Altlasten: Schleppender Risikoabbau, mangelnder Reformeifer – es ist nicht die Zeit, um sich auf eine europäische Einlagensicherung einzulassen, schreibt GVB-Präsident Jürgen Gros.
Herr Ferber, Sie wurden Ende August zum Sprecher der EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON-Ausschuss) des Europäischen Parlaments gewählt. Welche bedeutenden Themen stehen bis zur nächsten Europawahl im Mai 2019 noch auf der Ausschuss-Agenda?
Markus Ferber: Es gibt derzeit drei große Themenschwerpunkte, die wir im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments behandeln: die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, die Kapitalmarktunion und die Bankenunion. In allen drei Bereichen liegen noch wichtige Dossiers auf dem Tisch. Das vielleicht wichtigste ist das Bankenpaket, das auch die Reform der Eigenkapitalrichtlinie CRD IV enthält. Die Beratungen zu diesem Dossier sollten wir so schnell wie möglich abschließen, um zu mehr Verhältnismäßigkeit in der Bankenregulierung zu kommen.
Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer neuen Position setzen?
Ferber: In der Finanzmarkt- und Wirtschaftspolitik gibt es drei Leitprinzipien, die mir wichtig sind: das Stabilitätsprinzip, das Haftungsprinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Von allen dreien können wir ein bisschen mehr in der europäischen Finanzmarktregulierung und Wirtschaftspolitik gebrauchen.
„Von den Vorschlägen für eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherungssysteme halte ich nach wie vor gar nichts.“
Die EU-Kommission drängt nach wie vor auf ein europäisches Einlagensicherungssystem (EDIS), um die Bankenunion zu vollenden. Dann würden deutsche Sparer zum Beispiel für Risiken in italienischen Banken haften. Wie positionieren Sie sich dazu im ECON-Ausschuss?
Ferber: Von den Vorschlägen für eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherungssysteme halte ich nach wie vor gar nichts. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode eine Richtlinie verabschiedet, die auf Basis nationaler Systeme in der ganzen EU ein einheitlich hohes Schutzniveau sicherstellt. Eine Vergemeinschaftung dieser Systeme bringt keinen Mehrwert an Stabilität, schafft aber ein fatales Anreizsystem. Deswegen brauchen wir EDIS nicht.
Welche Herausforderungen sind im europäischen Bankensektor zu bewältigen?
Ferber: Das größte Problem in vielen Mitgliedsstaaten ist nach wie vor das hohe Niveau an ausfallgefährdeten Krediten, die wie ein Bremsklotz für die Kreditvergabe und damit für die wirtschaftliche Entwicklung wirken. Ein anderes großes Problem besteht darin, dass viele Banken sehr hohe Bestände an Staatsanleihen ihrer Heimatländer in ihren Bilanzen halten. Diese Bestände an Staatsanleihen, die nicht mit Eigenkapital unterlegt werden müssen, sind ein Konzentrationsrisiko. Wenn ein Staat in Zahlungsschwierigkeiten gerät, kann er durch diesen Mechanismus schnell sein Bankensystem mit in den Abgrund reißen. An beiden Problemen müssen wir arbeiten.
„Beim finanziellen Verbraucherschutz braucht es eine grundsätzliche Überprüfung, wo Ungenauigkeiten und Dopplungen abgeschafft werden können.“
Sie waren im EU-Parlament Berichterstatter für die Finanzmarktrichtlinie MiFID II. Nicht nur die Menge, sondern auch die Aufbereitung der Verbraucherschutzinformationen in der Anlageberatung verwirrt und verunsichert viele Bankkunden. Wo sehen Sie Möglichkeiten, den Verbraucherschutz kundenfreundlicher zu gestalten?
Ferber: Wir haben in den vergangenen Jahren eine Reihe von Verbraucherschutzvorschriften verabschiedet. Von MiFID II und PRIIPS über UCITS für Fondsprodukte und die Versicherungsvermittlerrichtlinie IDD für Versicherungsprodukte. Leider haben sich dabei einige Inkonsistenzen eingeschlichen, die zu Dopplungen, Extraarbeit und Verwirrung beim Kunden führen. Deswegen braucht es eine grundsätzliche Überprüfung, wo Ungenauigkeiten, Inkonsistenzen und Dopplungen abgeschafft werden können. Oftmals wäre aber auch schon geholfen, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde an manchen Stellen einen pragmatischeren Ansatz wählt. Auch daran arbeite ich.
Wie sehen Ihre persönlichen Pläne für die Zeit nach der Europawahl aus?
Ferber: In der europäischen Politik stehen spannende Zeiten bevor und ich habe Lust darauf, die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik weiter aktiv mitzugestalten und meine Heimat im Europäischen Parlament weiter erfolgreich zu vertreten. Deswegen trete ich für die Europawahl im nächsten Jahr wieder an.
Vielen Dank für das Interview!
Was macht ein Fraktionssprecher?
Zu den Aufgaben des Sprechers einer Fraktion, der im Europäischen Parlament auch Koordinator genannt wird, gehören unter anderem: die Vorbereitung der Ausschussarbeit, die Koordinierung unterschiedlicher Positionen innerhalb der Fraktion zu einer einheitlichen Position sowie das Vertreten einer einheitlichen Position gegenüber anderen Fraktionen. Der Fraktionssprecher arbeitet an den zentralen Weichenstellungen des Ausschusses mit. Zum Beispiel entscheiden die Koordinatoren, zu welchen Themen Anhörungen im Ausschuss durchgeführt werden und welche Sprecher dazu eingeladen werden sollen. Dadurch werden auch inhaltliche Schwerpunkte in der Ausschussarbeit gesetzt. Durch das Gestalten der Agenda und seine koordinierende Funktion zwischen den Mitgliedern der Fraktion hat der Fraktionssprecher großen Einfluss und kann auch selbst entscheidende inhaltliche Akzente setzen.