Attraktive Rechtsform: Die Genossenschaftsidee ist quicklebendig. Das beweisen rund 400 Neugründungen in den vergangenen zehn Jahren. Was steckt dahinter?
Wer im Supermarkt einkauft, nimmt davon oft jede Menge mit nach Hause: Plastik. Denn viele Waren sind in Kunststoff verpackt – ganz gleich, ob es sich um Frischeprodukte wie Käse und Joghurt, Trockenware wie Reis und Nudeln oder Drogerieartikel wie Waschmittel und Shampoo handelt. Die Folge: Statistisch gesehen verursacht jeder Deutsche 220 Kilogramm Verpackungen pro Jahr. Der Müll wird nicht immer recycelt, im schlimmsten Fall landet er auf illegalen Mülldeponien in Asien oder gleich im Meer.
„Wir müssen den Plastikwahn stoppen“, sagt Anna Meßner. Deshalb hat die 23-Jährige gemeinsam mit anderen umweltbewussten Bürgern Mitte Mai den bayernweit ersten genossenschaftlich organisierten Unverpackt-Laden eröffnet. Unverpackt bedeutet, dass die Produkte nicht in Plastikverpackungen zum Mitnehmen im Regal stehen, sondern in großen Gefäßen lagern. „Ois Ohne“ heißt das Geschäft in Bad Tölz, das in der Hindenburgstraße zwischen Fußgängerzone und Bahnhof liegt.
Anna Meßmer ist Geschäftsführerin, ihr zur Seite stehen zwei Halbtagskräfte sowie eine 450-Euro-Kraft. Der Einkauf in ihrem Laden läuft anders ab als in einem normalen Supermarkt. Die Kunden bringen eigene Behältnisse mit. Alternativ gibt es im Geschäft Gläser zu kaufen, außerdem liegen Papiertüten aus. Zu Beginn des Einkaufs werden die Gefäße gewogen und das Gewicht aufgeschrieben. Anschließend können die Kunden die gewünschten Produkte abfüllen. Zum Schluss werden die vollen Behältnisse ein zweites Mal gewogen und das Leergewicht abgezogen. So bezahlen die Kunden nur für die eingefüllte Ware.
Was die Genossenschaft bezwecken möchte
Ziel der Genossenschaft mit dem Namen „Unverpackt-Laden Oberland eG“ mit 130 Mitgliedern ist es, den Menschen in Bad Tölz und Umgebung einen plastikfreien Einkauf zu ermöglichen. Um Geschäfte mit ähnlichem Konzept aufzusuchen, mussten sie zuvor bis nach München oder Rosenheim fahren. „Wer aus der Region auf Plastik verzichten möchte, hatte bisher quasi keine Möglichkeit dazu“, sagt Meßmer. Es soll damit Druck auf die Industrie aufgebaut werden, beim Verpacken von Waren auf Kunststoff zu verzichten. Außerdem möchte die Genossenschaft ein Bewusstsein für das Problem Plastikmüll schaffen. „Vielen Menschen wissen gar nicht, wie viel Kunststoff sie bei jedem Einkauf mitnehmen. Das kann schon einmal den halben Abfalleimer füllen. Wenn wir sie aufklären, überdenken viele ihr Konsumverhalten“, so die Geschäftsführerin.
Fokus auf regional produzierten Produkten
Bei „Ois Ohne“ gibt es vor allem trockene Lebensmittel wie Nudeln, Reis, Quinoa-Samen oder Haferflocken. Außerdem bieten Anna Meßmer und ihr Team Kosmetik- und Drogeriewaren wie Waschpulver, Spülmittel, Seife oder Bodylotion an. Die Genossenschaftsmitglieder haben die Produkte gemeinsam ausgewählt und dabei viel Wert auf Regionalität gelegt. Die Tortilla-Chips kommen beispielsweise aus Starnberg, der Honig vom Tegernsee, die Quinoa-Samen aus Dachau und der Tee aus dem Chiemgau. Fast alle Produkte tragen das Bio-Siegel. „Wir wollen den Kunden ein attraktives Sortiment bieten mit Produkten, die sie vielleicht noch nicht kennen. Gleichzeitig unterstützen wir Landwirte und Produzenten aus der Region“, sagt Anna Meßmer.
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Frisches Obst und Gemüse gibt es im Unverpackt-Laden ebenso wenig wie Fleisch oder Brot. Zum einen seien die Kosten für eine Kühltheke sehr hoch, zum anderen gäbe es solche Produkte in Supermärkten oder Fachgeschäften bereits ohne Plastik zu kaufen, erklärt Meßmer. Ein kompletter Wocheneinkauf ist im Unverpackt-Laden folglich nicht möglich. „Auf der kleinen Fläche können wir kein Vollsortiment bieten. Durch unsere Lage in direkter Nähe zur Fußgängerzone, in der zweimal wöchentlich ein Markt stattfindet und zahlreiche Lebensmittelgeschäfte beheimatet sind, können die Kunden ihre weiteren Einkäufe ohne Probleme erledigen“, sagt die Geschäftsführerin. Dafür bietet sie von Montag bis Donnerstag ein warmes Mittagessen, beispielsweise Gurken-Curry mit Basmati-Reis, vietnamesische Gemüserollen mit Erdnusssoße oder Grießbrei mit Früchten.
Lieferengpässe zu Beginn
Unverpackt-Laden mit der Rechtsform eG
In mehreren bayerischen Städten wollen sich Bürger zusammenschließen, um genossenschaftlich organisierte Unverpackt-Läden wie in Bad Tölz zu gründen. Weit fortgeschritten in der Planung ist ein entsprechendes Konzept in Zorneding, dort soll ein Geschäft Ende September eröffnen.
„Ois Ohne“ wird in Bad Tölz gut angenommen. Pro Tag schauen rund 70 Kunden ins Geschäft, der Mittagstisch hat 20 bis 30 Gäste. Einige Stammkunden kommen mehrmals pro Woche. Auch während des Besuchs des „Profil“-Reporters ist durchweg etwas los, die Menschen loben auf Nachfrage vor allem das sorgsam ausgewählte Sortiment und die angenehme Atmosphäre. Der Start ist somit gut verlaufen, der Umsatz höher als geplant. „Wir hatten zu Beginn sogar Lieferengpässe, da wir nicht mit so einem großen Andrang gerechnet haben“, sagt Meßmer.
Die Entscheidung für die Rechtsform Genossenschaft fiel bereits früh im Gründungsprozess. „‚Ois Ohne‘ ist ein Gemeinschaftsprojekt, an dem sich viele verschiedene Menschen mit ihren individuellen Fähigkeiten eingebracht haben. Nur so konnte der Laden entstehen. Deshalb war die Genossenschaft für unser Vorhaben optimal“, sagt Meßmer. Sie ist mehr denn je davon überzeugt, dass die Entscheidung für die Rechtsform eG genau richtig war. Als Beispiel führt sie an, dass in der Woche vor der Eröffnung viele Arbeiten zu erledigen waren. Als sie in der WhatsApp-Gruppe um Hilfe bat, kamen binnen kurzer Zeit zahlreiche Mitglieder vorbei. „Die Mitglieder identifizieren sich mit ihrem Laden und sind stolz, was wir gemeinsam erreicht haben“, sagt Meßmer. Als Dividende ist übrigens ein großes Fest geplant, auf dem es kostenloses Essen und Trinken gibt.
Anna Meßmer wird ihren Posten als Geschäftsführerin bald aufgeben. Für den Laden hat sie ihr Studium unterbrochen, ab Oktober möchte sie wieder zur Uni gehen. Eine Nachfolgerin steht schon bereit: Eine der aktuellen Mitarbeiterinnen soll die Geschicke des Ladens übernehmen. Während Meßmer von dem Plan erzählt, kommt eine Kundin mit einer leeren Waschmittelflasche in den Laden. Am Aufdruck ist zu sehen, dass sie die Flasche in einem regulären Supermarkt gekauft hat. Nun füllt sie neues Waschmittel aus dem Unverpackt-Laden ein. „Und schon wieder haben wir eine Plastikflasche eingespart“, sagt Meßmer zufrieden. Sie hofft, dass in Zukunft noch viel mehr Menschen ihr Einkaufsverhalten ändern und auf so viel Plastik wie möglich verzichten.