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In den kommenden Wochen werden die Parteien um ihre Inhalte und Positionen ringen und ausloten, welche Partner das Land in den kommenden vier Jahren führen wollen. Bei all dem parteilichen Taktieren um Köpfe und Karrieren müssen jetzt die wesentlichen Themen für Mittelstand sowie Verbraucherinnen und Verbraucher im Fokus gehalten werden.

Wirft man einen Blick zurück auf den Anfang 2018 geschlossenen Koalitionsvertrag der großen Koalition, wird deutlich: Viele Themen mit genossenschaftlichem Bezug, die vor vier Jahren auf der Agenda standen, sind weiterhin relevant.

Aus dem Koalitionsvertrag 2018 zu Regionalbanken:

„Regional tätige Finanzinstitute wie Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Förderbanken sind wichtige Finanzpartner vieler Menschen und Unternehmen in unserem Land. Wir sehen sie als wichtige Säule für die Stabilität im Finanzsystem und kämpfen daher für ihren Erhalt. Wir werden bei der Regulierung danach unterscheiden, ob es sich um Sparkassen, Genossenschaftsbanken, Förderbanken bzw. kleine und mittlere Privatbanken mit risikoarmen Geschäftsmodellen handelt oder um systemrelevante Großbanken.“ (S. 70)

Dazu meine ich: „Den hehren Worten sind in den zurückliegenden vier Jahren zu wenig Taten gefolgt. In den vergangenen Jahren hat es zwar verschiedene Initiativen gegeben, um kleine und nicht-komplexe Banken in der Regulierung zu entlasten. Anfang Juni veröffentlichte zum Beispiel die European Banking Authority (EBA) Empfehlungen für 25 Maßnahmen zur Kostenreduktion im Meldewesen. Neben einer zügigen Umsetzung dieser Empfehlungen braucht es künftig weitere Schritte für mehr Proportionalität im Meldewesen. Denn die von der EBA vorgeschlagenen Maßnahmen werden aber nicht ausreichen, um kleine und mittlere Banken spürbar zu entlasten. Deshalb gilt es, diesen eingeschlagenen Weg fortzusetzen und zugleich die Regionalinstitute vor neuen Belastungen zu schützen. Dabei kommt der Umsetzung von EU-Vorgaben in nationales Recht eine besondere Bedeutung zu. Vor einem Jahr hat die Bundesregierung eine Antwort auf eine parlamentarische Anfrage veröffentlicht, der zufolge die Regierung der vorherigen Legislaturperiode mindestens 14-mal bei der Umsetzung von EU-Regulierungen draufgesattelt hat. Das kann nicht der Maßstab für die Zukunft sein. Dieses sogenannte „Goldplating“ führt nicht nur zu Wettbewerbsverzerrungen, sondern auch zu mehr Bürokratie und unnötigen Kosten. Das ist schädlich für Unternehmen und insbesondere den Mittelstand und das mittelständische, regionale Finanzwesen. Von Vereinfachungen, die eine EU-Richtlinie vorsieht, sollte konsequent Gebrauch gemacht werden. Von nationalen zusätzlichen Regulierungen, die auf die EU-Richtlinie draufgesattelt werden, ist Abstand zu nehmen. Vorbild für die nächste Regierungskoalition könnte das österreichische „Anti-Goldplating-Gesetz“ sein.

Um die regionalen Kreditgenossenschaften zu erhalten, sollte die nächste Bundesregierung sich außerdem weiter dafür einsetzen, die Institutssicherung der genossenschaftlichen FinanzGruppe zu bewahren. Im Unterschied zu vielen anderen Sicherungssystemen ist die genossenschaftliche Institutssicherung auf Prävention ausgerichtet. Sie funktioniert wie ein Frühwarnsystem, das existenzielle Schwierigkeiten bei angeschlossenen Instituten von vornherein verhindert. Noch nie musste eine Genossenschaftsbank abgewickelt werden. Dieses bewährte Vorsorgemodell darf nicht leichtfertig für eine EU-Einlagensicherung geopfert werden, die erst dann tätig wird, wenn eine Bank pleite ist. Zudem bestehen in einigen Ländern nach wie vor hohe Bestände an notleidenden Krediten (NPLs). Zentral ist daher der Abbau von Altlasten in den Bilanzen europäischer Banken. Der Schutz des Sparers muss oberste Prämisse der neuen Bundesregierung sein.“

Aus dem Koalitionsvertrag 2018 zum Verbraucherschutz:

„Wir wollen die bisherigen Maßnahmen zum finanziellen Verbraucherschutz evaluieren.“ (S. 71)

Dazu meine ich: „Der Verbraucherschutz im Finanzwesen braucht ein digitales Update. Dass einige Informationsdokumente, wie zum Beispiel das Basisinformationsblatt (BIB), heute immer noch schriftlich bereitgestellt werden müssen, ist nicht zeitgemäß. Die Informationsbereitstellung sollte konsequent nach dem Prinzip „Digital First“ ausgerichtet sein, es sei denn, der Verbraucher wünscht es anders. Das bietet Verbrauchern einen einheitlichen Schutz über alle Finanzgeschäfte – egal ob digital oder analog – und ermöglicht ihnen das barrierefreie Agieren am Markt. Des Weiteren ist der digitale Abschluss eines Verbraucherkredits oder die digitale Zeichnung von Genossenschaftsanteilen nur erschwert beziehungsweise überhaupt nicht möglich, weil das deutsche Recht – im Gegensatz zu den EU-Vorgaben – nach wie vor auf einer schriftlichen Unterzeichnung besteht. Dass Deutschland weiter auf die Schriftform setzt, stellt einen Wettbewerbsnachteil für hiesige Unternehmen dar.“

Aus dem Koalitionsvertrag 2018 zur Energiepolitik:

„Die Herausforderung besteht in einer besseren Synchronisierung von Erneuerbaren Energien und Netzkapazitäten. Wir halten an dem Ziel der einheitlichen Stromgebotszone in Deutschland fest. Wir werden eine bessere regionale Steuerung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien einführen und für die Ausschreibungen südlich des Netzengpasses einen Mindestanteil über alle Erzeugungsarten festlegen. Wir werden die Akteursvielfalt auch künftig sicherstellen, aber ausschließlich bundesimmissionsschutzrechtlich genehmigte Projekte an Ausschreibungen teilnehmen lassen.“ (S. 72)

Dazu meine ich: „Die Akteursvielfalt ist weiterhin wichtig für die Energiewende, und das bedeutet unter anderem: Faire Wettbewerbsbedingungen für Energiegenossenschaften schaffen. Durch direkte Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern vor Ort sowie Kommunen leisten Energiegenossenschaften einen wichtigen Beitrag zur Akzeptanz der Energiewende. Der enorme Zuwachs an Energiegenossenschaften in den vergangenen Jahren zeigt, dass die Menschen die von ihnen genutzte Infrastruktur selbst mitgestalten wollen. In Selbstverantwortung stellen sie eine nachhaltige Energieversorgung sicher. Derzeit sind die oftmals kleinen und ehrenamtlich geführten genossenschaftlichen Anbieter bei EEG-Ausschreibungen häufig strukturell benachteiligt. Eine grundlegende Modifizierung des Ausschreibungsverfahrens ist dringend geboten. Sinnvoll wären beispielsweise Kontingente, die Zuschläge für kleine Marktakteure ermöglichen, oder separate Ausschreibungsverfahren.

Auf Seiten der Stromnetzbetreiber gibt es ebenfalls Nachbesserungsbedarf. Erzeugungskapazitäten für erneuerbare Energien entstehen überwiegend in ländlichen Regionen. Um diesen umweltfreundlichen Strom aus Wind und Solar nutzen zu können, ist der Ausbau der Stromnetze vor Ort notwendig. Der daraus resultierende höhere Investitionsbedarf von ländlichen gegenüber städtischen Netzbetreibern schlägt sich für die Kunden vor Ort in steigenden Netzentgelten nieder. Dies gilt es zu korrigieren, um die Akzeptanz für den Ausbau regenerativer Energien nicht zu gefährden. Netzentgelte für Stadt und Land sollten vereinheitlicht werden.“

Aus dem Koalitionsvertrag 2018 zum Tierwohl:

„Wir entwickeln die nationale Nutztierstrategie weiter, die den Tier- und Umweltschutz genauso beachtet wie die Qualität bei der Erzeugung und Marktorientierung. Um das Ziel der Verbesserung des Tierwohls in der Nutztierhaltung zu erreichen, sind Investitionen und Offenheit für die Modernisierung tierwohlorientierter Ställe der Zukunft notwendig. Dabei werden wir die Landwirtinnen und Landwirte unterstützen. Wir wollen einen Bestandsschutz genehmigter Tierhaltungsanlagen bei Modernisierungsmaßnahmen zu Tierwohlzwecken.“ (S. 86)

Dazu meine ich: „Die Transformation zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft ist kein Selbstläufer. Es ist wichtig, die mittelständischen landwirtschaftlichen Betriebe bei Nachhaltigkeit und Tierschutz mitzunehmen. Die genossenschaftlichen Betriebe sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Doch Maßnahmen wie Stallumbauten, Anstrengungen für einen insektenfreundlicheren und extensiveren Ackerbau oder Smart Farming erfordern große Investitionen. Diese Investitionen rechnen sich oft erst nach Jahrzehnten. Um in Tierwohl und Umweltschutz zu investieren, benötigt die mittelständisch geprägte Land- und Ernährungswirtschaft Planungssicherheit. Das gilt insbesondere für die gesetzlichen Mindestanforderungen an die Tierhaltung und die Tierwohlkennzeichnung. Neue Standards lassen sich nicht ad hoc einführen. Aufgabe der neuen Bundesregierung ist es, für die richtigen Rahmenbedingungen zu sorgen, damit die nachhaltige Transformation gelingen kann. Dabei ist es notwendig, dass sie sich an den Gegebenheiten der Landwirte und verarbeitenden Betriebe vor Ort orientiert. Alle Anbieter müssen eine faire Chance haben, ihre Investitionen solide zu finanzieren und ihre Produkte zu vermarkten. Was der deutsche Mittelstand braucht, ist Transparenz, Planungssicherheit sowie Praxistauglichkeit. Dies muss Richtschnur für alle Vorhaben der neuen Bundesregierung sein.“
 

Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.

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