Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Es gehört zu den Grundsätzen des Basel III-Regelwerks, dass alle Aktiva einer Bank Risikopositionsklassen zugeordnet werden. So existieren beispielsweise für Forderungen an Staaten, Unternehmen oder durch Immobilien besicherte Kredite jeweils eigene Klassen. Sie sind maßgeblich für das Risikogewicht und damit auch dafür, welche Mengen an Eigenkapital Banken für Kredite vorhalten müssen.

Forderungen gegenüber Privatpersonen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) werden bislang der Risikopositionsklasse „Mengengeschäft“ zugeordnet – sofern sie ein Volumen von 1 Millionen Euro nicht übersteigen. Damit erhalten sie ein vorteilhaftes Risikogewicht von 75 Prozent. Das gilt aber nur, solange die Institute im Mengengeschäft das sogenannte Granularitätskriterium erfüllen. Demnach muss sichergestellt werden, dass das Retail-Portfolio „angemessen diversifiziert“ ist. Die Diversifikation stellt sicher, dass eine Bank nicht durch den Ausfall eines wichtigen Einzelschuldners in wirtschaftliche Not gerät. Kredite dürfen dabei dem Mengengeschäft zugeordnet werden, wenn sie über „ähnliche Merkmale“ verfügen.

Diese pragmatische qualitative Regelung hat sich in der Praxis bewährt, steht nun aber trotzdem auf der Kippe. Denn Ende 2017 hat der Baseler Ausschuss sein finales Basel III-Regelwerk veröffentlicht und darin das Granularitätskriterium deutlich schärfer formuliert. Die zusammengefassten Kredite an einen Schuldner dürften dann 0,2 Prozent des gesamten Mengengeschäfts-Volumens nicht übersteigen.  Sollten sich die europäischen Gesetzgeber bei der anstehenden Umsetzung des finalen Basel III-Regelwerks für so ein „hartes“ Granularitätskriterium entscheiden, hätte dies einen erheblichen negativen Effekt auf die Kreditvergabemöglichkeiten von Banken: In einigen Fällen dürften bereits Darlehen im fünfstelligen Bereich nicht mehr dem Mengengeschäft zugeordnet werden. Sie erhielten dann ein höheres Risikogewicht. Das hätte dann deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen zur Folge.

Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) hat berechnet, wie sich ein hartes Granularitätskriterium im derzeitigen regulatorischen Umfeld  auf die 236 bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken auswirken würde. Dazu hat der GVB Daten zum Mengengeschäft aus dem COREP-Meldebogen zum Stichtag 31. Dezember 2018 verwendet.  Zunächst zeigt die Untersuchung auf, wie hoch die kritische Kreditgrenze einzelner Volksbanken und Raiffeisenbanken bei einem harten Granularitätskriterium wäre. Im nächsten Schritt wird der Effekt eines harten Granularitätskriteriums auf die Eigenkapitalquote der Banken untersucht.

Kritische Kreditgrenzen im fünfstelligen Bereich

Nach den Vorstellungen des Baseler Ausschusses darf ein zusammengefasster Kredit an einen Schuldner künftig nur dann dem Mengengeschäft zugeordnet werden, wenn sein Volumen 0,2 Prozent des gesamten Mengengeschäfts-Portfolios nicht übersteigt. In der Praxis würde dann für lediglich elf bayerische Volksbanken und Raiffeisenbanken weiterhin die gesetzlich verankerte allgemeine Obergrenze von 1 Millionen Euro gelten. Für alle anderen Institute wäre eine Härtung des Granularitätskriteriums spürbar und die Kreditobergrenze würde sinken (siehe Abbildung 1).

Speziell für die kleinsten der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken wären die Auswirkungen extrem: 63 Banken mit einer Bilanzsumme von durchschnittlich 141 Millionen Euro könnten dann sämtliche Kredite über 100.000 Euro nicht mehr dem Mengengeschäft zuordnen. Die durchschnittliche kritische Grenze des Kreditvolumens über alle 236 GVB-Mitgliedsbanken würde auf 291.000 Euro sinken.

Ein hartes Granularitätskriterium benachteiligt also vor allem kleinere Banken. Sie müssten für ein und denselben Kredit ein höheres Risikogewicht ansetzen und damit deutlich mehr Eigenkapital hinterlegen als größere Banken. Das wäre im harten Konditionen-Wettbewerb ein erheblicher Nachteil und würde zudem die Verfügbarkeit von Krediten für den Mittelstand einschränken.

Auswirkung auf die Eigenkapitalquoten

Welchen Effekt hätte eine Härtung des Granularitätskriteriums auf die Eigenkapitalquoten der Banken? Für die Berechnung hat der GVB Einzelkreditdaten von zwölf bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken mit unterschiedlich hoher Bilanzsumme herangezogen.  Bei jedem der Institute wurden die Einzelkreditdaten auf Einzelkundenebene aggregiert. Alle Kundenforderungen oberhalb der für das Granularitätskriterium kritischen Grenze erhalten in den Berechnungen ein neues Risikogewicht (siehe Abbildung 2).  Daraus kann für jede Bank ein neuer Gesamtrisikobetrag und eine neue Kernkapital- sowie Gesamtkapitalquote berechnet werden.

Die Effekte sind teils drastisch, wie Abbildung 3 zeigt. Selbst bei den größten GVB-Mitgliedsbanken (Bilanzsumme größer als 1,026 Milliarden Euro) ist der Effekt eines harten Granularitätskriteriums auf die Eigenkapitalquoten spürbar. Der Gesamtrisikobetrag erhöht sich im Durchschnitt um 0,86 Prozent. Die Folge ist eine Verringerung der Kernkapitalquote um 0,15 Prozentpunkte. Die Gesamtkapitalquote würde um 0,18 Prozentpunkte sinken.

In den beiden mittleren Gruppen ist der Effekt jeweils noch größer. Am stärksten trifft ein hartes Granularitätskriterium die kleinsten der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken (Bilanzsumme kleiner als 189 Millionen Euro). Bei den drei ausgewählten Banken innerhalb dieser Gruppe schießt der Gesamtrisikobetrag um durchschnittlich 9,55 Prozent nach oben. Das reduziert die Kernkapitalquote im Durchschnitt um 1,65 Prozentpunkte, während die Gesamtkapitalquote um 1,93 Prozentpunkte sinken würde.

Zwar ist die Kapitalausstattung der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken sehr solide. Sollten sich jedoch die Kapitalanforderungen schlagartig in diesem Umfang erhöhen, würde das die Banken erheblich belasten. Da das Eigenkapital einer Genossenschaftsbank – im Wesentlichen Mitgliedsanteile und thesaurierte Gewinne – nicht sprunghaft erhöht werden kann, würde es den Banken schwerer fallen, neue Kredite zu vergeben. Das hätte negative Konsequenzen für die Finanzierung der Realwirtschaft – zumal derzeit auch andere regulatorische Maßnahmen geplant sind, die ebenfalls zu einer Erhöhung der Kapitalanforderungen führen. Dazu gehören beispielsweise weitere Komponenten zur Überarbeitung des Kreditrisikostandardansatzes, neue Anforderungen im Zusammenhang mit SREP oder der antizyklische Kapitalpuffer.

Status quo beibehalten

Die Berechnung macht deutlich, wie massiv ein hartes Granularitätskriterium insbesondere kleine Banken treffen würde. Sie müssten für ein und denselben Kredit mehr Eigenkapital vorhalten als größere Banken. Eine derartige regulatorische Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt. Sie schränkt die Möglichkeit kleiner Banken ein, Kredite an kleine und mittlere Unternehmen zu vergeben. Auch die Konditionen für Mittelstandskunden können sich aufgrund höherer Eigenkapitalanforderungen verschlechtern. Das kommt in der Summe einer regulatorischen Strukturpolitik auf Kosten von kleinen und mittleren Regionalbanken gleich.

Für die Umsetzung der Basel III-Finalisierung in europäisches Recht sollte an den bewährten Regeln zur Granularität festgehalten werden.  Den Volksbanken und Raiffeisenbanken ist es hierdurch möglich, ihr Mengengeschäftsportfolio mithilfe verbundinterner Ratings sowie einer kreditspezifischen Überprüfung der Bearbeitungs- und Genehmigungsprozesse hinsichtlich einer ausreichenden Granularität zu bewerten. Auch kleinere Volksbanken und Raiffeisenbanken können damit – nach beschriebener Granularitätsprüfung – KMU-Kredite und Kredite an Privatpersonen bis zu einem Volumen von 1 Millionen Euro dem Mengengeschäft zuordnen. Nicht nur im Interesse kleiner Banken, auch im Interesse des Mittelstands sollte an der derzeitigen Regelung zur Granularität festgehalten werden.
 

Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.

Dr. Angelika Hösl-Sachs ist wirtschaftspolitische Senior Referentin beim Genossenschaftsverband Bayern.

Artikel lesen
Positionen