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Die zunehmende Regulatorik und Bürokratie stellen eine erhebliche Belastung für die Volks- und Raiffeisenbanken in Bayern dar. Um sich vor Ort ein Bild von den Herausforderungen zu machen, besuchte der bayerische Staatsminister für Europaangelegenheiten und Internationales, Eric Beißwenger, Mitte September die Raiffeisenbank Kempten-Oberallgäu in seinem Stimmkreis. Dort tauschte er sich mit Stefan Müller, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB), sowie Vertretern der regionalen VR-Banken aus: Von der Raiffeisenbank Kempten-Oberallgäu waren Vorstandssprecher Heinrich Beerenwinkel und die Vorstandsmitglieder Wilhelm Oberhofer und Dieter Schaidnagel mit dabei, von der Allgäuer Volksbank die Vorstände Klaus Peter Wildburger und Donat Asbach.

„Es ist ein spaßbefreites Thema“, bekannte Beerenwinkel zum Beginn der Gesprächsrunde. Umso wichtiger sei es, Impulse zu setzen, um die zunehmende Regulatorik und Bürokratie zurückzudrängen und auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen. Die Einhaltung des Aufsichtsrechts verschlinge erhebliche Kapazitäten und Kosten, die an anderer Stelle fehlten.

Bewährte Sicherungssysteme erhalten

Mittlerweile stamme mehr als die Hälfte aller Vorschriften aus Brüssel, betonte GVB-Präsident Stefan Müller. Er griff in Kempten aus der Vielzahl drängender Themen zwei Punkte heraus: Die auf EU-Ebene immer wieder diskutierte Einführung einer gemeinsamen Einlagensicherung (EDIS) sowie die geplante Reform der Regeln zur Abwicklung von Instituten und zur Einlagensicherung (CMDI-Review). Im Herbst komme in Brüssel neuer Schwung in die Themen, ist Müller überzeugt. Dann werde es spannend. Eine Vergemeinschaftung der Risiken gefährde bewährte Schutzsysteme wie die präventiv ausgerichtete genossenschaftliche Institutssicherung, warnte Müller. „EDIS würde falsche Anreize schaffen und funktionierende Strukturen zerstören. Anstelle einer Vergemeinschaftung national erprobter Sicherungssysteme sollte die EU den Fokus auf den Abbau von Risiken und die Stärkung bestehender Lösungen legen. Nur so können Proportionalität und Verantwortung gewahrt bleiben – zentrale Prinzipien für ein stabiles Finanzsystem.“

Ähnlich kritisch sieht Müller die in der CMDI-Reform geplante Ausweitung des Bankenabwicklungsregimes auf kleine und nicht systemrelevante Banken wie Volks- und Raiffeisenbanken. Diese Pläne könnten die Prinzipien der Proportionalität und Subsidiarität verletzen, indem bewährte nationale Sicherungsmechanismen durch einheitliche europäische Vorschriften ersetzt würden. Die genossenschaftliche Finanzgruppe habe den Anspruch, ihre Probleme selbst zu lösen. Sollte in Zukunft eine europäische Behörde für das Krisenmanagement und die Abwicklung von Banken zuständig sein, wäre es mit der Eigenverantwortung vorbei. „Dieser Paradigmenwechsel beschäftigt uns massiv. Hier benötigen wir die Unterstützung der Staatsregierung“, wandte sich Müller an Staatsminister Beißwenger. Kleinere Banken trügen bereits heute zum europäischen Abwicklungsfonds bei. Eine weitere Belastung beeinträchtige ihre Stabilität durch unverhältnismäßige Kosten und zusätzliche Bürokratie. „Die genossenschaftliche Institutssicherung hat sich seit Jahrzehnten bewährt und sollte nicht durch unangemessene, vereinheitlichte Regelungen gefährdet werden“, betonte Müller.

„EU-Regulatorik, nationales Aufsichtsrecht, AGB-Urteil – es ist die Summe dessen, was auf die Banken an Bürokratie und Regulatorik einprasselt.“

GVB-Präsident Stefan Müller

EDIS und die CMDI-Reform seien jedoch nur zwei Punkte von vielen, die den VR-Banken Sorgen bereiten. „EU-Regulatorik, nationales Aufsichtsrecht, AGB-Urteil – es ist die Summe dessen, was auf die Banken an Bürokratie und Regulatorik einprasselt“, beschrieb Müller das Problem. Der GVB-Präsident übergab Beißwenger einen Katalog mit 36 konkreten Vorschlägen zum Bürokratieabbau im Bankensektor (siehe Kasten). Unter anderem sollten Informationsblätter zu Finanzprodukten besser aufeinander abgestimmt, vereinfacht oder abgeschafft werden. Zudem sollte das nationale Millionenkredit-Meldewesen beendet werden, da es zusammen mit dem europäischen AnaCredit-Meldewesen zu einer Doppelbelastung führt. Das würde auch eine erhebliche Kostenentlastung für Banken und Aufsichtsbehörden bedeuten.

Regionalbanken entlasten: 36 Vorschläge zum Abbau von Bürokratie im Bankenbereich

Bürokratie ist grundsätzlich nichts Schlechtes – sie sorgt dafür, dass Abläufe in der öffentlichen Verwaltung und Wirtschaft einheitlich geregelt sind. Doch in den letzten Jahren haben sich viele Vorschriften angesammelt, die oft mehr behindern als helfen. Im Bankenbereich wird das zunehmend zum Problem. Deshalb hat der GVB 36 konkrete Vorschläge formuliert, um unnötige Bürokratie zu streichen und Prozesse effizienter zu gestalten. Das Papier kann auf der GVB-Webseite heruntergeladen werden.

Hohe Belastung durch AGB-Urteil

Die von den Vorständen der Raiffeisenbank Kempten-Oberallgäu und der Allgäuer Volksbank zusammengetragenen Beispiele für überbordende Regulatorik und Bürokratie zeigten, dass die Belastungen nicht nur auf die EU zurückgehen, sondern genauso auf nationale Institutionen. Beerenwinkel war es ein Anliegen, mit den Beispielen „weg vom hohen Abstraktionsgrad ins Konkrete“ zu kommen, sprich: Wo drückt die Regionalbanken bei der Regulatorik und der Bürokratie der Schuh?

Der Vorstand nannte insbesondere das AGB-Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2021. Seitdem müssen Banken grundsätzlich die Zustimmung aller Kunden einholen, wenn sie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) oder das Preis- und Leistungsverzeichnis ändern wollen. Sie dürfen die Zustimmung nicht mehr als erteilt voraussetzen, sofern der Kunde nicht innerhalb einer gewissen Frist widerspricht. Bei den Kreditinstituten führt das Urteil zu einer hohen Arbeitsbelastung, denn sie müssen bei AGB-Änderungen jeden betroffenen Kunden einzeln kontaktieren und um sein Einverständnis bitten.

Bei den Kundinnen und Kunden stoße die Zustimmungspflicht und die damit einhergehende Informationsflut auf Unverständnis, berichtete Beerenwinkel. Bei der letzten Gebührenänderung habe man zwei Jahre gebraucht, bis alle Kunden zugestimmt hätten. Vorstand Donat Asbach von der Allgäuer Volksbank erwähnte zudem die Kosten, die den Banken durch die Zustimmungspflicht bei AGB-Änderungen entstehen. 30.000 bis 40.000 Euro für Druck und Papier, Portogebühren sowie Personalkosten seien schnell erreicht. „Solche Aktionen verschlingen eine Unmenge Geld, und der Verbraucher wird drangsaliert“, beklagte sich Asbach.

Andere Branchen von AGB-Urteil nicht betroffen

Andere Branchen, etwa die Anbieter von Musik- und Streaming-Plattformen, könnten hingegen weiterhin Gebühren ändern, ohne die Zustimmung aller Kunden einholen zu müssen. „Für Banken wurde durch das AGB-Urteil des Bundesgerichtshofs ein exklusiver Rechtsrahmen geschaffen, das ist falsch verstandener Verbraucherschutz“, kritisierte Vorstand Klaus Peter Wildburger von der Allgäuer Volksbank. „Wir richten den dringenden Appell an die Politik, hier eine andere Rechtslage zu beschließen.“ Beißwenger stimmte zu: „Das ist ein gutes Beispiel für schlecht verstandenen Verbraucherschutz und widerspricht dem Leitbild des aufgeklärten Verbrauchers. Je mehr Papier ich produziere, desto mehr Unverständnis hat der Verbraucher“, sagte der Minister.

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Zunehmende Dokumentations- und Informationspflichten belasten die bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken extrem. Bei einem Besuch in der Raiffeisenbank Kempten-Oberallgäu machte sich Bayerns Europaminister Eric Beißwenger ein Bild von der Lage. Die Zusammenfassung im „Profil“-Video.

Fülle an Komplexitäten und Kosten

Ein Beispiel für überzogene Dokumentationspflichten sei die Ende 2022 eingeführte Wohnimmobilienfinanzierungsstatistik, berichteten die Bankvorstände. Auch bei der Erstellung von Wertgutachten für Immobilien habe sich der Zeitaufwand in den vergangenen Jahren verdoppelt. Vereinfachungsregeln würden nicht überall gelten, zur Besichtigung und Bewertung von Immobilien müsse die Bank nun unabhängige Gutachter heranziehen, die nicht in den Kreditprozess eingebunden sind, selbst bei Kleinkrediten. Der Gesetzgeber wolle durch diese Regeln die Bewertung des Kreditrisikos verbessern, dabei gehe bei privaten Immobilienfinanzierungen die Ausfallrate gegen Null. Die Banken müssten dagegen die zusätzlichen Komplexitäten und Kosten bewältigen.

Auch die jüngste Novelle der Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Banken (MaRisk) habe eine Fülle zusätzlicher Dokumentationspflichten mit sich gebracht, etwa bei Szenario- und Sensitivitätsanalysen sowie der Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken. „Hier ist mal wieder der Bürokratie-Turbo gezündet worden. Ständig setzt der Gesetzgeber eins drauf. Diese zusätzlichen Anforderungen binden enorme Ressourcen“, kritisierte Vorstand Wilhelm Oberhofer von der Raiffeisenbank Kempten-Oberallgäu.

Regeln treten häufig ohne Umsetzungsfrist in Kraft

Kritik übten die Bankvorstände auch daran, dass aufsichtsrechtliche Regelungen und Auslegungen von Vorschriften häufig unmittelbar und ohne Umsetzungsfrist in Kraft treten. Dadurch hätten die Banken keine Chance, die neuen Regeln von Beginn an qualifiziert umzusetzen. „Dadurch haben wir doppelten und dreifachen Aufwand bei der Organisation, weil wir die Regeln erst provisorisch umsetzen müssen, um die Fristen einzuhalten, um sie dann nochmal vernünftig aufzusetzen. Dieses Bürokratie-Rad, das wir immer wieder drehen müssen, ist fern jeder Wirklichkeit“, kritisiert Beerenwinkel.

„Dieses Bürokratie-Rad, das wir immer wieder drehen müssen, ist fern jeder Wirklichkeit.“

Heinrich Beerenwinkel, Vorstandssprecher der Raiffeisenbank Kempten-Oberallgäu

Vorstand Dieter Schaidnagel von der Raiffeisenbank Kempten-Oberallgäu schilderte zu guter Letzt den Dokumentationsaufwand der Bank im Wertpapiergeschäft, etwa wenn ein Kunde Wertpapiere ordern will, aber keine Beratung wünscht. Trotzdem müsse die Bank überprüfen und dokumentieren, ob die Order zu den Kenntnissen und Erfahrungen des Kunden im Wertpapiergeschäft passt. „Welchen Mehrwert hat das für den Kunden?“, fragte Schaidnagel. „Unser Ziel ist es, den Kunden gut zu beraten. Aber was vom Berater alles abgefragt werden muss, bis die Order getätigt werden kann, steht in keinem Verhältnis zum Nutzen.“

Bürokratie schadet der Wirtschaft

Bankvorstand Heinrich Beerenwinkel wies noch auf einen grundsätzlichen Aspekt hin: Die überbordende Regulatorik und Bürokratie belaste die Kreditvergabe und schade so letztlich der Wirtschaft. Jede neue Regel sei für sich nur ein Mosaikstein unter vielen, doch in der Summe entstehe ein Dominoeffekt, den zu stoppen immer schwieriger werde. „Angesichts der aktuellen Konjunktur ist viel Einsatz für die Wirtschaft angesagt, aber in der Gesamtschau wirken sich die vielen Vorgaben und Dokumentationspflichten wirtschaftsschädlich aus. Das macht uns Sorgen“, sagte auch Wilhelm Oberhofer.

„Seit einigen Jahren beobachten wir in Europa einen Zuwachs an Regulatorik, der hauptsächlich die Wirtschaft belastet, ohne den beabsichtigten Mehrwert zu erzeugen. Das gilt insbesondere bei Eigenkapitalvorschriften, beim Thema Nachhaltigkeit und im Verbraucherschutz,“ fasste GVB-Präsident Müller zusammen. „Die nächste EU-Kommission muss erkennen, dass Regulierung nur funktioniert, wenn sie praxistauglich ist. Die gute Absicht allein schafft noch keine Resultate.“

Europaminister Eric Beißwenger versprach, die aufgezählten Punkte sowie die 36 Vorschläge zum Abbau von Bürokratie im Bankenbereich in die Politik zu tragen. Die Bayerische Vertretung in Brüssel verfüge über gute Kontakte zu den EU-Institutionen und könne entsprechende Anliegen an passender Stelle platzieren. „Es ist immer wichtig, wenn man in die Praxis reinhört“, sagte Beißwenger.

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