Mitgliederförderung: Was macht Genossenschaftsbanken besonders? BVR-Präsidentin Marija Kolak gibt Antworten – und verrät erste Details zur Mitgliederkampagne des BVR.
Frau Kolak, die BVR-Mitgliederversammlung hat mit 95,7 Prozent für die Gründung der Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft „amberra“ gestimmt. Welche Ziele verfolgt die neue Gesellschaft?
Marija Kolak: Bei amberra geht es um folgende Frage: Wie wollen wir es zukünftig institutionalisieren, dass sich jemand in unserer Gruppe mit dem Thema Forschung und Entwicklung beschäftigt und als Ergänzung zu unserem heutigen Produkt- und Leistungsangebot gezielt nach sinnvollen Dienstleistungen sucht, die Mehrwerte für den Kunden schaffen? Hier wird uns amberra helfen. Die Gesellschaft soll als Evolutionsbeschleuniger des Geschäftsmodells der Genossenschaftsbanken den Ausbau von banknahen und bankfernen Dienstleistungs- und Produktbündeln beschleunigen – wir sprechen hier gern von „Lebenswelten“. Dabei geht es zum einen um die Orchestrierung der Aktivitäten rund um die Erweiterung des genossenschaftlichen Ökosystems. Zum anderen um die Organisation des Investmentprozesses in skalierbare Lösungen.
„Wollen wir weiter zuschauen, wie Plattformanbieter oder große Digitalkonzerne Stück für Stück in immer weitere Bereiche des klassischen Bankgeschäfts vordringen und den Kundenkontakt übernehmen?“
Die Volksbanken und Raiffeisenbanken gehören zu den stärksten Bankengruppen Europas. Warum wird es in Zukunft nicht mehr ausreichen, allein im Kerngeschäft erfolgreich zu sein?
Kolak: Das stimmt, wir sind eine starke Bankengruppe. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, uns auf dieser Stärke auszuruhen. Wollen wir weiter zuschauen, wie Plattformanbieter oder große Digitalkonzerne Stück für Stück in immer weitere Bereiche des klassischen Bankgeschäfts vordringen und den Kundenkontakt übernehmen? Oder unternehmen wir etwas und verteidigen die Kundenschnittstelle? Die Idee des genossenschaftlichen Ökosystems ist unser Ansatz dafür.
„Zu einem modernen genossenschaftlichen Banking gehört auch, dem Kunden über das klassische Banking hinaus Lösungen und Leistungen anzubieten, die ihn in seiner Lebenswelt abholen und einen Mehrwert bieten.“
Wie kann ein modernes genossenschaftliches Banking aussehen, das den Mitgliedern und Kunden langfristig Nutzen bringt?
Kolak: Mit dem Strategieprojekt KundenFokus und der Digitalisierungsoffensive sind wir die ersten Schritte bereits gegangen. Man braucht den Ausbau und die Verzahnung unserer Vertriebskanäle und Zugangswege. Mitglieder und Kunden erwarten heute die jederzeitige Verfügbarkeit des Bankings und schätzen, dass sie bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken neben digitalen Lösungen auch den persönlichen Kontakt nutzen können. Zu einem modernen genossenschaftlichen Banking gehört aber mehr, um langfristig die Kundenschnittstelle zu sichern: dem Kunden über das klassische Banking hinaus Lösungen und Leistungen anzubieten, die ihn in seiner Lebenswelt abholen und einen Mehrwert bieten. Der Kunde startet selten mit „Ich benötige jetzt eine Finanzierung“ – deshalb wollen wir ihn schon vorher mit der Erweiterung des genossenschaftlichen Ökosystems erreichen.
Gibt es Vorbilder für das angedachte genossenschaftliche Ökosystem?
Kolak: Bei der Frage, wie man sein Geschäftsmodell angesichts eines rasanten gesellschaftlichen und technologischen Wandels weiterentwickelt, gibt es in anderen Industrien sicherlich Vorbilder. Einige davon haben wir den Genossenschaftsbanken im Vorfeld der Mitgliederversammlung auch vorgestellt. Allen gemein ist eine Haltung, sich als permanent wandelndes Unternehmen aufzustellen, sich immer wieder zu hinterfragen und bereit zu sein, neue Wege zu gehen. Aber eine Kopiervorlage für unseren Ökosystemansatz gibt es natürlich nicht.
„Es geht darum, unser Kerngeschäft so zu erweitern, dass unsere Kunden diese Erweiterung als hilfreich und nützlich erachten und wir gleichzeitig neue Kontaktmöglichkeiten generieren.“
Worin soll sich das Angebot des genossenschaftlichen Ökosystems von digitalen Plattformen wie Amazon, Check24 & Co. unterscheiden?
Kolak: Wir wollen weder ein Onlineversandhändler noch ein Preisvergleichsanbieter werden. Vielmehr geht es darum, unser Kerngeschäft so zu erweitern, dass unsere Kunden diese Erweiterung als hilfreich und nützlich erachten und wir gleichzeitig neue Kontaktmöglichkeiten – neudeutsch Leads genannt – generieren, die am Ende auch zu neuen Einnahmen führen sollen. Ein Beispiel, in welche Richtung dies gehen kann, ist der digitale Immobilienassistent PIA, den immer mehr Genossenschaftsbanken auf ihren Homepages integrieren.
Woran wird „amberra“ in der ersten Phase konkret arbeiten und welche Lebenswelten werden zuerst im Fokus stehen?
Kolak: Erst einmal wird es darum gehen, für amberra die richtigen Personen zu finden. Wenn die Gesellschaft dann steht, ist der naheliegende erste Schritt, die Lebenswelten und Lösungen aufzugreifen, die bereits einen praxisrelevanten Reifegrad haben. Wir haben einige Lebensweltideen in der Entwicklung und auch in der Marktverprobung. Zeigt die Marktverprobung erfolgversprechende Ergebnisse im Hinblick auf Markt- und Kundenrelevanz, wird amberra eruieren, ob die Kriterien für eine Skalierung erfüllt werden. Am weitesten fortgeschritten sind sicherlich aktuell die Ansätze in „Bauen und Wohnen“.
Warum hat sich der BVR dafür entschieden, die Entwicklung des genossenschaftlichen Ökosystems in einer eigenständigen Gesellschaft voranzutreiben?
Kolak: Ich würde gerne zurückfragen: Wer soll es denn sonst machen? Der BVR? Die Atruvia oder DZ BANK? Beide sind sicherlich wichtige Partner hierbei. Es geht hier auch um einen kulturellen Wandel. Wir benötigen ein besonderes Umfeld in unserer Gruppe, in dem in starker unternehmerischer Verantwortung Dinge zügig bewertet und Entscheidungen schnell getroffen werden können. Wir schaffen einen Evolutionsbeschleuniger. Aber natürlich muss sich diese neue Einheit auch beweisen. Sie muss einen Mehrwert für unsere Gruppe und hier insbesondere für die Genossenschaftsbanken schaffen.
Wann erachten Sie die Arbeit von „amberra“ als erfolgreich?
Kolak: amberra muss sich an den gleichen Kriterien wie andere Unternehmen in diesem Bereich messen lassen. Neben Skalierungserfolgen und generierten Kundenkontakten wird auch der Aufbau von Erlösströmen für amberra selbst wichtig sein, damit die Gesellschaft sich perspektivisch selbst tragen kann.
„Ich möchte, dass auch die kleinen und mittleren Institute an Innovationen, die in unserer Gruppe entwickelt werden, partizipieren können.“
Wie können sich die Volksbanken und Raiffeisen bei „amberra“ einbringen beziehungsweise am späteren Angebot teilhaben?
Kolak: Lösungen, die amberra entwickelt, werden allen Genossenschaftsbanken zur Verfügung stehen. Und selbstverständlich können innovative Genossenschaftsbanken sich mit amberra intensiv austauschen, um beispielsweise Prototypen zu bewerten. Eines ist mir hierbei besonders wichtig: Ich möchte, dass auch die kleinen und mittleren Institute an Innovationen, die in unserer Gruppe an anderer Stelle entwickelt werden, partizipieren können. Die genossenschaftliche Gruppe war immer erfolgreich, wenn jeder Beteiligte zum Erfolg der Gemeinschaft beiträgt und dann auch selbst davon profitieren kann. Für mich steht jederzeit der Erfolg der gesamten Gruppe im Fokus.
Frau Kolak, vielen Dank für das Interview!
Marija Kolak ist seit Januar 2018 Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken.