Starke Stimme: Was macht den GVB aus? „Profi“ hat die führenden Persönlichkeiten des Verbands zum 130. Jubiläum um ein Statement gebeten.
„[…] nun endlich [ist] der längst ersehnte Tag der konstituierenden Versammlung des bayerischen Landesverbandes gekommen“. Mathias Ramoser im Protokoll zur Gründung des Bayerischen Landesverbands landwirtschaftlicher Darlehenskassenvereine vom 28. November 1893 in München.
Mathias Ramoser, ein Bauer aus dem Chiemgau, hatte 1881 den ersten Darlehenskassenverein in Oberbayern nach dem Modell von Friedrich Wilhelm Raiffeisen gegründet. In den folgenden zehn Jahren erlangte er einen Ruf als Gründungsberater im oberbayerischen Raum und so wundert es kaum, dass er für den 28. November 1893 zur Gründungsversammlung des Bayerischen Landesverbands landwirtschaftlicher Darlehenskassenvereine in die Zentralsäle des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern einlud und die Versammlung leitete. Die Gründung des Verbands „[…] sei ein hochwichtiges Ereigniß vortheilhaft und nutzbringend für unser heiß geliebtes Bayerland“.
Doch wer war eigentlich dieser Bauer aus dem Chiemgau? Mathias Ramoser wurde am 29. März 1823 geboren und war der Sohn des Bauern Johann Ramoser beim Lochner am Reith. Über seine Kindheit und jungen Jahre als Erwachsener gibt es keine Überlieferung. Als er in Bernau am Chiemsee ansässig wurde, übernahm er die Gastwirtschaft „Zur Kampenwand“ und wurde nach einiger Zeit auch ihr Eigentümer. Später reiste er gerne, überliefert ist aber nur sein Aufenthalt im Rheinland. Diese Reise – vermutlich 1880 – ist jedoch entscheidend für Ramosers weiteren Lebensweg, ebenso wie für die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Weiterentwicklung des Königreichs Bayern.
Reise in den Westerwald
Mathias Ramoser lernte im Westerwald die Idee der Selbsthilfevereine von Friedrich Wilhelm Raiffeisen kennen. Er ließ sich die Arbeitsweise und die Strukturen der Vereine präzise erklären. Er erkannte sofort, dass die Gründung eines Selbsthilfevereins eine wendebringende Lösung für die Not in seiner Heimat bedeuten konnte. So brachte er Schriften von Raiffeisen und Musterstatuten der Selbsthilfevereine mit in den Chiemgau. Seiner Neugierde und seinem klugen Handeln ist es zu verdanken, dass die Idee der Darlehenskassenvereine nach Oberbayern gelangte.
Heimat gestalten
Zurück in Bernau am Chiemsee suchte sich Mathias Ramoser Gleichgesinnte, um einen Darlehenskassenverein zu gründen. Besonders im ortsansässigen Pfarrer Franz Xaver Eisenrichter fand er einen Mitstreiter für seine Idee. Pfarrer Eisenrichter hatte bereits Erfahrung in der Gründung und als Vorstand von Vereinen, so hatte er 1873 die Freiwillige Feuerwehr in Bernau am Chiemsee mitgegründet. Gemeinsam konnten Ramoser und Eisenrichter 29 Personen für die Gründungsversammlung der ersten oberbayerischen Kreditgenossenschaft nach dem Modell von Raiffeisen gewinnen. Am 13. Februar 1881 wurde der Darlehenskassenverein Bernau am Chiemsee eGmuH ins Leben gerufen, der sich dem Raiffeisen-Zentralverband in Raiffeisens Heimatort Neuwied anschloss, der „General-Anwaltschaft ländlicher Genossenschaften für Deutschland“. Die ortsansässige Presse kommentierte die Gründung des Darlehenskassenvereins Bernau am Chiemsee jedoch als zum Scheitern verurteilt: „Die Bauern [in Bernau hätten] eine Bank gegründet, obwohl sie von Geldgeschäften nichts verstehen und deshalb die baldige Pleite vorauszusehen sei.“
Doch die Presse irrte sich. Bereits 1882 florierte das Geschäft der jungen Genossenschaft und für Darlehen wurden nur vier Prozent Zinsen verlangt. Die Arbeit der Gremienmitglieder kam der gesamten Gegend zugute und so wurde 1894 ein Jahresumsatz von 99.840 Mark erzielt.
Netzwerker und Initiator
Die Idee der Selbsthilfe wurde auch im Umkreis mit Interesse beobachtet. Mathias Ramoser wurde immer wieder eingeladen, über die Funktion der Darlehenskassenvereine und die Idee der Selbsthilfe zu referieren. Zugleich war er bei zahlreichen Gründungen anwesend und gilt als Impulsgeber für weitere Zusammenschlüsse.
Auf seine Initiative ist die Gründung des Kreisverbands in Oberbayern zurückzuführen, die Keimzelle des heutigen GVB-Bezirksverbands Oberbayern. Zur Gründungsversammlung am 24. Oktober 1889 kamen 14 Vertreter von 18 eingeladenen Raiffeisenvereinen nach Bernau, um den Kreisverband Oberbayern der landwirtschaftlichen Darlehenskassenvereine ins Leben zu rufen. Der Kreisverband gehörte zum Zentralverband in Neuwied und Ramoser wurde von den Anwesenden zum Kreisanwalt gewählt. Dieses Amt entspricht dem heutigen GVB-Bezirkspräsidenten. Der Erfolg war schnell ersichtlich. Bereits drei Jahre nach Kreisverbandsgründung gab es 27 Vereine in Oberbayern mit 2.184 Mitgliedern und einem Umsatz von 3.842.000 Mark.
Mehr Gewicht mit eigenem Landesverband
Mit der Bündelung der Vereine im Kreisverband gab sich Ramoser nicht zufrieden. Er erkannte, dass eine landesweite Vereinigung der Genossenschaften ihren Interessen mehr Gewicht verleihen würde. Zudem sah er in einem Landesverband die Möglichkeit, die genossenschaftlichen Tätigkeiten besser zu koordinieren. Nicht zuletzt die Dürre im Jahr 1893 hatte bei den Bauern das Bedürfnis geweckt, sich zusammenzuschließen, um die Not gemeinsam zu bekämpfen.
So griff Ramoser gerne die Idee des Bayerischen Staatsministers des Innern Maximilian Freiherr von Feilitzsch auf, einen eigenen Landesverband mit Unterstützung der bayerischen Regierung zu gründen. Diesen Vorschlag hatte von Feilitzsch während des Verbandstags der Neuwieder General-Anwaltschaft vom 5. bis 7. Juli 1892 in München eingebracht. Die bayerischen Genossenschaften hatten die Neuwieder Genossen für ihren Verbandstag 1892 nach Bayern eingeladen. Als die Vertreter zur Audienz bei Prinzregent Luitpold vorsprachen, der sein Wohlwollen gegenüber der Arbeit der Genossenschaften äußerte, regte von Feilitzsch an, für Bayern einen eigenen Landesverband zu gründen. Dieser sollte durch die Staatsregierung finanziell unterstützt werden.
Im folgenden Jahr war Ramoser eine der wichtigsten Figuren bei den Vorbereitungen für die Verbandsgründung in Bayern. Im Auftrag der Commission des General-Comités des landwirthschaftlichen Vereins in Bayern organisierte Ramoser die Versammlung zur Gründung eines bayerischen Landesverbands in München. Auf der Versammlung sollte Maximilian Freiherr von Soden-Fraunhofen zum ersten Landesverbandsdirektor gewählt werden. Noch am Gründungstag traten 130 Vereine mit 7.774 Mitgliedern dem Verband bei.
Reisender – Gestalter – Impulsgeber
Doch Ramoser sollte nicht mehr lange am bayerischen Genossenschaftswesen teilhaben. Nach kurzer Krankheit verstarb er am 20. Januar 1895 im Alter von knapp 72 Jahren. Er wurde in Bernau begraben. Anlässlich des 80-jährigen Bestehens des Bezirksverbands Oberbayern wurde 1969 für ihn eine Gedenktafel an der Kirche St. Laurentius angebracht.
Mathias Ramoser war ein leidenschaftlicher Genossenschaftler, dessen Neugierde und Reiselust dazu geführt hatten, dass die Ideen der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung nach Oberbayern gelangten. Seine Fähigkeiten – gute Ideen zu erkennen und sie leidenschaftlich weiterzutragen – waren ausschlaggebend für die Etablierung des Genossenschaftswesens in Bayern. Ramoser gilt als Impulsgeber für die genossenschaftliche Idee und die Zusammenführung der Genossenschaften in einem bayerischen Landesverband, der als Genossenschaftsverband Bayern am 28. November 2023 seinen 130. Geburtstag feiert.
Edith Plöthner-Scheibner ist Verbandsarchivarin beim Genossenschaftsverband Bayern.