Omnikanal: Genossenschaftliche Handelsunternehmen kombinieren digitalen Service mit der Präsenz ihrer Mitglieder vor Ort. Auf welche Weise lassen sich solche Prozesse erfolgreich einführen?
Alles, aber auch wirklich alles, was die Bäcker und Konditoren rund um München für ihre Weihnachtsbäckerei brauchen, findet sich am Lindenring 1 in Taufkirchen bei München. Von außen wirkt das Logistikzentrum der BÄKO München Altbayern und Schwaben eG aus den 1970er Jahren grau und zweckmäßig, doch was zählt, sind die inneren Werte. Torsten Schmidt bittet zur Besichtigung. Mehl, Butter, Milch, Sahne, Quark, Hefe, Nüsse, Mandeln, Lebkuchengewürze, Feigen und Datteln stapeln sich in Säcken, Kisten, Eimern, Flaschen und Dosen bis unter die Decke. „Wir haben 6.500 Artikel auf Lager und versorgen unsere Mitglieder mit allem, was sie brauchen – sogar die Tonpfeifen für die weihnachtlichen Weckmänner aus Hefeteig gibt es bei uns“, sagt der Logistikleiter der Einkaufsgenossenschaft für Bäcker und Konditoren.
Was bei einem normalen Haushalt die Vorratskammer mit Kühlschrank und Tiefkühltruhe ist, braucht bei der BÄKO in Taufkirchen etwas mehr Platz. Alleine das Lager für das Trockensortiment – beispielsweise Mehl, Nüsse oder auch Putzmittel – würde fast das Innere der Allianz Arena füllen. Die haushohen Regale verbinden sich mit den 24 Gängen zu einem riesigen Labyrinth. Die beiden Hallen für Frischwaren und Tiefkühlprodukte sind mit ihren jeweils vier Gängen kleiner, aber jede für sich braucht immer noch die Fläche eines Eishockey-Felds. Insgesamt erstreckt sich das Lager der BÄKO in Taufkirchen über gut 11.000 Quadratmeter. Während die Frischwaren – etwa alle Milchprodukte sowie Hefe – auf circa vier Grad gekühlt werden, wird es im Tiefkühlbereich extrem frostig. Minus 23 Grad zeigt die Temperaturanzeige mit roten Leuchtbuchstaben an. Eine Luftschleuse verhindert, dass die eisige Luft entweicht. „Hier arbeiten wir nur mit Mütze und dicken Handschuhen“, sagt Schmidt.
Von seinem Büro aus kann der Logistikleiter den Betrieb in der großen Lagerhalle gut überblicken. Bis zu 22 Kommissionierer wuseln mit ihren gelben Elektrohubwagen durch die Gänge, um die bestellte Ware für die Mitglieder der BÄKO zusammenzustellen. In Schlangenlinien fahren sie die Regale ab, um möglichst effizient voranzukommen. Doch auch das kann dauern. „Wenn ich alle Gänge abfahre, bin ich auch ohne Stopp mindestens fünf Minuten unterwegs“, sagt Schmidt. Drei sogenannte Rollboxen mit Seitengittern, wie man sie auch aus der Supermarkt-Logistik kennt, können die Fahrzeuge transportieren.
Nachdem der Lagerdisponent die Bestellungen zusammengestellt hat, erhalten die Kommissionierer ihre Aufträge über Kopfhörer von einem digitalen Sprachassistenten direkt aus dem Warenwirtschaftssystem. „Pick by Voice“ heißt das in der Logistik. Die Computerstimme sagt erst Regal- und Fachnummer an und dann die Menge der aufzunehmenden Ware. Damit auch wirklich das richtige Packstück (oder „Colli“ im Logistik-Fachjargon) in der richtigen Anzahl auf den Rollbehälter kommt, muss der Kommissionierer die Angaben des Sprachassistenten bestätigen und eine zum jeweiligen Fach gehörige Prüfnummer nennen.
Nachmittags bestellt, frühmorgens geliefert
Sobald neue Ware im Logistikzentrum ankommt, wird diese geprüft und gezählt. Dann weist das Warenwirtschaftssystem der neuen Lieferung einen Regalplatz zu, bis diese zur Abholung durch die Kommissionierer bereitgestellt wird. Regalplatz und Abholplatz liegen dabei nicht zwingend direkt neben- oder übereinander. „Theoretisch kann der Lagerplatz auch ganz woanders sein. Solange das System weiß, wo sich die Ware befindet, ist alles gut. Das ist sozusagen organisiertes Chaos“, sagt Schmidt. Das System leitet den Staplerfahrer zum richtigen Platz. Weil jede Palette im Wareneingang mit einem Strichcode versehen wurde, kann der Fahrer die Ware auch richtig zuordnen. „In der Logistik und in unserem Warenwirtschaftssystem steckt wahnsinnig viel EDV. Das ist manchmal Fluch und Segen zugleich, aber ohne IT-Unterstützung könnten wir nie die Mengen umschlagen, wie wir es tun“, sagt Schmidt.
Auch die Mitglieder bestellen ihre Waren mittlerweile digital. Dafür stellt ihnen die BÄKO auf ihrer Webseite ein umfangreiches Bestell- und Informationssystem zur Verfügung, das direkt mit dem Warenwirtschaftssystem verknüpft ist. Zusätzlich nehmen auch der Außendienst vor Ort und der Verkaufsinnendienst telefonisch Bestellungen auf. Weil die Mitarbeiter nicht erst lange Listen in den PC übertragen müssen, kann die BÄKO im besten Fall innerhalb von zwölf Stunden liefern. „Wenn der Verkaufsdienst nachmittags um zwei Uhr den Bäcker anruft und dessen Bestellung aufnimmt, dann ist die Ware schon da, wenn er nachts um zwei Uhr in die Backstube geht“, sagt Schmidt.
Ein Kommissionierer stellt täglich die Ware für rund 50 Mitglieder zusammen – vormittags ist das Trockensortiment an der Reihe, nachmittags die Produkte aus dem Frischdienst. Dabei bewegt jeder Kommissionierer jeden Tag zwischen 1.000 und 2.000 Packstücke, deren Gewicht sich auf bis zu zehn Tonnen summiert – ein Kraftakt auch im Wortsinn. „Wir haben ,Pick by Voice‘ 2006 eingeführt und viel Zeit in das System investiert, um es zu optimieren. Inzwischen haben wir den Bogen raus“, berichtet Schmidt. Er ist stolz auf seine Mitarbeiter – nicht nur auf das Team im Lager, sondern auch auf die Mitarbeiter im Büro. Diese disponieren die Ware und koordinieren auch noch den ganzen Tagesablauf. „Sie alle müssen immer hochkonzentriert bleiben, damit die Mitglieder ihre Lieferung stets in der gewohnten Qualität erhalten.“
Pro Jahr 65-mal um die Erde
Logistikleiter Torsten Schmidt hat ein paar Zahlen herausgesucht, um deutlich zu machen, was die BÄKO München Altbayern und Schwaben eG für ihre Mitglieder leistet:
- Die BÄKO beliefert 990 Mitglieder mit rund 1.150 Betriebsstätten.
- Über 50 eigene Lkw sind Nacht für Nacht unterwegs, um die Mitglieder mit Tiefkühlware und Frischdienstprodukten zu beliefern. Davon startet die Hälfte am Zentrallager in Taufkirchen, die anderen an den Standorten Augsburg und Straubing. Das Trockensortiment wird von einem Subunternehmer der BÄKO geliefert.
- Die Kommissionierer nehmen über alle drei Standorte hinweg 6,3 Millionen Packstücke pro Jahr in die Hand.
- Gefahren wird von Montag bis Freitag. Pro Tag kommen 48 Touren zusammen.
- Bei jeder Tour werden zwischen 16 und 22 Mitglieder beliefert.
- Dabei legen die Fahrer jedes Jahr insgesamt rund 2,6 Millionen Kilometer zurück. Das würde reichen, um 65-mal die Erde zu umrunden.
- Im vergangenen Jahr lieferte die BÄKO Waren mit einem Gesamtgewicht von 61.500 Tonnen aus.
- Im Logistikzentrum Taufkirchen befinden sich 6,3 Millionen Packstücke, verteilt auf 17.400 Paletten-Stellplätze.
- Vor Weihnachten liegt der Warenwert in den Logistikzentren Taufkirchen, Augsburg und Straubing bei fast elf Millionen Euro, davon allein sieben Millionen Euro in Taufkirchen.
Die gute deutsche Markenbutter darf nicht fehlen
In der Vorweihnachtszeit haben es die Kommissionierer besonders eilig. „Das sind neben der Faschingssaison die wichtigsten Wochen für unsere Mitglieder“, sagt Helmut Wiedemann, geschäftsführender Vorstand der BÄKO München Altbayern und Schwaben. Das spüre die BÄKO beim Umsatz und der deutlich höheren Produktnachfrage. Der Unterschied zur privaten Weihnachtsbäckerei sei dabei nicht sehr groß, berichtet Wiedemann. „Die Menschen wollen in der Adventszeit Stollen, Plätzchen und Lebkuchen. Unsere Mitglieder ordern deshalb verstärkt Haselnusskerne, Mandeln, Sultaninen und Trockenfrüchte von Aprikosen über Feigen und Datteln bis zu Dörrbirnen. Und natürlich darf auch die gute deutsche Markenbutter nicht fehlen“, sagt der geschäftsführende BÄKO-Vorstand.
Logistisch startet die Weihnachtssaison der BÄKO schon im September, wenn die Mitglieder anfangen, ihre Lager aufzufüllen. Die meisten Waren werden im Oktober und im November geliefert. „Dem Trend des Einzelhandels, Weihnachtsartikel wie Lebkuchen schon ab Mitte September in die Läden zu bringen, folgt das traditionelle Handwerk eher nicht“, sagt Wiedemann. Normalerweise griffen die Verbraucher erst ab November beherzt bei diesem Sortiment zu.
Im Einkauf heißt es dagegen bei der BÄKO: Nach der Saison ist vor der Saison. Bereits im Frühsommer fragen die Mitarbeiter der Genossenschaft den Bedarf der Mitglieder ab. Zusätzlich informieren sie über Preisentwicklungen und Warenverfügbarkeit. „Wir bündeln die Nachfrage und besorgen dann auch nur die Mengen, die tatsächlich benötigt werden“, sagt Wiedemann. „Dabei entdecken wir immer wieder Innovationen in der Weihnachtsbäckerei. Zuletzt waren etwa Macadamia-Nüsse oder neue Schokoladensorten wie Ruby-Schokolade sehr gefragt. Diese Trends decken wir natürlich mit unserem Angebot ab“, sagt Wiedemann.
Eine weitere wichtige Aufgabe der BÄKO ist es, die Verfügbarkeit der Ware zum richtigen Zeitpunkt in der gewünschten Qualität sicherzustellen. Das gehöre zu den klassischen Leistungen des genossenschaftlichen Großhandels, sei aber trotzdem nicht ganz trivial, wie Wiedemann bemerkt. „In der Weihnachtssaison werden ganz spezifische Produkte geordert, die sonst nicht nachgefragt werden. Die Herstellung dieser Waren fällt aber nicht mit der Weihnachtszeit zusammen.“ Ein Beispiel seien getrocknete Feigen. Nach der Ernte im Spätsommer werden diese über den Winter getrocknet, sodass die süßen Früchte erst ab dem Frühjahr des Folgejahres verfügbar sind. „Die unterschiedlichen Zeitpunkte von Angebot und Nachfrage haben unsere Einkäufer aber genau im Blick“, sagt Wiedemann.
Weil sie in der Weihnachtsbäckerei ihr ganzes Können präsentieren können, legen die Bäcker und Konditoren äußerst großen Wert auf eine hochqualitative Ware – auch, um sich vom billigen Discount abzusetzen. „Wir bilden hier ein sehr breites Sortiment ab und können unseren Mitgliedern neben Rohstoffen im unteren Preissegment auch die besondere Qualität für besondere Ansprüche anbieten. Dazu beraten und informieren wir unsere Mitglieder, denn viele dieser hochqualitativen Artikel schwanken stark im Preis. Hier gilt es, mit viel Fingerspitzengefühl, die beste Ware zum besten Preis auszuwählen“, sagt Wiedemann.
Sobald die Kommissionierer ihre Arbeit erledigt haben, stellen sie die Rollboxen in der Bereitstellungszone auf vorbestimmte Positionen. Das sieht ein bisschen so aus wie Stau auf einer Autobahn: Viele Wagen warten darauf, dass es endlich weitergeht. Zwei Fuhrpark-Disponenten planen die Touren und die Verteilung der Rollboxen auf die Lkw. In der Weihnachtszeit haben auch sie gut zu tun. „Jedes Mitglied bestellt etwas mehr. Dadurch werden die Lkw voller. Statt vier bis fünf Tonnen haben sie im Frischdienst dann vielleicht sechs Tonnen geladen. Das ist vor allem ein großer Volumenzuwachs“, berichtet Logistikleiter Schmidt.
Draußen stehen derweil die Frischdienst-Lkw mit brummenden Kühlaggregaten in Reih und Glied an der Laderampe, bis sie beladen werden. Die Tiefkühlkost befindet sich bereits an Bord, während die Fahrer ab Mitternacht noch die Rollboxen mit den Frischdienst-Produkten über die Rampe auf die Ladefläche rollen und dort an den Seitenwänden fixieren. Spätestens um ein Uhr nachts rollen sie vom Hof. An Bord sorgen modernste Assistenzsysteme wie etwa ein Abbiegeassistent für mehr Sicherheit beim Fahren und für eine reibungslose Navigation, sodass sich die Fahrer voll auf die Straße konzentrieren können. „Die Route mit allen Stopps wird dem Fahrer direkt vom Disponenten auf sein Navi gespielt. Er kann also losfahren, ohne sich vorher über die Strecke Gedanken zu machen. Man muss den Fahrern schon etwas bieten, schließlich sollen sie sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen“, sagt Schmidt.
Rund acht Jahre bleibt ein Lkw bei der BÄKO, dann wird er ersetzt. Neue Lastwagen zu kaufen und mit den Herstellern zu verhandeln, fällt in den Aufgabenbereich von Schmidt. „Das macht Spaß und bringt Abwechslung in den beruflichen Alltag – abgesehen davon, dass sich die Fahrer immer wahnsinnig freuen, wenn sie einen neuen Lkw zugeteilt bekommen. Dafür werden die Fahrzeuge von den Fahrern auch immer bestens gepflegt.“
Schmidt klettert wieder aus dem Lkw-Führerhaus, das er dem Besucher vorgeführt hat. Inzwischen ist es dunkel geworden. Auch in den Hallen ist Stille eingekehrt, die gelben Elektrohubwagen hängen an ihren Ladestationen. Hie und da surrt noch ein Mitarbeiter mit einem Bodenreinigungsfahrzeug durch die Gänge. Erst in wenigen Stunden wird die Szenerie wieder zum Leben erwachen, wenn Lkw für Lkw vom Hof rollt. „… alles für Bäcker und Konditoren“, steht außen auf der Bordwand der BÄKO-Lastwagen. Bevor der Logistikleiter nach Hause geht, schaut er nochmal in seinem Büro vorbei, um einen letzten Blick auf die Planung für den nächsten Tag zu werfen. Die Kommissionierer, Disponenten und Fahrer werden wieder viel zu tun haben. Die Mitglieder brauchen Nachschub für Stollen, Plätzchen und Lebkuchen. „Wir sind bereit“, sagt Schmidt.