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Herr Dr. Pangl, zum Österreichischen Raiffeisenverband (ÖRV) gehören rund 1.400 selbstständige Genossenschaften. Was zeichnet den Verband und seine Mitglieder aus?

Andreas Pangl: Der Österreichische Raiffeisenverband ist Interessenvertretung und Prüfungsverband für die österreichische Raiffeisen-Gruppe. Seine Mitglieder sind die Landes- und Bundesorganisationen aus allen Sparten und allen Bundesländern, während die regionalen und lokalen Raiffeisen-Genossenschaften den jeweiligen Landesverbänden angeschlossen sind. Das gibt dem ÖRV insofern eine Sonderstellung, als er die einzige Organisation in der Raiffeisen-Gruppe ist, in der alle Sparten und alle Länder gemeinsam vertreten sind.
 

Welches Selbstverständnis ziehen Sie aus dieser Sonderstellung?

Pangl: Der ÖRV sieht sich als Plattform und Impulsgeber für seine Mitglieder, der die wirtschaftlichen, rechtlichen, gesellschafts- und umweltpolitischen Rahmenbedingungen zum Wohl und zum Nutzen der gesamten Raiffeisen-Gruppe mitgestaltet. Neben Prüfung und Interessenvertretung betreiben wir daher mit dem Raiffeisen Campus auch noch das zentrale Forum für die Ausbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Funktionärinnen und Funktionären sowie die Raiffeisenzeitung als zentrale Kommunikationsplattform der Raiffeisen-Gruppe.

Welche wesentlichen Herausforderungen sehen Sie künftig auf die österreichische Raiffeisen-Gruppe zukommen und wie unterstützt der ÖRV dabei, diese zu bewältigen?

Pangl: Natürlich steht derzeit die Bewältigung der wirtschaftlichen, aber auch der gesellschaftlichen Folgen der Covid-Pandemie im Vordergrund. Dank gezielter staatlicher Unterstützung sind die meisten Kunden unserer Genossenschaften einigermaßen gut durch die Krise gekommen. Zudem haben die Raiffeisen-Genossenschaften mit zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen selbst einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet. Wir können daher jetzt mit fortschreitender Impfungsrate vom Krisenmodus wieder in den Wachstumsmodus kommen. Dabei gilt es, die Weichen neu zu stellen und den Neustart auch als Chance zu sehen. Denn große Themen wie Klimawandel, Diversität oder Digitalisierung sind ja durch die Pandemie nicht weggewischt, sie sind nur in der öffentlichen Diskussion etwas in den Hintergrund getreten. Als Interessenvertretung gestaltet der ÖRV diese Entwicklungen für seine Mitglieder mit, als Kommunikationsplattform informieren wir unsere Mitglieder über aktuelle Entwicklungen, in Ausbildung und Beratung unterstützen wir bei der Umsetzung, und letztlich prüft die Revision die korrekte und sinnvolle Implementierung.

„Wir thematisieren die genossenschaftlichen Grund-Elemente, um über die Jahrzehnte oft selbstverständlich Gewordenes wieder neu ins Bewusstsein der Mitglieder zu bringen.“

Ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal von Genossenschaften ist die demokratisch organisierte Mitgliedschaft. Welche Lösungsansätze hat die österreichische Raiffeisen-Gruppe entwickelt, um die genossenschaftliche Teilhabe auch im digitalen Zeitalter attraktiv zu gestalten?

Pangl: Auch im 21. Jahrhundert ist das menschliche Grundbedürfnis nach realen Begegnungen und echtem Austausch mit anderen weiterhin vorhanden, ja hat durch die Pandemie sogar noch zugenommen. Wirklich attraktiv wird der Diskussions- und Entscheidungsfindungsprozess aber erst, wenn man die jeweiligen Inhalte auch entsprechend inszeniert beziehungsweise attraktiv gestaltet. Und genau das unterstützen wir als ÖRV mit sogenannten „Service-Paketen“ für die Kunden- und Mitgliederansprache. Die Pakete können von den lokalen Vorbereitungsteams ganz individuell auf unserer Homepage abgerufen und bei ihren Veranstaltungen genutzt werden. Sie reichen von Kurzfilmen über verschiedene Gestaltungselemente bis hin zu Präsentationsvorlagen und fertigen Redebausteinen. Inhaltlich thematisieren wir dabei besonders auch die genossenschaftlichen Grund-Elemente und versuchen auf diese Weise, über die Jahrzehnte oft selbstverständlich Gewordenes wieder neu ins Bewusstsein der Mitglieder und damit wieder neu ins Tun zu bringen. Ganz nach dem Motto unserer schon seit mehreren Jahren sehr erfolgreichen Initiative „Bewusst: Raiffeisen.“

ÖRV und Genossenschaftsverband Bayern (GVB) tauschen sich regelmäßig zu verschiedenen Themen aus. Warum ist es lohnend, grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten?

Pangl: Auch wenn die Genossenschaftsrevision in Deutschland und Österreich im Detail unterschiedlich geregelt ist, müssen wir in beiden Ländern die europäischen Vorgaben der Abschlussprüfungs-Verordnung und der internationalen Prüfungsstandards einhalten. Unsere geprüften Banken werden von einem europaweit einheitlichen Regelwerk reguliert. Basierend auf diesen ähnlichen Vorgaben nutzt jeder Verband innovative Lösungen, um die Qualität seiner Prüfungstätigkeit zu heben. Der Austausch solcher Innovationen hilft beiden Verbänden und letztendlich auch den geprüften Genossenschaften enorm. Ich bin daher dem GVB für den regelmäßigen Austausch sehr dankbar.
 

Die zentralen politischen Grundlinien werden heute in Brüssel und Straßburg gezeichnet. Welche Rahmenbedingungen fordern Sie, damit die Genossenschaften weiterhin erfolgreich wirtschaften können?

Pangl: Genossenschaften repräsentieren häufig die Vielfalt. Nämlich die Vielfalt der Branchen, der Regionen, der Akteure und der Gesellschaft. Somit sind sie insgesamt gut in der Lage, auf zentrale Herausforderungen erfolgreich reagieren zu können. Die Brüsseler Administration neigt in ihren Vorgaben und Entscheidungen aber häufig dazu, auf den Einfluss und die Expertise der großen Player zu hören. Vieles davon klingt im ersten Moment gut und hilfreich, nützt aber am Ende nur den großen Strukturen. Für die Stärke der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft ist aber vielmehr die Vielfalt entscheidend und eine starke Grundlage. Sie stärkt zusätzlich die Akzeptanz der europäischen Idee und Identität. Brüssel muss daher viel mehr Vielfalt und kleinere Strukturen zulassen und unterstützen.

„Für eine einheitliche Einlagensicherung gibt es keinen Bedarf.“

Die EU-Kommission will die Bankenunion vollenden und treibt dazu die Arbeiten an einer einheitlichen Einlagensicherung (EDIS) voran. Wie ist Ihre Position zu dem umstrittenen Vorhaben?

Pangl: Zur einheitlichen Einlagensicherung haben wir eine klare Position: Für dieses Projekt gibt es keinen Bedarf. Mit dem Abwicklungsregime wurde ein Insolvenzregime für große Banken in Europa geschaffen. Das war auch notwendig, um die Finanzmarktstabilität in der Eurozone sicherzustellen. Wir verstehen aber nach wie vor nicht, warum Regionalbanken, die in ihren Regionen tätig sind, für ausländische Banken mithaften sollen. Und wir werden uns auch gegen eine simple Vergemeinschaftung von Bankschulden wehren.
 

Bei welchen weiteren Projekten auf EU-Ebene sehen Sie politischen Handlungsbedarf, um die Interessen Ihrer Mitglieder zu wahren?

Pangl: Im Herbst diesen Jahres wird sich weisen, inwieweit die EU-Kommission ihre Ankündigungen zur Umsetzung von Basel IV auch umsetzt. Wir werden dabei massiv darauf drängen, dass es zu keinem signifikanten Anstieg der Eigenmittelanforderungen kommt, damit das Kerngeschäft unserer Raiffeisenbanken weiter funktionieren kann.

Nachhaltigkeit ist zum Mega-Thema geworden. Welche Chancen sehen Sie für Genossenschaften und wie begleitet der ÖRV seine Mitglieder auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit?

Pangl: Die österreichische Raiffeisen-Gruppe hat bereits vor über zehn Jahren eine Nachhaltigkeitsinitiative eingerichtet, weil Nachhaltigkeit einfach dem Wesen von Genossenschaften entspricht. Durch den Klimawandel ist Nachhaltigkeit in der ganzen Gesellschaft in den Mittelpunkt getreten. Gerade Genossenschaften haben also das Potenzial, aus diesem Veränderungsprozess gestärkt hervorzugehen, wenn die Themen frühzeitig strategisch bearbeitet werden. Dem Finanzbereich wird dabei eine starke und steuernde Rolle zukommen – Stichwort Sustainable Finance. Aber auch die nichtfinanzielle Berichterstattung, Lieferkettengesetze, die „Farm to Fork“-Strategie im Lebensmittelbereich und der Klimawandel lassen einen klaren Weg erkennen. Doch auch hier braucht es Umsetzung mit Augenmaß, um die kleineren und dezentralen Strukturen nicht zu überfordern und aus dem Markt zu drängen. Diese Themen werden Schwerpunkt unserer Arbeit in den kommenden Monaten sein und werden den Finanz- und Warenbereich gemeinsam befassen, da die Auswirkungen wechselseitig sind. Wir wollen daran arbeiten, dass Raiffeisen und die Genossenschaften ein konstruktiver und starker Teil der notwendigen Lösungen sein werden.
 

Herr Dr. Pangl, vielen Dank für das Gespräch!

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