Anleitung: Worauf kommt es bei der Gründung einer Genossenschaft an? „Profil“ zeigt den Weg von der Idee bis zur Eintragung ins Genossenschaftsregister.
Herr Anetzberger, als Gründungsberater des Genossenschaftsverbands Bayern haben Sie täglich mit Genossenschaftsgründern zu tun. Wie ordnen Sie das Gründungsgeschehen des Jahres 2024 in Bayern bisher ein?
Frank Anetzberger: Das Gründungsteam des GVB hat nach wie vor sehr gut zu tun. Die Neueintragungen 2024 bewegen sich mit bisher rund 30 eingetragenen Genossenschaften auf dem Niveau der Jahre 2021 und 2022. Damals waren es 31 und 34 Neugründungen. An das Rekordjahr 2023 mit 51 Neugründungen insbesondere von Wärmegenossenschaften werden wir aber nicht ganz herankommen. Auslöser für den Gründungsboom im vergangenen Jahr waren der Ukraine-Krieg und die Energiekrise. Das hat viele Menschen dazu bewogen, sich nach alternativen Energiequellen umzusehen, die zu vertretbaren Kosten dauerhaft verfügbar sind. Vor allem im ländlichen Raum haben sich die Menschen dann in einer Wärmegenossenschaft zusammengeschlossen, um die Energiezentrale und das Netz zur Verteilung der Wärme gemeinschaftlich zu betreiben. Ein schönes Beispiel hierfür ist die Nahwärme Ettenstatt eG.
Die GVB-Gründungsberater im Porträt
Welche Trends beobachten Sie bei den Gründungen aktuell?
Anetzberger: Nach wie vor liegt der Gründungsschwerpunkt bei den Energiegenossenschaften, hier speziell bei den Wärmegenossenschaften. Der Energiepreisschock durch den Ukraine-Krieg wirkt hier noch nach. Die Menschen haben erkannt, dass sie bei fossilen Energien von den Weltmärkten abhängig sind und die Preise je nach Verfügbarkeit extrem schwanken können. Hackschnitzel als beliebteste alternative Energiequelle stammen dagegen meist aus der Region. Zunehmend wird auch Strom aus Wind und Sonne zum Heizen genutzt, Stichwort Power to Heat. Solche Konzepte lassen sich am besten gemeinschaftlich umsetzen, am besten in einer Wärmegenossenschaft. Die Verpflichtung der Kommunen, kommunale Wärmepläne aufzustellen, könnte der Gründung von Wärmegenossenschaften weiteren Vorschub leisten. Hier besteht nach wie vor großes Gründungspotenzial. Vermehrt erreichen die GVB-Gründungsberatung auch Anfragen zur Gründung von Energiegenossenschaften zum Betrieb eines oder mehrerer Windräder.
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Welche Beweggründe haben die Menschen, eine Genossenschaft zu gründen?
Anetzberger: Bei den Beweggründen verbinden sich meistens wirtschaftliche und ideelle Aspekte. Einerseits wollen die Menschen durch den Zusammenschluss in einer Genossenschaft wirtschaftliche Vorteile erzielen, etwa bei der Wärmeversorgung. Andererseits wollen sie zum Beispiel die Energiewende vorantreiben, um das Klima zu schützen. Oder sie wollen soziale beziehungsweise kulturelle Einrichtungen in ihrem Ort erhalten, etwa den Dorfladen oder die Dorfwirtschaft. Dafür bietet die Rechtsform der Genossenschaft eine ideale Struktur. Primäres Ziel ist die Förderung der Mitglieder, ob das nun die günstige Wärmeversorgung ist oder der Betrieb eines Seniorenzentrums, damit auch die älteren Menschen in ihrem Ort wohnen bleiben können. Zudem haben die Mitglieder der Genossenschaft über die General- oder Vertreterversammlung ein Mitspracherecht. Sie können also mitentscheiden, wie die Mittel der Genossenschaft in Zukunft verwendet werden. Bei gemeinschaftlichen Unternehmungen wie dem Betrieb eines Wärmenetzes sorgt das für Vertrauen und Zusammenhalt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die vergleichsweise einfache Möglichkeit, Kapital zu beschaffen, indem die Mitglieder Anteile zeichnen. Die Kosten für ein Wärmenetz gehen in die Millionen. Auch der Erwerb einer Immobilie kostet viel Geld, wenn sich die Genossenschaft zum Beispiel das Ziel gesetzt hat, die Dorfwirtschaft zu kaufen. Mit dem Kapital der Mitglieder lassen sich solche Investitionen viel leichter stemmen.
„Je besser im Vorfeld kommuniziert wird, desto reibungsloser lässt sich die Gründung durchziehen.“
Eine Genossenschaft gründet sich nicht von selbst. Worauf müssen sich Gründer gefasst machen?
Anetzberger: Genossenschaftsgründungen dauern häufig länger, als die Gründer es erwarten. Die Kommunikation mit den Mitgliedern ist bei der Gründung einer Genossenschaft das A und O. Das kostet viel Zeit, aber es lohnt sich immer, alle Beteiligten umfassend zu informieren und Entscheidungen zu erklären. Außerdem muss vor der Gründungsprüfung ein Geschäftsplan mit Planzahlen für die ersten drei Geschäftsjahre erstellt werden. Dies kann speziell bei Wärmegenossenschaften zu Verzögerungen führen, da die Wirtschaftlichkeit eines Wärmenetzes erst ab einer bestimmten Anzahl von Abnehmern gegeben ist. Solange die Anschlussquote nicht stimmt, fehlt ein wichtiger Bestandteil des Geschäftsplans, und die Gründung verzögert sich. Hier gilt: Je besser im Vorfeld kommuniziert und der Geschäftsplan erklärt wurde, desto reibungsloser lässt sich die Gründung hinterher durchziehen.
Das GVB-Gründungsteam begleitet Genossenschaftsgründer von der Erstberatung bis zur Eintragung ins Genossenschaftsregister. Wie sieht diese Begleitung genau aus?
Anetzberger: Meistens wenden sich die Gründer direkt an einen Ansprechpartner in der Gründung. Danach erhalten sie Informationen zum umfassenden Angebot, das der Genossenschaftsverband Bayern für Initiativen zur Gründung von Genossenschaften in Bayern bereithält. In einem kostenfreien Erstgespräch wird gleich die wichtigste Frage geklärt: Handelt es sich um ein genossenschaftliches Geschäftsmodell und ist der GVB deshalb willens, die Gründung zu begleiten und die Genossenschaft als Mitglied aufzunehmen? Wenn das zutrifft, gehen wir mit den Gründern in den Gründungsprozess. Das heißt, wir unterstützen die Gründer dabei, Satzung und Businessplan zu erstellen sowie die Gründungsversammlung vorzubereiten und durchzuführen. Weiter fordern wir die zur gutachterlichen Stellungnahme erforderlichen Unterlagen an, prüfen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Genossenschaft in Gründung, fertigen die Beitrittsbescheinigung und das Gründungsgutachten aus und erarbeiten Handlungsempfehlungen. Danach senden wir die notwendigen Unterlagen an die Genossenschaft, damit deren Notar die Eintragung beim Registergericht beantragen kann. Auch nach der Eintragung helfen wir den Vorständen bei wichtigen Formalitäten, beispielsweise bei der Eintragung ins Transparenzregister.
Bevor die Genossenschaft in das Genossenschaftsregister eingetragen werden kann, wird die Gründung vom GVB geprüft. Worauf achtet der GVB hierbei besonders?
Anetzberger: Für uns ist es wichtig, dass die formalen Vorgaben des Genossenschaftsgesetzes eingehalten werden und die eingereichten Unterlagen auch für Dritte plausibel sind. Oberstes Ziel ist, dass die Geschäftsguthaben der Mitglieder sicher sind und das Geschäftsmodell nachhaltig auf die Förderung der Mitglieder ausgerichtet ist. Auch die persönliche Eignung der Vorstände ist Gegenstand der Prüfung.
„Genossenschaften sind Lösungsentwickler für die heutigen Herausforderungen und dort erfolgreich, wo bestehende Angebote wegzubrechen drohen.“
Wenn Sie nur 30 Sekunden hätten, um einem Menschen die Vorteile der Rechtsform eG zu erklären: Was würden Sie sagen?
Anetzberger: Die Genossenschaft ist eine wirtschaftlich nachhaltige, krisenfeste, gemeinwohlorientierte und demokratische Rechtsform. Sie nutzt regionale Ressourcen und die Wertschöpfung bleibt in der Region. Sie ist Lösungsentwickler für die heutigen Herausforderungen und dort erfolgreich, wo bestehende Angebote wegzubrechen drohen.
Wo sehen Sie noch Potenzial für weitere Genossenschaftsgründungen in Bayern?
Anetzberger: Genossenschaften sind zeitlos modern. Sie können viele gesellschaftliche Herausforderungen bewältigen. Potenzial sehe ich vor allem bei Medizinischen Versorgungszentren zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung insbesondere im ländlichen Raum, bei Mitarbeitergenossenschaften zu Sicherung regionaler Arbeitsplätze, wenn zum Beispiel ein Unternehmen ohne geregelte Nachfolge sonst schließen müsste, und nicht zuletzt bei Sozialgenossenschaften, hier besonders bei ambulant betreuten Wohngemeinschaften.
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Was genau gefällt Ihnen an Ihrem Job besonders?
Anetzberger: Ich lerne immer wieder neue, ideenreiche und innovative Menschen kennen, denen das Gemeinwohl in ihrer Gemeinde oder ihrer Region am Herzen liegt. Sie investieren ehrenamtlich viele Stunden in Arbeitskreise, um die Gründung einer Genossenschaft voranzutreiben. Das beeindruckt mich jedes Mal wieder und es ist mir eine Ehre, diese Menschen bei der Genossenschaftsgründung zu unterstützen.
Was geben Sie Menschen mit auf den Weg, die über die Gründung einer eG nachdenken?
Anetzberger: Wer eine Genossenschaft gründen möchte, braucht Geduld im Gründungsprozess und sollte Meilensteine klar definieren. Zudem erachte ich es als sehr wichtig, innerhalb der Arbeitsgruppen für klare Zuständigkeiten zu sorgen. So weiß jeder, was er zu tun hat und wie er zur Gründung beitragen kann. Und natürlich rate ich zur aktiven Zusammenarbeit mit der GVB-Gründungsberatung. Die Beraterinnen und Berater in unserem Team haben schon viele Genossenschaftsgründungen begleitet und können eigentlich immer einen passenden Rat geben.
Wenn Sie selbst eine Genossenschaft gründen würden: Welche wäre das?
Anetzberger: Ich würde gerne eine Sozialgenossenschaft für eine ambulant betreute Wohngemeinschaft gründen, damit die Menschen auch im Alter in ihrer angestammten Heimat bleiben können, aber gut betreut werden. Wir haben unseren Wohlstand den älteren Menschen zu verdanken, die in der Nachkriegszeit extrem viel geleistet haben. Von diesem Engagement würde ich ihnen gerne etwas zurückgeben.
Herr Anetzberger, vielen Dank für das Interview!