Krise: Wegen des Lockdowns fährt kaum jemand Taxi. Ein Interview mit dem Vorstand der Taxi-München eG über die Auswirkungen auf die Branche.
18:30 Uhr, Türkenstraße
Ein trüber Dienstag Mitte November, die Sonne ist längst untergegangen, für die Nacht ist Frost angekündigt. Die meisten Passanten haben bereits ihren Wintermantel angezogen. Im Taxi von Thomas Kroker ist es zum Glück angenehm warm. Der Vorstand der Taxi München eG ist soeben am Haus der Bayerischen Genossenschaften in der Türkenstraße vorgefahren. Kroker hat zu einer Tour durch die Stadt eingeladen. Er möchte erzählen, was die Branche derzeit bewegt, warum er gerne Taxi fährt und was er in den vergangenen Jahren erlebt hat. Angeschnallt und los geht’s – zunächst nach Norden zur Münchner Freiheit.
Thomas Kroker: „Wochentags gegen halb sieben Uhr abends, das ist eine der besten Zeiten für Taxifahrerinnen und -fahrer. Büro-Angestellte möchten nach Hause, Geschäftsleute müssen zum Bahnhof oder zum Flughafen, und die Einheimischen lassen sich zum Restaurant, Theater oder Kino fahren. Sehr wichtig ist zudem ein Blick in den Veranstaltungskalender. Der Motor für das Taxigewerbe ist die Messe München. Wenn es dort eine Schau mit viel Publikumsverkehr gibt, erhöht sich der Umsatz häufig auf das Doppelte.“
Mit größeren Veranstaltungen rechnet der Taxi-Vorstand in diesem Winter nicht mehr. Wenige Stunden zuvor wurden in ganz Bayern die Christkindlmärkte abgesagt. „Das war ein deutlicher Dämpfer, denn wir hatten damit gerechnet, durch die zusätzlichen Fahrten zu und von den Märkten wieder mehr Umsatz zu generieren“, betont Kroker. Dem Freistaat steht ein harter Pandemie-Winter bevor, die Staatsregierung hat erneut strenge Corona-Regeln durchgesetzt. Die Hoffnung der Taxibranche? Bloß kein weiterer Lockdown. Kroker erinnert sich mit Grauen an den vergangenen Winter. „Die Ausgangsbeschränkungen haben uns sehr hart getroffen“, sagt er. So seien in normalen Winternächten durchschnittlich 600 bis 800 Taxis im Stadtgebiet unterwegs. Im Januar 2021 waren es manchmal nur 80, also zehn Prozent des sonst üblichen Aufkommens. Kroker: „Ohne Touristen und Geschäftsreisende ist die Gastronomie unser Brot- und Buttergeschäft. Wenn diese geschlossen ist, bricht ein erheblicher Teil unserer Kundengruppen weg.“ Immerhin: Sommer und Herbst liefen ordentlich, auch wenn beispielsweise die Absage der Wiesn schmerzhaft war.
18:50 Uhr, Münchner Freiheit
Der Verkehr kriecht von Ampel zu Ampel, die rund 2,5 Kilometer lange Strecke über die Leopoldstraße bis zur Münchner Freiheit dauert fast 20 Minuten. Kein Wunder: Die Corona-Pandemie hat die Mobilität der Menschen verändert. Das zeigen Umfragen und Studien. Wer kann, fährt mit dem eigenen Auto und meidet die öffentlichen Verkehrsmittel Bus und Bahn.
Thomas Kroker: „Den Taxiführerschein habe ich 1990 gemacht. Anschließend bin ich 13 Jahre Taxi gefahren, erst in Trostberg, anschließend in München. 2000 bin ich zur Taxi München eG gewechselt und habe in verschiedenen Positionen gearbeitet: Zunächst als Funker, dann als Schichtleiter, später als Leiter der Taxizentrale. In dieser Zeit ist kaum eine Woche vergangen, in der ich nicht mindestens einen halben Tag selbst Taxi gefahren bin. Seitdem ich 2019 zum Vorstand gewählt wurde und mehrere Ehrenämter übernommen habe, zum Beispiel als Vorsitzender des Landesverbands Bayerischer Taxi- und Mietwagenunternehmen, schaffe ich es nur noch einmal alle vier bis acht Wochen hinters Steuer. Warum ich mir die Zeit nehme? Ich möchte den Kontakt zur Basis nicht verlieren. Einerseits zu den Fahrgästen, schließlich möchte ich wissen, was sie bewegt und was sie über das Taxigewerbe denken. Andererseits möchte ich die Sorgen und Nöte der Kolleginnen und Kollegen aus erster Hand erfahren und hören, wo es Probleme gibt.“
Die Stimmung bei den Taxifahrerinnen und -fahrern sei im Oktober und in den ersten Novembertagen sehr gut gewesen, berichtet Kroker. Viele Veranstaltungen fanden statt, das Nachtleben kehrte zurück. Die Menschen strömten wieder in die Clubs und Bars, die Zahl der Fahrgäste stieg entsprechend an. „Endlich wieder normaler Betrieb“, sagt Kroker. Nun ist die Euphorie verschwunden: Wenn die Fahrer am Taxistand zusammenkommen, bestimmt der im Raum stehende erneute Lockdown die Gespräche. Ebenfalls heiß diskutiert: Kommt es zu einer Impfpflicht für die Taxler? Ein Großteil, aber nicht alle Fahrer sind geimpft. „Wir würden eine Impfplicht grundsätzlich begrüßen, damit sich die Fahrgäste sicher fühlen können“, erläutert Kroker die Position des Taxiverbands.
Ein weiteres Thema ist die 3G-Regel für öffentliche Verkehrsmittel wie Bahn und Bus. Nach Plänen der Regierung sollen nur Geimpfte, Genesene und Getestete mitfahren dürfen. Für Taxis gilt diese Vorschrift wohl nicht, der Vorstand der Genossenschaft hält das auch für wenig praktikabel: „Eine Kontrollpflicht der Fahrgäste ist weder Aufgabe noch Kompetenz von Taxifahrern. Außerdem fürchte ich um die Gesundheit der Kollegen, wenn sie aufgrund der 3G-Regel beispielsweise alkoholisierten Menschen die Fahrt verweigern müssen.“
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19:15 Uhr, Mittlerer Ring
Thomas Kroker: „Um diese Zeit läuft der Verkehr meistens flüssig. Aber man muss seine Grenzen kennen: Wenn es sich bereits beim Auffahren staut, ist es sinnvoll, auf alternative Routen auszuweichen. Schließlich ist es unsere Aufgabe, die Passagiere nicht nur sicher, sondern auch schnell an ihr Ziel zu bringen. Als Taxifahrer sollte man die Stadt sehr gut kennen. Deswegen mussten wir lange Zeit eine Ortskundeprüfung absolvieren, ich selbst habe als Ausbilder in der Taxischule rund 2.000 Fahrerinnen und Fahrer auf den Test vorbereitet. Mittlerweile ist die Prüfung abgeschafft und durch eine Fachkundeprüfung ersetzt worden, zudem sind seit diesem Jahr Navigationsgeräte in Taxis obligatorisch. Ich bin kein Fan von Navis. Warum? Wenn ich in ein Restaurant gehe und ein Schnitzel bestelle, sollte der Koch nicht erst ins Rezeptbuch schauen müssen, wie er das Gericht zubereitet. Und wenn ich in ein Taxi steige und zum Hauptbahnhof möchte, kann ich schon erwarten, dass der Fahrer den besten Weg dorthin kennt.“
Die Taxischule ist nur eine der Dienstleistungen der Taxi München eG. Das Unternehmen hat sich in seiner über 100-jährigen Geschichte von einer Einkaufsgenossenschaft zu einem umfassenden Servicedienstleister entwickelt. Mit Erfolg: Die 1.600 Mitglieder betreiben etwa 3.000 der 3.330 in München gemeldeten Taxis. Pro Jahr gibt es 8,5 Millionen Aufträge. Noch immer steigen viele Menschen an den Taxiständen zu oder bestellen ihre Fahrt klassisch per Telefon. Zudem werden Bestellungen per Smartphone immer wichtiger. Die Taxi München eG hat darauf reagiert und sich mit anderen Taxizentralen zur Taxi Deutschland eG zusammengeschlossen. Zentrales Angebot ist die App „Taxi Deutschland“, mit der die Nutzerinnen und Nutzer bundesweit in Städten mit mehr als 5.000 Einwohnern Taxis anfordern können.
Weitere beispielhafte Leistungen der Genossenschaft: Sie berät bei Rechtsfragen, wickelt auf Wunsch den Zahlungsverkehr der Mitglieder ab und hilft bei der Fahrzeugbeschaffung. „Wir verstehen uns als umfassender Servicedienstleister, der die Interessen einerseits der Taxiunternehmer und anderseits der Bürgerinnen und Bürger möglichst in Einklang bringen möchte, zum Beispiel durch eine schnelle Vermittlung“, sagt Kroker. Zudem versucht die Taxi München eG, ihr Portfolio laufend sinnvoll zu ergänzen. Lange Zeit hat die Genossenschaft eine eigene Tankstelle unterhalten, aus wirtschaftlichen Gründen wurde der Betrieb eingestellt. Es gibt Überlegungen, auf dem Parkplatz der Zentrale mehrere Schnellladesäulen für E-Taxis aufzustellen, allerdings können die Stadtwerke aktuell noch nicht den benötigten Strom liefern.
„Einmal bin ich bis nach Hamburg gefahren.“
19:30 Uhr, Schloss Nymphenburg
Thomas Kroker: „Taxifahrer erleben im Alltag regelmäßig skurrile Begebenheiten. Mir ist zum Beispiel Folgendes passiert: 1991, als ich noch in Trostberg Taxi gefahren bin, ist eine junge Frau zum Taxistand gekommen. Sie käme mit ihrem Mann nicht mehr zurecht und wollte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit ihrem Sohn sowie ihrem Hab und Gut nach Bad Bergzabern bei Karlsruhe gefahren werden. Dort wohnte ihre Schwester. Wir haben uns auf einen Fahrpreis von 800 Mark geeinigt. Ich habe sie dann mit dem Taxibus abgeholt, wir haben ihre Sachen verstaut und sind losgefahren. Bei Kirchheim unter Teck auf der A8, kurz vor Stuttgart, überholt uns plötzlich ein weißer Audi und bremst uns aus. Als wir auf dem Standstreifen stehen, steigt der Ehemann aus und läuft zum Taxi. Er hatte uns erkannt, weil auf dem Kleinbus ,Taxi Trostberg‘ stand. Glücklicherweise hat eine Polizeistreife die Situation beobachtet und ebenfalls angehalten. Die Beamten haben dem Mann klar gemacht, dass sie ihn festnehmen würden, wenn er die Frau nicht in Ruhe ließe. Wir sind weiter gefahren und kurz vor Mitternacht in Bad Bergzabern angekommen. Bei strömendem Regen haben wir den Wagen ausgeladen und ich bin direkt zurück nach Hause gefahren. Ich war voller Adrenalin und hätte definitiv nicht schlafen können. Das war übrigens nicht meine weiteste Fahrt: 2006 bin ich bis nach Hamburg gekommen. Drei Ingenieure eines international tätigen Konzerns wollten von dort nach Shanghai fliegen, hatten allerdings in München ein wichtiges Bauteil für ihr Projekt vergessen. Also bin ich um 17 Uhr losgefahren, gegen Mitternacht war ich in Hamburg und habe das Teil im Hotel abgeliefert. Zum Spaß bin ich noch auf die Reeperbahn gefahren und habe dort ein Foto mit mir und dem Taxi machen lassen. Die Kollegen haben ganz schön blöd aus der Wäsche geguckt, als ich ihnen das Bild gezeigt habe. Für die Fahrt habe ich – wenn ich mich richtig erinnere – 1.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer erhalten.“
Während bei langen Touren, wie im Extrembeispiel bei der Fahrt von München nach Hamburg, Fahrgäste und Taxifahrer den Preis verhandeln können, gibt es in Deutschland ansonsten die sogenannten Pflichtfahrgebiete. In München betrifft diese Regelung das Stadtgebiet plus die umgrenzenden Landkreise. Innerhalb dieser Zone gelten die vom Stadtrat festgelegten Gebühren und Bedingungen. Seit März 2021 beträgt der Grundpreis 4,70 Euro (ab 2022: 4,80 Euro), pro Kilometer kommen 2,00 Euro (ab 2022: 2,10 Euro) hinzu. Zudem gibt es Festpreise: Eine Fahrt zwischen Hauptbahnhof und Flughafen kostet 79 Euro, eine Fahrt von der Messe zum Hauptbahnhof schlägt mit 35 Euro zu Buche. Die Zuschläge für Bestellung, Gepäck oder Haustiere sind gestrichen worden.
„Die neuen Tarife sind kundenfreundlicher und transparenter. Viele Fahrgäste hatten wenig Verständnis für die Zuschläge“, sagt Kroker. Ob die Preise auf dem Niveau bleiben? Das hängt zu einem großen Teil auch von der neuen Bundesregierung ab, die den Mindestlohn auf zwölf Euro erhöhen will. „Ein höherer Mindestlohn ist ein zweischneidiges Schwert“, sagt Kroker. Denn auf der einen Seite sind die Lebenshaltungskosten in den vergangenen Jahren gestiegen, laut dem Vorstand ist es für einen Solo-Fahrer schwer, mit seinem Gehalt eine Familie zu versorgen. Auf der anderen Seite müssten dann als Konsequenz die Tarife erhöht werden, was erfahrungsgemäß bei der Kundschaft nicht gut ankommt. „Das Thema wird uns auf jeden Fall vor einige Herausforderungen stellen“, sagt Kroker.
19:45 Uhr, Neuhausen-Nymphenburg
Kroker: „In dieser Gegend bin ich gerne unterwegs, meistens ein sehr angenehmes Klientel. Normalerweise haben wir Taxifahrer keine Stammkunden, schließlich können wir nicht einfach mal leer durch die halbe Stadt fahren, nur um einen Patienten einen Kilometer in die Klinik zu bringen. Doch es gibt Ausnahmen: Manche brauchen einen Fahrer, dem sie vertrauen und der weiß, was sie benötigen. Ein Beispiel sind Dialysepatienten, die mehrmals in der Woche zur Blutwäsche müssen. Bei so regelmäßigen Terminen entstehen häufig enge Bindungen, schließlich bekommt man hautnah mit, wie es den Menschen geht. Am schlimmsten ist es, wenn man zur vereinbarten Zeit an der Tür klingelt und niemand öffnet. Dann hat man schon eine Vorahnung und ruft Polizei und Feuerwehr an. Wenn die die Tür aufbrechen und mit gesenktem Kopf wieder aus der Wohnung kommen, weiß man, dass die Person gestorben ist. Das geht einem schon sehr nahe. So ist das Leben als Taxifahrer: Manchmal geht es montagmorgens zu einem langjährigen Stammkunden, der in der Nacht plötzlich verstorben ist. Anschließend fährt man ein glückliches Paar zur Trauung auf das Standesamt. Und der nächste Fahrgast muss zum Gericht und fürchtet sich davor, ins Gefängnis zu kommen. Darauf muss man sich einstellen.“
Für Thomas Kroker ist Taxifahren mehr als ein Beruf. „Es ist ein Mix aus der Bereitschaft zur Dienstleistung, der Fähigkeit, im Großstadtverkehr sicher Auto zu fahren, und der Empathie für die unterschiedlichen Befindlichkeiten der Fahrgäste. Ein Taxifahrer ist Chauffeur, Psychologe, Beichtvater, Meinungsmultiplikator sowie Stadtführer“, sagt er. Gleichzeitig kämpft die Branche mit Nachwuchssorgen: Während der Corona-Pandemie haben sich viele Taxler umorientiert und zum Beispiel auf Paketbote umgesattelt. Schließlich bestellen immer mehr Menschen ihre Waren online, Unternehmen wie DHL oder Hermes stellen fleißig ein. „Wenn die Pandemie im kommenden Sommer vorbei sein sollte, und beispielsweise wieder Großveranstaltungen wie die Wiesn stattfinden, dann werden wir mit erheblichen Personalengpässen zu kämpfen haben“, prognostiziert Kroker.
20:30 Uhr, Türkenstraße
Zurück am Ausgangspunkt. Bevor Thomas Kroker in die Nacht entschwindet, ist ihm noch eine Botschaft wichtig: „Im Lockdown im vergangenen Winter haben schon einige Taxifahrerinnen und -fahrer aufgegeben, bei anderen stand es Spitz auf Knopf. Für den anstehenden Corona-Winter brauchen wir klare Regeln, um unsere Rolle im öffentlichen Personennahverkehr ausfüllen zu können. Dazu gehört beispielsweise, Schülerinnen und Schüler sowie Kranke und Menschen mit Behinderung zu befördern. Das ist wichtig, weil wir wegen der Pandemie auf die üblichen Umsätze aus Tourismus, Messen und Christkindlmärkten verzichten müssen. Da geht es für viele Taxifahrer um das berufliche Überleben.“