Wertegemeinschaft: Immer mehr Volksbanken und Raiffeisenbanken forcieren ihre Bemühungen zur Mitgliedergewinnung. Einige Institute sind auf dem Weg zur reinen Mitgliederbank. Wie gehen sie dabei vor?
Herr Schinke, Sie haben sich das Logo der VR-Banken auf den linken Oberarm stechen lassen, wir haben das Bild gesehen. Da sind Sie als Bankvorstand sicher die Ausnahme. Wie kam es dazu?
René Schinke: (lacht) Stimmt, so etwas hat nicht jeder. Aber um es vorwegzunehmen, das war kein echtes Tattoo.
Wir sind enttäuscht! Was war es dann?
Schinke: Das war ein temporäres Tattoo, das Bild haben wir für unsere aktuelle Mitgliederkampagne gemacht. Die Idee stammt von unserem Mitgliederteam. Die Arbeitsgruppe denkt sich Aktionen für unsere Mitglieder aus und organisiert auch die Mitgliederwerbung. In der aktuellen Kampagne „BANKBESITZER!“ stellen wir reale Mitglieder in den Mittelpunkt, die echte Typen sind und dadurch Aufmerksamkeit erregen. Den Anfang hat unser Mitglied Franz Kawen gemacht, ein Landwirt. Ihn haben wir vor einer Wand mit Heuballen abgelichtet und dazu getextet: „Ich hab jede Menge Heu“. Das wurde bei unseren Kunden sehr kontrovers diskutiert. 50 Prozent fanden die Werbung gut, 50 Prozent waren weniger begeistert. Aber was kann uns Besseres passieren, als wenn eine Kampagne so viel Aufmerksamkeit erregt?
Das stimmt. Und ein Tattoo erregt dann noch mehr Aufmerksamkeit?
Schinke: Genau. Unser Mitgliederteam hat sich nach einigen weiteren Motiven überlegt, wer für das nächste Testimonial infrage kommt. Sie haben dann Eugen Schreiner vorgeschlagen, der seit 2004 bei uns Mitglied ist. Er ist Inhaber des Tattoo- und Piercingstudios Stechwerk in Kempten. Mit seinem Team ist er mittlerweile überregional bekannt, in Tätowierer-Kreisen ist das Stechwerk eine große Nummer. Das wusste ich bis dahin auch nicht. Unser Mitgliederteam hat ihn dann angesprochen, ob er bei unserer Kampagne mitmachen will. Dann ist das Team auf mich zugekommen, weil sie der Meinung waren, das Motiv erregt die größte Aufmerksamkeit, wenn ich bei Eugen Schreiner auf dem Stuhl sitze und mich von ihm tätowieren lasse. Als Bankvorstand bin ich nun mal eines der bekannteren Gesichter unserer Bank. Und da ich eigentlich für jeden Spaß zu haben bin, habe ich zugestimmt.
Wie lange hält so ein temporäres Tattoo? Ein Kollege hat gemeint, das würde nie wieder weggehen.
Schinke: Doch, doch, das geht schon wieder weg. Eugen Schreiner hat jedoch alles so vorbereitet, als ob er mich wirklich tätowieren würde. Er hat einen Abzug des VR-Logos ausgedruckt und mir auf den Arm geklebt als Vorlage für das Tattoo. Die Nadel ist echt, damit alles möglichst real aussieht. Der Farbauftrag war aber nur oberflächlich und hat sich nach rund einer Woche wieder abgelöst. Und um gleich die nächste Frage vorwegzunehmen: Ein echtes Tattoo ist keine Option. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich mich nicht mehr tätowieren lassen würde. Außerdem habe ich von zu Hause eine ernstzunehmende Drohung erhalten, dass so etwas nicht toleriert würde (lacht). Trotzdem war es den Spaß wert.
Immerhin für rund eine Woche war das Tattoo gut sichtbar…
Schinke: Aber natürlich nicht für jeden. Trotzdem hat es Aufmerksamkeit erregt. Ich mache Thaiboxen – da zähle ich als Bankvorstand wohl wirklich zu den Ausnahmen – und bin nach dem Termin bei Eugen Schreiber noch ins Studio gefahren. In der Szene der Thaiboxer gehöre ich zu den wenigen, die nicht tätowiert sind. Da kamen die Leute schon an und haben geschaut, ob mein Tattoo echt ist. Die Profis haben das aber schnell als Fake entlarvt.
Was haben denn die Kolleginnen und Kollegen zu Ihrem Tattoo gesagt?
Schinke: Anfangs war das nur ein kleiner Kreis, der über die Aktion informiert war. Aber natürlich haben die Bilder in der Bank relativ schnell die Runde gemacht. Bei den Kolleginnen und Kollegen gab es erstmal eine große Ungläubigkeit, weil die Bilder sehr authentisch wirken. Einige, die mich gesehen haben oder die sogar extra deshalb zu mir ins Büro gekommen sind, haben mich dann so halb im Scherz gebeten, doch bitte mal den Arm freizumachen. Die habe ich dann aufgeklärt. Inzwischen haben wir das Bild mit dem Slogan „BANKBESITZER! Eine Verbindung, die unter die Haut geht!“ auch in unserer Kundenzeitschrift VR Promi, in den sozialen Medien sowie auf unserer Webseite veröffentlicht.
Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken hat sich dieses Jahr auch die Mitgliederwerbung auf die Fahnen geschrieben. Zahlt die Kampagne darauf ein?
Schinke: Natürlich steht unsere Kampagne in diesem Kontext. Wir wollen mit den Testimonials aber nicht nur Mitglieder werben, sondern auch das Interesse von jungen Menschen wecken, die sich dann vielleicht bei uns bewerben. Da hilft uns ein Typ wie Eugen Schreiner, denn damit können wir zeigen, dass wir auch als Bank ein bisschen anders sind. Das stimmt wirklich. Bei uns hat zum Beispiel der Vorstand kein eigenes Büro mehr. Unser Ziel, eine offene Arbeitsatmosphäre zu schaffen, macht vor den Chefs nicht halt. Von daher habe ich vor ein paar Monaten mein Büro aufgegeben und suche mir jetzt wie alle anderen auch morgens meinen Schreibtisch und arbeite dann da, wo noch Platz ist.
Und wenn jetzt ein Bewerber kommt, der über und über tätowiert ist?
Schinke: Da bin ich tiefenentspannt. Natürlich macht es einen Unterschied, wo jemand arbeiten will. Bei einem Hausmeister könnten die Tattoos auch zum Hals rauskommen, das wäre mir egal. Bei einem Kundenbetreuer wäre das schwierig. Vor allem bei Vermögensberatern sehe ich das Problem, dass die überwiegend älteren Kunden vielleicht irritiert sein könnten. Ansonsten sind wir liberal. Normalerweise tragen Banker auch Kleidung, die Tattoos verdeckt, sodass sie nicht zu sehen sind. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen im Haus, die tätowiert sind.
Ein Tattoo ist also ist keine Einstellungsvoraussetzung?
Schinke: (lacht) Nein, definitiv nicht! Weder in die eine noch in die andere Richtung. Das ist Geschmackssache. Wer bei uns ein Tattoo hat, weiß, wie er mit dem Thema umzugehen hat. Das gilt genauso für die Kleidung. Da sind wir auch sehr liberal. Bei uns gibt es nur die Regel, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter adäquat zu kleiden haben, wenn sie Kunden gegenübertreten. Die wissen dann schon, was geht und was nicht. Unsere beiden Landwirtschaftsbetreuer zum Beispiel brauchen nicht mit Anzug und Krawatte zu einem Landwirt fahren, das würde komisch ankommen. Die Bauern würden sich schlapp lachen, wenn jemand in diesem Aufzug in den Stall marschieren würde. Aber das wissen die beiden ganz genau, die kommen selbst aus der Landwirtschaft.
Bei Ihnen kommen echte Tattoos nicht infrage, haben Sie schon erwähnt. Aber auch so ein temporäres Tattoo hat seinen Charme. Würden Sie bei so einer Aktion nochmal mitmachen, wenn sich die Gelegenheit ergibt?
Schinke: Warum nicht? Vielleicht als eine Art Challenge? Bankvorstände begegnen sich nur selten im Muskelshirt, aber sollte dieser Fall einmal eintreten, würde ich mir das Tattoo locker nochmal draufmachen lassen.
Herr Schinke, vielen Dank für das Gespräch!