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Herr Professor Eilfort, die zunehmende Rücknahme der Corona-Beschränkungen lässt die Deutschen mehrheitlich optimistisch in die Zukunft schauen. Teilen Sie diesen Optimismus auch für die deutsche Wirtschaft und insbesondere für den Mittelstand?

Michael Eilfort: Deutschland ist ein phantastisches Land mit einem im weltweiten Vergleich hohen Wohlstand und überragenden Maß an Solidarität und Sozialstaat. Zu danken ist das der unverändert kraftvollen Sozialen Marktwirtschaft, einer einzigartigen Wirtschaftsstruktur, ideenreichen Unternehmern und engagierten Arbeitnehmern, die den Sozialstaat mit Steuer- und Beitragszahlungen ebenfalls auf international höchstem Niveau tragen. Sie alle bieten viel Anlass zu Optimismus sowie genug Gründe, an die vollständige Bewältigung dieser Pandemie und an ein Lernen für neue Bedrohungen dieser Art zu glauben. Allerdings ist dazu auch nötig, dass es nicht mehr zu punktuellem Staatsversagen kommt, wie das in der Corona-Krise in einigen zentralen Bereichen der Fall war. Ohne neuen Schwung für einen effizienteren, auch jenseits des Geldausgebens handlungsfähigeren und mehr auf Freiräume und Chancen setzenden Staat wird es nicht gehen.
 

Wie bewerten Sie die aktuelle Lage des deutschen Mittelstands?

Eilfort: In den meisten Fällen strukturell trotz der Pandemie noch gut und von der anziehenden Konjunktur profitierend  – aber trotzdem in gewisser Weise prekär. Das hat mit dem Staat und der Politik zu tun: Der Mittelstand lebt von den Erfolgsbedingungen der Sozialen Marktwirtschaft wie Freiraum, Wettbewerb, Leistungsbereitschaft, Eigenverantwortung, Subsidiarität. Alle diese genannten Grundlagen haben unter zwei aufeinanderfolgenden Großen Koalitionen gelitten. Dass der deutsche Mittelstand bis zum Einschnitt durch Corona nur wenig an Fahrt einbüßte, könnte man als das zweite deutsche Wirtschaftswunder bezeichnen. Auf Dauer sind es zunehmende Zentralisierungstendenzen in Europa und im Bund, überbordende bürokratische Gängelung, eine wachsende Steuerbelastung, überaus hohe Energiekosten und Fehlanreize gut gemeinter Sozialpolitik, die erfolgreiches Wirtschaften und Freude an unternehmerischem Handeln hemmen und teilweise dazu führen, dass sich Nicht-Arbeit mehr auszahlt, als sich Leistung lohnt.

Hintergrund: Die Stiftung Marktwirtschaft

Die Stiftung Marktwirtschaft ist ein Think-Tank mit Sitz in Berlin. Den Vorstand bilden Prof. Dr. Michael Eilfort und Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen. Zu den thematischen Schwerpunkten der Stiftung Marktwirtschaft zählen unter dem Oberbegriff „Freiheit und Wettbewerbsordnung“ eine zukunftssichere soziale Sicherung, ein einfaches und gerechtes Steuersystem, die ordnungspolitische Einbettung der Themen Ressourcen sowie Generationengerechtigkeit, insbesondere in Form von ausgeglichenen Staatshaushalten. Ziel der Stiftung ist es, für die Verbreitung und Vertiefung des Gedankenguts der Sozialen Marktwirtschaft, für mehr Freiheit, mehr Markt und mehr Eigenverantwortung einzutreten. Sie agiert dabei an der Schnittstelle Wissenschaft – Wirtschaft – Politik und wirbt für ihre Auffassungen durch Veranstaltungen, Publikationen, individuelle Politikberatung und konkrete Vorschläge bis hin zu ausformulierten Gesetzestexten. Die Stiftung Marktwirtschaft erhält keine staatlichen Mittel, sondern finanziert sich durch Stiftungskapital, Publikationen sowie private Unterstützung.

Ende April 2021 lief die mehrfach verlängerte Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen aus. Erwarten Sie in den kommenden Monaten und Jahren eine Insolvenzwelle – sozusagen als Spätfolge der Corona-Pandemie?

Eilfort: „Welle“ ist ein großes Wort, aber mehr Insolvenzfälle wird es geben. Insolvenzen gehören zur Marktwirtschaft als Korrektiv dazu. Dass punktuell getroffenen, aber im Kern gesunden Unternehmen von staatlicher Seite durch die Corona-Krise geholfen wird, ist das eine – sogenannte Zombie-Unternehmen, die durch Staatshilfe und günstige Kredite eigentlich ohne tragfähiges Geschäftsmodell am Laufen gehalten werden, sind das andere. Von weit über drei Millionen deutschen Unternehmen haben zahlreiche durch Corona und seine Folgen an Bonität verloren und darum oft, wie es auch richtig ist, eigene Reserven angegriffen. Wo es diese aber schon vorher ebenso wenig gab wie gute langfristige Perspektiven, muss Wandel erfolgen. Wohlstand und Zukunft gewinnt man mit Blick nach vorne, nicht durch Erhaltung des Status quo um jeden Preis oder, wie anscheinend im Fall von Corona, durch die Rückkehr zum Status quo des Jahres 2019 als Ziel: Es wurde gerettet und ein Konjunkturpaket geschnürt – zu nennenswerten strukturellen Schritten reichte die Kraft leider nicht.

Die Bundesregierung hat sehr viel Geld in die Hand genommen, um betroffene Unternehmen in der Corona-Krise zu stützen. Allerdings können Finanzhilfen keine Dauerlösung sein. Wo sollte die Politik ansetzen, um nicht nur kurzfristig die ökonomischen Symptome der Corona-Pandemie zu lindern, sondern weitergehende Perspektiven für die Wirtschaft zu schaffen?

Eilfort: Die Politik sollte aufhören, Strohfeuer kostspielig am Brennen zu halten, und stattdessen bessere strukturelle Rahmenbedingungen schaffen: Man sollte die Unternehmensbesteuerung vereinfachen und so absenken, dass Deutschland im internationalen Vergleich wenigstens nicht Spitzenreiter bei der Belastung ist. Die Energiekosten sollten angegangen und Belastungen durch Sozialsysteme, Regulierung des Arbeitsmarktes und administrativ ausgerolltem Idealismus – wie zum Beispiel das Lieferkettengesetz oder Quoten aller Art – zumindest nicht weiter erhöht werden.

„Wir brauchen vor allem eine neue Demut des Staates, der sich trotz gravierender Fehlleistungen gerade als Supermann geriert.“

Im September wird ein neuer Bundestag gewählt, der womöglich mit einem politischen Kurswechsel verbunden ist. Welche politischen Rahmenbedingungen braucht es grundsätzlich, um der deutschen Wirtschaft die Chance zu geben, gestärkt aus der Corona-Krise hervorzugehen und sich zukunftsfest in einem globalen Marktumfeld aufzustellen?

Eilfort: Wir brauchen vor allem eine neue Demut des Staates, der sich trotz gravierender Fehlleistungen in den letzten Jahren gerade als Supermann geriert und mit dem Geld zukünftiger Steuerzahler gute Stimmung beziehungsweise Stimmen erkauft: Verwaltung modernisieren, digitalisieren und beschleunigen, ohne sie auszubauen. Wandel fördern, statt Stillstand verwalten. Freiheit und Wettbewerb nicht weiter einschränken, statt alles perfekt regeln zu wollen. Das globale Marktumfeld können deutsche Regierungen nur begrenzt beeinflussen und schon gar nicht, wenn sie ihre nationalen Hausaufgaben nicht machen und Deutschland weiter erkennbar an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verliert.
 

Bleiben wir bei den politischen Perspektiven für die Wirtschaft nach der Bundestagswahl: Welche Regierungskoalitionen sind aus Ihrer Sicht wahrscheinlich und was würde das jeweils für die Soziale Marktwirtschaft bedeuten?

Eilfort: Nach aktuellem Kaffeesatz wird es am ehesten Schwarz-Grün. Was das für die Soziale Marktwirtschaft bedeuten könnte, bleibt bis zum Herbst und dem unvermeidlichen Kassensturz offen. In vier der fünf gemäßigten Parteien – CDU/CSU, SPD und vor allem Grüne – überwiegen derzeit die Kräfte, die mit Ausnahme des Klimaschutzes bei den Grünen auf „Weiter so“ und „Mehr vom Gleichen“ setzen und Lösungen eher durch den Staat als mithilfe von Freiheit, Markt und Wettbewerb suchen. Da geht es um den Ausbau des Sozialstaats und die noch liebevollere Bekämpfung weiterer, neu entdeckter „Gerechtigkeitslücken“ von der christsozialen Mütterrente bis zum grünen Quasi-Grundeinkommen. In Deutschland lange überfällige Veränderungen hängen vielleicht weniger von der parteipolitischen Zusammensetzung der neuen Bundesregierung als von äußerem Druck und bald leeren Kassen ab.
 

Droht Deutschland gegebenenfalls eine dirigistische Wirtschaftspolitik? Was hieße das für den Mittelstand?

Eilfort: Erstens: Wenn die Gegenkräfte und Korrektive nicht erstarken, unter Umständen ja. In diesem Fall hieße das zweitens: Schlechtes.
 

Die Bundesregierung hat den steuerlichen Verlustrücktrag für 2020 und 2021 auf nunmehr insgesamt 20 Millionen Euro angehoben, um die Corona-Belastungen für die Unternehmen zu mindern. Reicht dies aus, oder braucht es weiterführende Schritte, um ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht zu schaffen, das Zukunftsinvestitionen, Innovationen und Wachstum unterstützt? Wie könnte so ein Steuerrecht aussehen?

Eilfort: Die Erweiterung des Verlustrücktrags sollte ausgebaut werden. Dieses Instrument ist zielgenauer, bürokratieärmer, ordnungspolitisch sauberer und am Ende für den Fiskus auch weniger verlustreich als jedes „Rettungsprogramm“, das eher dem Marketing von Parteien und Kandidaten dient. Eine Steuerstrukturreform ist ohnehin überfällig und sollte über allem stehen. So könnte zum Beispiel mit einer einheitlichen Bemessungsgrundlage von Körperschaftsteuer und kommunaler Unternehmensteuer, der modernisierten heutigen Gewerbesteuer, eine starke Vereinfachung gelingen. Auch Rechtsformneutralität ist bei der Unternehmensbesteuerung ein Gebot der Stunde.

US-Präsident Joe Biden möchte in den kommenden acht Jahren mit der gigantischen Summe von umgerechnet 1,7 Billionen Euro die Infrastruktur des Landes erneuern und damit Millionen Arbeitsplätze schaffen. Die EU macht über ihr Aufbauinstrument „Next Generation EU“ 750 Milliarden Euro locker. Sind diese schuldenfinanzierten Wachstumsprogramme der richtige Ausweg aus der Krise?

Eilfort: „Next Generation EU“ erzeugt kurzfristig gute Stimmung, verschafft der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schöne Bilder und den nationalen Regierungen die Möglichkeit, ohne erkennbare Rechenschaftspflicht und effektive Kontrolle frisches Geld auszugeben. Die Berechnung der Fördersummen basiert zu 70 Prozent auf Zahlen und Daten bis 2019, die mit Corona nichts zu tun haben. Es ist der Einstieg in die Schuldenunion. Dem Deutschen Bundestag ist die Haushaltskontrolle entglitten, ohne dass ein echter europäischer Mehrwert und ein Zusammenfallen von Entscheidung und Verantwortung auf europäischer Ebene erkennbar wären. Die Gelder werden schon lange versickert sein und nur zum kleineren Teil auch ein paar Fortschritte zum Beispiel bei der Infrastruktur und der Digitalisierung bewirkt haben, wenn zukünftige Generationen noch immer an den Schulden zu tragen haben werden.

„Bankenbasierte Mittelstandsfinanzierung lässt sich nicht durch Herumbasteln an der Regulierung verbessern – es braucht schlicht und einfach starke und handlungsfähige Banken.“

Um die Mittelstandsfinanzierung in der Corona-Krise nicht zu gefährden, sahen sich Politik und Bankenaufsicht gezwungen, das strenge regulatorische Korsett für Banken vorübergehend zu lockern. Wie könnte die bankenbasierte Mittelstandsfinanzierung dauerhaft gestärkt werden, damit die Regulatorik in der nächsten Krise nicht gleich wieder nachgebessert werden muss?

Eilfort: Bankenbasierte Mittelstandsfinanzierung lässt sich nicht durchgreifend durch teilweise kompensatorisches Herumbasteln an der Regulierung verbessern – es braucht schlicht und einfach starke und handlungsfähige Banken. Die wiederum gibt es als eigenständige und wirtschaftlich erfolgreiche Institute am ehesten dann, wenn die Niedrigzinsphase nicht aus politischen Staatsfinanzierungsgründen ewig verlängert wird und Zinsen auch als marktwirtschaftliches Korrektiv wieder möglich sind. Die Europäische Zentralbank agiert hier mit Blick auf die Banken wie ein Brandstifter, der als Feuerwehrmann auftritt und, während die Hütte brennt, freundlich Erleichterungen bei baulichen Vorschriften in Aussicht stellt.

Die EU und auch die Bundesrepublik haben sich ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt. Die Finanzwirtschaft soll zu einem nachhaltigeren Wirtschaftssystem beitragen, indem sie zum Beispiel Investitionen gezielt in „grüne“ Projekte lenkt. Dazu gibt es verschiedene politische Initiativen wie etwa die Taxonomie, die für die Banken teils erheblichen Zusatzaufwand mit sich bringen. Halten Sie es aus marktwirtschaftlicher Perspektive für zielführend, die Banken für den Klimaschutz einzuspannen, oder gibt es bessere Alternativen?

Eilfort: Entweder etwas rechnet sich oder es rechnet sich nicht. Dass externalisierte Kosten zum Beispiel durch einen Zertifikate-Handel einbezogen werden, ist richtig – es ändert aber nichts daran, dass die Zahlen stimmen müssen. Allein die gute Absicht macht noch keine wirtschaftlich-fiskalisch nachhaltige Bilanz.

„Die beste Vorbeugung gegen die nächste Pandemie ist eine durchgreifende Digitalisierung, die Überprüfung aller Verwaltungsabläufe und die Stärkung des Föderalismus.“

Wenn Sie einen Strich unter die bisherigen politischen Initiativen zur Unterstützung der Wirtschaft in der Corona-Krise ziehen, wie fällt Ihre Bilanz aus? Was können Politik und Wirtschaft aus dem bisherigen Verlauf der Pandemie für die nächste Krise lernen?

Eilfort: Vor allem die Politik sollte lernen, und zwar aus eigenen Fehlern, und dann auch entsprechend handeln. Deprimierend war in der Pandemie, dass die staatliche Lernkurve oft eher eine horizontale Gerade war und zum Beispiel im Umgang mit und in den Schulen Fehler wiederholt gemacht wurden. Gesundheitsämter faxten noch ein Jahr nach Beginn der Pandemie herum, der Staat war zu langsam und umständlich. Die beste Vorbeugung gegen die nächste Pandemie ist eine durchgreifende Digitalisierung, Überprüfung aller Verwaltungsabläufe und Stärkung statt Schwächung des Föderalismus: Während die Bundesregierung noch schlief, setzte der Oberbürgermeister von Jena öffentlichkeitswirksam auf Masken. Später zeigten die Oberbürgermeister in Rostock und Tübingen, was entschlossenes Handeln bewirken und wie gut Föderalismus als Ideenschmiede funktionieren kann. Leider kam dann erst einmal neuer Zentralismus mit der Bundesnotbremse.
 

Herr Eilfort, herzlichen Dank für das Interview!

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