Junge Menschen: Warum sind sie als Zielgruppe wichtig, wie gewinnt man sie als Kunden und was sollten Banken ihnen bieten sollten? „Profil“ hat bei zwei Kreditgenossenschaften nachgefragt.
Marktanalysen zu Finanzthemen
Das Marktforschungsunternehmen Kantar befragt regelmäßig junge Menschen zu ihren Lebenswelten, Einstellungen, Wünschen und Zielen. Ein zentrales Feld dabei sind Finanzthemen. Mehr zu den Kantar-Experten Britta Bockkom, Ulrich van Douwe und Jens Lohse am Ende des Artikels.
Wie sieht die aktuelle Lebenssituation von jungen Menschen aus – vor allem in Bezug auf Geldangelegenheiten?
Britta Bockkom: Um das Finanzverhalten von jungen Menschen zu verstehen, müssen wir auf das wirtschaftspolitische Umfeld schauen, in dem sie aufgewachsen sind. Die Kindheit der Generation Z ist von drei zentralen Vorkommnissen geprägt. Das ist zum einen die Finanzkrise der Jahre 2008/09. Aus dem Aufwachsen in dieser unsicheren Zeit ist ein stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität, Transparenz und Kontrolle entstanden. Die sogenannten Post-Millennials haben die Grenzen traditioneller Systeme erfahren. Deshalb verlassen sie sich nicht per se auf das bestehende System, wozu auch das klassische Bankensystem gehört. Ihr Finanzwissen eignen sie sich häufig selbst an. Dazu hören sie gerne auf den Rat von sogenannten Finfluencern, also Influencern, die über Finanzthemen aufklären.
Und die beiden anderen prägenden Ereignisse?
Britta Bockkom: Da ist zum einen das Aufwachsen im Zeitalter der Digitalisierung. Die Verbindung zum digitalen Leben ist für diese Generation allgegenwärtig – nicht umsonst werden die jungen Menschen dieser Generation auch als Digital Natives bezeichnet. Dementsprechend hoch ist auch ihr Anspruch an digitale Lösungen. Zum anderen ist die Klimakrise ein ständiger Begleiter dieser Generation, was entsprechend zu einer überdurchschnittlichen Forderung nach nachhaltigem Verhalten führt – auch wenn in der Gruppe selbst eine Diskrepanz zwischen Anforderung und eigenem Verhalten herrscht. Kurzum: Die jungen Menschen sind in instabilen Zeiten aufgewachsen. Hinzu kommen nun der Krieg in der Ukraine sowie die Inflation. Vor den Folgen dieser Entwicklung haben viele von ihnen Angst.
„Zahlungen müssen rund um die Uhr und mit einem Klick oder sogar ohne Klick funktionieren.“
Wie denken junge Menschen allgemein über Geld?
Britta Bockkom: Geld ist Mittel zum Bezahlen und ein Teilelement zur Absicherung der Zukunft. Vor allem beim Bezahlen fordert die junge Generation sogenannte Convenience-Lösungen, also bequeme Prozesse. Ein weiteres Schlüsselwort dafür ist Seamless Payment. Das bedeutet, dass Bezahlprozesse einfach und intuitiv funktionieren müssen. Paradebeispiele dafür sind Apple Pay, Klarna oder PayPal. Zahlungen müssen rund um die Uhr und mit einem Klick oder sogar ohne Klick – etwa via Gesichtserkennung – funktionieren. In diesem Kontext ist auch Embedded Finance ein relevantes Stichwort. Dabei können Produkte oder Leistungen direkt in der App eines Unternehmens bezahlt oder finanziert werden. Ein Beispiel dafür ist Uber, wo eine Fahrt von A nach B sowohl gebucht als auch bezahlt werden kann. Das trifft den Nerv der Zielgruppe.
Welche finanziellen Bedürfnisse haben Jugendliche und junge Erwachsene? Was bedeutet das für Banken?
Ulrich van Douwe: Wir haben festgestellt, dass junge Erwachsene Wert darauf legen, von Unternehmen als vollwertige Kunden behandelt zu werden. Sie wollen eher nicht mit speziellen sogenannten Jugendprodukten bedient werden, sondern die Produkte beziehen, die auch die Erwachsenen bekommen. Beispiel Kreditkarte: Junge Menschen wollen keine „Jugendkarte“ oder „Einsteigerkarte“, sondern die gleiche Kreditkarte wie ihre Eltern. Jugendprodukte wirken für sie wie ein Stigma und suggerieren ihnen, dass sie noch keine vollwertigen Kunden sind. Gleichzeitig erwarten die jungen Kunden, dass sie gewisse Preisvorteile oder Rabatte erhalten. Das heißt: Eine beispielsweise bis zum Alter von 21 oder 27 Jahren befristete kostenfreie Kreditkarte nehmen sie gerne. Eine „Jugendkarte“, der man das auch optisch ansieht, wollen sie eher nicht.
„Jungen Kunden wird häufig eine hohe Preissensibilität unterstellt. Dies kann in Untersuchungen so nicht bestätigt werden.“
Wie preissensibel sind junge Menschen?
Ulrich van Douwe: Jungen Kunden wird häufig eine hohe Preissensibilität unterstellt. Dies kann in Untersuchungen so nicht bestätigt werden. Die Herausforderung liegt vor allem darin, den Nutzen der Angebote und Produkte zu vermitteln. Schließlich haben junge Menschen in Finanzthemen wenig Erfahrung, ihre Preisbereitschaft ist noch nicht sehr ausgeprägt. Für die Zahlungsbereitschaft dieser Gruppe ist es sehr wichtig, die konkreten Leistungen oder Vorteile im Vergleich zu kostenfreien Lösungen herauszustellen.
Welches Image haben klassische Banken und Sparkassen bei der jungen Zielgruppe?
Britta Bockkom: Es besteht zum Teil eine starke Skepsis gegenüber klassischen Finanzdienstleistern und -produkten. Sie werden als Anbieter von One-Size-Fits-All Lösungen betrachtet, die zu wenig auf die individuellen Bedürfnisse eingehen. Auch wird eine Behandlung auf Augenhöhe vermisst. Ein weiterer zentraler Kritikpunkt sind die digitalen Lösungen. Viele Bezahlapps werden als weniger intuitiv und stabil funktionierend bewertet als beispielsweise Apple Pay. Neobroker und Neobanken bieten durch ihr Image teilweise ein höheres Identifikationspotenzial und zielgruppenstimmigere digitale Lösungen.
Viele Volksbanken und Raiffeisenbanken setzen auf eine Omnikanal-Strategie. Was ist jungen Menschen dabei wichtig?
Jens Lohse: Sie erwarten, dass sie jederzeit denjenigen Zugangskanal wählen können, der für sie je nach Anlass am praktischsten ist. Dies bedeutet für die Banken, dass sie grundsätzlich alle verfügbaren Kanäle bereitstellen müssen. Außerdem sind junge Menschen offen dafür, neue Kanäle zu nutzen, die noch nicht so weit verbreitet sind. Beispiele dafür sind die Videoberatung, Robo-Advisoren oder der Produktabschluss via App.
„Dass junge Erwachsene deutlich digitaler unterwegs sind, heißt nicht, dass sie keine persönliche Betreuung beziehungsweise keine Bankfiliale benötigen. Im Gegenteil!“
Welchen Stellenwert hat die persönliche Beratung?
Jens Lohse: Digitale Beratungsangebote können der Türöffner für das persönliche Beratungsgespräch sein. Da junge Menschen in Finanz- und insbesondere Versicherungsangelegenheiten häufig unerfahren sind, besteht ein hoher Beratungsbedarf. Dieser wird einerseits durch das familiäre Umfeld oder im Freundeskreis gedeckt. Trotzdem fühlen sich viele junge Menschen schlecht informiert, welche Möglichkeiten es eigentlich gibt, um ihr Geld anzulegen. Ein großer Teil dieser Zielgruppe legt deshalb Wert darauf, von ihrer Bank umfassend und persönlich beraten zu werden. Wichtig ist in jedem Fall eine transparente Kommunikation auf Augenhöhe. Gerade die Generation Z zeigt sich dabei sehr kritisch und anspruchsvoll. Sobald das Gefühl entsteht „von oben herab“ beraten oder über den Tisch gezogen zu werden, ist das Vertrauen nachhaltig zerstört. Ebenso zentral ist der Aspekt der Authentizität. Die jungen Kunden wollen wissen, wofür die jeweilige Marke oder der Anbieter steht. Die Werte müssen im Gesamtauftritt gut erkennbar sein.
Ulrich van Douwe: Natürlich sind junge Erwachsene deutlich digitaler unterwegs als der durchschnittliche Bankkunde. Dies zeigt sich insbesondere bei der Abwicklung des Zahlungsverkehrs sowie beim Bezahlen am Point of Sale. Das heißt aber nicht, dass die Jungen keine persönliche Betreuung beziehungsweise keine Bankfiliale benötigen. Im Gegenteil! Persönliche Beratung ist ihnen wichtig, was einen klaren Vorteil für Regionalbanken darstellt, da sie diese Kundenbeziehung als besonderes Leistungselement fokussieren. Im Gegensatz dazu werden Direktbanken als sehr effiziente Plattform zum Abwickeln des Zahlungsverkehrs, aber eben auch als anonyme Unternehmen wahrgenommen. Kurzum: Aus unserer Sicht ist es sehr erfolgsversprechend, ein Omnikanalangebot zu unterhalten, das die Möglichkeit bietet, über alle Kanäle gleichermaßen mit der Bank zu kommunizieren und zu interagieren. Der persönliche Berater vor Ort kann zudem für die finanzielle Bildung der jungen Menschen sorgen, solche Angebote wissen sie sehr zu schätzen.
„Altersvorsorge und Sparen sind hochrelevante Themen für die Generation Z.“
Welche Einstellung haben junge Menschen zu den Themen Sparen und Altersvorsorge?
Britta Bockkom: Die Post-Millennials prägt eine starke Angst vor Altersarmut. In diesem Zusammenhang bestehen elementare Zielkonflikte: Die jungen Menschen wollen sparen – verfügen aber über wenig Kapital. Das Aufwachsen in Zeiten der Finanzkrise und später im Niedrigzinsumfeld hat die Zielgruppe früh dazu getrieben, sich intensiv mit Anlageformaten auseinanderzusetzen. Zudem haben sie verstärkt in Aktien investiert – viel stärker als die Generationen davor. Altersvorsorge und Sparen sind also hochrelevante Themen. Die Generation Z greift dabei nicht unbedingt auf Lebensversicherungen und klassische Sparanlagen zurück, sondern ist offen für Anlageformen, die entsprechend der Finanzmarktsituation sinnvoll sind. Um sich zu informieren, folgen die jungen Menschen den bereits angesprochenen Finfluencern. Diese sprechen die Sprache der jungen Zielgruppe und schaffen dadurch Identifikation. Für Banken folgt daraus, dass sie der Zielgruppe auf Augenhöhe begegnen müssen, um sie zu erreichen. Zudem können sie Leistungen im Bereich der finanziellen Bildung anbieten. So erhalten sie Zugang zur Zielgruppe, ohne als Verkäufer aufzutreten.
Welche Produkte sind bei jungen Menschen angesagt?
Britta Bockkom: Vor allem ETF-Sparpläne sind beliebt. Wichtig ist, dass sich diese individuell und nach den eigenen Bedürfnissen gestalten lassen. Durch den starken Fokus der Zielgruppe auf Nachhaltigkeit sind zudem entsprechende Produkte wie nachhaltige Fonds ein potenzieller Vertriebsansatz. Individuelle Cashback-Programme kommen ebenfalls gut an. Ein weiterer Trend sind Apps, die sogenannte Round-ups ermöglichen. Das Prinzip: Bei Zahlungen werden diejenigen Cent-Beträge, die bis zum vollen Euro fehlen, auf ein separates Konto zurückgelegt. So können die jungen Menschen zielgruppengerecht sparen. Unabhängig vom Produkt ist ihnen wichtig, dass die Anlageformen transparent sind und der Zugang einfach. Schließlich wollen sie sich laufend über die Wertentwicklung informieren.
„Keine andere Generation verfolgt so oft ihren Kontostand wie die Generation Z.“
Den jungen Menschen ist es wichtig, stets den Überblick über ihre Finanzen zu behalten?
Britta Bockkom: Absolut! Kontrolle spielt für diese Gruppe eine essenzielle Rolle. Keine andere Generation verfolgt so oft ihren Kontostand wie die Generation Z. Nicht zu unterschätzen sind in diesem Zusammenhang Push-Benachrichtigungen sowie Alerts über Zahlungen. Auch Apps helfen Jugendlichen und jungen Erwachsenen dabei, die Einnahmen und Ausgaben zu kontrollieren.
Sie hatten bereits einige Male das Thema Nachhaltigkeit angesprochen. Welche Bedeutung haben nachhaltige Finanzprodukte?
Ulrich van Douwe: Grundsätzlich sind die jungen Menschen sehr affin für das Thema Nachhaltigkeit. Allerdings tun sie sich schwer damit, konkrete Finanzprodukte in einen direkten Zusammenhang zu bringen. Was kann an einem Girokonto nachhaltig sein, fragen sie sich. Argumente wie die papierlose Kontoführung oder eine Bankkarte aus nachwachsenden Materialien ziehen bei der Gruppe nicht so stark. Viel besser kommt es an, wenn die komplette Bank das Thema Nachhaltigkeit glaubhaft und nachweislich in ihrer Gesamtstrategie sowie in ihrem Handeln und Wirken verankert. Daraus entsteht viel eher eine Kundenpräferenz beziehungsweise eine Kundenbindung zu jungen Erwachsenen.
„Die Mitgliedschaft ist das Alleinstellungsmerkmal der VR-Banken. Das passt zum zentralen Bedürfnis der jungen Zielgruppe, Teil einer Gemeinschaft zu sein.“
Welchen Mehrwert können Volksbanken und Raiffeisenbanken jungen Menschen jenseits der klassischen Bankprodukte bieten?
Jens Lohse: Gerade in der aktuellen Zeit, die von Krisen und Unsicherheiten geprägt ist, vertrauen die jungen Menschen auf bewährte Finanzdienstleister. Sichtbarkeit schafft Vertrauen und Sicherheit. Dies bedeutet, dass die Relevanz des stationären Vertriebs, der einen vor Ort erlebbaren Service und eine persönliche Beratung ermöglicht, aktuell besonders hoch ist. Um die Verwurzelung in der Region zu zeigen, ist es zudem wichtig, dass Volksbanken und Raiffeisenbanken ihr Engagement für soziale und wirtschaftliche Aspekte auch weiterhin dort ansiedeln. Neben dem Angebot an Ausbildungsplätzen bietet der Einsatz im Bereich der finanziellen Bildung echte Chancen. Da die Vermittlung von Finanzwissen in der schulischen Ausbildung in der Regel immer noch viel zu kurz kommt – was uns die Jugendlichen im Übrigen auch spiegeln – können zielgruppengerechte Angebote Nähe schaffen und junge Kunden frühzeitig binden. Wichtig ist dabei, ihnen einen direkten Austausch anzubieten, damit sie selbst Fragen stellen können.
Britta Bockkom: Denkbar ist auch, das Thema Gemeinschaft noch stärker zu spielen. Die Mitgliedschaft ist das Alleinstellungsmerkmal der VR-Banken. Das passt zum zentralen Bedürfnis der jungen Zielgruppe, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Dieser Ansatz muss zielgruppenstimmig gespielt werden. Passende Schlagworte sind dabei Empathie, Authentizität und Augenhöhe.
Frau Bockkom, Herr van Douwe, Herr Lohse, vielen Dank für das Gespräch!
Britta Bockkom ist Associate Director Qualitative bei Kantar. Sie betreut und verantwortet Kunden des Finanzsektors im Bereich der qualitativen Marktforschung, spezialisiert auf psychologische Analysen.
Dr. Ulrich van Douwe ist Director im Bereich Innovation & Pricing bei Kantar. Er ist verantwortlich für Forschungs- und Beratungsprojekte vorwiegend bei Finanzdienstleistern mit dem Fokus auf die Produktentwicklung, deren Optimierung und Vermarktung sowie das kundennutzenorientierte Pricing.
Jens Lohse ist Director im Bereich Financial Markets bei Kantar. Er betreut aktuell in verantwortlicher Position große Mehrbezieher-Studien für den deutschen Finanzmarkt und digitale Themen für Finanzdienstleister, sowie für öffentliche Auftraggeber. Zuvor verantwortete er die Implementierung und Durchführung umfangreicher Kundenbindungs-/ Kundenzufriedenheitsstudien im Finanzdienstleistungssektor.