Statuserhalt: Lebenslanges Lernen ist zur Notwendigkeit geworden. Was sagt die Wissenschaft – und wie setzen es die Unternehmen in der Praxis um?
Frau Professor Pachner, wie können Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim lebenslangen Lernen bestmöglich begleiten?
Anita Pachner: Es ist wichtig, dass Unternehmen eine Kultur des lebenslangen Lernens fördern, in der kontinuierliche Weiterbildung als selbstverständlicher Bestandteil der Arbeitsumgebung betrachtet wird. Indem Unternehmen ihre Mitarbeitenden aktiv dabei unterstützen, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten kontinuierlich zu erweitern, können sie nicht nur die individuelle Entwicklung der Mitarbeitenden fördern, sondern auch die eigene Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft stärken.
Wo sehen Sie die übergeordneten thematischen Schwerpunkte für lebenslanges Lernen?
Pachner: Die thematischen Schwerpunkte für lebenslanges Lernen sind sehr vielfältig und variieren je nach Kontext und Zielgruppe. Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung ist aktuell vor allem der Erwerb von digitalen Kompetenzen wie zum Beispiel die Entwicklung eines Verständnisses von neuen Computertechnologien zu nennen, da digitale Kompetenzen in vielen Berufsfeldern und im Alltag unverzichtbar geworden sind. Weiterhin ist die Entwicklung beruflicher Fähigkeiten und Kompetenzen unabdingbar, die es ermöglichen, den Anforderungen des sich ständig verändernden globalisierten Arbeitsmarkts gerecht zu werden, und mit Mehrdeutigkeiten und Unsicherheit umzugehen. Selbstreflexionskompetenz ist hier zum Beispiel ein wichtiges Stichwort.
Ist Weiterbildung eine Bringschuld der Unternehmen – oder auch eine Holschuld der Mitarbeitenden?
Pachner: Die Verantwortung muss in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext von verschiedenen Akteuren getragen werden, um effektive Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Zum einen haben Unternehmen natürlich ein Interesse daran, dass ihre Mitarbeitenden gut ausgebildet sind und ihre Fähigkeiten und Kompetenzen dem aktuellen Bedarf und Stand entsprechen. Zum anderen liegt es in der Verantwortung eines jeden Menschen, seine Fähigkeiten und Kenntnisse zu erweitern, um beruflich erfolgreich zu sein, zu bleiben und persönliche Ziele zu erreichen.
„Ein wichtiger Ansatz, um Mitarbeitende für Weiterbildung zu motivieren, liegt in der Verdeutlichung der Vorteile und des Nutzens der Weiterbildungsmaßnahmen.“
Wie motiviert man Mitarbeitende, sich selbstständig weiterzubilden?
Pachner: Ein wichtiger Ansatz, um Mitarbeitende für Weiterbildung zu motivieren, liegt in der Verdeutlichung der Vorteile und des Nutzens der Weiterbildungsmaßnahmen. Dabei ist es hilfreich, wenn die Mitarbeitenden verstehen, wie die Entwicklung ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse ihre berufliche Entwicklung vorantreiben kann. Regelmäßige Gespräche, in denen die Mitarbeitenden ihre individuellen Ziele und Interessen reflektieren und zu verstehen lernen, können dabei helfen herauszufinden, welche Bereiche die Mitarbeitenden gerne weiterentwickeln möchten. Solche Gespräche bieten außerdem Raum, um den Mitarbeitenden aufzeigen, wie Weiterbildungsmaßnahmen dabei helfen können, ihr individuelles Kompetenzprofil bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Auch Anreize, wie etwa finanzielle Unterstützung für Kurse oder Zertifizierungen, flexible Arbeitszeiten für Lernaktivitäten oder die Möglichkeit, neue Fähigkeiten in Projekten anzuwenden, können die Motivation der Mitarbeitenden für Weiterbildung steigern.
„Durch die Investition in Weiterbildung können Mittelständler das Know-how im Unternehmen erweitern und die Mitarbeiterbindung stärken.“
Wie können mittelständische Unternehmen lebenslanges Lernen ganz konkret umsetzen? Welche Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein?
Pachner: Es ist zunächst wichtig, dass kleine und mittelständische Unternehmen die Bedeutung von Weiterbildung erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, um die Entwicklung ihrer Mitarbeitenden zu fördern. Durch die Investition in Weiterbildung können sie das Know-how im Unternehmen erweitern und die Mitarbeiterbindung stärken. Dabei führt gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen eine anlassbezogene und problemlösungsorientierte Personalentwicklung und Weiterbildung zum Erfolg. Kleine Unternehmen können ihre Mitarbeitenden zu externen Schulungen, Seminaren oder Konferenzen schicken, um spezifische Fähigkeiten oder Kenntnisse zu erwerben. Dies kann beispielsweise durch die Zusammenarbeit mit lokalen Bildungseinrichtungen, Fachverbänden oder professionellen Schulungsanbietern erfolgen. Auch Online-Weiterbildungsplattformen bieten eine kostengünstige Möglichkeit, den Mitarbeitenden Zugang zu Schulungen und Kursen zu ermöglichen.
Wie bewerten Sie den internen Wissenstransfer durch Mitarbeitende als Form der Weiterbildung?
Pachner: Der interne Wissenstransfer ist eine bewährte Form der Weiterbildung. Mitarbeitende können ihr Wissen und ihre Fähigkeiten intern teilen, indem sie Schulungen oder Workshops für ihre Kolleginnen und Kollegen durchführen. Dies fördert nicht nur den Wissensaustausch, sondern stärkt auch das Teamgefühl. So ermöglichen es beispielsweise Mentoring-Programme erfahrenen Mitarbeitenden, ihr Wissen und ihre Erfahrungen an jüngere oder weniger erfahrene Mitarbeitende weiterzugeben. Dies setzt eine Lernkultur voraus, in der die Mitarbeitenden dazu motiviert werden, eigenständig zu lernen und ihr Wissen kontinuierlich zu erweitern. Dies kann durch den Zugang zu Fachliteratur, Online-Ressourcen, Webinaren oder Podcasts unterstützt werden.
Wie können Unternehmen die sozialen Kompetenzen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern, damit ihnen lebenslanges Lernen leichter fällt?
Pachner: Die Förderung sozialer Kompetenzen ist ein kontinuierlicher Prozess, der langfristige Bemühungen erfordert. Ausgangspunkt bildet eine Unternehmenskultur, die neben Fach- und Methodenkompetenzen den Wert sozialer Kompetenzen betont und regelmäßige Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und Verbesserung bietet. Eine offene und konstruktive Feedback-Kultur ist entscheidend für die Entwicklung sozialer Kompetenzen. Unternehmen sollten eine Atmosphäre schaffen, in der Mitarbeitende Feedback geben und erhalten können. Regelmäßige Feedback-Gespräche und Befragungen können dazu beitragen, die Kommunikation und das Verständnis zwischen den Mitarbeitenden und den Vorgesetzten zu fördern. Führungskräfte sollten dabei als Vorbilder agieren und durch ihr eigenes Verhalten und ihre Kommunikation das Bewusstsein für soziale Kompetenzen im Unternehmen stärken. Durch Schulungen und Workshops, die speziell auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen abzielen, können die Mitarbeitenden ebenfalls wertvolle Kenntnisse und Fähigkeiten zu Themen wie Kommunikation, Konfliktlösung, Teamarbeit, Empathie und emotionale Intelligenz erlangen.
„Für kleine und mittlere Unternehmen bietet sich das On-the-Job-Training besonders an.“
Welche Weiterbildungskonzepte bieten sich für kleine und mittlere Unternehmen an?
Pachner: Für kleine und mittlere Unternehmen bietet sich das On-the-Job-Training besonders an. Bei dieser kosteneffizienten Art von Weiterbildung lernen Mitarbeitende direkt am Arbeitsplatz, indem sie praktische Erfahrungen sammeln und von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen lernen. Es kann beispielsweise durch Job-Rotation, Mentoring oder die Zuweisung von anspruchsvollen Aufgaben erfolgen. Kleine und mittlere Unternehmen können auch auf E-Learning-Plattformen zurückgreifen, um ihren Mitarbeitenden Zugang zu Online-Kursen und Schulungen zu ermöglichen. Diese Plattformen bieten eine flexible und kostengünstige Möglichkeit, Wissen zu vermitteln und zu erwerben und die Mitarbeitenden können ihre Weiterbildung nach Bedarf und in ihrem eigenen Tempo durchführen.
„Weiterbildung muss mit den sich schnell entwickelnden Anforderungen der Arbeitswelt Schritt halten. Inhalte müssen aktuell, relevant und praxisnah sein.“
Was sind die grundlegenden Herausforderungen moderner Weiterbildungskonzepte?
Pachner: Eine elementare Herausforderung besteht darin, die neuen Technologien effektiv in die Weiterbildungsprogramme zu integrieren. Dies umfasst die Nutzung von E-Learning-Plattformen, Online-Kursen, virtuellen Klassenzimmern und anderen digitalen Tools, um den Lernprozess zu verbessern. Die Bereitstellung und Verwaltung dieser Technologien erfordern zusätzliche Ressourcen und Schulungen für Lehrkräfte und Lernende. Daneben muss Weiterbildung mit den sich schnell entwickelnden Anforderungen der Arbeitswelt Schritt halten. Inhalte müssen aktuell, relevant und praxisnah sein, um den Lernenden dabei zu helfen, neue Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Die ständige Aktualisierung von Lehrplänen und Materialien erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen und der Wirtschaft.
„Digitale Lehrangebote ermöglichen den Lernenden größere Flexibilität in Bezug auf Zeit und Ort des Lernens. Sie können den Kursinhalt in ihrem eigenen Tempo und nach ihrem eigenen Zeitplan bearbeiten.“
Auch die Bildung wird digitalisiert, es gibt immer mehr E-Learning-Angebote: Welche Vorteile bieten digitale Lehrangebote, welche Präsenzangebote?
Pachner: Digitale Lehrangebote ermöglichen den Lernenden größere Flexibilität in Bezug auf Zeit und Ort des Lernens. Sie können den Kursinhalt in ihrem eigenen Tempo und nach ihrem eigenen Zeitplan bearbeiten. Dies ist besonders vorteilhaft für Berufstätige oder Menschen mit anderen Verpflichtungen, da sie ihre Weiterbildung in ihren Alltag integrieren können. Digitale Angebote bieten ferner eine breite Zugänglichkeit, was die Reichweite und Vielfalt der Bildungsmöglichkeiten erhöht und ermöglichen eine schnelle Aktualisierung von Inhalten, um den sich wandelnden Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden. Präsenzangebote wiederum ermöglichen eine direkte Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden sowie zwischen den Lernenden selbst. Diese kann das Verständnis, die Zusammenarbeit und den sozialen Aspekt des Lernens fördern. Präsenzangebote bieten daneben einen Raum für praktische Übungen, Experimente oder reale Fallstudien, was es den Lernenden ermöglicht, ihr Wissen in der Praxis anzuwenden und praktische Fähigkeiten zu entwickeln. Digitale Lehrangebote und Präsenzangebote schließen sich dabei nicht aus. Eine Kombination beider Formate, wie in Blended-Learning-Ansätzen etwa, kann vielmehr die Vorteile beider Angebote vereinen und sich besonders lernförderlich auswirken.
Unternehmen haben immer schon auf Veränderungen reagiert und ihre Mitarbeitenden entsprechend weitergebildet. Inwiefern sind die aktuellen Herausforderungen bei der Weiterbildung trotzdem andere im Vergleich zu früheren Jahren?
Pachner: Die rasante Entwicklung digitaler Technologien hat einen großen Einfluss auf die Weiterbildung. Heute ermöglichen digitale Lehrangebote eine breite Palette neuer Lernmöglichkeiten und -formate. Die Integration und Nutzung dieser Technologien erfordern Anpassungen und Schulungen für Lernende und Lehrende. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Neue Technologien und Automatisierung haben zu einer erhöhten Nachfrage nach neuen Fähigkeiten und Kompetenzen geführt. Lernende müssen in der Lage sein, sich kontinuierlich weiterzubilden, um den sich permanent ändernden Anforderungen gerecht werden zu können. Das führt dazu, dass Weiterbildung agiler, aktueller und praxisorientierter sein muss, um den Bedürfnissen der Arbeitswelt gerecht zu werden.
Frau Professor Pachner, vielen Dank für das Interview!