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Herr Lutz, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl als Präsident der IHK für München und Oberbayern sowie des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK). Welche Themen wollen Sie setzen?

Klaus Josef Lutz: Zentrales Thema ist der Umbau, die Transformation der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Wir brauchen Mut und Entschlossenheit für diesen Aufbruch. Die Corona-Pandemie, aber auch die zunehmenden Naturkatastrophen der letzten Jahre und Wochen zeigen uns, dass es ein einfaches „Weiter so“ nicht geben kann. Eine dritte große Herausforderung ist die Demografie und damit verbunden die Fachkräftesicherung. Insgesamt steht nicht weniger als die Zukunftsfähigkeit der bayerischen Wirtschaft auf dem Spiel.

„Die genossenschaftlichen Prinzipien Kooperation, Selbsthilfe und Selbstverwaltung bilden deckungsgleich den Markenkern der IHK ab.“

Als Vorstandsvorsitzender der BayWa AG sind Sie Teil der bayerischen Genossenschaftsorganisation. Inwiefern profitieren Sie von dieser Erfahrung für das Amt des IHK-Präsidenten?

Lutz: Die starken genossenschaftlichen Wurzeln und Anteilseigner sind nach wie vor Eckpunkte der BayWa-Identität. Die genossenschaftlichen Prinzipien Kooperation, Selbsthilfe und Selbstverwaltung bilden deckungsgleich den Markenkern der IHK ab. Die IHK ist die gesetzlich verankerte Organisation der Unternehmerinnen und Unternehmer, für die sie tätig ist. Allerdings nicht als Wirtschaftsbetrieb wie bei einer Genossenschaft, sondern als objektive Interessenvertretung für die gesamte gewerbetreibende Wirtschaft, als deren Förderer und Serviceanbieter und als von der Wirtschaft selbst organisierte Instanz des Staats bei der Durchführung der Aus- und Weiterbildung und rund 80 weiterer hoheitlicher Aufgaben. Was die IHK München beispielsweise im vergangenen Jahr als Bewilligungsstelle für ganz Bayern bei der Abwicklung der Corona-Überbrückungshilfen geleistet hat – so etwas kann eine Organisation nur stemmen, wenn sie über eine gehörige Portion Gemeinsinn verfügt.

Sprachrohr für 990.000 Unternehmen

Der Bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) e.V. ist die Dachorganisation der neun IHKs in Bayern. Alle bayerischen ‎Unternehmen – ausgenommen Handwerksbetriebe, freie Berufe und landwirtschaftliche Betriebe – sind per Gesetz Mitglied einer IHK. ‎Folglich spricht der BIHK für 990.000 Unternehmen aller Größen und Branchen in Bayern: vom global operierenden Konzern bis zum ‎inhabergeführten mittelständischen Unternehmen. Der BIHK ‎repräsentiert das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft in Bayern. Seit seiner Gründung im Jahr 1909 ist er die größte ‎Wirtschaftsorganisation im Freistaat Bayern.‎

„Eine der Hauptsorgen der Unternehmen ist, dass der Reformstau in der öffentlichen Verwaltung die Wirtschaft ausbremst.“

Die Corona-Pandemie hat ihre Spuren in der bayerischen Wirtschaft hinterlassen. Wo sehen Sie akuten politischen Handlungsbedarf, um dem Mittelstand gute Zukunftsperspektiven zu verschaffen?

Lutz: Nicht nur die Corona-Krise hat die Versäumnisse und Baustellen in Deutschland schonungslos offengelegt. Eine der Hauptsorgen der Unternehmen ist, dass der Reformstau in der öffentlichen Verwaltung die Wirtschaft ausbremst und unserem Standort schadet. Die neue Bundesregierung muss daher dringend Lehren aus den Erfahrungen während der Pandemie ziehen. Deutschland muss digitaler, schneller und flexibler werden. Vor allem eine zu träge und komplizierte Bürokratie sehen die Unternehmen kritisch, so das Ergebnis unserer Unternehmensumfrage zur Bundestagswahl. Rund 90 Prozent der Unternehmen fordern, dass die nächste Bundesregierung die staatlichen Strukturen und Prozesse entschlackt, digitalisiert und beschleunigt. Die größten Probleme sehen die Betriebe in zu hohen Energiepreisen sowie in der Unternehmensbesteuerung hierzulande. Eine weitere Lehre der Wirtschaft aus der Pandemie ist, dass der Welthandel widerstandsfähiger
und der Produktionsstandort Deutschland beziehungsweise Europa attraktiver werden muss.

Lehren aus Corona

Am 26. September 2021 wählen die Deutschen einen neuen Bundestag. Welche Lehren zieht die neue Bundesregierung aus den Erfahrungen während der Corona-Pandemie? In ihren „Lehren aus Corona“ blicken die bayerischen IHKs auf die Erkenntnisse seit März 2020 zurück und geben konkrete Impulse, wie Deutschland bis 2025 wieder fit gemacht werden kann. Mehr auf der Webseite des BIHK.

Die Mittelstandsfinanzierung ist traditionell ein Thema, das sowohl den IHKs als auch den Regionalbanken sehr am Herzen liegt. Was sind aus Ihrer Sicht die größten politischen Hürden für die Mittelstandsfinanzierung?

Lutz: Erstens hat sich die EU mit der Umsetzung von Basel II und III zu sehr in ein System eingemischt, das sich in Deutschland über Jahrzehnte bewährt hat. Die exzessiven Risiken, die damit minimiert werden sollen, hat es in der Mittelstandsfinanzierung in Deutschland nie gegeben. Man muss sich das mal überlegen: Mittlerweile gelten getreu dem Ansatz „One size fits all“ für mittelständische Kreditinstitute in Europa – anders als in den USA – im Wesentlichen die gleichen Regulierungsanforderungen wie für Großbanken. Dies führt naturgemäß zu unverhältnismäßigen Kosten für kleine Institute und damit ist die verlässliche Kreditversorgung in Gefahr. Der Gedanke der Proportionalität muss bei der Bankenregulierung wieder eine deutlich größere Rolle spielen.

„Mit zentralisierter Planwirtschaft kann man keine komplexen Probleme lösen, das hat die Empirie bewiesen.“

Und zweitens?

Lutz: Zweitens werden jetzt unter der Überschrift „Sustainable Finance“ noch einmal ganz neue Finanzregulierungen von der EU draufgesattelt. Die EU will die Finanzwirtschaft als Hebel des wirtschaftlichen Umbaus nutzen und Finanzströme gezielt in nachhaltige Projekte und Unternehmen lenken. Damit werden ganz neue, marktfremde Spielregeln für die Finanzierung von Geschäftsmodellen aufgestellt. Die dafür notwendige Klassifizierung von Wirtschafts­tätigkeiten in „grün“ oder „braun“ ist mehr als fragwürdig – da legt also die EU-Bürokratie kleinstteilig über fast 500 Seiten hinweg von vornherein Gewinner und Verlierer fest. Das Münchner ifo Institut hat sich schon 2020 deutlich gegen diese Pläne ausgesprochen und „Sustainable Finance“ in einer von der IHK München beauftragten Studie als ineffiziente Doppelregulierung gebrandmarkt. Mit zentralisierter Planwirtschaft kann man keine komplexen Probleme lösen, das hat die Empirie bewiesen. Auch die Umwelt- und Energiepolitik muss sich die Kraft und das dezentrale Entdeckungsverfahren der Marktwirtschaft zunutze machen. Deshalb sind CO2-Bepreisung und Emissionshandel die entscheidenden Ansätze, den Klimaschutz wirksam und zugleich effizient voranzutreiben.

Am 26. September wählen die Deutschen einen neuen Bundestag. Welche ordnungspolitischen Rahmenbedingungen braucht der bayerische Mittelstand, um auch in Zukunft erfolgreich zu wirtschaften?

Lutz: Es ist so einfach wie kompliziert: Wir brauchen die Besinnung auf die Soziale Marktwirtschaft. Während der Krise hat fast nur der Staat gehandelt. Jetzt brauchen wir mehr unternehmerische Freiheit. Nachhaltigkeit, Klimawandel, Digitalisierung – dafür brauchen wir innovative Geschäftsmodelle, Technologien, Produkte und Dienstleistungen. Die produktiven Arbeitsplätze der Zukunft schafft nur die Wirtschaft. Die Antworten auf den Klimawandel liefern Wissenschaft und Unternehmen, nicht die Politik. Die Politik muss sich mit Nachdruck den Standortbedingungen widmen – mit radikal verkürzten Planungs- und Genehmigungsverfahren, einer massiven Beschleunigung der Versorgung mit erneuerbaren Energien, wettbewerbsfähigen Strompreisen und Steuern sowie der Digitalisierung der öffentlichen Bildungs- und Verwaltungsleistungen.


Herr Lutz, vielen Dank für das Gespräch!

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