Immobiliengeschäft: Sind die goldenen Zeiten vorbei? Zwei Wissenschaftler und zwei Bankvorstände schätzen die Lage ein.
Herr Thiel, mit offenen Immobilienfonds können Privatanlegerinnen und -anleger vorrangig in gewerbliche Immobilien investieren. Was sind die zentralen Vorteile im Vergleich zu anderen Anlageformen?
Carsten Thiel: Da ist auf jeden Fall der Steuervorteil zu nennen. Denn das Thema Rendite wird derzeit oft bemüht, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit offener Immobilienfonds geht. Meist wird die Rechnung jedoch ohne den bestehenden Steuervorteil der Immobilienprodukte gemacht. Durch eine Teilfreistellung liegt die Nach-Steuer-Rendite bereits jetzt schon in Schlagdistanz zu den derzeit starken zinstragenden Produkten. Zur Erinnerung: Anleger offener Immobilienfonds zahlen auf 60 Prozent der Ausschüttungen und Verkaufsgewinne keine Abgeltungsteuer. Hat der Fonds seinen Anlageschwerpunkt im Ausland, sind es sogar 80 Prozent. Bei Aktienfonds liegt die Teilfreistellung nur bei 30 Prozent, Rentenfonds oder Termingelder haben gar keine Teilfreistellung. Und wer nur auf die reine Wertentwicklung offener Immobilienfonds schaut, vergisst, dass sie insbesondere mit einer stabilen Ausschüttungsrendite punkten.
„Offene Immobilienfonds sind der Fels in der Brandung, der sich gegen Inflation und die Schwankungen an den Kapitalmärkten zur Wehr setzt.“
Es ergibt also aus Ihrer Sicht Sinn, offene Immobilienfonds im Portfolio zu haben?
Thiel: Absolut! Offene Immobilienfonds können aufgrund ihrer geringen Korrelation zu anderen Assetklassen und ihrer Stabilität Verlustrisiken im Portfolio begrenzen. Da die neue Ära der „Great Transformation“ mit höheren Zinsen, mehr Inflation, aber auch stärkerer Wachstumserwartung künftig für eine höhere Volatilität an den Kapitalmärkten sorgen wird, ist das nicht zu unterschätzen. Offene Immobilienfonds sind der Fels in der Brandung, der sich gegen Inflation und die Schwankungen an den Kapitalmärkten zur Wehr setzt. Sie sind und bleiben ein zentraler Baustein der strukturierten Geldanlage und ergänzen zinstragende Produkte sinnvoll.
Union Investment Real Estate: Einer der führenden Immobilien-Investmentmanager in Europa
Union Investment steht nach eigenen Angaben seit mehr als 55 Jahren für vorausschauende Immobilien-Investments und aktives Asset Management weltweit. In offenen Immobilien-Publikumsfonds, Spezialfonds sowie über Service- und Bündelungsmandate werden insgesamt rund 57 Milliarden Euro Anlagevermögen verwaltet. Damit zählt Union Investment zu den führenden Immobilien-Investmentmanagern in Europa. Aktuell hält Union Investment weltweit rund 500 Immobilien in 26 Ländern im aktiv gemanagten Bestand. Der Schwerpunkt ihrer Immobilienanlagen liegt in den Bereichen Büro, Einzelhandel, Hotel, Logistik, Wohnen und sogenanntem Mixed-Use - der gemischten Nutzung.
Der Immobilienmarkt ist aufgrund der Zinswende und der Inflation unter Druck geraten. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf Immobilienfonds?
Thiel: Für Fondsmanager sind steigende Zinsen ein ganz normaler zyklischer Effekt, auch wenn wir so etwas lange nicht mehr erlebt haben. Die Zinswende führt zur Herausbildung eines neuen Marktniveaus. Denn aufgrund der steigenden Finanzierungskosten hat sich die Nachfrage nach Immobilien deutlich reduziert und Eigenkapitalinvestoren fordern eine höhere Anfangsrendite, was zu fallenden Kaufpreisen führt. Wir sind aktuell noch in einer Preisfindungsphase. Das neue Marktniveau wird sich erst bilden, wenn sich das Zinsniveau stabilisiert hat. Das wird voraussichtlich bis Mitte 2024 passieren.
Was bedeutet das für die Performance offener Immobilienfonds?
Thiel: Die Performance offener Immobilienfonds setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Bewertungsrendite, Liquiditätsrendite und Mietrendite. Die Bewertungen sind im aktuellen Zinsumfeld gesunken und lassen auch in der Zukunft deutlich niedrigere Performance-Beiträge erwarten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass an den Immobilientransaktionsmärkten nach wie vor quasi Stillstand herrscht, weil weder Käufer noch Verkäufer das Gefühl haben, ihre Ansprüche durchsetzen zu können. Die Liquiditätsanlagen hingegen werfen, anders als in den vergangenen zehn Jahren, wieder Ertrag ab. Zudem sorgen das aktuelle Zinsumfeld und die hohe Inflation für steigende Mieten. Zum einen können wir von Absicherungsklauseln in den Beständen profitieren, zum anderen steigen generell die Marktmieten – mit positivem Effekt für die Fonds. Denn die Nutzermärkte im Kernsegment sind nach wie vor robust. Bei attraktiven Gebäuden in nachgefragten zentralen Lagen sind Nutzer bereit, die entsprechenden höheren Mieten zu zahlen. Preisanpassungen und eine schwierigere Vermietbarkeit sind vor allem außerhalb des Spitzensegments und bei Immobilien mit Modernisierungsbedarf zu erwarten. Unsere Immobilienfonds zeichnen sich durch langfristige Mietverträge und Cashflows aus, die im Vergleich zu anderen Asset-Klassen relativ stabil sind. Das sichert im aktuellen Umfeld regelmäßige und hohe Ausschüttungsrenditen.
Wie ist die aktuelle Liquiditätssituation der offenen Immobilienfonds?
Thiel: Den Publikumsfonds fließen weniger Mittel zu als vor der Zinswende. Wir verzeichnen jedoch weiterhin einen positiven Nettomittelabsatz. Wir stellen uns aber für die kommenden zwölf Monate auf einen stärkeren Wettbewerb mit zinstragenden Produkten ein. Von Vorteil ist in der derzeitigen Phase, dass wir in den Publikumsfonds ein relativ hohes Sparplanvolumen haben. Außerdem haben wir von der Kontingentierung auf ein Ampelsystem umgestellt. Damit sind alle unsere Produkte gleichzeitig für Anleger geöffnet und können für den Aufbau einer ausgewogenen Vermögensstruktur gezeichnet werden. Die Liquiditätssituation unserer Fonds ist aktuell absolut ausreichend.
Union Investment bietet Privatkundinnen und -kunden vier offene Immobilienfonds an:
- Der „UniImmo: Deutschland“ investiert schwerpunktmäßig in Gewerbeimmobilien in Deutschland. Das weitere Immobilienvermögen ist in europäischen Metropolen wie Wien, Paris oder London angelegt.
- Der Schwerpunkt des „UniImmo: Europa“ liegt auf Gewerbeimmobilien an europäischen Standorten. Als Beimischung investiert er einen Anteil in Amerika und in der Region Asien-Pazifik.
- Der Anlagefokus des weltweit investierenden „UniImmo: Global“ sind Gewerbeimmobilien, die in Amerika, der Region Asien-Pazifik und Europa liegen.
- Das Anlageuniversum des „UniImmo: Wohnen ZBI“ umfasst Wohnimmobilien unterschiedlicher Größe, verschiedenster Strukturen und ist europaweit verteilt.
Zuletzt hat die Bundesbank vor deutlichen Überbewertungen am Immobilienmarkt gewarnt. Wie sind die Immobilienfonds von Union Investment für mögliche Preiskorrekturen aufgestellt?
Thiel: Aktuell sind keine größeren Bewertungsanpassungen in Sicht. Jede einzelne Immobilie wurde bis Ende September mindestens dreimal in diesem Jahr neu bewertet. Es gibt also keinen Bewertungsstau. Die grundsätzlich vorsichtige Bewertung der offenen Immobilienfonds im Rahmen des gesplitteten Ertragswertverfahrens, das den Fokus auf nachhaltige Mieterträge legt und nachweislich kurzfristige Schwankungen ausblendet, hat sich erneut bewährt. Bei dieser Bewertung gibt es zwei Komponenten: den Rohertrag, also die Ertragsseite, und den Liegenschaftszins, der von Sachverständigen angesetzt wird. Die Ertragsseite ist stabil, da wir einen sehr geringen Leerstand, im Bestand positiv wirkende Mietsicherungsklauseln und keinen Druck auf die Mieten haben. Dadurch können die steigenden Kapitalisierungszinsen weitgehend kompensiert werden. Zumal unsere unabhängigen Sachverständigen das von den Boomjahren geprägte hohe Bewertungsniveau nicht voll mitgegangen sind. Aufgrund dieser konservativen und nachhaltigen Bewertungspraxis erwarten wir eine über das Gesamtportfolio stabile Wertentwicklungstendenz.
„Aktuell passen wir unseren Investitionskurs an: Neuakquisitionen werden bis auf Weiteres äußerst selektiv getätigt, wir konzentrieren uns auf die wenigen herausragenden Opportunitäten in Europa.“
Union Investment gehören rund 500 Objekte, zuletzt haben Sie unter anderem ein Bürohaus in Mailand, einen Hotelkomplex auf der Ostseeinsel Usedom sowie Wohntürme in Amsterdam erworben. Können Sie Ihre Immobilienstrategie näher erläutern?
Thiel: Wir investieren überwiegend in die Hauptnutzungsarten Büro, Einzelhandel, Hotel, Logistik und Wohnen. Dabei setzen wir vor allem auf sogenannte Core-Immobilien, also auf Top-Gebäude in guten bis sehr guten Lagen. Aktuell jedoch erfordert unser Anlegerauftrag vor dem Hintergrund steigender Risiken an den Immobilienmärkten eine taktische Anpassung unseres Investitionskurses. Neuakquisitionen werden bis auf Weiteres äußerst selektiv getätigt. Wir konzentrieren uns auf die wenigen herausragenden Opportunitäten in Europa, von denen wir uns eine langfristige Bereicherung für unsere hochwertigen Immobilienportfolien und einen nachhaltigen Performancebeitrag für unsere Fonds und Anleger versprechen. Gleichzeitig wird das Assetmanagement immer wichtiger. Wir müssen die Wertschöpfungskette neu denken.
Wie meinen Sie das?
Thiel: Aktuell findet am Immobilienmarkt ein Paradigmenwechsel statt. Lange Zeit standen Neubauten im Fokus. Jetzt sind Investitionen in den Bestand der Standard, Neubauten die Ausnahme. Der Kapitalmarkt war viele Jahre Treiber des Immobilienmarkts. Mit der Inflations- und Zinswende sehen wir nun einen weltweiten Rückgang von Transaktionen und Neubauprojekten. Darüber hinaus sind Immobilien immer Teil eines wirtschaftlichen Ökosystems. Ihre Bewertung wird maßgeblich von der Situation ihrer Nutzer bestimmt. Rezession und Inflation beeinflussen den Bedarf und den Anspruch an Immobilien sowie deren Ausstattung. Wir setzen den Fokus deshalb zunehmend auf die Umnutzung von Flächen in unserem Eigenbestand, auf die Nutzungserweiterung und die Aufwertung von Standorten zu attraktiven hochwertigen Quartieren. Damit schaffen wir Mehrwerte entlang der gesamten Wertschöpfungskette – für Anleger und Nutzer, für Klima und die Umwelt.
Sie haben das Thema bereits angerissen: Nachhaltigkeit wird auf dem Immobilienmarkt immer wichtiger, bis Mitte des Jahrhunderts soll der Gebäudebestand in der Bundesrepublik klimaneutral sein. Was bedeutet das für das Immobilienportfolio von Union Investment?
Thiel: Nachhaltigkeit ist im Immobiliensegment von Union Investment bereits seit rund 15 Jahren ein wichtiges und strategisch fest verankertes Thema. Die Nachhaltigkeitsinstrumente werden im gesamten Lebenszyklus der jeweiligen Immobilien eingesetzt. Sowohl im Ankauf als auch bei Vermietung, Bewirtschaftung und Sanierung der Immobilien verfolgen wir Ziele, die zur Wertbeständigkeit und Zukunftsfähigkeit der Immobilien beitragen und die ökonomische Performance langfristig stützen. Aktives Assetmanagement in Richtung Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde, um in Zukunft Wertverluste zu vermeiden.
Ein Investment in Immobilienfonds ist nicht nur für Privatkunden interessant, sondern auch für institutionelle Anleger wie die Volksbanken und Raiffeisenbanken. Welche Leistungen bietet Union Investment Real Estate in diesem Bereich an?
Thiel: Die institutionelle Investorenlandschaft ist sehr heterogen – entsprechend individuell schneiden wir unsere Lösungen zu. Wir haben eine breit aufgestellte Immobilienplattform, über die wir für jeden Bedarf die richtige Investitionsmöglichkeit anbieten können – seien es aktiv gemanagte Publikums- und Spezialfonds, Service-KVG-Mandate oder eine maßgeschneiderte Lösung beziehungsweise Kombination unserer Produktlösungen.
„Mein Ratschlag für die VR-Banken? Nicht die produktimmanenten Vorteile von Immobilienfonds aus dem Blick verlieren.“
Welchen Ratschlag haben Sie für Volksbanken und Raiffeisenbanken, die über Union Investment Real Estate in Immobilienfonds investieren möchten?
Thiel: Nicht die produktimmanenten Vorteile von Immobilienfonds aus dem Blick verlieren. Es sind mittel- bis langfristige Investments. Und die aktuelle Situation ist keine Besonderheit. Es gibt immer mal wieder herausfordernde Zeiten. Ein erfahrenes Management mit langfristigem Track-Rekord kann mit sicherer Hand durch schwieriges Fahrwasser navigieren.
Herr Thiel, vielen Dank für das Gespräch!