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In vielen Ländern der Welt herrschen Armut und Hunger. Zwar ist die Situation nicht direkt mit den Zeiten Friedrich Wilhelm Raiffeisens und Hermann Schulze-Delitzschs zu vergleichen. Es gibt aber Parallelen – nicht nur bei den Problemen, sondern auch bei der Lösung durch genossenschaftliche Kooperation. Sie ist der Kernbestandteil der internationalen Entwicklungszusammenarbeit des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV).

Vor allem für kleine Landwirte und Gewerbetreibende ist es oftmals schwierig, ihre Produkte zu vermarkten, günstige und verlässliche Lieferanten zu finden oder passende Finanzdienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Zusätzlich fehlt das nötige Know-how, das eigene Gewerbe unternehmerisch zu führen. Besonders betroffen ist die ländliche Bevölkerung in Ländern des globalen Südens. Wegen der zunehmenden Urbanisierung ist dies aber auch für die ärmeren Schichten in den Städten ein immer größeres Problem.

Aus eigener Kraft Armut überwinden

Genossenschaften sind nicht die einzige Antwort auf diese großen Herausforderungen. Sie sind aber ein erfolgreiches Kooperationsmodell, mit dem Menschen ihre wirtschaftliche und soziale Lage aus eigener Kraft verbessern können. Genossenschaften vereinen lokale Initiativen und stärken die Wirtschaftskraft vor Ort. Die wirtschaftliche Entwicklung des einzelnen Mitglieds wird in den Mittelpunkt gestellt.

Wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung sind aber nicht nur dezentrale genossenschaftliche Initiativen, sondern auch eine starke regionale und nationale Vernetzung. Davon können nicht nur die einzelnen Mitglieder, sondern auch ganze Regionen nachhaltig profitieren. Mehr noch: Die Bildung und Stärkung von Genossenschaften und ihren Netzwerken kann entscheidend dazu beitragen, die Sozial- und Wirtschaftsstruktur eines ganzen Lands positiv zu beeinflussen. Deshalb werden in den Entwicklungsprojekten des DGRV nicht nur einzelne Genossenschaften unterstützt, sondern es wird auch der genossenschaftliche Verbund insgesamt gestärkt.

Genossenschaften weltweit in Zahlen

  • Weltweit gibt es rund 3 Millionen Genossenschaften (Schätzung „International Cooperative Alliance“ ICA).
  • Sie werden von mehr als 1,2 Milliarden Mitgliedern (= Eigentümern) getragen.
  • Genossenschaften geben global mehr als 280 Millionen Menschen Arbeit.
  • Die weltweit 300 größten Genossenschaften kommen zusammen auf einen Jahresumsatz von rund 1,8 Billionen Euro.

Zu beachten ist dabei, dass Genossenschaften historisch im Zuge eines Entwicklungsprozesses entstanden sind. In Deutschland ist diese Entwicklung maßgeblich von der unternehmerischen Genossenschaftsidee Friedrich Wilhelm Raiffeisens und Hermann Schulze-Delitzschs geprägt worden. Genossenschaften haben sich im Laufe der Zeit immer wieder an neue Herausforderungen und Rahmenbedingungen anpassen müssen. Rückblickend kann man diese Anpassungsfähigkeit als echte Erfolgsgeschichte bezeichnen. Diese Anpassungsfähigkeit ist auch für die heutige genossenschaftliche Entwicklungsarbeit grundlegend. Es ist nicht möglich, einfach das deutsche Genossenschaftsmodell oder Genossenschaftsgesetz für andere Länder zu kopieren. Vielmehr muss das genossenschaftliche Grundkonzept zu den rechtlichen, politischen und kulturellen Gegebenheiten vor Ort passen.

In jedem Entwicklungsprojekt spielt daher die unternehmerische Selbsthilfe, angepasst an die jeweiligen Lebensumstände vor Ort, eine tragende Rolle. Schließlich kann eine nachhaltige Armutsbekämpfung nur durch Hilfe zur Selbsthilfe erreicht werden. Genossenschaftliche Entwicklungsarbeit unterstützt lediglich den Weg dorthin.

Ein besonderes Problem der Unternehmensform Genossenschaft ist in vielen Ländern ihr schlechtes Image. Dies kann beispielsweise daran liegen, dass die Kooperationsform immer noch mit einer sozialistischen Auslegung oder starken staatlichen Interventionen in Verbindung gebracht wird. Dies ist in einer Vielzahl der Länder historisch begründet. Auch durch intransparentes Handeln und korrupte Geschäftsführung kann ein solcher Imageschaden entstehen. Hinzu kommen oftmals unzureichende Managementfähigkeiten, Kontrollmechanismen und Mitgliederförderung innerhalb bestehender Genossenschaften. Das ist ein weiterer Grund, weshalb die mehrdimensionale Beratungsarbeit des DGRV nicht nur auf einzelne Genossenschaften begrenzt bleibt.

Was genau macht der DGRV?

Der DGRV fördert in seinen rund 25 Partnerländern in Asien, Afrika und Lateinamerika den Aufbau von Genossenschaften und ihren Verbundstrukturen. Die Projektaktivitäten sind breit gefächert und umfassen das Spar- und Kreditwesen, das Gewerbe, die Landwirtschaft oder den Energiesektor.

Die Aktivitäten des DGRV in den Partnerländern umfassen dabei nicht nur die genossenschaftliche Beratungsarbeit an der Basis, zum Beispiel bei der Gründung von Primärgenossenschaften. Vielmehr werden der langfristige Aufbau und die Stärkung von Genossenschaftsverbänden oder Zentralgenossenschaften angestrebt. Sie ermöglichen bessere Dienstleistungen für die bereits bestehenden lokalen Primärgenossenschaften. Diese Dienstleistungen umfassen beispielsweise die Beratung bezüglich der Rechte und Pflichten der Mitglieder und Organe einer Genossenschaft. Genauso können sie Unterstützung im Bereich Aus- und Weiterbildung von zum Beispiel Geschäftsführern oder Aufsichtsräten bedeuten. Ein weiteres wichtiges Angebot der Verbände besteht in der Prüfung oder Verifizierung der Primärgenossenschaften.

17 Ziele für nachhaltige Entwicklung

2015 hat die Weltgemeinschaft 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Sie sind Teil der Agenda 2030, mit der die Weltgemeinschaft weltweit ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft bewahren will. Alle Mitgliedsstaaten sind aufgerufen, Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, Entwicklungs- und Schwellenländer genauso wie Industrieländer. Die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele umfassen ökonomische, ökologische und soziale Aspekte. Auch die Arbeit des DGRV orientiert sich an der Agenda 2030 und trägt mit seinen Projekten dazu bei, mehrere der 17 Entwicklungsziele zu erreichen, vor allem die Ziele Nr. 1 („Keine Armut“), Nr. 2 („Kein Hunger“) und Nr. 8 („Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“).

Somit unterstützt der DGRV die nachhaltige Entwicklung des gesamten genossenschaftlichen Verbunds vor Ort. Zudem berät der DGRV auch bei der Ausgestaltung von gesetzlichen Rahmenbedingungen die entsprechenden Stellen in den Partnerländern, etwa bei genossenschaftsrechtlichen oder bankenaufsichtsrechtlichen Regelungen. Insoweit setzt die Beratungsarbeit des DGRV an mehreren Ebenen an. Die Beratung ist zudem an die unterschiedlichen regionalen Bedürfnisse der Partnerländer angepasst.

Die internationale Arbeit des DGRV wird primär vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) finanziert. Durchgeführt werden die genossenschaftlichen Entwicklungsprojekte von der Abteilung Internationale Beziehungen (AIB) des DGRV in Bonn.

Schwerpunkte in den Regionen

In Asien ist der DGRV im Rahmen eines Regionalprojekts zur Förderung genossenschaftlicher Selbsthilfeorganisationen vertreten. Das Projekt umfasst die Länder Kambodscha, Myanmar, Laos und Vietnam, in denen jeweils ein Projektbüro unterhalten wird. Außerdem ist der DGRV in Indien, den Philippinen und Thailand aktiv.

Die DGRV-Entwicklungsarbeit in Asien konzentriert sich auf die ländliche Entwicklung, insbesondere um kleinere landwirtschaftliche Betriebe bei der Produktion und Vermarktung zu unterstützen. Entsprechend des Mehrebenen-Ansatzes nehmen die Aktivitäten vor allem die genossenschaftliche Grundlagenarbeit in den Fokus. Verstanden wird darunter der Aufbau, die Stärkung und die Sicherung von Verbands- und Verbundstrukturen, aber auch die Einführung von Prüfungs- und Aufsichtssystemen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Initiierung einer systematischen Aus- und Fortbildungsstruktur.

Projekte des DGRV: Beispiel Kambodscha

Einstieg für den DGRV in Kambodscha war eine offizielle Bitte des Landwirtschaftsministeriums um Unterstützung bei der Entwicklung eines Gesetzes über landwirtschaftliche Genossenschaften. Dieses Gesetz hat dann den Aufbau genossenschaftlicher Verbund- und Verbandsstrukturen ermöglicht. Erstmals war die Genossenschaft als Rechtsform eine attraktive Option, um wirtschaftlich aktiv zu werden. Bei Inkrafttreten im Jahr 2013 waren etwa 250 Genossenschaften registriert, sieben Jahre später waren es bereits 1.200. Jüngster Erfolg ist die Gründung eines nationalen Dachverbands zur Prüfung und Ausbildung.

In Lateinamerika liegt der Schwerpunkt der Projektarbeit dagegen auf dem genossenschaftlichen Spar- und Kreditsektor, der genossenschaftlichen Energiewende und der Förderung kleiner Produzentengruppen im landwirtschaftlichen Bereich. Der DGRV ist mit Projektbüros in Mexiko, Ecuador, Costa Rica, Brasilien und Paraguay vertreten. Aber auch in anderen lateinamerikanischen Ländern werden Beratungsaktivitäten durchgeführt.

Lateinamerika ist besonders hart von den Auswirkungen der COVID 19-Pandemie betroffen. Wie bei uns in Deutschland hat es infolge der Pandemie aber auch einen Digitalisierungsschub in den Projekten gegeben. In ländlichen Regionen wird die Pandemie außerdem als Chance betrachtet, insbesondere die lokalen Märkte und den Handel in den Gemeinden durch Genossenschaften stärker zu fördern.

Projekte des DGRV: Beispiel Kolumbien

In Kolumbien konnten im Rahmen des DGRV-Projekts erfolgreich neue Vermarktungswege für Genossenschaften und Netzwerke erschlossen werden. Durch die Einführung einer lokalen Marke „Consumo lo Nuestro“ (sinngemäß: „Ich konsumiere unsere eigenen Produkte“) werden regionale Erzeugnisse deutlich besser verkauft. Die Produkte der beteiligten Genossenschaften werden nun sogar im bekannten Supermarkt Consumo in einer der größten Städte Kolumbiens, Medellín, vertrieben.

In Afrika führt der DGRV derzeit zwei Regionalprojekte in Ost- und Südafrika mit Projektbüros in Uganda, Kenia, Tunesien, Südafrika und Mosambik durch. Ein neues Projekt zur Agrarfinanzierung wurde in Kamerun gestartet. Neben den Aktivitäten in den genannten Ländern arbeitet der DGRV auch mit Partnern in Malawi, Sambia und Eswatini zusammen.

Die genossenschaftliche Beratungsarbeit fokussiert sich in Afrika vor allem auf den ländlichen Raum. Dabei wird der Schwerpunkt aber nicht allein auf die Landwirtschaft gelegt, sondern beispielsweise auch auf Spar- und Kreditgenossenschaften. Vor allem jungen Menschen soll das genossenschaftliche Unternehmertum in möglichst vielen Bereichen nähergebracht werden. Damit wird auch auf das drängende Problem der hohen Jugendarbeitslosigkeit in vielen afrikanischen Ländern reagiert.

Projekte des DGRV: Beispiel Mosambik

In Mosambik wurde das kooperierende Kleinunternehmen „4. Oktober“ mit Unterstützung des DGRV offiziell als Genossenschaft registriert. Gemeinsam schufen die Kleinbauern einen Absatzmarkt für ihre landwirtschaftlichen Produkte. Die größte Einnahmequelle ist der Anbau und Verkauf von Maniok. Anstatt die kartoffelähnlichen Feldfrüchte der Mitglieder nur auf dem lokalen Markt zu schwankenden Preisen zu verkaufen, wurde der Markt kräftig ausgeweitet. Heute „schmeckt“ man den Maniok der Genossenschaft in ganz Mosambik. Mittlerweile bezieht sogar der Brauerei-Konzern Cervejas de Moçambique (CDM) eine große Menge Maniok für die Produktion des bekannten Biers „Impala“.

Wir beim DGRV sind davon überzeugt, dass unternehmerische Genossenschaften wesentlich zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung eines Landes beitragen können. Sie sind eine bewährte Organisations- und Rechtsform für Kooperationen vielfältiger Art, von der sowohl das einzelne Mitglied als auch die Gemeinschaft profitieren. Sie zeichnen sich durch eine hohe Netzwerkfähigkeit aus.

In der Zusammenarbeit mit genossenschaftlichen Partnern in Ländern des globalen Südens nutzen wir diese Qualitäten. Denn gemeinschaftliche Selbsthilfe ist der Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung gegen Hunger und Armut in den benachteiligten Regionen der Welt. So können Genossenschaften weltweit Mitgliedernutzen schaffen. Diese Vorgehensweise hat Raiffeisen einst sehr einfach formuliert: „Was der Einzelne nicht vermag, das vermögen viele“!
 

Dr. Eckhard Ott ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV). In seine Verantwortung fällt auch die Abteilung Internationale Beziehungen.

Abteilung Internationale Beziehungen sucht Unterstützung

Die Abteilung Internationale Beziehungen (AIB) des DGRV ist kontinuierlich auf der Suche nach tatkräftiger Unterstützung. Positionen im Inland (Bonn) sowie im Ausland (diverse Projektstandorte) werden immer wieder neu ausgeschrieben. Je nach Projekt bieten sich Langzeiteinsätze oder auch Kurzzeitberatungen an. Aktuelle Stellenausschreibungen sind auf der internationalen Webseite des DGRV zu finden.

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