Junge Menschen: Warum sind sie als Zielgruppe wichtig, wie gewinnt man sie als Kunden und was sollten Banken ihnen bieten sollten? „Profil“ hat bei zwei Kreditgenossenschaften nachgefragt.
Zwischen Günzburg und Dillingen, in der Region, wo die Mindel in die Donau mündet, lebt ein Pirat. Genauer gesagt, ein Flusspirat namens Paul. Weil Paul ein Experte fürs Zähneputzen ist, kennen ihn manche auch als Zahnpiraten. Gemeinsam mit seinen Freunden Laura und Nina Nussknacker erlebt Paul immer wieder Abenteuer. Beispielsweise trifft er auf Käpt’n Karies, der den Kindern das Leben schwer machen möchte. Da muss sich Paul so einiges einfallen lassen, um den fiesen Käpt’n in Schach zu halten (das Titelfoto oben zeigt das Cover des Buchs: „Pauls Abenteuer mit Käpt’n Karies“).
Hinter Flusspirat Paul steht die VR-Bank Donau-Mindel. Das Kreditinstitut hat die Figur im Oktober 2020 eingeführt. Der Pirat richtet sich sowohl an Kinder bis zum Alter von elf Jahren als auch an deren Eltern. „Da junge Menschen im Umgang mit Geld in erster Linie von den Eltern geprägt werden, sprechen wir mit unserem Konzept bewusst beide Gruppen an“, erklärt Vertriebsleiter Jan Iffert. Er hat den Flusspiraten gemeinsam mit seinen Kolleginnen Verena Grossmann und Ramona Negretti zum Leben erweckt.
Zwei Euro pro Milchzahn
Gesunde Zähne sind Paul besonders wichtig. Deshalb gibt er Tipps zum richtigen Putzen und ist für die Kinder da, wenn die Milchzähne ausfallen. Zeigen sie die Zahnlücke beziehungsweise den ausgefallenen Zahn vor, erhalten sie zwei Euro auf ihr „VR-Zahnpiraten-Konto“ gutgeschrieben. Zusätzlich gibt es für die Kinder eine Klapp-Zahnkarte. Dort können sie eintragen, welche ihrer Zähne bereits ausgefallen sind. Positiver Nebeneffekt: Auf diese Weise besuchen die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern regelmäßig die Filiale und bleiben so in Kontakt mit der Bank. „Wir finden es sinnvoll, Zähneputzen und Finanzen zu verbinden. Beide Themen haben eins gemeinsam: Wenn man sich frühzeitig darum kümmert, kommt man später besser durchs Leben“, sagt Iffert.
Der Flusspirat zahlt auf die Beratungsphilosophie des Kreditinstituts im Bereich Junge Kunden ein. Diese steht unter dem Slogan „Das Beste für mein Kind“. Ziel ist es, eine nachhaltige Beziehung zwischen Eltern, Kindern und den Bankberatern aufzubauen. Im ersten Schritt wird für das Kind ein Girokonto bei der VR-Bank eröffnet. Im Laufe der Zeit kommen in der Regel weitere Produkte hinzu. „Auf diese Weise schaffen wir früh eine feste Bindung der jungen Menschen an die Bank“, erklärt Verena Grossmann.
Ein Zahnpiraten-Konto für die Kinder
Die Idee entwickelte das Kreditinstitut gemeinsam mit der Volksbank Stade-Cuxhaven Anfang 2020. Beide Banken tauschen sich regelmäßig zu verschiedenen Themen aus. Die Umsetzungsphase dauerte neun Monate. Als erstes schuf die Bank intern die Voraussetzungen für das neue Kontomodell „VR-Zahnpirat“ sowie die Zahnprämie. Außerdem entwickelte sie zusammen mit der Illustratorin Lisa Stachnick das erste Buch des Flusspiraten Paul: „Der Schatz vom Donaumoos“. Die Schauplätze der Geschichte liegen in der Region, die Kinder können sie gemeinsam mit ihren Eltern besuchen. Zudem legte die Bank Werbemittel wie Pflaster, Zahnbürsten, Zahnboxen oder ein Memo-Spiel auf. Auch ein Kostüm wurde angeschafft. So erwacht Paul zum Leben und kann Kindergärten besuchen oder an Marktsonntagen auftreten. Zwei bis drei Mal im Monat ist Paul durchschnittlich unterwegs.
Zahnpirat und Basstölpel
Bei der Volksbank Stade-Cuxhaven gibt es ebenfalls einen Zahnpiraten. Dieser heißt Flint, ist Bezwinger der acht Weltmeere und ehemals Kapitän des Piratenschiffs „Hammerhai“. Sein bester Freund ist Basstölpel Basti. Mehr Infos zu Zahnpirat Flint auf der eigens für ihn eingerichteten Webseite der Volksbank Stade-Cuxhaven.
Damit es regelmäßig etwas Neues zu entdecken gibt, feilt die Bank weiter am Konzept. In den vergangenen zwei Jahren sind beispielsweise ein Film über den Flusspiraten, Erklärfilme zu den wichtigsten Verkehrsregeln, ein zweites Buch sowie weitere Werbemittel wie Brotzeitdosen, Keksstempel oder Ausmalbilder hinzugekommen. „Paul lebt von neuen Impulsen, die Kinder sollen regelmäßig etwas entdecken können“, betont Ramona Negretti. Sie ist bei der Bank hauptverantwortlich für den Jugendmarkt, rund drei Viertel ihrer Arbeitszeit beschäftigt sie sich mit dem Flusspiraten. Die Kolleginnen und Kollegen im Vertriebsmanagement unterstützen sie dabei. Negretti entwickelt nicht nur Neues, sondern koordiniert beispielsweise die Termine, bei denen der Pirat in der Öffentlichkeit auftritt.
20 Prozent der Kontoeröffnungen von Neukunden
Mit der Resonanz ist die Bank sehr zufrieden. „Die Kinder sind total begeistert von Paul, er ist ein super Botschafter“, erzählt Negretti. Bei Begegnungen würden viele Kinder die Figur umarmen und Sätze wie „Paul, ich hab‘ dich lieb“ sagen. Sehr beliebt sind auch Erinnerungsfotos. Regelmäßig bekommt der Flusspirat Post, weil die Kinder ihm einen Brief geschrieben oder ein Bild gemalt haben. Darauf erhalten sie ein Antwortschreiben und ein kleines Geschenk. Auch die Eltern würden gute Rückmeldungen zu Paul geben: „Der Pirat vermittelt positive Botschaften wie Freundschaft und gibt Tipps zum richtigen Zähneputzen oder zum Sparen. Das finden die Eltern klasse“, betont Negretti.
Rund 20 Prozent der jungen Kunden, die seit dem Start von Flusspirat Paul im Oktober 2020 ein „VR-Zahnpirat“-Konto eröffnet haben, zählen zu den Neukunden. Weder sie noch ihre Eltern hatten zuvor ein Konto bei der Bank. In dem Zeitraum hat die Bank zudem über 1.500 Milchzähne abgerechnet. Bei Werbekampagnen rund um den Zahnpiraten steigen die Abrufzahlen der Bank-Webseite und der Social-Media-Kanäle spürbar an. Und auch die Anfrage von Kindergärten zu Besuchen des Flusspiraten sowie der passenden Hüpfburg sind hoch. „Das zeigt uns, dass sich der Aufwand lohnt“, sagt Iffert.
WYLD: Die Community für Jugendliche und junge Erwachsene
Die VR-Bank Donau-Mindel möchte jedoch nicht nur Kindern, sondern auch Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen zwölf und 22 Jahren etwas Besonderes bieten. Deshalb hat sie im August die Jugendcommunity „WYLD“ eingeführt. „Auf diese Weise können wir die Kundenbindung der Zahnpiraten an die Bank fortführen, wenn diese älter geworden sind“, erklärt Verena Grossmann. Der Name wurde gewählt, weil viele Jugendliche das Wort „wild“ – englisch ausgesprochen – synonym zu Begriffen wie „cool“ oder „super“ verwenden. „WYLD transportiert eine positive Stimmung und weist einen hohen Wiedererkennungswert auf“, sagt Grossmann.
Bereits zuvor unterhielt die Bank eine Jugendcommunity. Diese hieß VR-One4You und wurde 2006 eingeführt. Da die heutige Generation anders tickt als junge Menschen vor 15 Jahren, hat die Bank das Konzept neu aufgesetzt und um zeitgemäße Inhalte ergänzt. Im Mittelpunkt steht der Anspruch, jungen Menschen ein „ErlebnisBanking“ zu bieten. Beispielsweise sollen sie bei Veranstaltungen die Bank von einer anderen Seite kennenlernen. Wichtig ist dabei, den jungen Menschen wertschätzend und auf Augenhöhe zu begegnen. „Das passt gut zu unserer Beratungsphilosophie, die die Wünsche und Ziele der jungen Kunden in den Vordergrund stellt“, betont Grossmann.
Skateboard, Kartfahren, Motto-Wettbewerb
Seit dem Start von WYLD hat die Bank schon mehrere Veranstaltungen für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen organisiert, etwa einen Skateboard-Nachmittag oder ein RacingCup mit Kartfahren. „Das ist super angekommen, die 24 Plätze waren schnell ausgebucht und die Rennen haben viel Spaß gemacht“, sagt Ramona Negretti. Ebenfalls große Resonanz gab es auf den Wettbewerb „#WYLDergehtsnicht“. Die Abschlussklassen der weiterführenden Schulen im Geschäftsgebiet konnten ihr Abschlussmotto einreichen und anschließend über die Vorschläge abstimmen. In elf Tagen kamen fast 4.000 Stimmen zusammen. „Da die Zielgruppe sehr aktiv auf Social Media ist, hat der Wettbewerb dort viel Aufmerksamkeit bekommen. Wir hätten uns zum Start von WYLD keine bessere Werbung vorstellen können“, bekräftigt Negretti. Für den ersten Platz gab es 1.500 Euro für die Klassenkasse, für die Plätze zwei bis fünf abgestuft weitere Geldpreise.
Ankerpunkt der WYLD-Community ist die Homepage der Bank. Dort gibt es Informationen über Aktionen, Veranstaltungen sowie Grundlegendes zum Bankkonto. In Kürze kommt eine Markenbotschafterin aus der Altersgruppe dazu, die für die Community wirbt. Zudem sucht das Kreditinstitut laufend nach jungen Menschen mit einem coolen Hobby oder einer tollen Geschichte, die für die Community werben. „Auf diese Weise können wir die Jugendlichen aktiv einbinden und so weiter für Aufmerksamkeit sorgen“, sagt Negretti. Alle Kunden der Bank im Alter zwischen zwölf und 22 Jahren sind automatisch Mitglied der Community, es gibt folglich keine Hürde, um teilzunehmen.
Tipps für VR-Banken
Anderen Volksbanken und Raiffeisenbanken, die überlegen, eine Community oder eine Marke für junge Kunden aufzubauen, geben Jan Iffert, Verena Grossmann und Ramona Negretti vier Ratschläge an die Hand. Erstens, ausführlich über die Zielgruppe zu recherchieren. Was ist ihnen wichtig? Was treibt sie an? Welche Ziele verfolgen sie? Zweitens die Auszubildenden mit ins Boot zu holen. Diese können wertvolle Tipps geben, wie Jugendliche heute ticken und was bei ihnen ankommt. Drittens muss das Konzept zur Strategie der Bank passen und es sollte eine zielgruppengerechte Beratungsphilosophie vorhanden sein. Viertens müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bank abgeholt werden. Grossmann und Negretti haben das Konzept in allen Abteilungen und in jeder Geschäftsstelle vorgestellt. „Nur wenn die Kollegen hinter der Marke stehen, können sie diese glaubwürdig nach außen tragen. Deshalb haben wir uns viel Zeit genommen, um zu erklären, worum es geht. Beim Flusspiraten beispielsweise sind die Mitarbeiter im Service der erste Ansprechpartner. Wenn die Kinder mit ihren ausgefallenen Milchzähnen kommen und strahlend begrüßt werden, dann schaffen wir für sie ein super Erlebnis, das ihnen lange im Gedächtnis bleibt“, sagt Negretti.