Helikopterstaat: Viele Verbraucherschutzinitiativen sind nicht zu Ende gedacht und folgen einem merkwürdigen Weltbild, kritisiert GVB-Präsident Jürgen Gros im Gespräch mit „Profil“.
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In Berlin verhandeln SPD, Grüne und FDP über eine neue Bundesregierung. Aus Sicht der Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie der Sparkassen in Bayern kann nur die Soziale Marktwirtschaft als Ordnungsrahmen den weiteren ökonomischen Erfolg in Deutschland und Bayern garantieren.
Dazu passend stellten GVB-Präsident Jürgen Gros und SVB-Präsident Ulrich Reuter in einem gut besuchten Pressegespräch im Münchner Presseclub die Leitplanken für eine wirtschaftspolitische Neuorientierung in der Bundespolitik vor. „Innerhalb dieser sechs Leitplanken muss die mittelständische Wirtschaft mit Unterstützung der regionalen Kreditinstitute ihre volkswirtschaftliche Wirkkraft entfalten können. Willkürliche Markteingriffe, Dirigismus und planwirtschaftliche Ansätze sind mit einem freien Markt nicht vereinbar“, kommentierte GVB-Präsident Gros den Vorstoß der beiden Verbände. „Die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft müssen die alles umfassenden Klammern bleiben“, mahnte Gros.
Leitplanken im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft richtig setzen
Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) und der Sparkassenverband Bayern (SVB) setzen sich gemeinsam für die folgenden Leitplanken ein:
1. Starker Mittelstand
Der Mittelstand prägt den Wirtschaftsstandort. Er schafft Ausbildungs- und Arbeitsplätze, ist Innovations- und Wachstumstreiber. Wer diesen Erfolgsfaktor will, muss die regionale mittelständische Finanzstruktur leistungsfähig erhalten. Das Miteinander von mittelständischer Real- und Finanzwirtschaft sichert den Wohlstand für die Zukunft.
2. Tragfähige Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit – hinter der die regionalen Kreditinstitute in Bayern stehen – muss marktwirtschaftlich tragfähig sein, um ökologisch wirksam zu werden. Sie lässt sich nicht über ständige Eingriffe, Verbote und Gebote erreichen. Banken und Sparkassen sind gerne Lotsen der Nachhaltigkeit. Die Verantwortung für den Umbau der Wirtschaft muss vorrangig bei den Wirtschaftsunternehmen selbst bleiben. Die Politik kann den Weg weisen, Impulse und Anreize setzen. Es ist nicht ihre Aufgabe, über Produkte und Leistungen zu entscheiden. Das kann der Markt besser.
3. Konsequente Subsidiarität
Regionale Strukturen in der Wirtschaft und im Finanzbereich sorgen für Stabilität und Wachstum. Kleinteilige Strukturen brauchen einfache und praktikable Regeln statt überbordender gleichmachender Bürokratie. Daher gilt es auch, das Drei-Säulen-System zu bewahren und ebenso die bewährten Institutssicherungssysteme in Deutschland zu erhalten. Im Rahmen der europäischen Bankenunion muss der Fokus auf den Abbau von Risiken gerichtet werden. Eine Zentralisierung der Risiken über eine gemeinsame europäische Einlagensicherung ist abzulehnen. Kunden der regionalen Kreditinstitute brauchen sie nicht.
4. Echter Verbraucherschutz
Verbraucherschutz muss vor Betrug und unseriösen Geschäftspraktiken schützen. Er darf aber Verbraucher nicht entmündigen. Politik muss die Folgen von Markteingriffen bedenken: Verbotsorgien wie Preisdeckel auf Dispozinsen, Preisdeckel auf Gebühren für Geldautomaten oder ein Verbot der Provisionsberatung können Verbraucherinteressen zuwiderlaufen. Ein Preisdeckel auf Geldautomatengebühren könnte zu einem Ausdünnen des Automatennetzes führen mit negativen Folgen für die Bargeldversorgung. Ein Zwang zur Honorarberatung würde de facto weite Teile der Verbraucherinnen und Verbraucher von Finanzberatung abschneiden, die keine teuren Beratungsleistungen in Anspruch nehmen können.
5. Corona-Jahre – Lessons learned
Wo haben sich Entlastungen in der Regulatorik bewährt und wo nicht? Es ist Zeit, Lehren aus den vergangenen 18 Monaten zu ziehen. Ein einfaches Zurück zur regulatorischen Situation vor Beginn der Pandemie darf es nicht geben. Regulierungslasten müssen jetzt dort weiter abgebaut werden, wo ihre relative Belastung am höchsten und das Risiko am niedrigsten ist.
6. Solide Zukunftspolitik
Die Politik muss die Grenzen ihrer Handlungswirksamkeit erkennen. Sie muss den Hebel an der richtigen Stelle ansetzen und Ursachen von Missständen bekämpfen, nicht alleine die Symptome. So sorgt eine solide Fiskal-, Steuer- und Wirtschaftspolitik für Stabilität und Freiräume. Die Negativzinspolitik der EZB nimmt dagegen Reformdruck und führt in die Verschuldung. Das angebrochene Jahrzehnt muss zum Reformjahrzehnt werden – besonders im Sinne der jungen Generation.
Die Gesellschaft müsse ein Interesse an der Stabilität des Finanzplatzes Deutschland haben, „denn der Finanzsektor ist das Bindeglied zur Realwirtschaft – und die Regionalbanken sind das Scharnier zum vielfältigen deutschen Mittelstand“, erläuterte SVB-Präsident Reuter den Hintergrund für den gemeinsamen Appell der regionalen Kreditinstitute. Diese haben als öffentlich-rechtliche und genossenschaftliche Säulen ein besonderes Gewicht für die flächendeckende Versorgung mit Finanzdienstleistungen für Bevölkerung und Mittelstand. „Wenn die Politik möchte, dass das Drei-Säulen-Modell auch künftig mittelständische Wirtschaftsstrukturen und über den Wettbewerb auch die Verbraucherinteressen stärkt, muss sie die Grundlagen dafür legen und sie auch weiter pflegen“, sagte Reuter.
GVB-Präsident Gros hob eingangs die Bedeutung der Genossenschaftsbanken und Sparkassen für die regionale Wirtschaft hervor. „Beide Bankengruppen sind ein wesentlicher Teil der Wirtschaft im Freistaat, sie sind die Hausbanken der Bayern“, betonte Gros. Zusammen verwahren Genossenschaftsbanken und Sparkassen rund 46 Prozent aller Einlagen in Bayern, knapp 60 Prozent der Wohnbaukredite in Bayern werden von einer Genossenschaftsbank oder einer Sparkasse vergeben, bei den Krediten an das Handwerk kommen beide Bankengruppen zusammen auf einen Marktanteil von über 92 Prozent. In der Landwirtschaft finanzieren sich 95 von 100 Landwirten über eine Genossenschaftsbank oder Sparkasse. „Mehr regionale Verankerung, als unsere beide Bankengruppen haben, geht im Freistaat kaum“, sagte Gros.
„Regional verwurzelte Kreditinstitute sind keine Nostalgie, sie werden mehr denn je gebraucht.“
GVB-Präsident Jürgen Gros
Damit Genossenschaftsbanken und Sparkassen auch weiterhin ihre Aufgaben als regionale Finanzpartner des Mittelstands und der Verbraucher wahrnehmen können, sei es wichtig, das Drei-Säulen-Modell aus Genossenschaftsbanken, Sparkassen und Privatbanken zu stärken, so Gros. „Regional verwurzelte Kreditinstitute sind keine Nostalgie, sondern eine wichtige Stütze unserer regionalen Wirtschaft. Sie werden mehr denn je gebraucht“, sagte der GVB-Präsident. Deshalb sei es wichtig, dass in Berlin die Weichen im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft richtig gestellt werden. Das wirtschaftliche Bayern werde weiterhin „vernehmbar bleiben“, kündigte Gros an, auch wenn der Freistaat im Bund an politischem Einfluss verlieren sollte.
„EDIS ist das durchsichtige Unterfangen, den Genossenschaftsbanken und Sparkassen einen über Jahrzehnte hart erkämpften Wettbewerbsvorteil zu nehmen.“
GVB-Präsident Jürgen Gros
Zur Stärkung des 3-Säulen-Modells gehöre auch der Erhalt der bewährten Institutssicherungssysteme in Deutschland. Sowohl die Volksbanken und Raiffeisenbanken als auch die Sparkassen verfügen über entsprechende Präventionssysteme, die aber nach dem Willen der Europäischen Union in einer europäischen Einlagensicherung (EDIS) aufgehen sollen. GVB-Präsident Gros hat dazu eine klare Meinung: „EDIS ist das durchsichtige Unterfangen, den Genossenschaftsbanken und Sparkassen einen über Jahrzehnte hart erkämpften Wettbewerbsvorteil zu nehmen, indem man ihnen durch eine politische Regulierung das nimmt, was sie souverän aufgebaut haben und was sich in der Präventivwirkung als herausragend gezeigt hat.“
Kleine Banken stellen nicht das gleiche Risiko für das europäische Finanzsystem dar wie große Banken. Deshalb werben Genossenschaftsbanken und Sparkassen massiv für den Erhalt ihrer präventiven Sicherungssysteme. Bankengruppen mit eigener leistungsfähiger Institutssicherung sollten von der Teilnahme an einer EU-Einlagensicherung freigestellt werden. Weil die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen ihre Kredite regional ausreichen, könne zum Beispiel ein grenzüberschreitender Entschädigungsfall gar nicht entstehen, erläuterte Gros. Zudem liege die Quote ausfallgefährdeter Kredite (NPL-Quote) in Deutschland bei 2,5 Prozent, bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken nochmal weit darunter. Das sei weit weg von dem, was in Europa der Fall ist. „Granulare Systeme aus vielen kleinen Banken sind ein Stabilitätsmerkmal“, betonte Gros.
Das sollte sich auch in einer proportionalen Regulierung niederschlagen, forderte der GVB-Präsident. Er höre in Brüsseler Kreisen oft den Satz, dass sich die Banken auf die nächste Krise vorbereiten müssten. Das sei jedoch der völlig falsche Ansatz. „Wer sich nur auf Krisen vorbereitet, der vertut Chancen.“ Deshalb sei es falsch, eine ganze Branche dauerhaft im Alarmzustand zu halten. „Das Unternehmergeschäft wie das Bankgeschäft leben davon, dass Chancen möglich sind“, betonte Gros.
„Die regionalen Kreditinstitute sind bereit, die ökologische Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft mitzufinanzieren.“
SVB-Präsident Ulrich Reuter
Auch beim Umbau der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit müssten die regulatorischen und aufsichtlichen Voraussetzungen für Unternehmen wie die Banken stimmen, sagte SVB-Präsident Reuter. Der Mittelstand werde sich in den kommenden Jahren zunehmend nachhaltig ausrichten und seine Investitionen und Prozesse konsequent nach den Vorgaben des Green Deals der EU-Kommission ausrichten müssen. Reuter bekräftigte die Unterstützung der Regionalbanken dabei: „Die regionalen Kreditinstitute sind bereit, die ökologische Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft mitzufinanzieren. Im Vordergrund stehen nicht einfach nur grüne Investments, sondern der Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.“ Dabei müsse die Politik jedoch dringend darauf achten, Unternehmen und Banken nicht zu überfordern, sagte Reuter. Die Banken könnten die Unternehmen beim nachhaltigen Umbau der Wirtschaft begleiten, die Politik dränge ihnen jedoch die Rolle des Taktgebers auf.
Dieser dirigistische Politikstil mit planwirtschaftlichen Ansätzen zeige sich auch in anderen Bereichen, etwa im Verbraucherschutz, sagte GVB-Präsident Gros. Zu einem funktionierenden marktwirtschaftlichen Umfeld gehöre auch ein Verbraucherschutz, der den Verbraucher nicht entmündigt oder das Gegenteil dessen bewirkt, was ursprünglich beabsichtigt war. „Politik muss die Folgen von Markteingriffen bedenken: Verbotsorgien wie Preisdeckel auf Dispozinsen, Preisdeckel auf Gebühren für Geldautomaten oder ein Verbot der Provisionsberatung können Verbraucherinteressen zuwiderlaufen“, stellte Gros fest.
Es sei letztlich eine paradoxe Situation, betonte Gros: „Auf der einen Seite fordern die Aufseher die Banken auf, ihre Einnahmenseite zu stärken und weiterhin mit umfangreichen Finanzdienstleistungen in der Fläche präsent zu bleiben, auf der anderen Seite werden genau diese Finanzdienstleistungen immer intensiver und härter reguliert.“
„Wir haben die große Sorge, dass am Ende viele Kunden zu Internetbanken ohne jedes Beratungsangebot abgedrängt werden, weil sie sich keine Honorarberatung leisten können.“
GVB-Präsident Jürgen Gros
So forcierten die Grünen und im Kern auch die SPD eine Abkehr von der Provisionsberatung zugunsten der Honorarberatung. „Wir haben die große Sorge, dass am Ende viele Kunden zu Internetbanken ohne jedes Beratungsangebot abgedrängt werden, weil sie sich keine Honorarberatung leisten können. Damit hätten wir dem Verbraucherschutz einen Bärendienst erwiesen“, sagte Gros. Er habe kein Problem damit, wenn Kunden zwischen Provisions- und Honorarberatung wählen könnten, so der GVB-Präsident. „Aber es muss die Entscheidung des Kunden bleiben, wie er sich beraten lässt. Es darf keine staatlichen Vorgaben geben, die ein bewährtes Beratungssystem ausschließen.“
Auch die immer wieder aufflammenden Diskussionen um Gebührendeckel bei Geldautomaten seien irritierend. Die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen stellen die flächendeckende Bargeldversorgung in Bayern mit zusammen über 7.000 Geldautomaten sicher. „Es ist schon bitter, wenn uns die Politik vorschreiben will, welche Gebühren wir erheben dürfen, wenn ein Kunde einer Fremdbank einen unserer Geldautomaten nutzt“, sagte Gros. Da sei es doch nachvollziehbar, wenn Genossenschaftsbanken und Sparkassen nicht Trittbrettfahrern ohne eigene Geldautomaten ihre Infrastruktur zu einem Preis zur Verfügung stellen wollen, der weit unter den tatsächlichen Kosten liegt. „Das ist der Grund, warum wir uns gegen solche Ansinnen vehement wehren“, sagte der GVB-Präsident.
Gleiches gelte für Bestrebungen, die Zinssätze für Dispokredite zu deckeln. Dispokredite seien dazu da, kurzfristig Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Weil diese meistens ungeplant in Anspruch genommen werden, sei es für die Bank teurer als bei einem Verbraucherkredit, entsprechende Mittel vorzuhalten. In letzter Konsequenz könne es bei einem Zinsdeckel passieren, dass eine Bank gar keinen Dispokredit mehr anbietet. „Wer Preisdeckeln und Verboten das Wort redet, muss wissen, dass die Kunden am Ende möglicherweise ganz auf gewohnte Dienstleistungen verzichten müssen“, sagte Gros. Bisher sei Deutschland auch ohne entsprechende Markteingriffe gut gefahren – „und ich glaube, dass wir das auch in Zukunft können“, betonte der GVB-Präsident.
Die wahren Probleme des Verbraucherschutzes lägen ohnehin woanders, sagte Gros. „Weil manche Banken wie beispielsweise die Internetbank N26 Authentifizierungen nicht ernst nehmen und damit Betrügern Tür und Tor öffnen, treten bei Genossenschaftsbanken und Sparkassen massiv Schadensfälle auf. In solchen Banken fehlt dann oft ein Ansprechpartner, der diese Schadensfälle schnell bereinigt und gestohlene Gelder zurückbucht. Es wäre echter Verbraucherschutz, sich um solche Fälle zu kümmern, damit sich Banken wie N26 nicht zum Eldorado für Betrüger entwickeln“, sagte Gros. Der GVB hat in einem Brief an BaFin-Chef Mark Branson auf die Probleme bei N26 hingewiesen.
Für die anstehende Legislaturperiode mahnten Gros und Reuter, die regionalen Wirtschaftskreisläufe und ihre Grundlagen nicht aus den Augen zu verlieren. Dazu müsse die Politik den Hebel an der richtigen Stelle ansetzen, anstatt nur Symptome von Fehlentwicklungen zu bekämpfen. Aus Sicht der regionalen Kreditinstitute kann eine solide Fiskal-, Steuer- und Wirtschaftspolitik für Freiräume sorgen. Die Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) nehme dagegen Reformdruck und führe in die Verschuldung. „Die 20er-Jahre müssen mutig angegangen werden, um hier zügig voranzukommen – besonders im Sinne der jungen Generation“, forderten Reuter und Gros.