Aufbruch: Was muss passieren, damit die deutsche Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt? GVB-Präsident Stefan Müller hofft auf Klarheit, Verlässlichkeit und Mut.
Anzeige
Anzeige
Herr Müller, in wenigen Wochen steht die Bundestagswahl an. Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Stefan Müller: Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Die Wirtschaft befindet sich in einer Strukturkrise, und wir brauchen dringend umfassende Reformen, um unser Land wieder auf Kurs zu bringen. Die nächste Bundesregierung muss Prioritäten setzen: Bürokratie abbauen, die Energieversorgung sichern und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Als Genossenschaftsverband vertreten wir nicht nur die Interessen der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern, sondern auch die von über 1.000 Unternehmen im Mittelstand. Unsere Forderung ist klar: Es braucht wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen, die es dem Mittelstand erlauben, seine Innovationskraft zu entfalten und es den Kreditinstituten leichter machen, die mittelständischen Unternehmen zu finanzieren.
Welche Maßnahmen wären beim Thema Bürokratieabbau besonders wichtig?
Müller: Der Bürokratieaufwand belastet Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbraucher gleichermaßen. Ein Beispiel ist die aktuelle Rechtslage bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Das Verfahren zur Änderung ist mittlerweile so kompliziert, dass es für Kunden und Banken nur unnötige Kosten und Papierberge schafft. Das Problem ist zwar durch ein BGH-Urteil entstanden, aber der Gesetzgeber in Berlin hätte es mit einer sauberen Neuregelung lösen können.
Wir fordern seit Langem eine Rückkehr zur bewährten Widerspruchslösung und haben dafür auch konkrete Vorschläge vorgelegt. Generell müssen wir uns wieder stärker auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft verlassen: Freiheit und Eigenverantwortung müssen gefördert werden. Es geht mir auch um das Leitbild eines mündigen Verbrauchers. Betreute Teilhabe am Wirtschaftsgeschehen ist im Grunde Bevormundung und keine Stärkung von Verbraucherrechten.
Bislang werden Volks- und Raiffeisenbanken in der Regulierung größtenteils behandelt wie international agierende Institute. Warum ist das Thema Proportionalität in der Bankenregulierung so entscheidend?
Müller: Wenn alle Banken gleich behandelt werden, ist es so, als ob für ein Segelflugzeug dieselben Sicherheitsauflagen gelten wie für einen Jumbojet. Die Regeln müssen zum Modell und zum dazugehörigen Risiko passen. Kleine und mittelständische Banken mit einem weniger komplexen Geschäftsmodell sollten nicht denselben regulatorischen Anforderungen unterworfen werden wie international tätige Großbanken. Das ist weder gerecht noch effektiv.
Die derzeitigen Regelungen führen dazu, dass kleinere Institute unverhältnismäßig belastet werden und teilweise sogar zur Fusion gezwungen sind, um den regulatorischen Aufwand überhaupt noch bewältigen zu können. Ein separates Kleinbankenregime – also eine eigene Regulatorik, die den Besonderheiten regionaler und risikoarm agierender Banken Rechnung trägt – könnte hier Abhilfe schaffen. Unser Ziel ist es, den Volks- und Raiffeisenbanken verstärkt Raum zu geben, damit sie ihre wichtige Rolle als regionale Finanzierer des Mittelstands weiterhin erfolgreich ausüben können.
„Es muss darum gehen, wirtschaftliches Wachstum mit Umwelt- und Klimaschutz zu versöhnen und sie nicht gegeneinander auszuspielen.“
Nachhaltigkeit wird zu einem immer wichtigeren Faktor. Wie bewerten Sie die steigenden Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung?
Müller: Die Ziele von Nachhaltigkeit, wie der bessere Schutz von Klima und Umwelt, sind unbestritten. Was mich stört, ist, was daraus gemacht wird. Da werden um Nachhaltigkeit herum neue Bürokratie- und Regulierungsmonster aufgebaut, die weit über das Ziel hinausschießen. In dieser Form und diesem Umfang braucht das niemand und es nutzt dem Weltklima und unserer Umwelt nichts, wenn immer mehr Berichtspflichten und sonstige Auflagen ins Kraut schießen.
Was mich außerdem stört: Unter der Überschrift Nachhaltigkeit wurden Kreditinstitute zu einem Hilfssheriff für politische Ziele gemacht. Eine Vermischung von politischen Zielen mit bankwirtschaftlichen Kriterien der Risikosteuerung ist gefährlich. Die Politik sollte dringend die Nachhaltigkeitsregulierung wieder vom Kopf auf die Füße stellen.
Es muss darum gehen, wirtschaftliches Wachstum mit Umwelt- und Klimaschutz zu versöhnen und sie nicht gegeneinander auszuspielen. Hier gilt, wie sonst auch: Klarer Rahmen und ansonsten auf die Soziale Marktwirtschaft vertrauen. Planwirtschaftliche Eingriffe haben noch nie zum Erfolg geführt.
„Unsere Genossenschaftsbanken sind das Rückgrat der regionalen Wirtschaft. Sie sichern die Finanzierung des Mittelstands, der Landwirte und vieler kleiner Unternehmen.“
Was erwarten Sie außerdem noch von der Politik, um die Genossenschaftsbanken in ihrer Rolle als regionale Finanzierer zu stärken?
Müller: Unsere Genossenschaftsbanken sind das Rückgrat der regionalen Wirtschaft. Sie sichern die Finanzierung des Mittelstands, der Landwirte und vieler kleiner Unternehmen. Und natürlich auch vieler Bürgerinnen und Bürger. Damit das so bleibt, brauchen wir eine klare Absage an Doppelregulierungen, wie sie etwa durch die EU-Vorgaben zur Millionenkreditmeldung entstanden sind.
Auch die Digitalisierung bietet Chancen: Mit einer einheitlichen und effizienteren Meldestruktur könnten Banken entlastet und die freiwerdenden Kapazitäten für die Beratung vor Ort genutzt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass regionale Institute die Flexibilität behalten, die sie benötigen, um auf die Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden einzugehen.
Viele Menschen sorgen sich um die Rente. Welche Lösungen haben Sie?
Müller: Auch hier geht es darum, das strenge regulatorische Korsett zu lockern. Aktuelle staatlich geförderte Modelle müssen Garantien beinhalten. Das klingt erst einmal gut und verspricht Sicherheit. Es führt aber zu schlechteren Renditen, weil das eingezahlte Geld auch nur in risikoarme Produkte angelegt werden darf. Damit lässt man viele Renditechancen ungenutzt.
Daher sehe ich in den Vorschlägen zu einem privaten Altersvorsorgedepot eine gute Möglichkeit, die Aktienkultur zu stärken und den Vermögensaufbau fürs Alter effektiv zu ergänzen. Hinzukommen müssen steuerliche Erleichterungen. Es kann nicht sein, dass eigenverantwortliche Vorsorge dann durch hohe Besteuerung bestraft wird.
Mit Steuererleichterungen bei der privaten Altersvorsorge kann es kaum getan sein. Welche weiteren Vorstellungen haben Sie für eine umfassende Steuerreform?
Müller: Durch die Höhe der Steuern und die Komplexität des Steuerrechts gerät Deutschland im internationalen Wettbewerb immer weiter ins Hintertreffen. Deshalb braucht es eine umfassende Steuerreform. Dazu ist es höchste Zeit. Die letzte große Steuerreform gab es im Jahr 2008.
Für Privatpersonen und Unternehmen sind deutliche Entlastungen erforderlich. Die Unternehmenssteuern sollten 25 Prozent nicht überschreiten. Die Einkommensteuer sollte so gestaltet sein, dass sich Leistung auch lohnt und nicht jede Gehaltserhöhung wegbesteuert wird.
Ebenso wichtig ist eine Reform der aktuell stark konjunkturabhängigen Gewerbesteuer, die den Mittelstand stärkt, statt ihn zu belasten. Wir setzen uns für eine Vereinfachung der Steuererklärung und eine stärkere Förderung von Investitionen in Digitalisierung, Innovation, Produktivität und Nachhaltigkeit ein. Nur so bleibt Deutschland ein attraktiver Wirtschaftsstandort.
„Wir müssen Genehmigungsverfahren beschleunigen und die Beteiligung der Bürger stärker in den Fokus rücken.“
Ein wichtiges Thema für die nächste Bundesregierung ist die Energiepolitik. Was ist aus Ihrer Sicht entscheidend, damit der Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter vorankommt?
Müller: Deutschland braucht einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien. Energiegenossenschaften können dazu wesentlich beitragen, indem sie die Akzeptanz vor Ort fördern und lokale Wertschöpfung schaffen. Mittlerweile sorgen über 300 Energiegenossenschaften für eine nachhaltige, verlässliche und günstige Energieversorgung in Bayerns Regionen.
Wir müssen Genehmigungsverfahren beschleunigen und die Beteiligung der Bürger stärker in den Fokus rücken. Projekte, bei denen Bürgerinnen und Bürger finanziell beteiligt werden und mitentscheiden können, stoßen in der Regel auf weniger Widerstand. Es ist eben nicht sehr motivierend, wenn nur anonyme Investoren an den Windrädern oder Photovoltaikanlagen verdienen.
Zudem dürfen bei der Vergabe von Flächen nicht nur die höchsten Gebote ausschlaggebend sein. Qualitätskriterien wie echte Bürgerbeteiligung sollten Vorrang haben.
Der GVB setzt sich auch für die Landwirtschaft ein. Was sind Ihre zentralen Anliegen?
Müller: Die Landwirtschaft in Bayern ist ein Schlüssel zur Versorgungssicherheit und zum Erhalt der Kulturlandschaft. Sie ist eng mit den bayerischen Genossenschaften verbunden. Wir müssen dafür sorgen, dass landwirtschaftliche Betriebe überleben können. Das bedeutet weniger Bürokratie, keine weiteren Einschränkungen bei der Flächennutzung und gezielte Förderung.
Auch beim Generationenwechsel auf Höfen braucht es Erleichterungen, beispielsweise durch steuerliche Entlastungen. Hier ist die Politik gefordert, die Rahmenbedingungen für die Zukunft unserer Agrarwirtschaft zu schaffen.
„Genossenschaften sind ein Erfolgsmodell, das demokratische Prinzipien und wirtschaftliche Stärke vereint.“
Was kann die Politik vom GVB erwarten?
Müller: Der GVB ist weit mehr als ein Bankenverband. Mit unseren Mitgliedern aus verschiedensten Branchen stehen wir für die gesamte Bandbreite des Mittelstands und vereinen Finanz- und Realwirtschaft unter einem Dach.
Genossenschaften sind ein Erfolgsmodell, das demokratische Prinzipien und wirtschaftliche Stärke vereint. Unsere Vorschläge sind praxiserprobt im Sinne einer mittelstandsfreundlichen Politik. Aus diesem Verständnis heraus werden wir auch weiterhin mit Nachdruck daran arbeiten, dass unsere Mitglieder die bestmöglichen Bedingungen vorfinden, um erfolgreich und nachhaltig wirtschaften zu können.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Müller.
GVB-Positionen zur Bundestagswahl 2025: So gelingt die Wirtschaftswende
Bei der kommenden Bundestagswahl spielt das Thema Wirtschaft eine so große Rolle wie schon lange nicht mehr. Es braucht eine Wende in der Wirtschaftspolitik, um Deutschland wieder voranzubringen, da sind sich alle Parteien einig. Dazu hat der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) eine Broschüre mit 60 konkreten und konstruktiven Vorschlägen in den Bereichen Bürokratie, soziale Teilhabe, grüne Energieversorgung, Landwirtschaft, Nachhaltigkeit und EU-Recht veröffentlicht. Die Broschüre kann auf der GVB-Webseite als PDF-Dokument heruntergeladen werden. Teil der Broschüre sind die fünf Grundsätze des GVB für ein nachhaltiges und wirtschaftsstarkes Deutschland:
1. Ökologie
Der Auf- und Ausbau einer nachhaltigen Wirtschaft ist elementarer Bestandteil der deutschen Politik. Mit dem Ziel, Klimaneutralität bereits 2045 zu erreichen, hat sich Deutschland auf einen ehrgeizigen Fahrplan zu einer ökologisch verträglichen und sozial gerechten Wirtschaft festgelegt. Der Genossenschaftsverband Bayern und seine Mitglieder sehen sich diesem verpflichtet und können einen wesentlichen Beitrag zur ökologischen Transformation der Wirtschaft leisten.
2. Solide Finanzen
Deutschland wird auf Dauer nur dann handlungsfähig bleiben, wenn sich Einnahmen und Ausgaben die Waage halten und der Schuldenstand sukzessiv abgebaut wird. Die Schuldenbremse ist ein Instrument, das sich bewährt hat und ausreichend Spielräume bietet, in Ausnahmesituationen Schulden aufzunehmen. Gerade auch im Hinblick auf die Generationengerechtigkeit ist ein verantwortungsvoller Umgang mit öffentlichen Mitteln zwingend erforderlich.
3. Weltoffenheit
Der Wohlstand Deutschlands ist zu einem erheblichen Teil auf die Verbindungen zu anderen Kulturen und Wirtschaftsräumen zurückzuführen. Der Zuzug von Arbeitskräften aus allen Teilen der Welt trägt wesentlich zur Wirtschaftskraft bei. Damit Bayern und Deutschland weiterhin weltweit erfolgreich sein können, ist der verstärkte Zuzug von gut ausgebildeten Arbeitskräften ein wichtiger Schlüssel.
4. Effizienz
Überregulierung und unnötige Bürokratie können einen Wirtschaftsraum lähmen und die Wettbewerbsfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Insbesondere genossenschaftliche Unternehmen sowie Volks- und Raiffeisenbanken sind davon zunehmend stark betroffen. Gerade bei Berichts-, Dokumentations- und Meldepflichten muss es eine Rückkehr zur Verhältnismäßigkeit geben, um Verbraucher und Unternehmen gleichermaßen zu entlasten.
5. Regionalität und Subsidiarität
Deutschland ist geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher Regionen, die ihre eigenen wirtschaftlichen Potenziale und Herausforderungen aufweisen. Genossenschaften spielen dabei als Wirtschaftsakteure vor Ort eine zentrale Rolle. Sie fördern die lokale Wertschöpfung, finanzieren Zukunftsprojekte, schaffen Arbeitsplätze und tragen damit zur Stabilität und Resilienz der regionalen Wirtschaft bei.