Landtagswahl 2023: Welche Bedingungen benötigen die Genossenschaften in Bayern, um weiter erfolgreich zu wirtschaften? Drei Geschäftsleiter und der GVB-Präsident antworten.
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Herr Dr. Kalina, am 8. Oktober wählen die Menschen in Bayern einen neuen Landtag. Laut aktuellen Umfragen hat die aktuelle Koalition aus CSU und Freien Wählern eine stabile Mehrheit. Worauf führen Sie diese Umfrageergebnisse zurück?
Andreas Kalina: Die Umfrageergebnisse verweisen meines Erachtens auf eine – allen Krisen zum Trotz – als recht stabil wahrgenommene Lebenslage in Bayern. Weder die Pandemie noch der digitale Wandel und die Energie- und Klimakrise mit der anstehenden sozialökologischen Transformation haben zu einer derartigen gesellschaftlichen Verunsicherung geführt, die nach einem grundlegenden Wandel der politischen Repräsentation verlangen würde. Dies mag weniger auf die jüngere Politik der bayerischen Regierungskoalition aus CSU und Freien Wählern zurückzuführen sein, als vielmehr auf die Wirtschaftskraft und den mit ihr insgesamt anhaltenden Wohlstand eines Großteils der Bevölkerung. Die Grundlagen dieser Wirtschaftskraft wurden in den letzten Jahrzehnten gelegt. Sie können einiges „wegpuffern“ – zumindest bis zum Wahltermin. Umgekehrt tun sich die bayerischen Grünen und die Sozialdemokraten schwer, mit alternativen Entwürfen bei der Wahlbevölkerung im relevanten Maße zu punkten: Einerseits, weil ihnen angesichts der jahrzehntelangen Oppositionsrolle ein gewisses Stigma des Underdogs ohne bisherige bayerische Regierungserfahrung anhaftet. Andererseits, weil das vermeintliche Chaos der Ampelregierung in Berlin kaum für beachtenswerten Zulauf von Wählerinnen und Wählern jenseits der Kernwählerschaft sorgen dürfte.
Welche Signalwirkung erwarten Sie für die weitere politische Arbeit in München und Berlin, falls die Wählerinnen und Wähler bei der Landtagswahl die Umfrageergebnisse bestätigen sollten?
Kalina: Für die künftige politische Arbeit wird dies in Bayern eher ein „Weiter so“ mit kleineren Kurskorrekturen und „Schönheitsanpassungen“ bedeuten. Bundespolitisch ist die Fortführung einer gewissen Oppositionsarbeit zur Ampelkoalition zu erwarten. Zum einen, um die regionalen, bayerischen, Interessen zu vertreten. Zum anderen dürfte die bundespolitische Sichtbarkeit einen stärkeren weltanschaulichen Anstrich haben. Salopp aus der Sicht der alten und wahrscheinlich auch neuen bayerischen Koalition ausgedrückt: Es wird darum gehen, der vermeintlich chaotischen, als links-ökologisch-aktivistisch abgestempelten Regierungspolitik einen konservativ-markwirtschaftlichen Gegenentwurf mit einem vernünftigen Maß an Nachhaltigkeit entgegenzustellen. Entscheidend für das Berliner Auftreten der Koalition wird der Anteil der CSU-Stimmen sein und damit die bundespolitischen Ambitionen des Markus Söder: Erreichen die Christsozialen die angepeilte Hürde von 40 und mehr Prozent, wird Söder in Berlin nicht nur als „bayerischer Landesfürst“ auftreten, sondern mehr denn je als der bessere Schattenkanzler und Kanzler in Wartestellung. Und dies wird natürlich auch für wachsende Spannungen innerhalb der Union sorgen.
„Bayern hat es in der Hand, ein investitions- und innovationsfreundliches Umfeld zu schaffen.“
Für die bayerischen Genossenschaften spielt vor allem die Wirtschaftspolitik eine wichtige Rolle. Die Gesetzgebungskompetenz dazu liegt beim Bund, sofern er sie nicht den Ländern überlässt. Inwieweit hat die Staatsregierung die Möglichkeit, eigene Akzente zur Förderung der bayerischen Wirtschaft zu setzen?
Kalina: Es ist richtig, dass die Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Wirtschaftspolitik vorwiegend beim Bund liegt. Doch können auch die Länder insbesondere auf dem Wege der Standortpolitik grundlegenden Einfluss mit Blick auf die eigene Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftskraft nehmen. Hier geht es etwa um die Ansiedlung und Weiterentwicklung von Schlüsselindustrien und Technologien. So hat es Bayern durchaus in der Hand, ein investitions- und innovationsfreundliches Umfeld zu schaffen: durch den Ausbau der Infrastruktur, auch der digitalen Infrastruktur, durch die Förderung von Start-ups und ganz besonders durch Bildung, Forschung und Fachkräfteentwicklung. Denn Letzteres ist in Deutschland Domäne der Länder. Auch die eigene Zuständigkeit für Bau- und Raumplanung ermöglicht es, bayerische Entwicklungsziele zu setzen. Schließlich darf für den Freistaat die Rolle des Mittelstands nicht übersehen werden, welcher nach wie vor das Rückgrat der Wirtschaft bildet. Hier spielt die Mittelstandsförderung eine zentrale Rolle, bei der die Landesregierung über maßgeschneiderte Förderprogramme, etwa über die Kreditprogramme der LfA Förderbank Bayern, Weichen stellen kann.
Wie viel Freiraum gibt es bei der Ausgestaltung der Energiepolitik, gerade im Hinblick auf die Energiewende?
Kalina: Auch bei der Energiepolitik gilt: Die Rahmenbedingungen werden grundsätzlich vom Bund gesetzt. Das bekannteste Beispiel ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz und dessen Novellierungen. Gleichwohl haben auch hier die Länder einen eigenen Gestaltungsspielraum, vor allem bei der konkreten Ausgestaltung. Dies gilt etwa bei der Förderung der erneuerbaren Energiequellen Wind, Sonne, Wasser, Biomasse und Geothermie. Nehmen wir das Beispiel Windenergieanlagen: Hier kann die Landespolitik die Installation von Windrädern, etwa auch in den bayerischen Staatsforsten, initiieren. Zugleich hat sie durch die Gestaltung, idealerweise Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, Einfluss auf Form und Geschwindigkeit der Energiewende. Die diskussionswürdige 10H-Regelung illustriert durchaus die Wirkmächtigkeit bayerischer Normen. Darüber hinaus kann die Staatsregierung auch indirekt Einfluss auf die Energiewende nehmen, etwa indem sie gesellschaftlichen Diskurs über die verschiedenen Energieträger und -quellen initiiert, um unterschiedliche Positionen einzuholen, eventuelle Vorbehalte auszuräumen und um insgesamt eine höhere Akzeptanz für den energiepolitischen Transformationsprozess zu schaffen.
„Bundesgesetze werden in der Regel so formuliert, dass für Länder noch Umsetzungs- und Gestaltungsspielraum bleibt, um eigene Akzente zu setzen.“
Welche Möglichkeiten und Kanäle hat die Bayerische Staatsregierung, um auf den Gesetzgebungsprozess in Berlin Einfluss zu nehmen?
Kalina: Für die Staatsregierungen der Länder gibt es sowohl formelle wie informelle Möglichkeiten, um Einfluss auf die Gesetzgebung im Bund zu nehmen. Zuerst die formellen: Der „kooperative Föderalismus“ in Deutschland funktioniert nach der Maßgabe, dass Landesregierungen über den Bundesrat an der Formulierung und Verabschiedung von Gesetzen mitbeteiligt sind. Zustimmungspflichtige Gesetze kann der Bundesrat mit seiner Mehrheit verhindern. Bei nicht-zustimmungspflichtigen Gesetzen kann er Einspruch erheben. Und hier verfügt die Bayerische Staatsregierung über sechs von insgesamt 69 Stimmen. Hinzu kommt, wie bereits an der Wirtschafts- und Energiepolitik ersichtlich, dass Bundesgesetze in der Regel so formuliert werden, dass für Länder noch Umsetzungs- und Gestaltungsspielraum bleibt, um eigene Akzente zu setzen. Die informellen Wege, zumal im bayerischen Fall, gehen zum einen über den Parteikanal: Ist die gleiche Partei in Freistaat und Bund an der Regierung beteiligt, wird einiges über diese Schiene abgestimmt. In unionsgeführten Bundesregierungen hatte insofern die CSU gute Möglichkeiten, ihre Themen zu platzieren. Adressat ist hier aber nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die jeweilige Landesgruppe und die zugehörige Fraktion im Deutschen Bundestag. Und hier gilt: Je stärker beide sind, umso größer der bundespolitische Einfluss. Die Einschränkung ist, dass die Landesgruppe nicht immer auch das befürwortet, was vom Parteivorsitzenden beziehungsweise von der Landesleitung favorisiert wird. Zum anderen kann und nimmt die Bayerische Staatsregierung durch allgemeinere Lobbyarbeit Einfluss auf die Berliner Entscheidungen, indem sie beispielsweise über die Vertretung des Freistaats Bayern in Kontakt zu relevanten Akteurinnen und Akteuren tritt und Netzwerke pflegt.
Während in Bayern wie bereits erwähnt eine Koalition aus CSU und Freien Wählern an der Macht ist, regieren im Bund SPD, Grüne und FDP. Wie wirkt sich diese Konstellation auf die Einflussmöglichkeiten Bayerns im Bund aus?
Kalina: Die formellen Einflussmöglichkeiten sind von der unterschiedlichen Konstellation der Regierungskoalitionen in Bund und Bayern unabhängig. Denn die Staatsregierung verfügt ungeachtet parteipolitischer Couleur immer über sechs der 69 Bundesratssitze. Wo Unterschiede bestehen, sind die informellen Kanäle: Wenn eine bayerische Koalitionspartei nicht an der Bundesregierung beteiligt ist, entfällt die Mitsteuerung über die parteipolitische Schiene. Zwar gibt es nach wie vor Austausch mit der Landesgruppe im Bundestag, aber diese ist in dieser Konstellation in der Opposition. Der Einfluss ist unter diesen Vorzeichen weniger die effektive, meistens stille Mitsteuerung bei der Gesetzgebung des Bunds, als vielmehr die Ausübung der Thematisierungsmacht, welche primär die Öffentlichkeit adressiert und auf Missstände aufmerksam macht. Kurz gesagt: Bayerische Positionen sind hier in der Regel stärker wahrnehmbar, aber zugleich weniger wirkmächtig.
Deutschland steht zweifelsfrei vor sehr großen politischen Herausforderungen. Dazu zählt zum Beispiel, den Weg zur Klimaneutralität zu gestalten. Ist der Föderalismus dabei hilfreich, oder kann er auch im Weg stehen?
Kalina: Sowohl als auch. Der bundesdeutsche kooperative Föderalismus, nach oben zusätzlich ergänzt um die EU-Dimension, verhindert schnelle Entscheidungen, da er stets Kompromissfindung über alle Ebenen voraussetzt: Die EU legt unter maßgeblicher Beteiligung der Mitgliedstaaten im Ministerrat die grundlegenden Linien fest, so etwa mit dem European Green Deal beziehungsweise mit dem Fit for 55-Paket. Der Bund gießt diese Normen – soweit möglich und erforderlich – unter Beteiligung der Länderregierungen in nationale Gesetzgebung und die Länder füllen dann die verbleibenden Gestaltungsspielräume aus. Das ist kompliziert, langwierig, teils auch intransparent – und frustriert natürlich viele, die schnelle und grundlegende Entscheidungen erwarten. Umgekehrt bedeutet dieser föderale Entscheidungsprozess im europäischen Mehrebenensystem, dass vielfältige politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, regionale und sozioökonomische Gegebenheiten und Interessenlagen für die endgültige Entscheidung in Einklang gebracht werden müssen. Und gerade bei der Gestaltung des Wegs in die Klimaneutralität, der in allen Lebenslagen Auswirkungen auf uns alle haben wird, finde ich die Berücksichtigung des Pluralismus und einen breiten Interessenausgleich adäquater als schnelles „Durchregieren“. Denn letztendlich sollten möglichst alle Mitglieder der Gesellschaft diesen Weg mittragen. Aber wie gesagt: Dass föderale Politik keine schnellen Antworten liefert und angesichts der ständigen Kompromisssuche oft nur Lösungen auf einem kleinsten gemeinsamen Nenner herbeiführt, verlangt Ambiguitätstoleranz ab und ruft Unzufriedenheit und Ungeduld in Teilen der Bevölkerung hervor. Dieses Dilemma muss man aushalten können.
„Bayern hat früh erkannt, dass die EU eine Politikarena ist, auf die auch die Staatsregierung durchaus Einfluss nehmen kann und sollte.“
Sie haben es bereits angesprochen: Viele Gesetze werden heute aus Brüssel vorgegeben. Welche Instrumente und Wege stehen der Bayerischen Staatsregierung zur Verfügung, sich dort Gehör zu verschaffen?
Kalina: Gerade Bayern hat früh erkannt, dass die EU keine „Fremdbestimmung aus Brüssel“ ist, sondern eine Politikarena, auf die auch die Staatsregierung durchaus Einfluss nehmen kann und sollte. Das Motto, das insbesondere die CSU hierfür seit den 1960er Jahren geprägt hat, ist „Europa der Regionen“. Dieser Anspruch wird am auffälligsten durch die Vertretung des Freistaats in Brüssel unterstrichen. Nicht nur dürfte diese angesichts des pompösen Sitzes im ehemaligen Institut Pasteur repräsentativer als die meisten dortigen Botschaften der Nationalstaaten ausfallen. Vielmehr sind dort alle Staatsministerien der Bayerischen Staatsregierung durch „Spiegelreferate“ repräsentiert, um einen direkten, informellen Draht in den Ministerrat, aber auch in das Europäische Parlament und in die Kommission zu pflegen. Auf formellem Weg kann die Staatsregierung bayerische Interessen über den Ausschuss der Regionen einbringen, der den besonderen Anliegen der Regionen und Kommunen in der EU eine Stimme gibt. Vertreten wird dort der Freistaat von der Staatsministerin für Europaangelegenheiten und Internationales, Melanie Huml, die auch insgesamt die Europapolitik in Bayern koordiniert. Nicht zuletzt wird auch in Brüssel politischer Einfluss über die Parteischiene genommen. So fungieren die aktuell 15 Abgeordneten aus Bayern ebenfalls als Vertreter bayerischer Interessen. Zudem können die Parteien über die zugehörigen Fraktionen im Europäischen Parlament oder auch über die Europäischen Parteienverbünde Landesinteressen platzieren. Und schließlich darf auch hier die Relevanz des Bundesrats nicht übersehen werden, über den die Länder – und damit auch Bayern – in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirken. Denn im Europäischen Rat wie Ministerrat ist die Bundesregierung als Akteur mitbeteiligt und in ihren europapolitischen Entscheidungen auf die Mitwirkung oder zumindest Unterrichtung des Bundesrats angewiesen.
Können Sie zusammenfassend erläutern, warum es nicht egal ist, wer in Bayern regiert, obwohl wesentliche Regelungen in Berlin und Brüssel gemacht werden?
Kalina: Die Stichwörter sind hier vor allem kooperativer Föderalismus und Europäisches Mehrebenensystem. Das heißt: Auch wenn Entscheidungen zu wesentlichen Teilen in Berlin und Brüssel vorstrukturiert beziehungsweise getroffen werden, ist der Freistaat an diesen formell etwa über seine sechs Sitze im Bundesrat mitbeteiligt. Zweitens lassen sowohl europäische Richtlinien als auch die bundesdeutsche Gesetzgebung in der Regel genügend Gestaltungsspielraum, um landeseigene Akzente zu setzen. Zudem verfügt die Landesregierung über eine ganze Reihe an informellen Kanälen, um sich im Bund wie in der EU Gehör zu verschaffen. Und schließlich darf nicht übersehen werden, dass den Ländern auch weiterhin relevante Steuerungskompetenzen zufallen: sei es beispielsweise in der Bildungs- und Forschungspolitik, sei es bei der Standortpolitik mit Infrastruktur-, Innovations- und Investitionsförderung. Insofern verfügt die Staatsregierung durchaus über relevante Handlungskompetenzen, weshalb auch der Stellenwert der Landtagswahlen keinesfalls unterschätzt werden sollte.