Internethandel: Banken sollen nach dem Willen der EU-Kommission Online-Zahlungen an die Finanzämter melden. Doch der Nutzen dieses Vorhabens ist zweifelhaft.
Die Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer) ist die am stärksten harmonisierte Steuer in der Europäischen Union. Grundlage ist die Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) von 1993. Sie sieht unter anderem vor, dass grenzüberschreitende Lieferungen im innereuropäischen Warenverkehr in zwei getrennte Steuertatbestände aufgeteilt werden: die steuerfreie „innergemeinschaftliche Lieferung“ im Ursprungsland und der „innergemeinschaftliche Erwerb“ im Bestimmungsland, auf den Mehrwertsteuer erhoben wird.
Allerdings war Europa Anfang der 1990er Jahre weder politisch noch technisch für eine echte Binnenmarktbesteuerung bereit. Die derzeitigen EU-Mehrwertsteuervorschriften galten deshalb von Beginn an als Übergangsregelung bis zur Umsetzung eines endgültigen, einheitlichen Rahmenwerks. Die EU hat deshalb beschlossen, das europäische Mehrwertsteuersystem und die Mehrwertsteuersystemrichtlinie bis 2022 grundlegend zu modernisieren. So will sie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen auf den Weltmärkten fördern und den Binnenmarkt stärken. Gleichzeitig sollen die neuen Regeln robuster, einfacher und vor allem weniger betrugsanfällig werden. Jährlich prellen kriminelle Unternehmer die EU-Mitgliedsländer bei der Mehrwertsteuer durch grenzüberschreitende „Karussellgeschäfte“ um rund 50 Milliarden Euro.
Die ersten Änderungen der Mehrwertsteuerreform – die sogenannten „Quick Fixes“ – sollten ursprünglich bereits zum 1. Januar 2019 in Deutschland in Kraft treten. Doch der Gesetzgeber konnte diesen Termin nicht halten. Nun ist es voraussichtlich am 1. Januar 2020 so weit, denn die Bundesregierung hat konkrete Entwürfe für die Umsetzung der Quick Fixes in deutsches Recht in das Jahressteuergesetz 2019 aufgenommen. Konkret wurden die Vorschriften für folgende Steuervorgänge überarbeitet:
- innergemeinschafliche Lieferung,
- innergemeinschaftliches Verbringen,
- Konsignationslager und
- Reihengeschäfte.
Die neuen Regelungen betreffen alle bayerischen Genossenschaften, die Waren aus dem EU-Binnenmarkt beziehen oder dorthin liefern. „Profil“ gibt einen Überblick, was sich alles ändert.
Innergemeinschaftliche Lieferung
Eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegt vor, wenn eine Warensendung von einem EU-Staat in einen anderen geliefert wird. Dabei muss der Käufer bestimmte Voraussetzungen erfüllen, beispielsweise muss er Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts sein. Außerdem muss die Besteuerung des Erwerbs in einem anderen Mitgliedsstaat sichergestellt sein. Diese Regelungen sollen zum 1. Januar 2020 verschärft werden. Ab diesem Zeitpunkt bleiben innergemeinschaftliche Lieferungen nur noch dann steuerfrei, wenn die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Käufers im europäischen Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem (MIAS) erfasst wird. Zudem muss der Lieferant prüfen, ob die Nummer zum Zeitpunkt der Lieferung beziehungsweise des Warenausgangs noch gültig ist.
Jedes Unternehmen, das am innereuropäischen Warenverkehr teilnehmen will, benötigt zur eindeutigen Kennzeichnung eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, damit die Umsatzsteuer korrekt abgeführt werden kann. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die sogenannte Zusammenfassende Meldung (ZM) an Bedeutung. Damit die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung als solche anerkannt wird, muss sie der Lieferant im Voranmeldezeitraum in der Zusammenfassenden Meldung zutreffend erfassen.
Innergemeinschaftliches Verbringen
Die neuen Vorgaben für die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung gelten gleichlautend für das sogenannte innergemeinschaftliche Verbringen als fiktive innergemeinschaftliche Lieferung. Dieser Fall liegt vor, wenn ein Unternehmer Waren zu seiner eigenen – nicht nur vorübergehenden – Verfügung in ein anderes EU-Land verbringt.
Der GVB informiert
Die Steuerberatung des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) informiert die Verbandsmitglieder fortlaufend über neue Entwicklungen bei der Reform des EU-Mehrwertsteuersystems. Die Mitgliederinformation kann kostenfrei unter steuer(at)gv-bayern.de abonniert werden. Daneben plant die GVB-Steuerberatung ein umfassendes Rundschreiben zu diesem Thema. Dieses richtet sich an alle Mitglieder und wird voraussichtlich Ende Dezember im geschlossenen Bereich der GVB-Webseite veröffentlicht. Dort sollen insbesondere die Neuerungen der EU-Mehrwertsteuerreform und deren Herausforderungen für die Praxis herausgestellt werden.
Konsignationslager
Ein Konsignationslager ist ein Warenlager des Lieferanten, das sich beim Kunden (Abnehmer) oder in dessen Nähe befindet. Die Ware verbleibt solange im Eigentum des Lieferanten, bis der Abnehmer sie aus dem Lager entnimmt. Dann geht das Eigentum auf den Abnehmer über.
Mit den Quick Fixes will der Gesetzgeber die EU-weit unterschiedliche Handhabung der Mehrwertsteuerregeln bei Konsignationslagern harmonisieren und gleichzeitig vereinfachen. Künftig geht der Gesetzgeber von einer direkten innergemeinschaftlichen Lieferung an den Kunden ohne vorheriges innergemeinschaftliches Verbringen durch den Lieferanten aus, sobald der Abnehmer die Ware aus dem Konsignationslager entnimmt. Dafür müssen die Unternehmen bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Umsatzsteuer-ID des beabsichtigten Abnehmers im Bestimmungsland dem Lieferanten bei Transportbeginn bekannt sein muss und der Lieferant den Transport in der Zusammenfassenden Meldung deklariert hat. Geschieht das nicht, gelten die alten Regeln. Die Unternehmen haben also faktisch die Wahl, ob sie die vereinfachten Regeln in Anspruch nehmen wollen. Für deutsche Unternehmen bleibt jedoch weiterhin die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur steuerrechtlichen Stellung der Lager untereinander relevant.
Reihengeschäfte
Ein Reihengeschäft liegt im Mehrwertsteuerrecht dann vor, wenn mehrere Unternehmen ein Geschäft über eine bestimmte Ware abschließen und diese dabei in einer Reihe vom ersten Lieferanten bis zum letzten Käufer versandt oder befördert wird. Beispiel: Eine Genossenschaft A in Deutschland bestellt einen PC (oder Getreide etc.) beim Unternehmen B in Polen. Dieses hat die Ware nicht vorrätig und ordert diese beim Großhändler C ebenfalls in Polen. Dadurch wird Unternehmen B ohne Wissen der Genossenschaft A zum Zwischenhändler. Die Ware gelangt vom Großhändler C auf direktem Weg zu Genossenschaft A.
Sobald die Ware in einen anderen EU-Staat gelangt, stellt sich die Frage, ob und inwieweit es sich dabei um eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung handelt. Die neuen Regeln betreffen insbesondere den Punkt, welchem Unternehmen die sogenannte „bewegte Lieferung“ zugeordnet wird und damit gegebenenfalls die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Grundsätzlich gilt die Lieferung an den Zwischenhändler, der den Transport veranlasst hat, als bewegte Lieferung. Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Wenn B den Transport von C an A veranlasst, ist die bewegte Lieferung die zwischen C und B. Weil die Lieferung zwischen C und B innerpolnisch ist, kann keine Steuerbefreiung in Anspruch genommen werden.
Hiervon kann abgewichen werden, wenn der Zwischenhändler (Unternehmen B) nachweist, dass er die Ware als Lieferant versendet oder befördert hat. In diesem Fall ist die Lieferung des Zwischenhändlers an dessen Kunden (B an A) die bewegte und damit gegebenenfalls steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung.
Unabhängig von diesem Nachweis kann die bewegte und damit steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nach den neuen Vorgaben dem Zwischenhändler B an dessen Kunden A zugeordnet werden, wenn dieser seinem Lieferanten C die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer seines Unternehmens im Ursprungsland mitteilt, bevor er den Transport ausführt. Damit hat der Zwischenhändler B ein echtes Wahlrecht unabhängig von der risikobehafteten Nachweisführung, dass er die Ware als Lieferant versendet oder befördert hat. Beispiel: Zwischenhändler B teilt dem Großhändler C seine polnische Umsatzsteuer-ID mit. Damit ist die Lieferung zwischen B und A die bewegte Lieferung – und weil diese über EU-Grenzen geht, damit auch steuerbefreit.
Die Neuregelung betrifft jedoch nicht die Fälle, in denen der Transport durch den ersten Lieferanten C oder den letzten Abnehmer A veranlasst wird. In diesen Fällen scheint die EU-Kommission die gleiche Auffassung zu vertreten wie die deutsche Finanzverwaltung. Damit wäre die bewegte und damit die innergemeinschaftliche Lieferung beim Transport durch den ersten Lieferanten die Lieferung an den ersten Zwischenhändler (C an B). Veranlasst der letzte Abnehmer den Transport, wird die Lieferung an den letzten Abnehmer (B an A) als bewegte und damit steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung klassifiziert.
Unsicherheit verbleibt bei Abholfällen. Sollte hier alles beim Alten bleiben, wäre weiterhin entscheidend, in welchem Land die Verfügungsmacht über die Ware an den letzten Abnehmer übertragen wurde. Ausgenommen von diesen Zuordnungsregeln sind Reihengeschäfte aus Drittländern in die EU und umgekehrt, da diese in der EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht unter die Definition der Reihengeschäfte fallen.
Ausblick
Bei allen Quick Fixes bleiben noch etliche Detailfragen offen, zum Beispiel zur tatsächlichen zeitlichen Umsetzung. Trotzdem ist schon jetzt zu erkennen, dass nahezu alle grenzüberschreitenden Warenverkehre von den Mehrwertsteueränderungen betroffen sind – und damit auch alle bayerischen Genossenschaften, die in der EU Handel betreiben. Enormer Handlungsbedarf besteht besonders bei der Erfassung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummern der Geschäftspartner. In diesem Zusammenhang sollten sich die betroffenen Unternehmen mit Abfrage- und Monitoring-Prozessen beziehungsweise einem internen Kontrollsystem für Steuern intensiv auseinandersetzen. Die Steuerberatung des GVB bietet den Verbandsmitgliedern dabei ihre Unterstützung an. Kontakt: steuer(at)gv-bayern.de, 089 / 2868-3800.
Veronika Schnellinger ist Steuerberaterin beim Genossenschaftsverband Bayern.