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„Genossenschaften in Bayern: Miteinander gestalten“ – so lautet der Titel des diesjährigen GVB-Verbandstags am 11. Juli 2024 auf dem Münchner Nockherberg. Als „Profil“ bei Stefan Jörg und Albert Rösch anfragt, ob sie dazu aus ihrer Praxis berichten wollen, stimmen sie sofort zu. Zum Gespräch bringen sie ihre Gedankensammlung auf neun ausgedruckten DIN-A-4-Seiten mit – sie haben viel zu sagen zum Thema. Stefan Jörg ist Vorstandsvorsitzender der VR-Bank Landsberg-Ammersee und der VR-Bürgerenergie Landsberg eG, Albert Rösch in beiden Genossenschaften sein Vorstandskollege. Sie können also sowohl aus der Perspektive der Kredit- als auch der Energiegenossenschaften berichten.

Wie also lässt sich das Thema des diesjährigen Verbandstags „Genossenschaften in Bayern: Miteinander gestalten“ in der Praxis mit Leben füllen? Stefan Jörg nennt für die Kreditgenossenschaften drei Punkte:

Förderung der lokalen Wirtschaft

Kreditgenossenschaften unterstützen kleine und mittelständische Unternehmen in der Region insbesondere durch Kredite, um zu expandieren, neue Arbeitsplätze zu schaffen und fördern somit die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Region. Sie bieten oftmals nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern helfen auch dabei, Geschäftstätigkeiten zu optimieren, nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln und mit Förderprogrammen aller Art zu unterstützen. Der Bereich der Landwirtschaft und der Bereich der Existenzgründer ist ebenso ein Schwerpunkt. Kreditgenossenschaften fördern die Vernetzung und Zusammenarbeit von Unternehmen und Interessensverbänden.


Förderung sozialer Projekte

Volks- und Raiffeisenbanken unterstützen gemeinnützige Institutionen und Projekte vor Ort in den Bereichen Kunst, Kultur, Bildung, Sport und Soziales. „Ganz besonders hervorzuheben ist hier auch der VR-Sozialpreis der VR-Bank Landsberg-Ammersee, mit dem wir nicht nur herausragende soziale Projekte auszeichnen, sondern auch erfolgreich zur Nachahmung anregen“, sagt Bankvorstand Stefan Jörg. Durch Spenden und Sponsoring unterstützen Kreditgenossenschaften ganz allgemein soziale Integration und helfen benachteiligten Gruppen.


Schaffung von Arbeitsplätzen

Kreditgenossenschaften schaffen nicht nur direkt Arbeitsplätze, sondern unterstützen durch ihre Kreditvergabe andere Unternehmen in der Region dabei, auch Arbeitsplätze zu schaffen. Auch damit leisten sie einen Beitrag, die regionale Wirtschaft zu stärken. Sie bieten Ausbildungsplätze und Weiterbildungsmöglichkeiten an, die helfen können, den Fachkräftemangel in der Region ein wenig abzumildern.

Zum Titelfoto

Das Titelfoto zeigt die Mitglieder der Kommunbrauerei Burgkunstadt eG nach der ersten Generalversammlung im Juli 2022. Fünf Freunde gründeten im November 2020 die Brauereigenossenschaft, um die Bierkultur in der oberfränkischen Kleinstadt wiederzubeleben. Was die Gründer mit der Kraft der Gemeinschaft innerhalb von kürzester Zeit auf die Beine gestellt haben, lässt sie selbst staunen. Lesen Sie hier die ganze Geschichte.

Lokale Wertschöpfung wird gestärkt

„Sowohl Kredit- als auch Energiegenossenschaften tragen in vielfältiger Weise zur Gestaltung ihrer Heimat bei. Kreditgenossenschaften fördern die lokale Wirtschaft, unterstützen soziale Projekte und schaffen Arbeitsplätze, während Energiegenossenschaften den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben, lokale Wertschöpfung stärken und die Bevölkerung in nachhaltige Entwicklungen einbinden“, sagt Stefan Jörg. Bei beiden Modellen entstehe durch die Einbindung der Mitglieder das Gefühl „meine Bank“, „meine PV-Anlage“ oder „mein Windrad“, ergänzt Albert Rösch. Des Weiteren leisteten beide Genossenschaftstypen einen wertvollen Beitrag zur wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklung ihrer Region. Für die Energiegenossenschaften nennt Rösch insbesondere folgende Punkte:


Förderung der erneuerbaren Energien

Energiegenossenschaften wie die VR-Bürgerenergie Landsberg eG bauen und betreiben Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, wie Windkraft- oder Solaranlagen. „Damit reduzieren wir die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und fördern die Energiewende dort, wo sie hingehört: direkt vor Ort – von Bürgern, für Bürger, mit echter Bürgerbeteiligung“, sagt Rösch.


Lokale Wertschöpfung

Die Gewinne aus der Energieproduktion bleiben in der Region und werden oft reinvestiert, was wiederum die regionale Wirtschaft stärkt und ein weiteres Mal dazu Beiträge, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Durch die Möglichkeit, Anteile zu kaufen und sich an der Genossenschaft zu beteiligen, fördern Energiegenossenschaften das persönliche Engagement der Bürger und ermöglichen ihnen, von der Energiewende auch finanziell, beispielsweise durch Dividenden, zu profitieren.


Bewusstseinsförderung

Durch die Öffentlichkeitsarbeit der Energiegenossenschaften werden die Bürgerinnen und Bürger für erneuerbare Energien sensibilisiert; nebenbei wird dadurch sicherlich auch das Thema Nachhaltigkeit im Ganzen transportiert.


Umwelt- und Klimaschutz

Durch den Ausbau erneuerbarer Energien tragen Bürgerenergie-Genossenschaften maßgeblich zum Umwelt- und Klimaschutz bei und verbessern so langfristig die Lebensqualität in der Region.

Kapital als wichtiges Gestaltungselement

Ein Aspekt, der Kredit- mit anderen Genossenschaften verknüpft und Gestaltung durch Investitionen ermöglicht, ist Kapital. „Genossenschaften sind die einzige Unternehmensform, die den Menschen in den Vordergrund stellt und nicht das Kapital“, sagt Stefan Jörg. Trotzdem sei Kapital ein äußerst wichtiges Gestaltungselement einer Genossenschaft: „Wer in der Region etwas gestalten und bewegen will, macht das am besten mit einer Genossenschaft, denn sie bündelt das Kapital der Mitglieder. Dadurch werden Investitionen ermöglicht, die einem Einzelnen nicht möglich sind, und gleichzeitig ist die Akzeptanz der Bürger eine ganz andere, weil sie selbst an der Investition beteiligt sind.“

Jörg und Rösch sind überzeugt davon, dass die Akzeptanz der Bürger bei genossenschaftlichen Investitionen etwa in Photovoltaik-Anlagen oder Windräder umso höher ausfällt, je näher die Genossenschaft an den Menschen ist und diese in das Projekt einbezieht – indem sie ihnen zum Beispiel anbietet, Mitglied zu werden und in das Vorhaben zu investieren. Ab einer gewissen Größe der Genossenschaft sei das nicht mehr so einfach möglich, denn Mitbestimmung und Mitgestaltung funktionierten insbesondere über den persönlichen Kontakt. Dieses „Miteinander“ mache Genossenschaften stark, indem es die Beteiligung und das Engagement der Mitglieder fördere, soziale Bindungen stärke, Synergieeffekte und effiziente Ressourcennutzung ermögliche und die regionale Entwicklung vorantreibe. „Die Gemeinschaft der Mitglieder ist die treibende Kraft hinter dem Gestaltungswillen einer Genossenschaft, da sie die Grundlage für Kooperation, Solidarität und nachhaltiges Handeln bildet“, sagt Jörg.

Die gemeinschaftliche Organisation und die Fokussierung auf lokale Bedürfnisse versetzen Genossenschaften in die Lage, wirtschaftliche, soziale und infrastrukturelle Probleme effektiv angehen. „Genossenschaften haben das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung fast aller Herausforderungen im ländlichen Raum Bayerns zu leisten. Ihre Aktivitäten fördern die wirtschaftliche Diversifikation, verbessern die Infrastruktur, stärken den sozialen Zusammenhalt und tragen zur nachhaltigen Entwicklung der Region bei “, sagt Albert Rösch. Spätestens seit dem UN-Jahr der Genossenschaften im Jahr 2012 gewinne die Diskussion über genossenschaftliche Organisationsformen wieder an Fahrt. „Durch die Vielzahl von neu gegründeten Genossenschaften kann von einer Renaissance des Gründungsgedankens von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Herrmann Schulze-Delitzsch gesprochen werden“, fasst Stefan Jörg zusammen.

Vielfalt der Förderaufträge ist wesentliche Stärke

Matthias Wrede ist Vorstandsvorsitzender des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen und Inhaber des Lehrstuhls für Sozialpolitik, beides an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Was Stefan Jörg und Albert Rösch aus der Praxis berichten, betrachtet Wrede aus wissenschaftlicher Perspektive. Auf die Frage, was Genossenschaften stark macht, nennt der Professor gleich mehrere Punkte. Eine Kernkompetenz liege in der Mitgliederförderung, wie sie auch in §1 Genossenschaftsgesetz  beschrieben ist. Wrede betont dabei die Vielfalt der Förderaufträge, die nicht nur den wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder dienen, sondern seit 2006 auch soziale und kulturelle Belange umfassen. „Dass Genossenschaften in der Lage sind, verschiedenste Belange ihrer Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern, ist für mich eine wesentliche Stärke.“ Auch die demokratische Mitbestimmung in Genossenschaften, also die Beteiligung aller Mitglieder an Entscheidungen, sowie der Verzicht auf Gewinnmaximierung trügen zur Solidität von Genossenschaften bei. Die Mitgliedschaft sei immer freiwillig, auch das sei eine wichtige Errungenschaft.

Geprägt von Vertrauen und Kontrolle

Von zentraler Bedeutung seien auch das Engagement und die Gemeinschaft der Mitglieder, so Wrede. Die Organisationsprinzipien einer Genossenschaften seien geprägt von Vertrauen und Kontrolle. „Die Zusammenarbeit und das Verhältnis zwischen Aufsichtsrat, Vorstand und Mitgliedern beruhen auf Gegenseitigkeit und wechselseitigem Vertrauen. Jeder kann den Beitrag des anderen für die Gemeinschaft sehen. Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl, sorgt aber auch für Transparenz“, sagt Wrede. Der Professor gibt jedoch zu bedenken, dass das Gemeinschaftsgefühl auch von der Größe der Genossenschaft abhänge und wie stark sie sich auf das Geschäft mit ihren Mitgliedern konzentriere. Je größer eine Genossenschaft sei, desto wichtiger sei es, den Mitgliedernutzen in den Vordergrund zu stellen, um das Gemeinschaftsgefühl zu erhalten.

„Solange Genossenschaften gegründet werden, ist der Beweis geführt, dass sie Mitgliedernutzen schaffen, denn das ist per se ihre Aufgabe.“

Prof. Matthias Wrede

Dass Genossenschaften keinesfalls aus der Zeit gefallen und auch im 21. Jahrhundert noch in der Lage sind, Mitgliedernutzen zu stiften, steht für den Professor außer Frage. „Solange Genossenschaften gegründet werden, ist der Beweis geführt, dass sie Mitgliedernutzen schaffen, denn das ist per se ihre Aufgabe“, sagt Wrede. Die zahlreichen Wärmegenossenschaften, die in den vergangenen Jahren gegründet wurden und weiterhin gegründet werden, seien der beste Beleg dafür. Sie stiften Nutzen, indem sie ihre Mitglieder zentral mit Wärme aus in der Regel erneuerbaren Energiequellen versorgen. Aber auch die klassischen Zwecke einer Genossenschaft, durch gemeinsamen Geschäftsbetrieb die Nachfrage zu bündeln oder Kosten zu sparen, seien unverändert gültig.

Dennoch müssten sich auch Genossenschaften an gesellschaftliche und technologische Entwicklungen anpassen, mahnt der Professor. „Die voranschreitende Digitalisierung verändert Kundenverhalten und Geschäftsmodelle, die Gesellschaft verändert sich durch Alterung und Migration, insbesondere bei der ausgewogenen Besetzung von Ämtern und Gremien mit Männern und Frauen haben die Genossenschaften noch viel Nachholbedarf“, sagt Wrede.

Genossenschaften stiften Sinn

Auf der anderen Seite könnten Genossenschaften in einer Welt, in der immer mehr Menschen sich nach sinnstiftenden Aufgaben sehnen und dies auch von ihrem Arbeitgeber erwarten, ihre Stärken voll ausspielen. „Gemeinschaftliches wirtschaftliches Handeln wird als sinnstiftend empfunden“, sagt Professor Wrede. Die Gemeinschaft und das Wir-Gefühl insbesondere in kleineren Genossenschaften täten das Ihrige dazu. Die gemeinsame Versorgung mit Wärme oder der Erhalt der Dorfwirtschaft seien Unternehmenszwecke, die per se sinnstiftend seien.

Besonderes Potenzial für Genossenschaften sieht der Professor im peripheren ländlichen Raum, also abseits der Ballungsräume. Die geringe Bevölkerungsdichte in diesen Räumen erschwere es, wichtige Infrastruktur aufrecht zu erhalten und bestimmte Dienstleistungen kostendeckend beziehungsweise gewinnorientiert anzubieten. Das beträfe vor allem alte Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, im Alltag größere Entfernungen zurückzulegen. Wrede denkt dabei an die Gesundheitsversorgung, Einrichtungen zur Seniorenbetreuung oder Einkaufsmöglichkeiten für Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Aber auch der gesellschaftliche Aspekt sei wichtig, so sei die Dorfwirtschaft häufig auch das soziale Zentrum des Orts. Genossenschaften böten die Chance, diese Infrastruktur gemeinschaftlich aufrechtzuerhalten, weil bei ihnen das gleichberechtigte wirtschaftliche Zusammenwirken im Vordergrund stehe und nicht das Gewinnstreben. „Genossenschaften stiften durch das gemeinschaftliche Wirken der Mitglieder auch gesellschaftlichen Nutzen und stärken dadurch den Zusammenhalt vor Ort“, sagt Wrede.

Genossenschaften müssen sich dem Wandel stellen

Der Professor betont aber auch die Bedeutung althergebrachter Genossenschaften, deren Wurzeln bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen. Auch diese müssten sich dem Wandel stellen, doch ihr Nutzen für Mitglieder und Gesellschaft stehe außer Frage. So würden die Volks- und Raiffeisenbanken die Bevölkerung weiterhin in der Fläche mit Finanzdienstleistungen versorgen. Zwar verliere die klassische Filiale in jedem Ort zunehmend an Bedeutung, an deren Stelle träten jedoch flexible Konzepte, zum Beispiel Selbstbedienungsfilialen, in denen die Kunden per Videoanruf Kontakt mit einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter im Kundendialogcenter aufnehmen können.

In der Landwirtschaft bündelten die Raiffeisen-Warenbetriebe Angebot und Nachfrage und ermöglichten den Landwirten auf diese Weise bessere Konditionen, als wenn diese einzeln auf den Märkten auftreten müssten. Das Gleiche gelte für Genossenschaften im Lebensmittelbereich wie etwa die genossenschaftlichen Molkereien, die nicht nur die Milch ihrer Mitglieder verarbeiten, sondern auch bei Preisverhandlungen ein Gegengewicht zum dominanten Lebensmittelhandel bilden. „Die Marktmacht des Lebensmittelhandels ist in den vergangenen Jahren weiter gewachsen. Die Genossenschaften bündeln die Interessen ihrer Mitglieder. Dadurch tragen sie zum Überleben der landwirtschaftlichen Betriebe bei. Dazu braucht es eine Rechtsform wie die Genossenschaft, in der die Gemeinschaft und die gemeinsamen Interessen, nicht aber das kurzfristige Gewinnstreben im Vordergrund stehen“, betont Wrede.

Gemeinschaft entsteht dort, wo man sich mitgenommen fühlt

Eine dieser Genossenschaften ist die Molkerei Berchtesgadener Land. „Wir verstehen unsere Molkereigenossenschaft als Gemeinschaft der Mitglieder, also der 1.600 Landwirtinnen und Landwirte zwischen Watzmann und Zugspitze, der rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Geschäftsführung, des Vorstands und des Aufsichtsrats“, sagt Geschäftsführer Bernhard Pointner. Gemeinschaft entsteht laut Pointner dort, wo man sich mitgenommen fühlt und seine Belange bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Dazu tragen in der Molkerei wesentlich die zahlreichen Führungen durch den Betrieb sowie Veranstaltungen für Mitarbeitende und Mitglieder bei. So treffen sich die Mitglieder zwei Mal im Jahr zur Wissenswerkstatt, zur Generalversammlung oder auch zu den Bäuerinnen-Kranzln. Die Mitarbeiter kommen beim Sommerfest, der Betriebsfeier, bei den Sportkursen oder dem After-Work-Radln zusammen. „Das fördert den laufenden Austausch untereinander und damit auch den Zusammenhalt“, betont Pointner.

In der Molkerei Berchtesgadener Land achte man schon immer darauf, dass in den genossenschaftlichen Gremien alle Mitgliedergruppen vertreten seien und damit auch direktes gleichwertiges Mitspracherecht haben: große und kleine sowie konventionelle und ökologische Betriebe, Bergbauern und Landwirte aus dem „Flachland“ im Chiemgau, aus der Garmischer Region, dem Bad Tölzer Raum, dem Berchtesgadener Land und dem benachbarten Österreich. „Ziel aller Entscheidungen ist dabei, immer das Beste für die Molkerei und die Mitglieder als Ganzes zu erreichen“, sagt Pointner.

Mitglieder entscheiden: Keine Gentechnik im Trog

Welche Gestaltungskraft die Gemeinschaft der Mitglieder hat, zeigt Pointner am Beispiel der VLOG-Zertifizierung des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik. „Dabei geht es um die Festlegung, dass alle Mitglieder garantiert ohne Gentechnik füttern und dies auch auf den Packungen kommuniziert werden kann“, erklärt der Geschäftsführer. In der Generalversammlung 2009 seien Landwirte aufgestanden und hätten – unter tosendem Applaus der anwesenden Mitglieder – gefordert, dass sich die Genossenschaft klar gegen grüne Gentechnik positioniert und die Fütterung von gentechnisch veränderten Futtermitteln verbietet. „Unsere Bauern wollten diese von multinationalen Konzernen gesteuerten gentechnisch veränderten Futtermittel nicht im Trog“, berichtet Pointner.

Dies hätten Geschäftsführung, Vorstand und Aufsichtsrat als Auftrag genommen, die Umsetzung für die Genossenschaft zu prüfen. 2010 wurde die Satzung entsprechend geändert. Seither erhalten die Tiere aller Mitglieder garantiert nur noch Futter, das nicht gentechnisch verändert wurde. Damit das so bleibt, setzt sich die Genossenschaft aktuell aktiv dafür ein, dass auch für die neuen Gentechnikverfahren die bisherige Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung bestehen bleibt. Denn die EU-Kommission verfolgt Pläne, die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel zu verwässern. „Im Dienst von Verbraucherschutz und fairem Wettbewerb stellen wir uns gemeinsam mit unseren 1.600 Landwirtinnen und Landwirten gegen die Gentechnikpläne der EU-Kommission. Wir wollen, dass die vom EU-Parlament verabschiedete Verpflichtung zu Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit unverändert Gültigkeit hat. Gentechnisch hergestellte Lebensmittel werden von unserer Stammkundschaft laut aktueller GfK-Studie mehrheitlich abgelehnt“, betont Pointner.

Frühzeitig vorbereiten auf neue Strömungen

Der Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land sei es schon immer wichtig gewesen, die Mitglieder führzeitig auf neue Strömungen und Richtungen in der Landwirtschaft vorzubereiten. „So arbeiten wir schon seit über zehn Jahren aktiv gemeinsam mit unseren Mitgliedern am Wandel in der Tierhaltung“, betont Pointner. Seitdem biete die Molkerei Rundfahrten zu Best-Practice-Betrieben an, die Laufställe für ihr Milchvieh gebaut haben und dafür teilweise individuelle innovative Lösungen gefunden haben. Außerdem hat die Molkerei dazu Informationsmaterial erstellt und sich bei der Politik frühzeitig für die Förderung auch kleiner Laufställe eingesetzt.

2020, also noch vor dem Ukrainekrieg und der Energiekrise, entwickelte die Molkerei Berchtesgadener Land gemeinsam mit dem Lebensmitteldiscounter Penny das Klimaprojekt „Zukunftsbauer“. In den vergangenen Jahren wurden Landwirtinnen und Landwirte der Molkereigenossenschaft im Rahmen des Projekts mit 1.690.000 Euro gefördert. „Bis jetzt wurden 482 Maßnahmen für Energiespeicherung, Energieerzeugung und Effizienzsteigerung gefördert. Damit wurde ein Investitionsvolumen für Energieeffizienz in der Landwirtschaft im Alpenraum von 11.428.478,47 Euro realisiert. Der Schwerpunkt lag auf PV-Anlagen, Energiespeicher und Energieeinspar-Technik. Die hohe Beteiligung am Projekt zeigt, dass die Landwirtschaft ihren Beitrag zur Energiekrise leisten will und kann“, betont Pointner (siehe dazu auch den Beitrag in „Profil“ 11/2021).

Krisenfest auch in widrigen Zeiten

Der Geschäftsführer ist überzeugt davon, dass die Rechtsform Genossenschaft über die Jahre und Jahrzehnte nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt hat. Dank der Gemeinschaft der Mitglieder, einer überlegten Entscheidungskultur sowie dem fehlenden Zwang zur Gewinnmaximierung könnten sich Genossenschaften auch in Krisenzeiten gut behaupten. Die Molkerei Berchtesgadener Land habe in den vergangenen zwölf Jahren mit Investitionen von 250 Millionen Euro das Fundament für die Zukunft gelegt. „Die Molkerei als Genossenschaft steht und fällt mit der Leistung ihrer Mitglieder, den Bäuerinnen und Bauern aus dem Milcherfassungsgebiet zwischen dem namensgebenden Berchtesgadener Land und dem Zugspitzland. Dank eines intensiven Sparprogramms konnten wir im vergangenen Jahr nahezu alle Einnahmen als Milchgeld auf die Höfe zurückfließen lassen. Das überzeugt – nicht nur bestehende Mitglieder, sondern auch eine gestiegene Zahl externer Landwirte, die gerne unter das Dach der Genossenschaft schlüpfen wollen“, sagt Pointner.

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