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Frau Dr. Bürgel, Sommerzeit ist Ferienzeit und Millionen Menschen nehmen sich frei, um zu verreisen oder zu Hause auszuspannen. Wie wichtig ist Urlaub?

Ilona Bürgel: Urlaub ist vor allem aus zwei Gründen extrem wichtig. Erstens: So wie es keinen Tag ohne Nacht gibt und keine Wärme ohne Kälte, so gibt es auch keine Spannung ohne Entspannung. Dieses Gleichgewicht ist bei vielen Menschen durcheinander. Sie vergessen, sich regelmäßig auszuruhen. Zweitens: Im Alltag gibt es nur selten Ruhephasen. Viele Menschen sind der Meinung, dass sie ständig aktiv sein müssen. Ihr Terminkalender ist immer voll: Arbeiten, Freunde treffen, Wohnung putzen, Rasen mähen, und so weiter. Aber das ist ein großer Fehler, denn wer sich nicht erholt, ist im Dauerstress und dadurch unglücklicher, unzufriedener und häufiger krank.


Ist es sinnvoll, im Urlaub zu verreisen?

Bürgel: In den meisten Fällen ja. Natürlich gibt es Menschen, die auch zu Hause gut abschalten können. Die meisten fallen jedoch schnell in ihre Routinen zurück. Sie gehen ins gleiche Café, kochen dieselben Gerichte, gehen dieselben Strecken. Aber: Das Gehirn schüttet das Glückhormon Dopamin nicht mehr aus, wenn es sich an etwas gewöhnt hat. Dazu braucht es neue Reize. Um diese zu bekommen, muss man die Komfortzone verlassen. Und das gelingt am besten im Urlaub, wo ich eine andere Sprache spreche, neues Essen und Trinken ausprobiere oder Sehenswürdigkeiten anschaue. Diese kleinen positiven Nervenkitzel sind essenziell für eine gute Erholung.


Einige Menschen verreisen aber gerne jedes Jahr ins gleiche Hotel auf Gran Canaria oder haben ein Ferienhaus am Atlantik…

Bürgel: Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Natürlich sind die Überraschungsmomente einerseits geringer. Andererseits verringert sich der Stress im Vorfeld der Reise. Themen wie Impfungen, Anreise, Versorgung vor Ort sind geklärt. Trotzdem würde ich empfehlen, mal das Hotel zu wechseln, einen anderen Supermarkt anzufahren oder einen neuen Strand zu entdecken.

Für viele Menschen ist der Urlaubsbeginn mit hohem Stress verbunden. Sie müssen Projekte abschließen, Kollegen und Kunden informieren, den Koffer packen, und so weiter. Wie können sie sicherstellen, dass sie stressfrei in den Urlaub kommen?

Bürgel: Viele Menschen machen sich ganz viel Druck selbst. Nach dem Motto: Man muss es sich erst verdienen, in Urlaub zu fahren. Also werden auf der Arbeit Überstunden geschoben und die Wohnung noch einmal penibel geputzt. Es ist jedoch deutlich sinnvoller, in der Woche vor dem Urlaub langsam runterzufahren.


Wie geht das?

Bürgel: Weniger Termine absolvieren und Deadlines nicht bis auf den letzten Tag rauszögern. Kein Projekt wird am Donnerstag initiiert und am Freitag abgeschlossen. Zudem ist ein Urlaub meistens lange vorher im Kalender eingetragen. Das heißt: Wer zum 1. August wegfährt, kann schon Anfang Juli überlegen, wie er die bis dahin offenen Aufgaben möglichst sinnvoll erledigen kann. Außerdem sollte man lernen, Kompetenzen abzugeben. Gerade Menschen in Führungspositionen neigen zu der Ansicht, dass nur sie bestimmte Entscheidungen treffen können. Aber in jedem guten Betrieb gibt es Vertretungsregeln. Die Kollegen können die Abwesenheit in der Regel abfangen.

„Ein langer Urlaub ist also nicht verkehrt, effektiver sind jedoch häufigere und dafür kürzere Auszeiten.“

Manche verreisen im Jahr am liebsten fünf Mal für je eine Woche, andere nehmen vier Wochen am Stück frei. Gibt es die optimale Urlaubslänge?

Bürgel: Die meisten Menschen brauchen eine Weile, um abzuschalten und sich zu erholen. Deswegen könnte man meinen, dass ein drei- oder gar vierwöchiger Urlaub Sinn macht. In jüngerer Zeit haben Forscher jedoch untersucht, wie lange der Urlaubseffekt erhalten bleibt. Dabei ist herausgekommen, dass die positiven Auswirkungen aufgrund der hohen Belastungen im Anschluss schnell verpuffen oder ganz verschwinden – und zwar unabhängig davon, ob man mehrere Tage oder Wochen weg war. Ein langer Urlaub ist also nicht verkehrt, effektiver sind jedoch häufigere und dafür kürzere Auszeiten.


Sehr individuell verbringen Menschen auch gerne die Zeit im Urlaub. Die einen wollen Museen besichtigen, andere am Strand liegen, wiederum andere jeden Tag sportlich aktiv sein. Wie gelingt es, den optimalen Urlaub zu finden?

Bürgel: Gute Erholungswerte gibt es dann, wenn wir etwas anderes tun als in unserem Alltag. Wer also meint, zu wenig Zeit für Sport zu haben, sollte im Urlaub aktiv sein. Wer sich gehetzt fühlt und die Sachen ruhiger angehen möchte, sollte einen Bade- oder Kultururlaub in Betracht ziehen. Wie bereits erwähnt ist es zudem wichtig, dem Gehirn neue Reize zu bieten. Um diesen Effekt zu maximieren, kann man im Urlaub eine Sprachreise machen oder ein Instrument lernen. Ebenfalls lohnenswert ist es, sich mit etwas Sinnvollem zu beschäftigen. Wer etwa an einem Bauprojekt hilft oder sich sozial engagiert, der zieht dadurch viel länger positive Effekte als durch kurzfristige Befriedigungen wie shoppen gehen oder sich ein teures Essen gönnen.

Apropos Gönnen: Während des Alltags halten sich viele Menschen zurück und verzichten beispielsweise bewusst auf Süßigkeiten oder gehen abends nicht aus. Dafür schlagen sie dann etwa im All-Inclusive-Urlaub über die Stränge. Spricht etwas dagegen?


Bürgel: Wenn es zu einer Überschuss-Reaktion kommt, und man beispielsweise jeden Abend große Mengen Alkohol trinkt oder ununterbrochen isst, kann das ein Hinweis darauf sein, dass man selbst beziehungsweise der Genuss im Alltag zu kurz kommt. Vor allem dann, wenn es nach dem Urlaub ins andere Extrem geht und man keinen Tropfen mehr trinkt oder nichts mehr isst. Solche Extreme sind für den Körper und das Wohlempfinden gefährlich. Abgesehen davon ist es völlig in Ordnung, sich auch mal gehen zu lassen. Im Alltag sind wir häufig ordentlich und diszipliniert, da können wir uns auch mal drei Eis am Tag erlauben, wenn wir das möchten. Das gehört zum Leben dazu, im Alltag gönnen wir uns meistens viel zu selten etwas. Wichtig dabei ist: Nicht auf die Kalorien achten und ein schlechtes Gewissen bekommen. Dann geht das gute Gefühl sofort verloren.

„Genauso, wie man in den letzten Tagen vor dem Urlaub langsam runterfährt, so sollte man in den ersten Tagen nach dem Urlaub langsam wieder hochfahren.“

Ein Großteil der Menschen reist nicht alleine, sondern mit dem Partner, den Freunden oder den Kindern. Was gilt es zu beachten, damit der Urlaub stressfrei abläuft?

Bürgel: In der Tat haben viele Menschen an ihren Urlaub extrem hohe und dadurch unrealistische Erwartungen. Damit es trotzdem nicht zu Streit kommt, ist es wichtig, bereits im Vorhinein die Erwartungen zu klären und Spielregeln auszumachen. Beispielsweise zu folgenden Punkten: Wie viel Zeit braucht jeder für sich allein? Beschließen wir vor der Reise, was wir an den einzelnen Tagen machen? Oder entscheiden wir das spontan? Hilfreich ist es ebenfalls, abends zu überlegen, was am Tag schön war und was gestört hat. Manche Menschen neigen dazu, Frust anzustauen und dann bei einer nichtigen Kleinigkeit zu eskalieren. Das kann den ganzen Urlaub verderben.


Sind solche Spielregeln auch nötig, wenn ich mit meinem Partner verreise, den ich seit 30 Jahren kenne?

Bürgel: Ja, Spielregeln sind auch bei langfristigen Partnern und Freunden wichtig. Nur weil meine beste Freundin im Alltag morgens immer Müsli isst, heißt das nicht, dass ich alles über sie weiß. Vielleicht will sie ja im Urlaub lieber zu Rührei und Toast greifen, um im Beispiel zu bleiben. Das heißt: Ständige Kommunikation ist wichtig, damit die gemeinsame Zeit harmonisch abläuft. Ein weiterer Irrtum ist, dass andere für mein eigenes Glück verantwortlich sind. Geliebte Menschen verhalten sich nicht immer so, wie man das gerne hätte. Und dadurch lassen wir uns die Laune verderben. Stattdessen lohnt es sich, mit folgender Frage in den Tag zu starten: Was kann ich dafür tun, damit ich heute glücklich bin? So gehe ich sorgsamer mit mir selbst um und erzeuge ein positives Gefühl. Das minimiert Konflikte, denn Streit entsteht zumeist aus eigenen Defiziten und Kränkungen. Wer sich klarmacht, dass er selbst für sein Wohlempfinden verantwortlich ist, der minimiert das Stresspotenzial erheblich.

Was ist noch zu beachten, wenn man mit anderen Menschen wegfährt?

Bürgel: Zum einen lohnt es sich, für Verbundenheit mit anderen Menschen zu sorgen. Die Glücksforschung zeigt, dass tiefe soziale Emotionen äußerst wertvoll sind. Deshalb sollte man sich bewusst machen, dass der Partner, die Freunde oder die anderen Teilnehmer der Reisegruppe ähnliche oder gar gleiche Interessen und Ziele haben. Das erzeugt soziale Nähe und dadurch gute Laune. Zum anderen ist es nie verkehrt, dankbar zu sein. Jeder regt sich auf, wenn er länger im Stau steht oder das Flugzeug mehrere Stunden Verspätung hat. In solchen Fällen hilft es, einmal inne zu halten und sich klarzumachen, wie privilegiert die Situation gerade ist: Man verbringt gemeinsam Zeit mit lieben Menschen. Auf diese Weise kommt man aus einem kurzzeitigen Tief schnell heraus.


Kann es schaden, während des Urlaubs etwas zu arbeiten und beispielsweise Mails zu beantworten oder an einer Präsentation zu basteln?

Bürgel: Studien zeigen, dass das Gehirn bereits in Unruhe gerät, wenn technische Geräte nur in der Reichweite liegen. Das gilt insbesondere für das Smartphone. Der Urlaub aber ist ein Schatz und sollte unbedingt davor beschützt werden, die Unruhe aus dem Alltag mitzunehmen. Das bedeutet: Das Gerät am liebsten für einige Tage ausschalten und sich nicht um die Arbeit kümmern.


An den letzten Urlaubstagen werden viele Menschen missmutig, weil sie bereits an die Arbeit denken. Was ist zu beachten, um die gewonnene Erholung in den Alltag mitzunehmen?

Bürgel: Genauso, wie man in den letzten Tagen vor dem Urlaub langsam runterfährt, so sollte man in den ersten Tagen nach dem Urlaub langsam wieder hochfahren. Das bedeutet: Wenige Meetings und Deadlines für die erste Woche ansetzen. Oft lohnt es sich, die Abwesenheitsnotiz noch einen Tag länger laufen zu lassen. Auf diese Weise kann ich entspannt ins Büro kommen, die Kollegen begrüßen, einen Blick in den Posteingang werfen, erste Telefonate führen. Außerdem sollte man von widerstandsfähigen Menschen lernen: Diese beschäftigen sich mit Problemen erst, wenn sie auftauchen. Wer schon an den letzten Urlaubstagen daran denkt, ob die Kollegin krank ist oder welche Mails gekommen sind, der ist sofort wieder im Alltag.


Und wenn der Stress doch wieder da ist?

Bürgel: Hilfreich kann es sein, Rituale aus dem Urlaub mitzunehmen. Wer immer um 16 Uhr einen Kaffee getrunken hat, kann das auch im Büro machen. Vielleicht nicht für eine halbe Stunde, aber fünf Minuten Pause lassen sich fast immer einrichten. Vielen Menschen helfen auch kleine Mitbringsel, eine Postkarte oder ein anderes Souvenir aus dem Urlaubsort. Auf diese Weise erinnert sich das Gehirn an die schöne Zeit und das Urlaubsgefühl kommt zumindest kurzfristig wieder zurück.

Einige Menschen verreisen nicht gerne oder können sich keinen Urlaub leisten. Wie gelingt Erholung zu Hause?

Bürgel: Meine Empfehlung ist, aus den Routinen auszubrechen. Wie anfangs bereits gesagt, braucht das Gehirn neue Reize, um sich richtig zu erholen. Warum also nicht zu Hause einen Sprachkurs absolvieren oder sich ehrenamtlich engagieren? Es muss aber nicht immer ein großes Projekt sein, es hilft bereits, das neue thailändische Restaurant auszuprobieren. Und in unseren Städten und dem Umland gibt es immer etwas zu entdecken: Ein neues Museum, eine neue Wanderstrecke oder ein neues Café beleben Seele und Körper gleichermaßen.


Frau Dr. Bürgel, vielen Dank für das Gespräch!


Dr. Ilona Bürgel promovierte zum Thema „Autobiographisches Gedächtnis“ an der Universität Leipzig. Seit 1997 arbeitet sie als Referentin im deutschsprachigen und europäischen Raum und zeigt Arbeitnehmern, wie der Spagat zwischen Lust auf Leistung und Nutzung, Erhalt sowie Ausbau der eigenen Ressourcen gelingt. Bürgel ist Beraterin für Rundfunk und Medien sowie Buchautorin, zuletzt erschien „Willkommen digitale Welt: Die Kunst des Wohlbefindens in einer neuen Zeit“.

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