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Seit dem Sommer erhöht die EZB als Reaktion auf die steigenden Inflationsraten ihre Zinssätze. Der Hauptrefinanzierungssatz, auch Leitzins genannt, erreichte im Oktober bereits zwei Prozent, obwohl er bis Juli noch bei null verharrte, Tendenz weiter steigend. Das schnelle Anheben der Zinssätze soll die Preissteigerungen bremsen und birgt Chancen, aber auch Risiken, die es nicht zu vernachlässigen gilt.

Was zeichnet das wirtschaftliche Umfeld derzeit aus?

Waren die vergangenen zwei Jahre insbesondere von der Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen auf unser aller Alltag geprägt, kommen nun weitere, neue Herausforderungen hinzu: Der Krieg in der Ukraine ist eine menschliche Tragödie und treibt die Sorgen um die Energieversorgung, Lieferkettenstörungen treffen die Industrie. Zu alldem gesellt sich ein starker Preisanstieg auf breiter Front, der nicht nur Haushalte mit schmalen Budgets vor große Herausforderungen stellt. In dieser Gemengelage hat sich die Europäische Zentralbank dazu entschieden, ihre Zinssätze anzuheben, um die Inflation wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die EZB verfolgt das Ziel der Preisniveaustabilität mit einem Zielwert von durchschnittlich zwei Prozent für die Inflation.  Nachdem die EZB im Frühjahr trotz steigender Inflationsraten lange zögerte, ist sie nun scheinbar umso fester entschlossen, die Zinsen weiter anzuheben. Damit ist die Richtung klar: Kurzfristig werden die Zinsen weiter steigen. Mittel- bis langfristig könnten die Zinsen wieder gesenkt werden, sobald sich die Inflationsraten normalisiert haben. Es gilt nun, dieses neue, volatile Umfeld gestaltend anzunehmen, statt vor lauter Sorgen in eine Lethargie zu verfallen. Denn klar ist auch: In jeder Veränderung steckt auch eine Chance.

Welche Risiken drohen derzeit?

Die derzeitigen Unwägbarkeiten zeigen uns, in welch ruhigen Zeiten wir Deutsche insbesondere seit der Wiedervereinigung gelebt haben.  Jetzt kommt es darauf an, die negativen Entwicklungen schnellstmöglich auszubremsen. Ansonsten drohen weitreichende wirtschaftliche Schäden. Zunächst ist da die Sorge um Unternehmen, die aufgrund hoher Produktions- und Energiekosten nicht mehr kostendeckend arbeiten können. Ein Abbau von Arbeitsplätzen und Wohlstandsverlust drohen. Auch die Gefahr eines Investitionsstaus ist vorhanden: Hohe Zinsen halten heute davon ab, notwendige Ausgaben zu tätigen mit der Hoffnung auf eine Entspannung der Situation. Das kann jedoch auf längere Sicht die Wettbewerbsfähigkeit schädigen. Im Immobiliensektor wird diese Gefahr noch unmittelbarer, da aufgeschobene Bauprojekte auf einen Mangel an Wohnraum treffen.

Deswegen braucht es ein entschiedenes Handeln der Institutionen. Die EZB muss mit ihrem Kurs und ihrer Kommunikation alles daransetzen, die derzeitigen Inflationsentwicklungen einzudämmen. Gleichzeitig muss sie die Belange der Wirtschaft im Auge behalten und die Risiken von Rezession und Insolvenzen minimieren. Das ist ein schwerer Balanceakt. Wie so oft hilft aber auch in dieser Situation ein Blick in die Vergangenheit: Die Unabhängigkeit der Zentralbank ist ein Statut, das in den Nachwehen der Hyperinflation der Weimarer Republik festgelegt wurde. Damals wurde die Zentralbank für die Finanzierung politischer Ziele eingesetzt, was der Währung und der Institution der Zentralbank schweren Schaden zufügte. Von diesen Abhängigkeiten sind wir heute glücklicherweise weit entfernt. Die EZB ist unabhängig und muss nun durch entschiedenes Handeln zeigen, dass ihr oberstes Ziel die Preisniveaustabilität ist. Die Mittel, um dies zu erreichen, stehen der Zentralbank zur Verfügung. Nun gilt es, diese effizient einzusetzen, um die jährliche Teuerungsrate schnellstmöglich auf das angestrebte Niveau von zwei Prozent zurückzuführen.

Welche Chancen gibt es?

Die bayerischen Genossenschaftsbanken verstehen sich als Hausbanken: Die Geschäftsbeziehungen zu ihren Kunden bestehen oft seit Generationen, man kennt die regionalen Wirtschaftsstrukturen und Belange. Gerade jetzt zeigt sich, welche Bedeutung diesem Hausbankprinzip beizumessen ist. Die Banken können kurzfristige Liquiditätshilfen zur Verfügung stellen, helfen bei der Antragsstellung und Administration staatlicher Unterstützungsmaßnahmen. Die derzeitig wirtschaftliche Situation ist eine Chance, die Bedeutung von Regionalbanken für unsere mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur unter Beweis zu stellen. Die vielen kleinen und großen Krisen der Vergangenheit haben Volksbanken und Raiffeisenbanken aus eigener Kraft gemeistert, sie sind krisenresilient und bewährter Unterstützer in schwierigen Phasen.

Ich bin mir sicher, dass sich diese Eigenschaften auch in der aktuellen Situation wieder zeigen werden. Sie stehen nicht nur an der Seite der Firmenkunden, sondern können auch ihre Beratungskompetenz im Privatkundengeschäft erneut unter Beweis stellen und Privatleuten helfen, ihre Anlagen an die neue Situation auf den Kapitalmärkten anzupassen. Daneben liegt in der Zinswende selbst eine Chance für das Geschäftsmodell der Banken. Der Kurswechsel der EZB kam schnell und sehr deutlich. Das führt zwar kurzfristig zu Unsicherheiten an den Finanzmärkten und zu Herausforderungen in der Bilanzierung, die es zu meistern gilt. Mittel- und langfristig ist diese Entwicklung aber ein Schritt zurück zu einer Normalisierung des Bankengeschäfts. Das klassische, solide und sichere Finanzierungsgeschäft gewinnt wieder an Relevanz. Wer sein Geschäftsmodell darauf ausrichtet und die Zinswende als Chance begreift, wird davon langfristig profitieren, dessen bin ich mir sicher.
 

Gregor Scheller ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB).

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