Umverteilung: Der extreme geldpolitische Kurs der EZB hat den Deutschen bis heute Netto-Zinseinbußen von über 300 Milliarden Euro beschert. Das hat die DZ Bank berrechnet.
Herr Gros, warum trifft die EZB-Niedrigzinspolitik die Regionalbanken besonders hart?
Jürgen Gros: Es sind alle Banken betroffen. Insbesondere vom Investitionsumfeld, das die EZB-Niedrigzinspolitik geschaffen hat. Das wirkt sich auf das Geschäftsmodell der Volksbanken und Raiffeisenbanken besonders aus. Denn sie sammeln Einlagen in der Region ein und reichen diese als Kredite wieder aus. Und obwohl die Genossenschaftsbanken in den vergangenen Jahren ihr Kreditgeschäft ausgeweitet haben, haben sie einen erheblichen Einlagenüberschuss. Das Problem ist also, wie die Banken ihrerseits dieses Geld anlegen sollen.
Weshalb ist das denn ein Problem?
Gros: Die Geldpolitik und das Anleihekaufprogramm der EZB macht es für Banken zunehmend schwerer, rentierliche Anlagen zu finden. Neben dem „Parken“ des Geldes bei der EZB, wofür ab einer bestimmten Höhe Strafzinsen anfallen, bleiben vor allem noch Staats- oder Unternehmensanleihen. Aber auch diese sind negativ oder gar nicht verzinst. Das engt die Möglichkeiten massiv ein.
„Derzeit ist es für die Banken unattraktiv, frisches Geld einzusammeln.“
Das ist dann auch der Grund dafür, warum einzelne Banken mittlerweile Negativzinsen für Neukunden ab dem ersten Euro erheben. Werden solche Verwahrentgelte zur Normalität?
Gros: Wenn Negativzinsen auf Neukunden zielen, dann geht es um jene, die versuchen, Geld zu parken, für das sie auch anderswo Verwahrentgelte bezahlen müssen. Derzeit ist es für die Banken unattraktiv, frisches Geld einzusammeln. Wer allerdings mit einer Kreditgenossenschaft zudem andere Geschäfte abwickeln will – sei es die Immobilienfinanzierung oder Wertpapiergeschäfte oder Versicherungen –, ist weiterhin auch als Neukunde willkommen.
Werden künftig weitere Banken diesen Schritt gehen?
Gros: Die Banken sitzen alle in einem Boot. Leitgedanke jedes Handelns muss die kaufmännische Vernunft sein. Und eines ist völlig klar: Wenn Banken über Verwahrentgelte oder Ähnliches reden, geht es in der Regel um Einlagevolumina im sechs- oder siebenstelligen Bereich. Der durchschnittliche Sparer bei den Genossenschaftsbanken hat so viel Geld gar nicht auf seinem Tagesgeldkonto liegen.
Was können Sparer machen, um solchen Gebühren zu entgehen, wenn es sie denn trifft?
Gros: Für die Banken sind besonders Sichteinlagen teuer, also Geld, das etwa auf Giro- oder Sparkonten liegt. Was viele vergessen: Es gibt trotz Niedrig- oder Negativzinsumfeld noch immer Geldanlagen, die vergleichsweise ansehnliche Renditen bieten. Das können Wertpapiere sein, ebenso wie Fonds. Aber auch im Versicherungsgeschäft gibt es noch immer attraktive Alternativen zum klassischen Sparbuch oder Festgeldkonto. Anlageentscheidungen sind immer individuell. Da kann ich jedem nur raten, sich an seinen Bankberater zu wenden.
„Die Kreditgenossenschaften sind ein Stabilitätsanker der deutschen Finanzwirtschaft. Es wäre ein Fehler, sie jetzt dadurch zu schwächen, dass man sie in eine europäische Einlagensicherung zwingt.“
Die Finanzkrise wurde ausgelöst, weil Banken zu hohe Risiken eingegangen sind. Droht uns ein solches Szenario jetzt wieder?
Gros: Die Finanzbranche heute ist deutlich solider aufgestellt als vor zehn Jahren. Und auch die Regulatorik setzt Grenzen. Zwei Punkte sind mir hier wichtig: Deutschland hat funktionierende Einlagensicherungssysteme. Die Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken dürfen dabei auf das in über 80 Jahren bewährte Institutssicherungssystem vertrauen. Die Kreditgenossenschaften sind ein Stabilitätsanker der deutschen Finanzwirtschaft. Es wäre ein Fehler, sie jetzt dadurch zu schwächen, dass man sie in eine europäische Einlagensicherung zwingt. Das würde bedeuten, dass sie die Zeche für ein Versagen zahlen müssten, das andere zu verantworten haben.
Die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde will die lockere Geldpolitik ihres Vorgängers Mario Draghi fortsetzen. Haben Sie für diesen Kurs Verständnis?
Gros: Ganz klar ist, die EZB hat Banken wie Sparern die derzeitige Misere eingebrockt. Lamentieren hilft nicht. Es stellt sich aber schon die Frage, ob das berühmte EZB-Inflationsziel von „nahe aber unter zwei Prozent“ richtig gesetzt ist und ob die Annahmen der EZB zur Teuerung die Realität widerspiegeln. Es wäre wünschenswert, wenn die neue EZB-Spitze dazu käme, ihre eigene Politik kritisch zu hinterfragen.
„Die Volksbanken und Raiffeisenbanken haben es immer vermocht, sich neuen Herausforderungen erfolgreich zu stellen. Nicht von ungefähr sind sie die solideste Bankengruppe am Markt.“
Haben denn die Genossenschaftsbanken selbst schon alle Potenziale ausgeschöpft, um dem Trend entgegenzuwirken?
Gros: Die Volksbanken und Raiffeisenbanken haben in den vergangenen Jahren viel an sich gearbeitet. Voll ausgeschöpft sind die Möglichkeiten sicher noch nicht. Ich gebe zu bedenken: Die Genossenschaftsbanken haben eine 160-jährigeTradition. Da sind Strukturen gewachsen, die sich nicht über Nacht ändern lassen. Zudem wollen sie ja in der Fläche für ihre Kunden präsent bleiben. Alles unter einen Hut zu bekommen, ist nicht leicht. Sicher lässt sich aber an der einen oder anderen Stelle anpacken, um die Potenziale des Geschäftsmodells tiefer auszuschöpfen. Da bin ich optimistisch. Denn die Volksbanken und Raiffeisenbanken haben es immer vermocht, sich neuen Herausforderungen erfolgreich zu stellen. Nicht von ungefähr sind sie die solideste Bankengruppe am Markt.
Herr Gros, vielen Dank für das Interview!
Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.