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Junger Mann macht ein Selfie von einer Gruppe

Frau Professor Mörstedt, die Geburtsjahrgänge 1995 bis 2010, also die heute 14- bis 29-Jährigen, werden gemeinhin als Generation Z bezeichnet. Was zeichnet diese Generation aus?

Antje-Britta Mörstedt: Zuerst möchte ich eines vorausschicken: Es gibt nicht die Generation Z, genauso wenig wie es die Generation Alpha oder die Babyboomer gibt. Jeder Mensch macht andere Erfahrungen, in jeder Generation gibt es eine Vielzahl an Strömungen und Prägungen. Man nennt das auch Integrationsvarianz. Man sollte also sehr vorsichtig damit sein, bestimmten Generationen bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, und eine kritische Distanz bewahren. Auch früher gab es schon eine Null-Bock-Generation, Stichwort No Future. Bekanntermaßen gehörten die Grünen in ihrer Gründungsphase nicht der Generation Z an, trotzdem war der Umweltschutzgedanke prägend für ihr Handeln.
 

Ergibt es also gar keinen Sinn, über die Generation Z zu sprechen?

Mörstedt: Doch. Es gibt zwar viele verschiedene Ausprägungen innerhalb einer Generation, aber in den Mittelwerten lassen sich trotzdem Trends sowie Unterschiede zu anderen Alterskohorten feststellen. Sprechen wir also über die Generation Z.
 

Wofür steht die Generation Z?

Mörstedt: Die Generation Z ist in einer Welt groß geworden, wo alles volatil, unsicher, komplex und von Mehrdeutigkeit geprägt ist. Man nennt das auch die VUCA-Welt (siehe Kasten, Anm. der Red.). In vielen Entscheidungsbereichen fahren wir heute nur noch auf Sicht, weil sich jeden Tag etwas ändert. Das heißt, die Generation Z wird in einer multioptionalen Welt groß, ihr stehen theoretisch alle Türen offen und sie hat alle Möglichkeiten, ihren Neigungen nachzugehen. Wenn junge Menschen ihre Vorbilder und Stars treffen wollen, können sie das ganz einfach im Internet tun. Auf der anderen Seite zeichnet die Vertreter der Generation Z aus, dass sie wegen der Unzahl an Möglichkeiten Angst hat, irreversible Entscheidungen zu treffen. Es gibt so viele Lebenskonzepte, das stresst viele junge Menschen. Überlegen Sie mal, es gibt in Deutschland ungefähr 21.000 Studiengänge und 450 Ausbildungsmöglichkeiten, da weiß man doch gar nicht, wofür man sich entscheiden soll.

VUCA-Welt

„VUCA“ steht für „volatility“ (Volatilität), „uncertainity“ (Unsicherheit), „complexity“ (Komplexität) und „ambiguity“ (Mehrdeutigkeit). Das Akronym wird in der Wissenschaft und im Beratungsjargon verwendet, um die Phänomene der modernen Welt mit einem Begriff zu umschreiben.

Was heißt das für die Generation Z und ihr Lebenskonzept?

Mörstedt: Die VUCA-Welt und die ungewisse Zukunft erschweren der Generation Z den Einstieg in das Arbeitsleben, weil es kaum noch Ankerpunkte gibt, die ihnen Orientierung für den weiteren Lebensweg geben. Die jungen Menschen versuchen das zu kompensieren, indem sie auf der einen Seite eine sinnstiftende Arbeit suchen und sich selbst verwirklichen wollen, auf der anderen Seite sind sie häufig überfordert, weil alles so vielfältig ist.
 

Sie haben die Unsicherheit und die Komplexität der VUCA-Welt angesprochen. Welche Erfahrungen haben die Generation Z in dieser Hinsicht geprägt?

Mörstedt: Dazu gehört mit Sicherheit die Corona-Zeit, als sich die Welt quasi über Nacht komplett verändert hat. Für die Generation Z war das eine einschneidende Erfahrung. Auf einmal gab es Homeschooling und die jungen Menschen konnten ihre Freunde nicht mehr sehen. Oder sie sind in die Universitätsstädte gefahren, nur um dort auf neun Quadratmetern in ihrem WG-Zimmer auszuharren, weil es kein Studentenleben mehr gab. Das prägt, wie man leider auch am Anstieg depressiver Erkrankungen in dieser Altersgruppe sehen kann. Mittlerweile haben sich bei der Generation Z aufgrund der allgemeinen Entwicklung auch sehr grundlegende Ängste herausgebildet: die Angst vor Inflation, die Angst vor Arbeitslosigkeit, die Angst, überhaupt eine Wohnung zu finden und diese bezahlen zu können. Aber auch hier gilt: Man darf das nicht zu sehr verallgemeinern. Es gibt auch viele junge Menschen, die positiv nach vorne schauen.

Welche Ansprüche hat die Generation Z denn vor diesem Hintergrund an Arbeitgeber?

Mörstedt: Die Generation Z ist keineswegs nur auf das Privatleben fokussiert, wie man das immer wieder vernimmt. Die jungen Menschen wollen Spaß und in ihrer Freizeit etwas erleben, das stimmt, aber sie sind auch bereit, Leistung zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen. Sie erwarten jedoch, dass die Arbeit zum Privatleben passt. Beide Sphären halten sie anders als frühere Generationen strikt getrennt. Wenn sie Feierabend haben und nach Hause gehen, dann ist für diesen Tag auch wirklich Schluss mit Arbeit. Wichtig ist ihnen auch eine kollegiale Atmosphäre und ein Job, der Sinn ergibt. Zwei weitere bedeutende Begriffe sind Wertschätzung und Flexibilität. Die Generation Z möchte, dass ihre Arbeit von ihren Chefs sowie im Kollegenkreis wertgeschätzt wird. Flexibles Arbeiten beruht aus Sicht der Generation Z auf Gegenseitigkeit, sie wird also auch vom Arbeitgeber erwartet, wenn es die persönliche Situation erfordert. Das heißt aber nicht, dass junge Menschen ausschließlich im Homeoffice arbeiten möchten. Sie kommen gerne in die Firma, wenn sie es bei Bedarf auch anders handhaben können.

„Im Recruiting müssen Personaler heute wie Vertriebler denken.“

Wie können Arbeitgeber die Generation Z am besten ansprechen, um sie für das Unternehmen zu gewinnen und an sich zu binden?

Mörstedt: Personaler müssen heute wie Vertriebler denken. Es reicht nicht mehr, eine Stelle auszuschreiben, sondern Arbeitgeber müssen Argumente entwickeln, warum es sich lohnt, bei ihnen anzufangen. Inwiefern stiftet die Tätigkeit Sinn? Welche Arbeitsatmosphäre herrscht im Unternehmen vor? Wer darauf die passende Antwort hat, punktet auch bei der Generation Z. Äußerst wichtig sind auch niedrigschwellige Angebote, um sich zu bewerben, Stichwort Mobile Recruiting. Das heißt, die Karriereseite des Unternehmens sollte sehr ansprechend gestaltet und für mobile Endgeräte optimiert sein. Am besten steht auf der Webseite dann auch noch eine Handy-Nr., damit die jungen Menschen das Unternehmen ganz einfach per WhatsApp kontaktieren können. Der Bewerbungsprozess muss so unkompliziert sein wie möglich – kein Anschreiben, kein Lebenslauf, einfach die Aufforderung, wenn Du Bock hast, bei uns zu arbeiten, schreibe uns per WhatsApp. Und dann muss dieser junge Mensch am nächsten Tag auch eingeladen werden, sonst ist er wieder weg.
 

Eine WhatsApp-Nummer soll reichen, um junge Leute für das Unternehmen zu begeistern?

Mörstedt: Natürlich nicht. Unternehmen sollten Bewerbungen auf allen Kanälen zulassen, nur eben so unkompliziert wie möglich. Smart Channel Recruiting nennt man das heutzutage. Wer will, sollte sich auch per E-Mail oder sogar auf Papier bewerben können, nur eben ohne das strenge Korsett mit obligatorischem Anschreiben und Lebenslauf und Zeugnissen, wie das bei Bewerbungen früher üblich war.

„Dreh- und Angelpunkt für alle Recruiting-Aktivitäten ist eine ansprechende Karriereseite.“

Welche sozialen Medien bieten sich denn an, um junge Menschen anzusprechen? Facebook zum Beispiel ist bei der Generation Z doch kaum noch relevant…

Mörstedt: Das stimmt, trotzdem halte ich Facebook nach wie vor für einen wichtigen Kanal, um junge Menschen zu erreichen – nur eben nicht mehr direkt, sondern über ihre Eltern. Denn die sind mit Facebook groß geworden und dort noch aktiv. Aus Umfragen wissen wir, dass immer noch mehr als 60 Prozent der jungen Menschen mit ihren Eltern über ihre Berufswahl sprechen. Deswegen ist die Idee, die Eltern über Facebook anzusprechen, nach wie vor keine schlechte. Wichtige Kanäle für junge Menschen sind aktuell Instagram und insbesondere Tiktok. Ein tolles Beispiel für wirklich gute Inhalte auf Tiktok ist die Volksbank Mittelhessen. Da machen sogar die Vorstände mit. Die Kreditgenossenschaft hat erkannt, dass sich junge Leute auf Tiktok über Geld und Geldgeschäfte informieren. Die Azubis greifen das in kurzen Erklärfilmen auf und machen so Werbung für ihre Bank. Dreh- und Angelpunkt für alle Recruiting-Aktivitäten ist aber eine ansprechende Karriereseite, auf der gerne auch Erklärvideos eingebettet sind, was das Unternehmen eigentlich macht und wie es so ist, dort zu arbeiten. So eine Karriereseite darf sich durchaus von der normalen Webseite des Unternehmens unterscheiden und auch mal etwas dynamischer sein. Insbesondere bei Genossenschaften lohnt es sich, die regionale Verbundenheit und die Vorzüge als regionaler Arbeitgeber zu betonen. Etwas Lokalkolorit einzubinden, ist immer gut.

Gehen wir vom Recruiting einen Schritt weiter: Was können Unternehmen tun, um junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig zu halten?

Mörstedt: Mitarbeiterbindung beginnt im Idealfall weit vor dem ersten Arbeitstag. Preboarding heißt das. Sobald die betreffende Person den Arbeitsvertrag unterschrieben hat, sollte sich das Unternehmen um sie kümmern, zum Beispiel mit einer Willkommenspostkarte und der Botschaft: Schön, dass Du dabei bist! Wenn es sich anbietet, kann das Unternehmen auch Hilfe beim Umzug anbieten oder die neuen Mitarbeitenden auf einen Kaffee einladen und ihnen die Räumlichkeiten vorstellen. Sobald die Neuen dann da sind, brauchen sie Orientierung. Da kann es helfen, auch mal die Eltern einzuladen und ihnen zu zeigen, wo ihr Kind arbeitet. Wichtig ist auch eine klare und offene Kommunikation. Wie bereits erwähnt wollen junge Menschen wertgeschätzt werden. Chefs sollten also die jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Entscheidungen einbeziehen und sie um ihre Meinung fragen. Darauf springen sie an, schließlich werden sie auch in den sozialen Medien um ihre Meinung gefragt. Um dem Bedürfnis der Generation Z nach Selbstverwirklichung entgegenzukommen, sollte das Unternehmen nicht nur Fortbildungen anbieten, die ihm selbst nützen, sondern auch der persönlichen Entwicklung des Mitarbeitenden zugutekommen.

„Jungen Menschen ist die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes wichtig. Genossenschaften können sich hier als zuverlässige regionale Arbeitgeber positionieren.“

Inwiefern lässt sich auch die Suche der Generation Z nach einer sinnvollen Tätigkeit für die Mitarbeiterbindung nutzen?

Mörstedt: Das sollten die Unternehmen in jedem Fall betonen. Die Volks- und Raiffeisenbanken sorgen dafür, dass junge Menschen ihre Träume finanzieren können, Energiegenossenschaften produzieren regional Strom und Wärme, genossenschaftliche Dorfläden erhalten die regionale Versorgung mit Lebensmitteln aufrecht. Dort zu arbeiten, ist also absolut sinnstiftend. Jungen Menschen ist außerdem die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes wichtig. Das wissen wir aus vielen Studien. Genossenschaften können sich hier als zuverlässige regionale Arbeitgeber positionieren.

„Die Generation Z will verstehen, was sie tut.“

Wie will die Generation Z geführt werden?

Mörstedt: Die Zeiten, als der Chef eine Ansage gemacht hat und alle sind losgerannt, die sind ganz klar vorbei. Die Generation Z erwartet eher einen Coach mit Entertainment-Qualitäten. Sie will verstehen, was sie tut. Deshalb müssen Führungskräfte sehr viel mehr erklären als früher. Extrem wichtig ist regelmäßiges, positives Feedback, auch bei Fehlern. Führungskräfte sind heute viel mehr Vorbild als früher. Sie gehen voran, vermitteln den Sinn der Tätigkeit und stehen auch als Gesprächspartner für Privates zur Verfügung. Das ist der Führungsstil, der heute erfolgreich ist – übrigens nicht nur bei der Generation Z. Auch die Babyboomer und die anderen Generationen wollen ihre Arbeit wertgeschätzt sehen. Davon profitieren die Unternehmen im Idealfall ganz massiv, denn wenn sich der Babyboomer in der Firma pudelwohl fühlt und noch ein paar Jahre dranhängt anstatt in Frührente zu gehen, dann muss das Unternehmen in dieser Zeit auch keine neue Fachkraft suchen.
 

Wagen Sie noch einen Ausblick auf die Generation Alpha, also die Jahrgänge ab 2011. Was kommt auf die Unternehmen zu, wenn diese Generation in wenigen Jahren zu arbeiten beginnt?

Mörstedt: Kinder der Generation Alpha wachsen in einer Welt voller Technologien auf. Durch die frühzeitige Nutzung von Smartphones und Tablets sind sie stark visuell und interaktiv geprägt. Psychologen bescheinigen ihnen in Studien eine noch kürzere Aufmerksamkeitsspanne als bei der Generation Z, auch die Frustrationstoleranz ist geringer. Weil sie eine Welt voller Krisen und Konflikte erleben, nenne ich sie auch die Poly-Krisenkinder. Um in dieser Welt der Unsicherheiten zu bestehen, ist das Bedürfnis der Generation Alpha nach Strukturen noch ausgeprägter als bei der Generation Z. Im Vergleich werden das Coaching und das Führen auf Augenhöhe bei der Generation Alpha also noch wichtiger. Darauf sollten sich Arbeitgeber einstellen.

„Von jungen Menschen können die Unternehmen lernen, sich auf die Digitalisierung einzulassen.“

Letzte Frage: Was können Unternehmen von den Generationen Z und Alpha lernen?

Mörstedt: Von jungen Menschen können die Unternehmen lernen, sich auf die Digitalisierung einzulassen. Auch wenn immer von Krisen und Unsicherheiten die Rede ist: Diese jungen Menschen sind intelligent, sie können was und sie bringen frischen Wind in die Unternehmen. Sie sind offen für Neues, weil sich die Welt rasend schnell verändert und sie es nicht anders kennen. Bei entsprechender Führung haben sie eine hohe Kompetenz, sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden. Die Unternehmen tun gut daran, diese Kompetenz für sich zu nutzen und den Dialog zwischen den Generationen zu fördern. Wir sollten ohnehin damit aufhören, alles negativ zu sehen und zu polarisieren. Wenn die Generationen aufeinander zugehen und auf Augenhöhe miteinander und voneinander lernen, können wir alle mit Zuversicht in die Zukunft blicken.

Frau Professor Mörstedt, vielen Dank für das Interview!

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