Meldewesen: Die Bankenaufsicht führt neue Bögen zur Risikotragfähigkeit der Kreditinstitute ein. „Profil“ fasst zusammen, was das für die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken bedeutet.
Wie wirken sich das anhaltende Niedrigzinsumfeld sowie weitere Risiken auf die Eigenmittelausstattung und damit auf die Stabilität der Banken in Deutschland aus? Um das herauszufinden, haben Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) alle Banken, die ihrer Aufsicht unterliegen, Mitte des Jahres einem ausführlichen Stresstest unterzogen. Zu diesen für die Finanzstabilität „weniger bedeutenden Kreditinstituten“ (Less Significant Institutions; LSI) gehören auch die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken.
Inzwischen liegen die Ergebnisse des LSI-Stresstests vor. Um das wichtigste Resultat für die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken vorwegzunehmen: Es hat sich ausgezahlt, dass die Kreditgenossenschaften in den vergangenen Jahren ihre Erträge konsequent zurückgelegt und kontinuierlich ein Kapitalpolster aufgebaut haben. Mit einer durchschnittlichen gewichteten Kernkapitalquote von 18,3 Prozent (davon 16 Prozent hartes Kernkapital; Stand Mitte 2019) erreichen sie eine neue Bestmarke bei der Eigenmittelausstattung und liefern damit einen Beweis für ihre Solidität. Zwar erhöht sich – nach Abzug des Kapitalerhaltungspuffers von 2,5 Prozent – die sogenannte „Eigenmittelzielkennziffer“ als Teil der Kapitalanforderungen im Durchschnitt geringfügig um 0,3 Prozentpunkte auf 1,63 Prozent. Wegen ihres guten Eigenmittelpolsters können die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken mit dieser moderaten Erhöhung jedoch gut umgehen.
Wie viel Eigenkapital müssen Banken vorhalten?
Eigenkapital ist eine Grundvoraussetzung für einen sicheren und soliden Bankensektor. Aus diesem Grund sind alle Banken dazu verpflichtet, bestimmte Eigenmittelanforderungen zu erfüllen. Grundlage sind die internationalen Bankenregeln Basel III und ihre Umsetzung in europäisches Recht (CRR/CRD IV). Die Eigenmittelanforderungen hängen von der Höhe der sogenannten risikogewichteten Aktiva (RWA) ab. Das sind die gesamten Aktiva (vor allem Kredite, Beteiligungen und Anleihen) einer Bank, multipliziert mit ihren jeweiligen Risikogewichten. Ein unbesicherter Kredit hat zum Beispiel ein höheres Risikogewicht als ein besicherter. Im Euroraum müssen die Banken folgende Eigenmittelanforderungen erfüllen (in Prozent der RWA):
- Mindestkapitalquote: 8 Prozent
- Kapitalerhaltungspuffer: 2,5 Prozent
- Eigenmittelzielkennziffer: bankindividuell 0 bis 10 Prozent (wird mit dem Kapitalerhaltungspuffer verrechnet)
- Bankaufsichtlicher SREP-Kapitalaufschlag: bankindividuell 0 bis theoretisch 9,5 Prozent
- Antizyklischer Kapitalpuffer (ab 2020): 0,25 Prozent
- Summe (ab 2020): bankindividuell 10,75 bis 27,75 Prozent
- Durchschnittliche gewichtete Eigenkapitalquote der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern: 18,3 Prozent
(davon 16 Prozent hartes Kernkapital; Stand Mitte 2019)
Allerdings war der LSI-Stresstest auch dieses Mal wieder mit sehr viel Aufwand für die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken verbunden. Nach Schätzungen des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) waren im Schnitt sieben Personenarbeitstage nötig, um die Daten bereitzustellen, zu validieren und die Meldebogen zu befüllen – pro Institut. Der GVB hat seine Mitglieder mit praxisnahen Umsetzungsleitfäden und Webinaren bei der korrekten Befüllung der Meldebögen unterstützt.
„Negativer Zinsschock“ bald erreicht
Der LSI-Stresstest 2019 war zweigeteilt. Der erste Teil bestand aus einer Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) unter Annahme unterschiedlicher Zinsszenarien, um Trendaussagen auf einer übergeordneten Ebene zu erhalten. Darunter waren ein positiver und ein negativer Zinsschock sowie eine gleichbleibende Zinsentwicklung. In einem Fall waren die Banken aufgefordert, ihre eigenen Zinsprognosen zugrunde zu legen. Dabei ließ die Aufsicht bis auf das bankindividuelle Szenario kein Bilanzwachstum zu. Während andere Bankengruppen und Prüfungsverbände bei der eigenen Prognose teilweise auf eine Zinswende und damit steigende Zinserträge setzten, hatte der GVB seinen Mitgliedsbanken ein konstantes Zinsniveau als Szenario empfohlen.
Diese Vorgehensweise hat sich bewährt, denn die konservativen Annahmen der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken kommen der Realität deutlich näher als die teilweise deutlich zu optimistischen Prognosen anderer Bankengruppen und Prüfungsverbände. Tatsächlich hat sich mittlerweile sogar der von der Aufsicht vorgegebene „negative Zinsschock“ mit einer plötzlichen unerwarteten Zinsänderung um minus 1 Prozentpunkt beziehungsweise 100 Basispunkte („-100 BP ad hoc“) fast eingestellt. Das gibt Anlass zur Sorge, weil die Banken bei dieser Prognose mit einem massiven Einbruch des Betriebsergebnisses in den kommenden Jahren rechnen müssen. Eine realistische Vorschau auf GVB-Ebene lässt sich erst quantifizieren, wenn alle bayerischen Kreditgenossenschaften ihre aktualisierte Eckwertplanung eingereicht haben. Erste Stichproben bestätigen jedoch die Trendaussagen der Aufsicht.
Unterstützung durch den GVB
Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) unterstützt die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken bei Fragen zu den Ergebnissen des LSI-Stresstests sowie zu den Themen Banksteuerung und Eigenkapitalanforderungen. Ansprechpartner beim GVB sind Lennart Strobel, 089 / 2868-3866, sowie Robert Bruckmann, 089 / 2868-3868.
Risiken wirken sich auf Kapitalanforderungen aus
Im zweiten Teil des LSI-Stresstests wurden Zinsänderungs-, Kredit- und Marktrisiken abgefragt, die neu auf einen dreijährigen Horizont berechnet wurden. Die Zahlen wirken sich dabei erstmals unmittelbar auf die Eigenmittelanforderungen und die Eigenkapitalplanungen der Volksbanken und Raiffeisenbanken aus, da Bundesbank und BaFin aus den Ergebnissen die Eigenmittelzielkennziffer berechnen werden. Erste Informationen dazu kommunizierte die Aufsicht Ende September.
Berechnungsgrundlage der neuen Eigenmittelzielkennziffer ist die bankindividuelle Kernkapitalquote des Jahres 2018. Auf dieser Basis simulierte die Aufsicht die Kernkapitalquoten für die drei Folgejahre 2019 bis 2021. Dabei legte sie als Stressszenario eine massive Wirtschaftseintrübung mit einer durchgehend negativen Risikoentwicklung ohne Erholungsphasen zugrunde. Adressiert wurden alle wesentlichen Risikoarten (Kreditrisiken Kunden- und Eigengeschäft sowie Marktrisiken inklusive Fonds). Weil die Kreditrisiken fortgeschrieben wurden, fiel die simulierte Kernkapitalquote im dritten Folgejahr in der Regel am niedrigsten aus. Anschließend wurde der Wert des schlechtesten Jahres von der realen Quote des Jahres 2018 abgezogen. Die Differenz wurde noch einmal mit dem Faktor 0,65 multipliziert. Der so berechnete Wert stellt die neue Eigenmittelzielkennziffer dar, abgerundet auf eine Nachkommastelle, begrenzt auf maximal zehn Prozent.
Beispiel: Im Jahr 2018 betrug die Kernkapitalquote der Bank XY 18 Prozent. In den drei Folgejahren sinkt die simulierte Kernkapitalquote bis auf 13 Prozent ab. 18 – 13 Prozentpunkte = 5 Prozentpunkte x 0,65 = neue Eigenmittelzielkennziffer 3,25 Prozent. Da diese mit dem Kapitalerhaltungspuffer von 2,5 Prozent verrechnet wird, steigen die Eigenmittelanforderungen der Bank in diesem Beispiel um 0,75 Prozent.
Abschied von den „Buckets“
Was ist sonst noch neu bei der Berechnung der Eigenmittelzielkennziffer?
- Abkehr von den „Buckets“: In der alten Systematik wurden für die Banken einheitliche Eigenmittelzielkennziffern in sogenannten „Buckets“ (Eimern) zwischen null und zehn Prozent ermittelt. Durch die neue Berechnungssystematik sind nun nur noch bankindividuelle Ergebnisse ausschlaggebend – losgelöst von starren Bucket-Grenzen.
- Eigenmittelunterlegung: Zur Ermittlung der Eigenmittelzielkennziffer darf in Zukunft nur noch hartes Kernkapital (Common Equity Tier 1 capital, CET 1) herangezogen werden. Eine Unterlegung mit weiteren Kapitalinstrumenten wie beispielsweise Ergänzungskapital ist nicht mehr vorgesehen. Die Eigenmittelzielkennziffer wird jedoch weiterhin mit dem Kapitalerhaltungspuffer verrechnet.
Bei der Berechnung der simulierten Kernkapitalquoten wurden freie, ungebundene Vorsorgereserven nach § 340f Handelsgesetzbuch („Vorsorge für allgemeine Bankrisiken“) nicht berücksichtigt. Allerdings können die Banken diese gegenüber der BaFin zur Erfüllung der Eigenmittelanforderungen angeben. Diese prüft die Möglichkeit der Umwidmung in Kernkapital, ohne dass zwingend eine tatsächliche Umwidmung erforderlich ist. Demzufolge veranlasst die Aufsicht keine Maßnahmen, wenn die Vorsorgereserven nach §340f HGB ausreichen, eine entsprechende Unterdeckung des Kernkapitals zu kompensieren.
Nach Kenntnis des GVB will die Aufsicht die offizielle Mitteilung der neuen Eigenmittelzielkennziffer noch dieses Jahr versenden. Mit dem Erhalt des Informationsschreibens wird sie für die Banken verbindlich. Die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken sollten ihre neue Eigenmittelzielkennziffer jedoch ab sofort – schon vor dem Eintreffen des offiziellen Informationsschreibens – in die anstehende Eigenkapitalplanung 2020 bis 2024 einfließen lassen, damit frühzeitig ein etwaiger Eigenkapitalbedarf identifiziert werden kann.
Robert Bruckmann ist Referent für Banksteuerung beim Genossenschaftsverband Bayern.