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Zwei Windräder und eine Kirche verschwinden im Nebel (Symbolbild für Energiewende).

„Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“ – das mahnte der damalige Bundespräsident Roman Herzog im Jahr 1997 an. Er kritisierte Reformstau, Kleinmütigkeit, Mutlosigkeit, überbordende Bürokratie und forderte dazu auf, dringende Reformen entschlossen anzugehen. Heute bedarf es wieder eines Rucks. Einen Ruck, um die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit konsequent umzusetzen.

Die Herausforderung ist klar: Es geht um Klimafreundlichkeit, einen schonenden Umgang mit Ressourcen, weniger Wegwerfkultur und mehr Beständigkeit. Derartige Vorhaben werden schnell zu einem Betätigungsfeld für Juristen. Es geht aber nicht allein um Regulatorik und seitenweise staubtrockene Detailregelungen. Es geht um eine Einstellung – ein klares „Ja“ aller wesentlichen Akteure, Probleme nicht nur zu beschreiben oder in Aktionismus auszubrechen, sondern im wahrsten Sinne nachhaltig zu handeln.

Notwendiger Schwung fehlt

Vieles ist schon passiert oder passiert gerade. Der richtige Weg ist eingeschlagen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet voran, gewinnt aber nicht den notwendigen Schwung. Vieles bleibt inkonsequent, setzt an der falschen Stelle an, wirkt nicht, oder behindert jene engagierten Akteure, die dringend notwendig sind, um diese Transformation voranzutreiben.

Ein Blick auf die Fakten bei der Energiewende ist ernüchternd: Im Jahr 2021 wurde 19,7 Prozent der in Deutschland verbrauchten Bruttoendenergie – Strom, Wärme und Verkehr zusammengenommen – aus erneuerbaren Energieträgern gewonnen. Gegenüber 2020 hat dieser Anteil um gerade einmal 0,4 Prozentpunkte zugenommen. Der Anteil müsste aber fast zehnmal so schnell wachsen, wenn man bis 2045 Klimaneutralität erreichen will.

Unabhängig vom Klimaschutz haben uns allen auch die Folgen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine brutal vor Augen geführt, wie wichtig es ist, unabhängiger von fossilen Energieträgern zu werden. Die Dringlichkeit, in Sachen Nachhaltigkeit voranzukommen, dürfte also mittlerweile allgemein anerkannt sein. Ähnlich wie Roman Herzog vor 25 Jahren beklagte, verschanzen sich aber viele hinter Gesetzen, tatsächlichen oder vermeintlichen Problemen, sind Bedenkenträger oder Besserwisser oder vergraulen mit Panikmache jene, die guten Willens wären.

Auch heute braucht es einen Ruck. Oder vielmehr: Alle Beteiligten müssen sich einen Ruck geben und bereit sein, die offensichtlichen und bequemen Wege zu verlassen, um wirkungsvoll die Zukunft zu gestalten. Konkret geht es dabei aus meiner Sicht um drei Dinge:

1. Den Hebel an der richtigen Stelle ansetzen

Ein wesentlicher Hebel, um den Transformationsprozess zu steuern, soll der Finanzmarkt sein, weil dadurch eine maximale Wirkung erzielt werden soll. Der Finanzmarkt ist auch deshalb der Ansatzpunkt, weil er leichter regulatorisch zu greifen ist als die vielen unterschiedlichen Branchen und Akteure, die in der Realwirtschaft mit der Transformation beschäftigt sind. Der Ansatz funktioniert aber nur, wenn es etwas zu finanzieren gibt. Das ist nur dann der Fall, wenn in der Realwirtschaft Hürden beseitigt und tragfähige Geschäftsmodelle geschaffen werden. Wenn das gegeben ist, braucht es keine Regulierung am Finanzmarkt mehr, weil Regionalbanken gerne Energieprojekte oder die energetische Sanierung des Gebäudebestands finanzieren, wenn hinter der Investition ein solider Geschäftsplan steht.

Banken als Handlanger der Politik sollen plötzlich sachfremde Maßstäbe ansetzen, um die Transformation zu erzwingen, anstatt Geschäfte nach Risiko und wirtschaftlicher Tragfähigkeit zu beurteilen. Das ist kein nachhaltiger Ansatz. Er zeugt von einem tiefen Misstrauen gegenüber allen Handelnden in der Finanz- und Realwirtschaft. Wenn der Staat einen Rahmen setzt, der Investitionen in nachhaltige Projekte attraktiv und umsetzbar macht, dann finden sich auch Unternehmer, die diese Projekte angehen. Und diese finden wiederum Banken, die ihre Projekte finanzieren. Mit mehr Entwicklungsspielräumen und mehr Vertrauen in den Markt geht’s besser.

2. Regelungen einfacher machen

Energienetze, Speichertechnologien, Lieferketten – die Energiewende und die nachhaltige Transformation der Wirtschaft sind ein hochkomplexes Unterfangen. Die Politik neigt aber dazu, komplexe Fragen mit noch komplexeren Regelungen zu beantworten. Anstatt ständig irgendwelche neuen Förder- und Ausnahmetatbestände zu erfinden, würde es reichen, das ständige Verhindern zu verhindern. Wer schon einmal versucht hat, Mieterstromprojekte aufzusetzen oder sich damit auseinandersetzen muss, wann was von wem bis zu welcher Größe wie lange wie hoch gefördert wird, kann davon ein Lied singen.

Mit regulatorischen Vorgaben wird versucht, alles bis ins letzte Kleinklein zu regeln. Aber viele Regeln bringen selten viel Gutes. Nötig wäre mehr Freiraum. Das zeigt sich am Beispiel der Taxonomie, die festlegen soll, welche Bereiche der Wirtschaft „grün“ sind. Allerdings haben sich die wohlmeinenden Bürokraten selbst übertroffen und ein Werk aufgesetzt, das selbst Experten ratlos zurücklässt und dessen Inkonsequenz im Ansatz sich bereits mehrfach gezeigt hat.

Bedarf es dazu wiederum einer Vielzahl von neuen Gesetzen, Regulierungen und bürokratischen Auflagen? Ich meine nein. Die Soziale Marktwirtschaft bietet den richtigen Rahmen und geeignete Instrumente, um die notwendigen Anreize zur Gestaltung der Veränderung zu setzen – in der Gewissheit, dass die Marktakteure Risiken bewerten und Chancen entschlossen ergreifen können – ganz ohne die betreuende Hand des Staats, der seine Lenkungsfunktion überschätzt. Stattdessen droht er, Engagement im Keim zu ersticken und jene zu demotivieren, die eigentlich nur das tun wollen, was der Staat doch voranbringen will. Immer wieder aufgedeckte Fälle von Greenwashing, also einer Anscheins-Nachhaltigkeit, belegen, dass Anreize falsch gesetzt sind, möglichst viele Regulierungen nicht weiterhelfen und ein Verbotskorsett das Gegenteil des Erwünschten bewirkt. Ergänzt wird all dies von nun vorgeschriebenen Nachhaltigkeitsberichten, die zwar oft den Papierverbrauch in die Höhe treiben, der Umwelt aber nichts bringen.

3. Gemeinschaftlich handeln

Nachhaltige Transformation ist ein schier unübersichtlich großes Thema. Doch auch sie beginnt im Kleinen. Sie beginnt auf dem Land, wo Photovoltaikanlagen in der Sonne glitzern, sich Windräder drehen, Biogasanlagen Feststoffe in Gas verwandeln und Nahwärmenetze für ökologische Wohligkeit sorgen. Nachhaltige Transformation beginnt mit dem Willen zur Veränderung, mit Menschen, die anpacken. Dazu gehören auch Banken, die diese Visionen durch ihre Finanzierung ermöglichen – und zwar möglichst da, wo die Menschen sind, die diesen Wandel durch ihr entschlossenes Tun gestalten.

Worauf es ankommt, ist eine wertebasierte Grundeinstellung, die sich an Idealen wie Solidität, Solidarität, Eigenverantwortung, Regionalität und der Beteiligung der Bürger orientiert. Und damit möglichst weite Teile der Gesellschaft „mitnimmt“, einbindet und von der Neuausrichtung profitieren lässt. Was noch viel zu wenig in den Köpfen verankert ist, ist die Tatsache, dass Genossenschaften für all diese Werte stehen und dazu beitragen können, diese in die Zukunft zu tragen. Energiegenossenschaften sind ein Beispiel dafür, wie Energiewende und Bürgerbeteiligung Hand in Hand gehen.

Diesen Werten sind auch genossenschaftliche Kreditinstitute wie die Volks- und Raiffeisenbanken verpflichtet. Sie haben in gut 150 Jahren bewiesen, dass sie wirtschaften und Risiken einschätzen können und im besten Sinne nachhaltig handeln. In den zurückliegenden Krisen wie der Finanzkrise vor zehn Jahren waren sie Teil der Lösung.

Auch angesichts der jetzt anstehenden Herausforderungen sind die Kreditgenossenschaften dazu bereit, eine aktive Rolle bei der Transformation der Wirtschaft zu spielen. Sie versammeln und vernetzen die Akteure vor Ort – und genau das ist notwendig, um die komplexen Fragestellungen der Nachhaltigkeit gemeinsam beantworten zu können. Und die Kreditgenossenschaften bleiben die Finanziers des regionalen Mittelstands und der Menschen vor Ort, die ihre Immobilien energetisch sanieren wollen.

Worauf es ankommt

Genossenschaften, mit ihrer unmittelbaren Bürgerbeteiligung, Eigenverantwortung, demokratischen Struktur, können ein Ausdruck dessen sein, was Herzog angemahnt und als Zukunftsideal beschrieben hat. Veränderung hat mehr mit einer Geisteshaltung zu tun als mit Paragrafen. Dann kann die nachhaltige Transformation des Lands und der Wirtschaft gelingen, an der möglichst viele teilhaben und profitieren. Wenn dann auch noch der Finanzierungspartner in der Lage ist, zu agieren, anstatt grüne oder braune Listen abzuarbeiten, ist der Ruck schon so gut wie geschafft.


Gregor Scheller ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB).


Dieser Beitrag erschien zuerst in der Sonderbeilage „Wirtschaftsraum Bayern“ der Börsen-Zeitung vom 29. Oktober 2022 (Seite B2).

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