiklang aus ökonomisch, ökologisch und sozial verantwortlichem Wirtschaften unterstützen. Im Kern muss das Ziel sein, die Soziale Marktwirtschaft zu einer nachhaltigen sozialen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln.
Die Initiativen zum Green Deal und zu Sustainable Finance haben das Potenzial, ein international abgestimmtes Vorgehen im Klimaschutz zu befördern. Dies begrüßt die Wirtschaft ausdrücklich im Sinne eines „level playing field“ – also gleicher Voraussetzungen – für die europäischen Unternehmen. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit beim Klimaschutz ist wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und nicht zuletzt die tatsächliche Wirksamkeit der Klimaschutzmaßnahmen. EU-weite Regelungen in der Klima- und Umweltpolitik sind daher rein nationalen Vorhaben vorzuziehen. Außerdem können hiesige Betriebe langfristig von einer klaren politischen Linie sowie höheren EU-Ausgaben für Klimaschutz profitieren.
Dieser großen Verantwortung muss die EU nicht nur in Worten, sondern auch in Taten gerecht werden. Das aktuelle Bemühen, die Ziele vor allem über technokratische Eingriffe zu erzwingen, widerspricht aus unserer Sicht marktwirtschaftlichen Prinzipien. Einen ersten Eindruck lieferte der Bericht der „Technischen Expertengruppe für Sustainable Finance“ zu Nachhaltigkeitskriterien mit seinen 414 Seiten. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Fülle an Vorgaben und ihre notwendige Überprüfung ein neues Bürokratiemonster erschaffen würde. Anstelle von mehr Bürokratie wünschen wir uns von der EU ganz konkrete Maßnahmen, um die Wirtschaft im weitreichenden Transformationsprozess hin zur Dekarbonisierung nachhaltig zu unterstützen. Ganz oben auf dieser Wunschliste steht eine massive Steigerung der Ausgaben für eine technologieoffene Forschung und Entwicklung zur CO2-Vermeidung, ein europaweit verlässlicher und global wettbewerbsfähiger Industriestrompreis von rund 40 Euro je Megawattstunde sowie schlanke Planungs- und Genehmigungsverfahren als Voraussetzung für eine effizient organisierte Energiewende in ganz Europa.