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Das gab es noch nie: Zum ersten Mal will ein Unternehmen ein eigenes Zahlungsmittel entwickeln, das mit staatlichen Währungen konkurrieren könnte. Facebook hat in einem White Paper für das erste Halbjahr 2020 die weltweite Einführung des Stablecoins Libra angekündigt. Welche Auswirkungen könnte Libra auf das bestehende Finanzsystem haben? Und muss so ein Angebot international beaufsichtigt werden?

Grundsätzlich stecken in Innovationen wie dem Libra-Projekt Chancen für unser Finanzsystem. Innovationen haben das Finanzsystem auch in der Vergangenheit in mancherlei Hinsicht schneller, günstiger und oft auch sicherer gemacht. So wurde auch die „Lohntüte“ durch Finanzinnovationen überflüssig und ersetzt. Im Fall von Libra könnten vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern Transaktionskosten gesenkt werden. Hierzulande würde es zunächst wohl hauptsächlich um ein neues „Zahlungserlebnis“ gehen. Sollte sich Libra durchsetzen, könnte dessen Infrastruktur auch Wegbereiter für weitere digitale Neuerungen werden.

Aber Innovation bedeutet nicht automatisch Fortschritt. Und visionäre Ideen gibt es derzeit viele im Finanzsektor. Warum wird gerade Libra so viel Aufmerksamkeit gewidmet? Ganz einfach: Weil ein großer Technologiekonzern mit weitreichenden Ressourcen in der Lage sein könnte, das angekündigte Projekt mit großem Erfolg durchzuziehen.

Das technische Vehikel – Krypto-Token – gibt es schon länger. Ziel ist es, verlässliche und übertragbare Werte in der Welt der Einsen und Nullen zu schaffen. Der bisher bekannteste Krypto-Token, der Bitcoin, wird diesem Anspruch nicht gerecht. Denn Bitcoins steht kein belastbarer Wert gegenüber – wer sie kauft, setzt auf die Hoffnung, dass jemand anderes sie als Zahlungsmittel akzeptieren wird oder auf Wertsteigerungen spekuliert. So kommen die enormen Kursschwankungen zustande. Facebook hat daraus Lehren gezogen und setzt bei Libra auf das Konzept einer sogenannten Stablecoin, die durch einen Korb von Währungen und kurz laufenden Staatsanleihen gedeckt sein soll.

Nun ist auch die Idee von Stablecoins nicht neu. Neu ist aber im Fall Libra, dass ein großer Technologiekonzern im Verbund mit 27 anderen weltweit tätigen Internetplattformen sowie Zahlungs- und Telekommuniaktionsdienstleistern ein Geschäftsmodell entwickelt, das auf eine weltweite Kundenbasis von über zwei Milliarden Nutzern, technologisches Know-how und finanzielle Schlagkraft setzen kann. Tech-Riesen haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie in kurzer Zeit ganze Märkte umkrempeln können. Durch Netzwerkeffekte wird so manche Dienstleistungsidee irgendwann zum Selbstläufer.

„Die künftigen Nutzer sollten mögliche Risiken im Blick haben.“

Das Projekt hat einen disruptiven Anspruch gegenüber Zahlungsdienstleistern und Banken – und möglicherweise auch gegenüber dem staatlichen Geldwesen. Auf einen Schlag könnten gigantische Geldsummen von Milliarden Nutzern im System sein. Da das Projekt sehr schnell sehr groß werden könnte, müssen wir uns schon heute damit beschäftigen.

Noch ist das Geschäftsmodell zu unkonkret, um Risiken genau abschätzen oder die Marktentwicklung vorhersehen zu können. Aber falls Libra richtig einschlägt, muss geprüft werden, ob und inwieweit die geltende Rechtsordnung geeignet ist, einen sinnvollen Rahmen für diese Geschäfte zu definieren. Auch Zentralbanken und Bankaufseher müssen sich daher frühzeitig mit Libra auseinandersetzen und dabei dem Innovationsgeist Raum geben, gleichzeitig aber gesetzliche Verantwortung, öffentliche Kontrolle und Risikobegrenzung sicherstellen.

Und auch die künftigen Nutzer sollten mögliche Risiken im Blick haben. So könnte beim Umtauschen von Euro und Libra ein plötzlicher Werteverlust entstehen, weil sich Marktpreise ändern. Davon hängt unter anderem ab, ob und in welchem Umfang der Kunde sein Geld im Ernstfall wiederbekommt. Und was passiert, wenn es bei der IT-Infrastruktur hakt, Coins durch Cyberangriffe gestohlen werden oder die hinterlegten Sicherheiten im Ernstfall nicht sofort ausgezahlt werden? Rechtlich durchsetzbare Ansprüche der Kunden sind nach derzeitigem Wissensstand sehr begrenzt.

Zwar haben Unternehmen Anreize, sich im Wettbewerb durch hohe Qualität und Sicherheit das Vertrauen der Kunden zu sichern. Aber das hat Grenzen. Mit steigender Komplexität von Finanzprodukten und Strukturen werden unabhängige Kontrollinstanzen immer wichtiger. Für den Fall eines erfolgreichen Stablecoins sind die genauen Rollen des Staats und der Aufsicht noch zu definieren, denn einen passgenauen Rechtsrahmen gibt es derzeit nicht.

Deutsche wollen von Libra nichts wissen

Die Deutschen lehnen die Libra-Pläne von Facebook mehrheitlich ab, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergeben hat. Demnach stehen gut sieben von zehn Bundesbürgern dem Vorhaben skeptisch gegenüber. Nur etwas mehr als jeder Zehnte befürwortet die Pläne des Konzerns, den Zentralbanken mit einer eigenen digitalen Währung Konkurrenz zu machen. Die Meinung der Facebook-Nutzer unter den Befragten unterschied sich dabei nur marginal vom allgemeinen Stimmungsbild. Nur vier Prozent der Befragten halten private Großunternehmen wie Facebook, Apple oder Amazon überhaupt dafür geeignet, Währungen herauszugeben. Mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer sieht den Einfluss von Facebook auf die Gesellschaft schon heute als problematisch an.

Technologie allein kann kein Vertrauen schaffen. Das gilt auch für die Label „Krypto“ und „Blockchain“. Schließlich können auch die bei Krypto-Token eingesetzten Technologien Schwachstellen haben. So zeigten sich in der Vergangenheit bereits Grenzen der „Self Governance“, etwa als beim komplett autonomen Investmentnetzwerk DAO durch Fehler im Code der Blockchain Millionenbeträge gestohlen wurden. Bei Bitcoin gab es schon diverse Diebstähle durch Cyberangriffe. Das Libra-Projekt wird Blockchain- und Kryptotechnologien einsetzen, deren endgültiger Belastungstest noch aussteht. Die beteiligten Unternehmen müssen sich auch Fragen der Governance eines solchen Systems stellen und Lösungen für Verlässlichkeit, Manipulationssicherheit und Vertraulichkeit liefern. Von den Kunden kann nicht verlangt werden, dass sie über die Tragweite der Risiken im Bilde sind und diese in Kauf nehmen.

„Die Herausforderung besteht darin, einen passenden Rechtsrahmen für Dienstleistungen zu schaffen, die es so noch nie gab.“

Von vielen wird nun eine Reaktion des Regulators gefordert. Doch die Herausforderung besteht darin, einen passenden Rechtsrahmen für Dienstleistungen zu schaffen, die es so noch nie gab. Welchen Teil der komplexen Wertschöpfungskette eines Stablecoins wollen und können die zuständigen Regulierungsbehörden effektiv regulieren? Sollen sie die Entwicklung durch Regulierung überhaupt beeinflussen? Und welche Konsequenzen hat das für den bestehenden Sektor? Jede Entscheidung kann richtungweisend sein.

Hinzu kommt, dass große Technologiefirmen wie Facebook international und über das Internet operieren. Daraus ergeben sich knifflige Fragen: Wo findet ein Geschäft statt – dort, wo die Software erstellt und gewartet wird, dort, wo die Server stehen oder dort, wo der Kunde sitzt? Wie lässt sich bei einem Coin, der möglicherweise bald über Chatfenster weltweit hin und her geschickt wird, effektiv Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung unterbinden – und zwar so, dass sich global operierende Unternehmen nicht der Kontrolle entziehen können?

Mit bewährten Kontrollinstanzen lassen sich bei einem Projekt wie Libra allenfalls einzelne Elemente regulieren. Für die Gesamtschau wäre ein international abgestimmtes Vorgehen wünschenswert. Die internationalen Regulierungs- und Aufsichtsbehörden sollten daher offen darüber nachdenken, welches internationale Format geeignet wäre, um global agierende Unternehmen effektiv zu regulieren und zu beaufsichtigen. Denkbar wäre, an die Idee von Aufsichts-Colleges anzuknüpfen. Allerdings müssten in einem solchen College nicht nur Aufseher sitzen, sondern auch Repräsentanten einer Vielzahl von Stakeholdern.

Prof. Dr. Joachim Wuermeling (59) verantwortet als Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank die Ressorts Bankenaufsicht, Risiko-Controlling und Informationstechnologie. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften und beruflichen Stationen in Bonn, Brüssel und München unter anderem als Europa-Referent der Bayerischen Staatsregierung gehörte Wuermeling von 1999 bis 2005 dem Europäischen Parlament an, ehe er von 2005 bis 2008 als Beamteter Staatssekretär die Europapolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie koordinierte. Nach einer Zwischenstation beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft war Wuermeling von 2011 bis 2016 Vorsitzender des Vorstands des Verbandes der Sparda-Banken. Seit November 2016 ist er Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank und in dieser Funktion unter anderem auch Mitglied des EZB-Aufsichtsgremiums und des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS).

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