Ambitioniert: Die Ampelkoalition wäre gut beraten, nicht die Fehler der ersten sozialliberalen Ära zu wiederholen, warnen die Ökonomen Lars P. Feld und Jörg König.
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- Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: „Große strukturelle Aufgabe, wahnsinnige Chance“
- Exkurs: Olaf Scholz und Genossenschaften
- Das Bundesministerium der Finanzen: Ein „Ermöglichungsministerium“
- Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: „Oberster Anwalt der Landwirtinnen und Landwirte“
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: „Große strukturelle Aufgabe, wahnsinnige Chance“
Die deutsche Wirtschaftspolitik wird ab jetzt grün. Zumindest was die personelle Besetzung des neuen Superministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz angeht, lässt sich das bereits mit Gewissheit sagen. Der zuständige Bundesminister heißt ab jetzt Robert Habeck, derzeit zugleich noch Parteichef der Grünen. Der grüne „Realo“ Habeck hat sich eine Reihe an namhaften Parteikolleginnen und -kollegen, engen Vertrauten und profilierten Fachleuten in sein Haus geholt, die gemeinsam mit ihm dafür sorgen sollen, dass der wirtschaftspolitische Kurs eine ökologischere Handschrift bekommt.
Dazu beitragen soll nicht nur das neue Personal, sondern auch der Neuzuschnitt des Ressorts. Dem Wirtschaftsministerium wird die Zuständigkeit für Klimaschutz einschließlich deren europäischer und internationaler Bezüge übertragen, die bisher dem Umweltministerium oblag. Die internationale Klimapolitik wird dagegen an das Auswärtige Amt angedockt. Neu hinzugekommen zum Wirtschaftsministerium ist auch die Zuständigkeit für die Computerspielebranche. Erhalten bleibt dem Ressort die Verantwortung für die Energiepolitik. Im Koalitionsvertrag hat die Ampelkoalition das ambitionierte Ziel bekräftigt, Deutschland bis spätestens 2045 klimaneutral zu machen. Bereits bis 2030 sollen 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien kommen. Der Netzausbau soll beschleunigt werden, Gleiches gilt für Planungs- und Genehmigungsverfahren. Solaranlagen sollen sich künftig auf „allen geeigneten Dachflächen“ befinden – bei gewerblichen Neubauten wird dies zur Pflicht, bei privaten soll es „die Regel“ werden.
Daneben sollen zwei Prozent der Landesflächen für Windkraftanlagen ausgewiesen werden. Damit haben sich die Grünen im Energiesektor mit ihren Forderungen deutlich durchgesetzt. Bei der Amtsübergabe von Ex-Minister Peter Altmaier (CDU) sprach Habeck von der „großen strukturellen Aufgabe“, die es zu bewältigen gelte, in der er aber eine „wahnsinnige Chance“ sehe.
Habeck ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sich dieser neuen Aufgabe nun voll verschrieben hat. Es ist kein Geheimnis mehr, dass der 52-Jährige ursprünglich gerne Finanzminister geworden wäre, die Grünen dieses Ressort aber an die FDP abtreten mussten. Für seine neue Wirkungsstätte bringt er jedenfalls passende Exekutiverfahrung mit: In Schleswig-Holstein war Habeck bereits Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Natur (2012 bis 2018, ab 2017 auch für Digitalisierung) und Vizeministerpräsident. Der Beweis dafür, ob es der neuen Habeck-Truppe auf Bundesebene gelingen wird, Wirtschafts- und Klimapolitik in den kommenden vier Jahren miteinander zu verschränken und das Land auf den notwendigen Transformationskurs zu bringen, steht freilich noch aus. Das Personaltableau jedenfalls lässt aufhorchen.
Sieben Staatssekretärinnen und -sekretäre mit unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkten werden Habeck im Ministerium unterstützen, drei davon Parlamentarische Staatssekretäre, vier verbeamtete. Die frühere Hamburger Umweltsenatorin und Haushaltspolitikerin Anja Hajduk kommt als beamtete Staatssekretärin, sie soll Amtschefin und Koordinatorin im neuen Habeck-Ministerium werden. Europapolitische Expertise bringen Franziska Brantner (Parlamentarische Staatssekretärin), Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Heidelberg, und Sven Giegold (beamteter Staatssekretär), Abgeordneter im Europaparlament, mit.
Brantner saß von 2009 bis 2013 als Abgeordnete im Europaparlament, gehört seit 2013 dem Bundestag an und war zuletzt Europapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Sie wolle den Blick auf den EU-Binnenmarkt richten, „um mit dem Green Deal Schlüsseltechnologien für die Klimaneutralität zu stärken“, schreibt sie auf ihrer Webseite zu ihrer neuen Aufgabe im Wirtschaftsministerium. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler Giegold machte sich als Mitbegründer des globalisierungskritischen Bündnisses Attac in Deutschland (aktiv bis 2008) und des internationalen Netzwerks Tax Justice Network einen Namen. In seinen zwölf Jahren im Europaparlament setzte er sich unter anderem für Steuergerechtigkeit, die Nachhaltigkeit des Finanzsystems und Lobbytransparenz ein. In den Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien verhandelte er die Themen Finanzen und Haushalt und war zudem Teil der Grünen-Hauptverhandlergruppe.
Als Klima- und Energieexperten holt Habeck den Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer und den Mitgründer der Denkfabrik Agora Energiewende, Patrick Graichen, in sein Haus. Krischer wird Parlamentarischer, Graichen beamteter Staatssekretär. Der gebürtige Rheinländer Krischer gilt als ausgewiesener Fachpolitiker für Klimaschutz und Energiewirtschaft – genau in diesen Themenfeldern dürfte er den neuen Minister auch gegenüber Bundestag, Bundesrat und in den Fraktionen vertreten. Der 52-Jährige war bislang Vizevorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion. Graichen arbeitete im Bundesumweltministerium (2001 bis 2012), bevor er zu Agora Energiewende kam, zuletzt als Referatsleiter für Klima- und Energiepolitik.
Michael Kellner, bisher Politischer Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfmanager der Grünen, kommt als Parlamentarischer Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium. Bei der großen Aufgabe der ökologischen Transformation gehe es darum, „Stadt und Land und die strukturschwachen Regionen im Blick zu behalten“, twitterte Kellner zu seiner neuen Aufgabe. Als weiterer beamteter Staatssekretär kommt der bisherige Finanz-Staatssekretär in Schleswig-Holstein, Udo Philipp, ins Ministerium. Der studierte Volkswirt hat Erfahrung in der Privatwirtschaft, war in Managerfunktion bei verschiedenen Unternehmen tätig, unter anderem bei der Investitionsgruppe EQT. 2015 gründete er die Bürgerbewegung Finanzwende mit. Von 1993 bis 1995 war er bereits im Bundeswirtschaftsministerium tätig, als persönlicher Referent des damaligen Ministers Günter Rexrodt (FDP).
Ganz so, als wolle er die Ministeriumsbelegschaft nicht mit der neuen Grünen-Dominanz überrollen, schlug Habeck bei der Amtsübergabe ausgleichende Töne an: Parteizugehörigkeiten würden keine Rolle spielen, zumindest keine negative. In seiner Geschichte lag das Wirtschaftsministerium bereits in den Händen der CDU, CSU, SPD, FDP und eines parteilosen Ministers. Aber ein Grüner an der Spitze, das gab es bisher noch nie.
Olaf Scholz und Genossenschaften
Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz kennt sich mit der Rechtsform Genossenschaft bestens aus. Acht Jahre lang, von 1990 bis 1998, war er Rechtsanwalt und Syndikus des Zentralverbands deutscher Konsumgenossenschaften mit Sitz in Hamburg. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er der Zeitung „taz" geraten, sich in der Rechtsform Genossenschaft zu organisieren. „Für mich war offensichtlich, dass man am besten eine Genossenschaft begründet, um die Eigenkapitalprobleme der „taz" zu lösen – versehen mit einer juristischen Struktur samt eingebauter Wirtschaftsprüfung“, sagte Scholz 2012 im Interview mit der Tageszeitung. Zudem betonte er, dass die Rechtsform generell sehr interessant für verschiedene Wirtschaftsbereiche sei: „Im Wohnungsbau, in der Landwirtschaft, auch im Lebensmittelbereich – und im publizistischen Sektor, siehe die „taz". Ich hoffe, dass es weiter möglich sein wird, manches, was an selbst organisiertem Wirtschaften heute interessant wird, über die Rechtsform der Genossenschaft zu gestalten.“ Das Interview lässt sich auf der Webseite der „taz" nachlesen. Christof Dahlmann, Redaktion „Profil“
Das Bundesministerium der Finanzen: Ein „Ermöglichungsministerium“
Ähnlich integrativ gab sich auch der neue Bundesfinanzminister Christian Linder bei der Amtsübergabe. In seinem Ministerium zähle nicht der parteipolitische Hintergrund, sondern „Loyalität, persönliche Eignung und Hingabe an das Amt“, sagte Lindner. Auch hier vollzieht sich ein Farbwechsel: FDP-Chef Lindner übernimmt vom bisherigen SPD-Finanzminister und neuen Bundeskanzler Olaf Scholz.
Lindner spielte mit seiner Aussage auch auf seine ersten Personalentscheidungen an. Denn tatsächlich besetzt der 42-Jährige wichtige Posten im Finanzministerium nicht mit Parteifreunden. Als beamtete Staatssekretärin für Steuerpolitik holt er die 50-jährige Luise Hölscher in sein Haus – sie ist CDU-Mitglied. Neu hinzu kommt auch der europapolitisch erfahrene Volkswirt Carsten Pillath. Der 65-Jährige führte seit 2008 die Generaldirektion „Wirtschaft und Soziales“ im Generalsekretariat des Rats der Europäischen Union. Anders als geplant wechselt er nun nicht in den Ruhestand, sondern als Staatssekretär für Europa, Internationales und Finanzmarktpolitik in das Bundesfinanzministerium. Auf diesem Posten folgt Pillath auf Jörg Kukies, der nun die Abteilungsleitung Wirtschaft im Bundeskanzleramt übernimmt. Pillath ist parteipolitisch ungebunden, gilt allerdings als konservativ ausgerichtet.
Auf personelle Kontinuität setzt Lindner beim Amt des Haushalts-Staatssekretärs. Wie auch seine Amtsvorgänger hält er an Werner Gatzer fest, dem eine tiefe Kenntnis aller Haushaltsdetails nachgesagt wird. Als SPD-Mitglied steht Gatzer seinem vorherigen Chef parteipolitisch näher als dem neuen Dienstherren. Doch Lindner ist auf dessen Erfahrung und Expertise angewiesen: Gatzer hat maßgeblich den Nachtragshaushalt vorbereitet, den Lindner als eine seiner ersten Amtshandlungen auf den Weg gebracht hat. Der neue Minister holt sich aber auch Parteifreunde als Staatssekretäre in sein Haus: Katja Hessel, frühere Staatssekretärin im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie (2008 bis 2013) und zuletzt Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag; Steffen Saebisch, früherer Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung (2009 bis 2014) und Hauptgeschäftsführer der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung; und den Jurist Florian Toncar, zuletzt finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion sowie deren Parlamentarischer Geschäftsführer.
Die 60 Milliarden Euro, die der Nachtragshaushalt für 2021 umfasst, sollen dem neuen Klima- und Transformationsfonds zugeführt werden. Damit geht Lindner bereits eines der Vorhaben der neuen Ampel-Koalition an: Bisherige Kreditermächtigungen des Bundestags sollen nicht verfallen, sondern zur Finanzierung wichtiger Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz und Digitalisierung gesichert werden. Die 60 Milliarden sind Teil der insgesamt 240 Milliarden Euro, die der Bundestag in der zurückliegenden Wahlperiode für Corona-Hilfsmaßnahmen abgesegnet hatte. Die übriggebliebene Summe soll der Ampel nun für die kommenden Jahre zur Verfügung stehen.
War die zweite Hälfte von Scholz‘ Amtszeit im Finanzministerium von der Pandemiebekämpfung und der damit verbundenen Schuldenaufnahme geprägt, dürfte Lindners erste Zeit im Amt vor allem der Rückkehr zu ausgeglichenen Haushalten gewidmet sein. Es ist das erklärte Ampel-Ziel, ab 2023 die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Bei der Amtsübernahme beschrieb Linder sein Verständnis des Ministeriums als ein „Ermöglichungsministerium“ – das also die Vorhaben der neuen Bundesregierung ermöglichen solle – und dabei „zugleich die Verfassung achtet, sparsam mit den Mitteln, die die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler uns zur Verfügung stellen, umgeht, und die fiskalische Stabilität nicht nur dieser Volkswirtschaft sondern auch darüber hinaus Europas achtet“, so Lindner. Er komme in dieses Haus mit „eigenen Vorstellungen und Ideen“, aber auch mit „großer Demut und Respekt“.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: „Oberster Anwalt der Landwirtinnen und Landwirte“
Mit einer eigenen Vorstellung der neuen Amtsausübung fiel auch der neue Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf. Am Tag der Vereidigung des neuen Kabinetts war der Grünen-Politiker mit E-Bike, Fahrradhelm und Outdoorjacke im Berliner Regierungsviertel unterwegs. So kreuzte er auch in Schloss Bellevue bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf, während sich alle Kabinettskolleginnen und -kollegen in schwarzen Limousinen vorfahren ließen. Nach der Zeremonie klemmte Özdemir seine Ernennungsurkunde auf den Gepäckträger und radelte wieder zurück zum Bundestag.
Dieser Auftritt darf durchaus als Vorgeschmack des politischen Selbstverständnisses verstanden sein, mit dem der 55-Jährige das Landwirtschaftsministerium führen will. Die Transformation zu mehr Umwelt- und Klimaschutz sowie einer Stärkung des Tierwohls stehen bei Özdemir oben auf der Agenda. Er sehe sich als oberster Tierschützer des Lands, sagte Özdemir nach seiner Amtsübernahme. Der grüne „Realo“ ist sich aber wohl bewusst, dass sich auch dieses Haus nicht ohne einen klugen Ausgleich der Interessen erfolgreich führen lässt. Das machte er deutlich, indem er sich auch „als obersten Anwalt der Landwirtinnen und Landwirte“ verstanden wissen will – „von denjenigen, die für das Essen auf unserem Tisch sorgen“, so Özdemir. Ihnen müsse man bei der Transformation hin zu mehr Tierwohl sowie Umwelt- und Klimaschutz helfen.
Damit macht der zweite grüne Landwirtschaftsminister nach Renate Künast (2001 bis 2005) einen Schritt auf die Landwirte zu. Wohl auch in dem Bewusstsein, dass das Verhältnis zwischen Bundespolitik und Bauernschaft in den zurückliegenden Jahren ein spannungsreiches war. Die Landwirte sehen sich unter Druck, etwa durch die verschärfte Düngeverordnung, Vorlagen zum Insektenschutz und bürokratische Pflichten. Immer wieder zogen Traktoren-Demonstrationen durchs Land, nicht selten auch durch das Berliner Regierungsviertel.
Der Transformationsbedarf dürfte in diesem Bereich allerdings nicht geringer werden. Denn die neue Ampel-Koalition hat sich einiges vorgenommen. Bis 2030 sollen 30 Prozent der deutschen Landwirte nach ökologischen Standards arbeiten. Bisher sind es erst rund zehn Prozent. Zur Stärkung des Tierschutzes will die Ampel ab 2022 ein verbindliches Tierhaltungslabel einführen. Im Kampf gegen das Artensterben soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln „auf das notwendige Maß“ beschränkt werden. Zugleich sollen bäuerliche Betriebe beim Umbau der Tierhaltung unterstützt werden. Dafür wollen SPD, Grüne und FDP ein „durch die Marktteilnehmer getragenes finanzielles System“ einführen. Mit den daraus gewonnenen Einnahmen soll der Umbau der Ställe hin zu einer artgerechten Haltung finanziert werden.
Özdemir steht vor keiner leichten Aufgabe. Unterstützen sollen ihn dabei drei Staatssekretärinnen, allesamt Grüne: die Diplom-Agraringenieurin Silvia Bender, die bisher Staatssekretärin im Brandenburger Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz war; die gelernte Tierärztin Ophelia Nick, Geschäftsführerin der Gesellschaft Lebendige Landwirtschaft und seit sechs Jahren Co-Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung der Grünen; und die Juristin Manuela Rottmann, die unter anderem Hauptamtliche Dezernentin für Umwelt und Gesundheit der Stadt Frankfurt am Main (2006 bis 2012) und Bezirksvorsitzende der Grünen in Unterfranken (2017 bis 2019) war.
Damit holt der neue Agrarminister, der selbst facettenreiche politische Stationen hinter sich hat, viel Sachverstand in sein Haus. Zehn Jahre lang war Özdemir Grünen-Vorsitzender (2008 bis 2018), Abgeordneter im Bundestag (1994 bis 2002 und wieder seit 2013) und im Europaparlament (2004 bis 2009). In der zurückliegenden Legislatur saß er dem Bundestagsausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur vor. Dass ausgerechnet er und nicht der Agrarpolitiker und promovierte Biologe Anton Hofreiter für die Grünen ins Landwirtschaftsministerium einzieht, sorgte anfangs für Irritationen – und parteiintern auch für Verwerfungen. In der Bauernschaft könnte ein Realo wie Özdemir aber auch auf weniger Skepsis treffen als ein Parteilinker wie Hofreiter. Von Bauernpräsident Joachim Rukwied jedenfalls waren bereits wohlwollende Töne zu hören. Für ihn sei es nicht wichtig, „ob jemand Stallgeruch hat“, so Rukwied. Ein prominentes Gesicht im Landwirtschaftsministerium helfe der Landwirtschaft. Das bringt Özdemir mit Gewissheit mit.
Besondere Aufmerksamkeit zieht der gebürtige Baden-Württemberger auch durch seinen biografischen Hintergrund auf sich: Özdemir ist der erste deutsche Bundesminister, der aus einer türkischen Gastarbeiter-Familie stammt, und der einzige im ersten Kabinett Scholz mit Migrationshintergrund. Dass die Entscheidung der Grünen am Ende auf ihn und nicht auf Hofreiter fiel, hat allerdings ein anderes Ergebnis zur Folge: Im neuen Bundeskabinett ist kein Bayer und keine Bayerin vertreten. Auch auf Staatssekretärsebene der genannten Ministerien ist der Freistaat nur schwach repräsentiert. Lediglich die Agrarstaatssekretärin Manuela Rottmann und die Finanzstaatssekretärin Katja Hessel kommen aus Bayern. Nach langen Jahren der CSU-bedingten Überrepräsentation Bayerns im Bundeskabinett bricht nun also eine neue Zeit an. Einen Aufbruch jedenfalls hat die Ampel sich selbst zum Ziel gesteckt.
Jana Wolf ist Korrespondentin der „Rheinischen Post" in der Parlamentsredaktion Berlin und Vorstandsmitglied der Bundespressekonferenz.