Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Erdbeeren und Spargel sind so billig wie nie. Doch in den Supermarkt-Regalen bleiben die Produkte liegen. In Zeiten von hoher Inflation ist den Deutschen der Appetit vergangen. Für viele Bauern lohnt sich deshalb die Ernte nicht. Sie lassen den Spargel wachsen und die Erdbeeren hängen. „Erdbeer-Wahnsinn“ titelte die Bild-Zeitung.

Karotten werden verramscht

Erdbeeren und Spargel sind nur die prominentesten Opfer der aktuellen Preiskrise auf dem Gemüsemarkt. Während überall die Kosten steigen, erhalten die Produzenten für manche Produkte so wenig Geld wie seit 2004 nicht mehr, erzählt Werner Hopf, Geschäftsführer der Gartenbauzentrale Main-Donau eG. Als Beispiel führt er Karotten an. Die Preise sind im Keller, Karotten werden regelrecht verramscht. Bei Sonderaktionen kostet der Zwei-Kilo-Beutel im Supermarkt weniger als 60 Cent. „Da bleibt für die Erzeuger wenig bis gar nichts übrig“, sagt Hopf.

Der Grund für den Preisverfall: Karotten werden nach der Ernte nur zum Teil direkt verkauft. Der Rest wird eingelagert und nach und nach über den Winter hinweg vermarktet. Normalerweise sind die Bestände aus Deutschland im März oder April aufgebraucht. Heuer nicht. Denn 2021 gab es hierzulande ideale Wachstumsbedingungen für die Gelbe Rübe. Dementsprechend üppig fiel die Ernte aus. Selbst diesen Juni gibt es noch Bestände in den Lagern. Zusätzlich kommen seit einigen Wochen Karotten aus der Frühernte in Portugal, Spanien oder Israel auf den Markt. Dieses Überangebot drückt die Preise in den Keller.

Petersilienwurzeln und Pastinaken bleiben im Lager

Besonders schmerzhaft: Während die Genossenschaft für ihre Produkte weniger als üblich erhält, muss sie trotzdem die gestiegenen Energie- und Transportkosten schultern. Zwar setzt sie auf nachhaltige Energie und bezieht einen Teil ihres Stroms von eigenen PV-Anlagen auf dem Dach. Das deckt den Verbrauch aber nicht komplett ab. Wenigstens konnte das Unternehmen seine eigenen Karotten-Bestände mittlerweile verkaufen. Das sieht bei weiteren Produkten anders aus. Im Lager vorrätig sind noch mehrere Hundert Tonnen Petersilienwurzeln oder Pastinaken. „Die sollten jetzt normalerweise verkauft sein“, sagt Hopf. Wenn sich der Absatz nicht verbessert, muss die Ware im schlimmsten Fall entsorgt werden. Denn wenn die neue Ernte kommt, möchten die alten Petersilienwurzeln oder Pastinaken keiner mehr haben.

Eine Genossenschaft mit einem ungewöhnlichen Geschäftsgebiet

Der Gartenbauzentrale Main-Donau eG umfasst rund 40 aktive Mitglieder. Diese bauen ihr Gemüse sowohl rund um Gundelfingen an der Donau (Schwaben) als auch etwa 170 Kilometer entfernt rund um Albertshofen bei Kitzingen (Unterfranken) an. Das ungewöhnliche Geschäftsgebiet ist Folge einer Fusion zweier Gemüsebau-Genossenschaften. Diese schlossen sich 1998 zum heute existierenden Unternehmen zusammen. Die Mitglieder aus Schwaben setzen vor allem auf Freilandgemüse wie Salat, Rettich und Blumenkohl. Die Landwirtschaftsbetriebe aus Unterfranken bauen hingegen hauptsächlich Tomaten und Gurken an, zunehmend in Gewächshäusern. „Die beiden Standorte ergänzen sich ideal. Gemeinsam können wir dem Handel ein sehr gutes Produktsortiment bieten“, betont Hopf. Oberstes Ziel der Genossenschaft ist es, die Menschen mit frischem, regionalem und saisonalem Gemüse zu versorgen. Besonders stolz ist der Geschäftsführer auf die Petersilienwurzel. Das Gemüse ist schwierig anzubauen, findet auf den Lehmböden des Donautals aber optimale Bedingungen. Seit vielen Jahren ist die Genossenschaft einer der größten Anbieter von Petersilienwurzeln in Deutschland.

Die Hälfte der Rettich-Ernte bleibt auf dem Feld

Auch für andere Gemüsesorten ist der Markt momentan schwierig. Beispielsweise für Gurken. Derzeit ist Hauptsaison, entsprechend gut wachsen die Früchte in den Gewächshäusern. Doch der Absatz könnte besser laufen. Das liegt vor allem am Verbraucherverhalten: Bei der Wahl zwischen einer regional erzeugten Gurke für 89 Cent oder einer Import-Gurke aus den Niederlanden für 39 Cent entscheiden sich viele Menschen für das günstige Produkt, sagt Hopf. Weil die regionale Ware im Regal liegen bleibt, nimmt sie der Lebensmitteleinzelhandel nicht mehr ab. Die Bauern bleiben auf ihren Gurken sitzen.

Ähnlich ist es beim Rettich. Die Nachfrage ist vergleichsweise niedrig, zudem wird aktuell viel Rettich aus Italien importiert. Rund 50 Prozent der Rettich-Ernte bleibt deshalb auf dem Feld und wird von den Genossenschaftsmitgliedern untergepflügt. „Solche Jahre gibt es leider immer wieder“, sagt der Geschäftsführer. Er wünscht sich, dass die Menschen im Supermarkt verstärkt saisonale und regionale Gemüsesorten einkaufen. Dabei hofft er auf das positive Image von Gemüse: „Ob in Kochshows, in Fitness-Magazinen oder in Ernährungsratgebern: Überall werden die Vorzüge von Obst und Gemüse angepriesen. Das ist quasi kostenlose Werbung für unsere Produkte“, sagt Hopf.

Bärendienst für Bio-Betriebe

Rückendeckung sollte es eigentlich durch die Politik geben. „Es ist doch erklärtes Ziel der Politik, gesunde, regionale und saisonale Lebensmittel zu fördern. Außerdem sollten die Produkte nicht zu Ramschpreisen verkauft werden, sondern den Landwirten ein auskömmliches Einkommen ermöglichen“, echauffiert sich Hopf. Um sich aus erster Hand über die Agrarpolitik der Bundesregierung zu informieren, hat der Geschäftsführer der Gartenbauzentrale Main-Donau eG den Deutschen Raiffeisentag in Berlin besucht. Auf dem Programm stand unter anderem ein Vortrag von Cem Özdemir. Eines der Kernanliegen des Bundeslandwirtschaftsministers: den Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen. Hopf ist nicht überzeugt: „Wir sollen mehr Bio produzieren und dann ein besseres Einkommen erhalten. Ich bin jedoch skeptisch, ob die Masse der Verbraucher für ökologische Lebensmittel mehr Geld ausgeben werden. Stattdessen droht ein Überangebot. Das würde die Preise stark unter Druck setzen. Aus meiner Sicht ist die Initiative ein Bärendienst für die bestehenden Bio-Betriebe.“

Hopf würde es begrüßen, wenn der deutsche Gesetzgeber die EU-Vorschriften nicht zusätzlich verschärfen würde. Diese Entwicklung gibt es beispielsweise bei Pflanzenschutzmitteln, bei denen jeder Mitgliedsstaat die Zulassung selbst regelt. Ein Mittel, das in den Niederlanden oder Polen erlaubt ist, muss also nicht zwangsläufig auch in Deutschland freigegeben sein. Die Regeln für Deutschland sind vergleichsweise streng, betont Hopf. „Häufig wird bei solchen Entscheidungen so getan, als wäre Deutschland eine Insel. Aber wir konkurrieren mit Herstellern aus anderen EU-Ländern, und zwar ohne Zollgrenzen oder dergleichen. Wenn dann die Bedingungen ungleich sind, stehen wir in einem unfairen Wettbewerb“, sagt er.

Gefahr: Selbstversorgungsgrad nimmt ab

Vor Kurzem hat der Bundestag zudem entschieden, den Mindestlohn auf zwölf Euro anzuheben. In der Folge könnten arbeitsintensive Gemüsekulturen aus Deutschland verschwinden. Als Beispiel führt Hopf den Kopfsalat an: „Kopfsalat ernten ist Handarbeit. Wenn wir den Erntehelfern nun deutlich mehr bezahlen müssen, können wir dieses Produkt nicht mehr konkurrenzfähig anbieten.“ Denn eigentlich müssten die steigenden Kosten an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Doch diese sind erfahrungsgemäß nicht dazu bereit, deutlich mehr Geld auszugeben. Also wird der Lebensmitteleinzelhandel günstigere Import-Ware beziehen, um die Nachfrage zu bedienen.

Dadurch würde der Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse sinken und die Abhängigkeit von Importen zunehmen. „Dabei merken wir doch aktuell am Beispiel Gas, wie gefährlich es ist, von anderen Ländern abhängig zu sein. Gerade bei Obst und Gemüse, also absoluten Grundnahrungsmitteln, kann doch niemand eine ähnliche Entwicklung wollen“, betont Hopf. Seine Sorgen sind nicht aus der Luft gegriffen: Aktuell überlegen rund zehn Prozent der Mitglieder, ob sie ihren Betrieb langfristig weiterführen möchten. Wenn sie aufgeben, gehen in der Regel auch die Anbauflächen verloren. Denn es ist schwierig, Nachfolger zu finden.

Artikel lesen
Praxis