Praxisnah: Bayerns Finanzminister Albert Füracker setzt sich für eine Bankenregulierung mit Augenmaß ein. Warum das für den Freistaat essenziell ist, erläutert er im Interview.
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Scholz zu einer stärkeren Integration des europäischen Bankenmarkts:
Eine gestärkte Marktintegration im Bereich Bankdienstleistungen stärkt den europäischen Binnenmarkt insgesamt und schafft so eine Grundlage für Wohlfahrtsgewinne für alle Mitgliedsstaaten. Verbesserte Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Banken bei der Nutzung von Kapital und Liquidität helfen, die insoweit noch bestehende Marktfragmentierung zu überwinden. Dies leistet einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Ertragskraft europäischer Banken und dem Abbau von Wettbewerbsnachteilen im internationalen Vergleich.
Aus makroökonomischer Sicht hat die Überwindung der bestehenden Marktfragmentierung zwei Vorteile: zum einen erhalten europäische Unternehmen und Konsumenten einen effizienteren, besseren und günstigeren Zugang zu Finanzierungen und anderen Bankdienstleistungen – dies erhöht das Wachstumspotenzial in Europa. Zum anderen würde der enge Risikoverbund zwischen nationalen Volkswirtschaften und nationalen Banken durch mehr grenzüberschreitende Investitionen und Geschäftstätigkeit reduziert, was die Reaktionsfähigkeit auf Konjunkturzyklen europaweit verbessern würde. Im angelsächsischen Raum wird dies als „private risk sharing“ diskutiert“.
Dazu meine ich: „Mit der Weiterentwicklung des europäischen Banken-Binnenmarkts möchte Scholz den deutschen Großbanken zu mehr Profitabilität verhelfen. Das, so das Kalkül des Ministers, stärkt deren Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der amerikanischen Konkurrenz. Inwieweit ein fragmentierter europäischer Markt für Finanzdienstleistungen tatsächlich für die schlechten Zahlen der Geschäftsbanken verantwortlich ist, ist schwer zu beurteilen. Schließlich sind pan-europäische Großbanken wie ING oder Santander bereits unter den derzeitigen regulatorischen Bedingungen vergleichsweise erfolgreich.
Dass eine stärkere Marktintegration für deutsche Unternehmen und Konsumenten von Vorteil sein soll, ist zu bezweifeln. Denn von einem schwierigen Zugang zu Finanzierungen kann in Deutschland keine Rede sein. Deutschland hat eine leistungsfähige mittelständische Kreditwirtschaft, die Unternehmen und Haushalte mit Bankdienstleistungen versorgt. Seit Jahren erhöhen die Banken ihr Kreditvolumen gegenüber Unternehmen und privaten Haushalten. Bankkredite sind so günstig wie nie. Auch die jüngste Unternehmensbefragung der KFW (Juli 2019) bestätigt: Die Finanzierungssituation der deutschen Unternehmen ist „ausgesprochen positiv“. Eine gestärkte Marktintegration nutzt deutschen Unternehmen und Verbrauchern somit wenig. Mit seinem Vorstoß vertritt Scholz die Interessen von Großbanken und anderen EU Ländern.“
Scholz zum Risikoabbau in den Bankbilanzen:
„Die Finanzkrise und die Staatsschuldenkrise haben gezeigt, dass Staatsanleihen keine risikolose Anlageform sind. Aktuell müssen Banken jedoch weder Forderungen gegenüber Staaten risikoadäquat bewerten (sog. Nullgewichtung), noch gibt es regulatorische Konzentrationsbeschränkungen (Großkreditgrenzen). Banken halten daher einen hohen Bestand an Staatsanleihen ohne entsprechende Risikovorsorge in ihren Bilanzen. Zudem halten Banken vor allem heimische Staatsanleihen („home bias“). In Krisenphasen ist dieser Staaten-Banken-Nexus ein großes Risiko für die Finanzstabilität in der Währungsunion.
Anreize zum Abbau des home bias und zur Risikostreuung bei Staatsanleihen würden die Einführung von risikobasierten Konzentrationszuschlägen geben. […]
Grundlage eines solchen Modells wäre die Einführung von Basisrisikogewichten für unterschiedliche Kreditqualitäten, gemessen etwa anhand von Ratings. Dazu gehört ein bestimmter Freibetrag für Forderungen gegenüber Staaten, der unabhängig vom Rating von Kapitalanforderungen freigestellt wäre […]
Die Höhe des Konzentrationsgrads der Forderungen gegenüber einem einzelnen Staat in der Bankenbilanz könnte dann mit einem Konzentrationsfaktor berücksichtigt werden, der mit zunehmender Konzentration steigt. […]
Ein solches Modell kann so kalibriert werden, dass es für die Banken des Euroraums keine zu großen Kapitalmehrforderungen gegenüber dem Status quo bedeuten würde.“
Dazu meine ich: „Richtig, die angemessene Unterlegung der Staatsschulden mit Eigenkapital ist – neben dem Abbau notleidender Kredite – die zentrale Säule zum Abbau von Risiken in den europäischen Bankbilanzen. Denn Staatsanleihen sind in einer Währungsunion keine risikolose Geldanlage. Das hat die griechische Staatsschuldenkrise gezeigt. Und die Banken einiger EU-Staaten halten einen hohen Bestand an heimischen Staatsanleihen in ihrem Portfolio – in Italien sind es zum Beispiel knapp 20 Prozent der Bilanzsumme. Die hohen Bestände an heimischen Staatsanleihen können zu einem Teufelskreis führen: Zweifel an der Tragfähigkeit der Staatsschulden schüren Zweifel an der Solidität der Bankbilanzen. Wackelnde Banken wiederum machen Staatshilfe und damit noch höhere Staatsschulden wahrscheinlich. Der Scholz-Vorschlag mit Freibetrag und Konzentrationsfaktor greift hier zu kurz. Anstatt die Risiken aus Staatsschulden angemessen abzusichern, wird er lediglich verhindern, dass allen voran die italienischen Banken mehr Kapital vorhalten müssen. Wer es ernst meint mit Risikoabbau und -prävention, der muss eine Kapitalunterlegung ab dem ersten Euro fordern.“
Scholz zur Ausgestaltung der europäischen Einlagensicherung:
„Im Rahmen einer gestärkten Gesamtarchitektur der Bankenunion wird schließlich auch eine europäische Einlagensicherung realistisch. Sie soll das Finanzsystem stabilisieren, indem sie bank-runs aufgrund von mangelndem Einlegervertrauen in die Leistungsfähigkeit des nationalen Systems entgegenwirkt. Im Zuge der stärkeren Marktintegration könnte die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der nationalen Einlagensicherungssysteme (nELS) durch ein europäisches Rückversicherungssystem ausgeglichen werden. […]
Um falsche Anreize zu vermeiden (Verlagerung von Haftung auf europäischer Ebene) muss jedoch die nationale Verantwortung ein zentrales Element bleiben. So würde das europäische Rückversicherungssystem erst nach Erschöpfung der nationalen Mittel in Anspruch genommen werden können. [Fußnote:] Die deutschen Einlagensicherungssysteme könnten diese Anforderung durch einen Ausgleichsmechanismus untereinander erfüllen.“
Dazu meine ich: „Scholz stellt die Reihenfolge auf den Kopf. Bisher galt in der Bundesregierung: Risikoabbau vor Risikoteilung. Scholz will jetzt in die Risikoteilung einsteigen, bevor die Risiken hinreichend reduziert sind. Diese Reihenfolge birgt große Gefahren. Denn die Hürden zum Risikoabbau sind hoch – der Weg in die Haftungsgemeinschaft hingegen einfach. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass faule Kompromisse geschlossen werden und der Risikoabbau ins Stocken gerät. Sollte dann beispielsweise eine südeuropäische Bank unter ihren Altlasten zusammenbrechen, wäre die Rückversicherung bereits in Kraft. Dann würden unter Umständen auch Mittel herangezogen, die zum Schutz deutscher Sparer zurückgelegt wurden.
Der Scholz-Vorschlag gefährdet die deutschen Institutssicherungssysteme. Der Bundesfinanzminister sieht vor, die drei Sicherungssysteme in Deutschland im Bedarfsfall zusammenzuschalten. Die genossenschaftliche Institutssicherung müsste dann zum Beispiel für eine Schieflage der Deutschen Bank einstehen. Dabei verkennt Scholz völlig, dass die auf Prävention ausgerichtete Institutssicherung der Kreditgenossenschaften einer ganz anderen Philosophie folgt als die Entschädigungseinrichtung der privaten Banken. Mittel, die der Solidarität der Genossenschaftsbanken untereinander sowie dem Schutz ihrer Kunden dienen, würden zur Auszahlung von Kunden privater Banken zweckentfremdet. Das gefährdet nicht nur das deutsche Drei-Säulen-System, es schadet letztendlich auch den deutschen Sparern.“
Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.