Hohe Messlatte: GVB-Präsident Jürgen Gros formuliert acht Kriterien, damit ein digitaler Euro zum Erfolg wird. Denn der erste Versuch der EZB muss sitzen.
Herr Gros, am 26. September ist Bundestagswahl. Die Entscheidung scheint offener als bei den vergangenen Wahlen. Was erwarten Sie von einer neuen Bundesregierung?
Jürgen Gros: Dass sie sich darauf besinnt, wozu eine Regierung da ist. Dasselbe gilt für den neuen Bundestag, der die Gesetze berät und beschließt. Aufgabe der Regierung und des Gesetzgebers ist es, den richtigen Rahmen zu setzen. Innerhalb dieses Rahmens muss es den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren überlassen bleiben, wie sie agieren und wirtschaften wollen.
Das klingt so, als sähen Sie marktwirtschaftliche Prinzipien in Gefahr…
Gros: So ist es auch. Die Soziale Marktwirtschaft ist seit mehr als 70 Jahren bewährtes gesellschaftliches Leitprinzip und damit eine der Erfolgsgaranten dieses Landes. Derzeit macht sich augenscheinlich in Teilen der Gesellschaft ein befremdliches Staatsverständnis breit. Vieles passiert nach dem Motto „Lass das mal den Staat machen“. Das sehen Sie bei Vorstößen wie einem Mietendeckel, Planungen für höhere Steuern, Vorgaben bis hinein in die Sprache oder einem ständigen Herumbasteln an der Schuldenbremse.
Wir werden im Herbst voraussichtlich eine neue Regierungskonstellation sehen. Sie haben die Wahlprogramme der Parteien analysiert. Aber was am Ende herauskommt, ist ja noch mal eine gänzlich andere Frage.
Gros: Das ist richtig. Deshalb kommt es darauf an, Wahlprogramme nicht isoliert zu betrachten, sondern in Kombination. Es kommt auf den „Programm-Cocktail“ an. Das Wahlprogramm der Grünen ist ein gutes Beispiel. Es klingt auf den ersten Blick harmlos, lässt viel Raum für Interpretation. In Wahrheit kommt hier der rote Wolf im grünen Schafspelz daher. In einem Bündnis mit SPD und Linke würde vieles von dem Realität werden, was unser Land in die falsche Richtung führt.
Was wäre denn die richtige Richtung?
Gros: Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu haben, wer die wirtschaftlichen Leistungsträger in diesem Land sind und wie man mit ihnen umgeht. Deswegen setze ich auf die Soziale Marktwirtschaft, in der sich alle ihrer Verantwortung bewusst sind. Das bedeutet, Verantwortung zu belohnen und auf Verbote so weit wie möglich zu verzichten.
„Der Mittelstand prägt die deutsche Volkswirtschaft. Er braucht Raum für Eigenverantwortung und freies Unternehmertum.“
Was bedeutet das konkret?
Gros: Mir geht es um eine Politik, die Leistung belohnt, Anreize setzt und für Arbeitsplätze sorgt. Der Mittelstand prägt die deutsche Volkswirtschaft, er sorgt für Arbeitsplätze, Innovation und zahlt Steuern. Er braucht Raum für Eigenverantwortung und freies Unternehmertum. Dazu gehört, Unternehmen nicht mit überbordender Bürokratie zu belasten. Leider sind wir da in den vergangenen Jahren auf keinem guten Kurs unterwegs gewesen. Als Beispiel könnte man das „Goldplating“ nennen. Da sattelt der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung von europäischem Recht noch zusätzliche Regelungen drauf oder nutzt die Erleichterungsspielräume nicht. Das verzerrt Wettbewerb, erschwert Vergleichbarkeit und belastet Unternehmen hierzulande. Daher fordert der GVB ein Anti-Goldplating-Gesetz, wie es in Österreich schon existiert. Ein weiteres Beispiel ist die Belastung mit Steuern und Abgaben. In diesem Bereich ist eine Reform dringend nötig. Andere Länder haben diese Reform schon hinter sich. In Folge dessen sind die einst attraktiven deutschen Steuersätze nun die höchsten. Diese Belastung schnürt den Unternehmen die Luft zum Atmen ab. Ähnliches gilt für die Abgabenlast im Bereich des Sozialen, die ungehemmt immer weiter steigt. Das alles würgt Leistungsbereitschaft ab.
„Wahlcheck“ des GVB
Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) hat die Wahlprogramme der Parteien analysiert, die nach der Bundestagswahl am 26. September 2021 Teil einer neuen Bundesregierung sein könnten. Die Kernaussagen aus den Wahlprogrammen hat der GVB – orientiert an den möglichen Koalitionen Grün-Rot-Rot, Schwarz-Grün und Schwarz-Gelb – thematisch zusammengefasst und grafisch übersichtlich in einem „Wahlcheck“ aufbereitet. Dieser kann im Mitgliederbereich der GVB-Webseite angesehen werden. Die analysierten Themen: Haushalt & Finanzen, Steuern, Banken- und Finanzmarkt, Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Verkehr, Energie, Wohnen und Bauen, Landwirtschaft, Umwelt und Tierwohl sowie Wirtschaftsprüfung. Zudem hat der GVB seine Positionen zur Bundestagswahl 2021 in einer Broschüre zusammengefasst.
Die deutsche Wirtschaft ist derzeit auf Erholungskurs nach den heftigen Einbrüchen im Zuge der corona-bedingten Einschränkungen. Der Staat hat viele Milliarden aufgewandt, um zu helfen. Muss er nicht jetzt seine eigenen Konten wieder auffüllen?
Gros: Das ja. Aber – auch wenn das auf den ersten Blick widersprüchlich klingen mag – nicht mit höheren Steuern. Diese sind kontraproduktiv, weil sie den Unternehmen die finanzielle Flexibilität nehmen, die sie brauchen, um jetzt wieder zu wachsen, Arbeitsplätze zu schaffen, Innovationen voranzubringen und Wert zu schöpfen. Die Steuereinnahmen wachsen automatisch an, wenn man die Betriebe machen lässt, ohne ihnen ständig in die Speichen zu greifen. Hinzu kommt: Viele Unternehmen haben die Corona-Krise bislang überstanden, weil sie bestehende Liquidität verwendet und aufgebraucht haben. Diese Mittel waren aber eigentlich für andere Zwecke gedacht, wie dringend notwendige Innovationen. Das Geld dafür fehlt jetzt. In so einer Situation über höhere Steuern zu reden, ist ein Unding, weil es den langsam anlaufenden Aufschwung abwürgt, Mut und Leistung bestraft und den Unternehmen die Motivation nimmt.
Gibt es denn Parteien oder mögliche Koalitionen, die Sie in diesem Punkt überzeugen können?
Gros: Nicht komplett. Und ich will nicht zu früh loben. Wir müssen ja erst die Wahl und den Regierungsbildungsprozess abwarten. Dann wissen wir, was im neuen Regierungsprogramm steht. Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass ich hierzu im bürgerlich-liberalen Lager brauchbare Ansätze erkenne.
„Das Thema Nachhaltigkeit ist ein Paradebeispiel dafür, wie sehr marktwirtschaftliche Prinzipien unter die Räder geraten können.“
Jetzt, wo die Corona-Pandemie abebbt, tritt das Thema Nachhaltigkeit wieder in den Vordergrund. Was erwarten Sie hierzu von der neuen Bundesregierung?
Gros: So wie das Thema Nachhaltigkeit aktuell oft diskutiert wird, ist es ein Paradebeispiel dafür, wie sehr marktwirtschaftliche Prinzipien unter die Räder geraten können. Die Wende hin zu einer klimaneutralen Zukunft gelingt nicht über Verbote und staatlichen Dirigismus. Andersherum wird ein Schuh draus: Rahmen setzen, Anreize schaffen, gezielte Unterstützung leisten. Der Rest findet sich dann von alleine. Wenn also beispielsweise grüne Finanzanlagen aus sich selbst heraus attraktiver sind als andere, werden sie sich von alleine durchsetzen. Man darf die Debatte um Nachhaltigkeit aber nicht nur auf Klima- und Umweltschutz verengen. Zu den Nachhaltigkeitsprinzipien gehören auch soziale Kriterien und Grundsätze einer guten Unternehmensführung. Dieser Breite muss man gerecht werden. Und auch hier müssen marktwirtschaftliche Prinzipien das Leitmotiv bleiben.
„Was ich an vielen Stellen beobachte, sind dirigistische Vorgaben und Eingriffe. Der Finanzsektor ist dafür ein gutes Beispiel.“
Sehen Sie, dass der Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft sich so entwickeln wird?
Gros: Nicht unbedingt. Was ich stattdessen an vielen Stellen beobachte, sind dirigistische Vorgaben und Eingriffe. Der Finanzsektor ist dafür ein Beispiel. Banken sollen die Realwirtschaft mit Krediten und anderen Finanzdienstleistungen unterstützen. Banken beurteilen Kredite nach klaren Kriterien – insbesondere nach den damit verbundenen Risiken. Die Banken sind bereit und in der Lage, eine gesellschaftliche Veränderung in Richtung mehr Nachhaltigkeit zu begleiten und zu finanzieren. So wäre der richtige Weg. Wenn Banken aber Anlagen abseits der Risikobewertung schlicht in Grün und Nicht-Grün einteilen sollen, geht das in die völlig falsche Richtung. Das würde Banken zu Erfüllungsgehilfen der Politik degradieren. Das setzt marktwirtschaftliche Prinzipien außer Kraft und greift tief in unternehmerische Entscheidungen ein.
„Wenn Verbraucherschutz allerdings mit Verbraucherentmündigung verwechselt wird, sind wir auf dem falschen Dampfer unterwegs.“
Gibt es weitere Felder, auf denen Sie derartige Entwicklungen sehen?
Gros: Allerdings. Nehmen wir den sogenannten Verbraucherschutz. Auch dagegen ist per se selbstverständlich nichts einzuwenden. Wenn Verbraucherschutz allerdings mit Verbraucherentmündigung verwechselt wird, sind wir auf dem falschen Dampfer unterwegs. Beispiel ist die Forderung nach einem Deckel für Dispozinsen. Diese Kredite sind weder überteuert, noch steigen die Kosten dafür immer weiter, wie gerne behauptet wird. Ein Geschäftsmodell für Banken ist das ebenso wenig. Verbraucher haben die Wahl, sie können sich umfassend beraten lassen und bei Bedarf langfristige Kredite zu günstigen Konditionen in Anspruch nehmen. Eingriffe in Geschäftsbeziehungen, wie sie derzeit diskutiert werden, halte ich für schädlich. Mehr Verbraucherschutz bringen sie jedenfalls nicht.
Kürzlich hat der Bundesgerichtshof Gebührenerhöhungen, die durch eine Änderung der AGBs vollzogen werden, untersagt. Das soll den Verbraucherschutz verbessern. Wie ordnen Sie dieses Urteil ein?
Gros: Dieses Urteil hat weitreichende Folgen bis tief hinein in die Kundenbeziehungen vieler Branchen. Da geht es längst nicht nur um Banken, sondern praktisch um alle Fälle, denen Dauerschuldverhältnisse zugrunde liegen, so bei Energieversorgern, Medien, Streamingdiensten, Anbietern von Digitalleistungen wie Software und viele andere mehr. Ob hier an der einen oder anderen Stelle etwas mehr Transparenz notwendig wäre, ist das eine. Das andere ist aber, Verbraucherschutz so weit zu treiben, dass Kundenbeziehungen umfassend gestört werden. Hier erwarte ich von einer neuen Bundesregierung und aus der Mitte des Parlaments praxistaugliche Lösungen. Denn darum geht es, auch beim Verbraucherschutz.
Ein Dauerthema, bei dem sich entgegen politischer Bekundungen nicht viel bewegt hat, ist das Vorhaben einer europäischen Bankenunion. Wesentlicher Bestandteil ist die europäische Institutssicherung EDIS. Was erwarten Sie nach der Bundestagswahl?
Gros: Obwohl ich ansonsten von der Politik eher erwarte, Ankündigungen endlich umzusetzen, ist es in diesem Fall anders. EDIS ist nicht durchdacht und es verkennt die Besonderheiten von Verbünden wie der genossenschaftlichen Bankengruppe. Volksbanken und Raiffeisenbanken arbeiten solide und haben ihre eigene Institutssicherung. Diese setzt auf Prävention und sorgt dafür, dass Schieflagen erst gar nicht entstehen. Es wäre ein Bärendienst für die Finanzstabilität, wenn dieses Institutssicherungssystem jetzt für die Risiken maroder Banken anderswo in der EU einstehen soll. Das reduziert den Reformdruck auf jene, die dringend ihre Risiken abbauen und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken sollten. EDIS würde den Einstieg in die Transferunion durch die Hintertür bedeuten.
Was ist Ihr Gegenvorschlag dazu?
Gros: Man sollte klare Voraussetzungen definieren, unter denen ein Institutssicherungssystem von EDIS ausgenommen sein kann. Dazu gehören beispielsweise eine niedrige Quote an notleidenden Krediten, ein hoher Anteil an Einlagen aus dem Inland, eine hohe Diversifikation der Mitgliedsbanken oder eine besonders hohe Kapitalausstattung des Sicherungssystems. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken erfüllen all diese Voraussetzungen und sollten daher von EDIS ausgenommen bleiben.
Auch im Finanzbereich schreitet die Digitalisierung voran. Welche Trends oder Problemstellungen sehen Sie?
Gros: Da gibt es mehrere Aspekte. Zum einen die Banken selbst. Die Schnittstelle der Banken zu ihren Kunden umfasst längst auch digitale Produkte wie die VR-Banking-App, das Online-Banking oder die Webseiten der Banken. Innerhalb der Banken gibt es in deren Arbeitsabläufen noch einige Felder, auf denen Prozesse digitalisiert werden könnten. Das erleichtert Abläufe und setzt Ressourcen für andere Aufgaben frei.
„Es wird nicht alles, was gleich ist, auch gleich behandelt. Das halte ich für einen Fehler, weil es den Wettbewerb verzerrt und Risiken aufbaut.“
Und zum anderen?
Gros: Zum anderen geht es um das Verhältnis zwischen den Akteuren in einem digitalen Finanzmarkt. Es wird nicht alles, was gleich ist, auch gleich behandelt. Das halte ich für einen Fehler, weil es den Wettbewerb verzerrt und Risiken aufbaut. Es geht nicht um Angst vor dem Wettbewerb mit Fintechs. Diesen können die Volksbanken und Raiffeisenbanken mit Selbstbewusstsein und aus einer Position der Stärke aufnehmen. Und das Verhältnis von Banken und Start-ups oder Fintechs ist nicht nur von Konkurrenz geprägt. Es gibt da viel Zusammenarbeit, weil auch etablierte Banken von deren Wissen und Blick auf Prozesse profitieren können. Aber wo solche neuen Unternehmen oder auch die großen digitalen Plattformanbieter in den Markt eintreten, müssen sie sich derselben Regulierung unterwerfen wie Banken. „Sandkastenlösungen“, die Ausnahmen für Fintechs schaffen, sind nicht gerechtfertigt.
Es heißt also nacharbeiten und Erfahrungen sammeln. Dasselbe gilt für das Meistern der Corona-Pandemie. Die Perspektive ist inzwischen größtenteils positiv, die Infektionszahlen sinken und die Zahl der Impfungen nimmt stetig zu. Welche Lehren ziehen Sie aus den vergangenen Monaten?
Gros: Erstens: Das Modell der regionalen Hausbank hat sich bewährt. Viele der Corona-Hilfen wurden über die Hausbanken abgewickelt. Die Banken haben Kredite vergeben, beraten, bei ihren Kunden für Liquidität gesorgt und tun dies auch weiterhin. Zweitens: Die Regulatorik war nicht krisenfest. Politik und Aufsicht haben schnell gehandelt. Das ist zu begrüßen. Wir brauchen aber eine Regulatorik, die auch in Krisenzeiten funktioniert. Die Banken mussten sich insbesondere zu Beginn der Pandemie auf sich ständig verändernde Bedingungen einstellen. Das hat für Verunsicherung gesorgt und den Banken Ressourcen genommen, die sie bei der Bekämpfung der Corona-Folgen gut hätten brauchen können. Von einer neuen Bundesregierung erwarte ich hier Offenheit, aus den Erfahrungen der vergangenen Monate zu lernen. Leider ist diese Botschaft nicht überall angekommen.
Die Wirtschaft befindet sich auf Erholungskurs. Tun die politisch Verantwortlichen genug, um diesen Kurs zu stärken?
Gros: Es ist vieles passiert, was gut ist. Die Unterstützungsleistungen für Unternehmen, die aufgrund der Pandemie in Schwierigkeiten geraten sind, kamen schnell, und obwohl es an der einen oder anderen Stelle gehakt hat, haben sie Wirkung entfaltet. Das erkenne ich an. Allerdings sind die politischen Akteure vor Entscheidungen zurückgeschreckt, die den Unternehmen helfen würden, ohne den Bundeshaushalt dauerhaft zu belasten. Ich spreche hier von der Ausweitung des steuerlichen Verlustrücktrags. Dieser erlaubt es, Verluste in der Gegenwart mit Gewinnen aus der Vergangenheit zu verrechnen und damit die Steuerlast zu reduzieren. Das würde den Betrieben wertvollen Spielraum geben. Zudem wirkt der steuerliche Verlustrücktrag zielgenau und hilft Unternehmen, die vor der Corona-Krise solide dagestanden sind. Wenn die Krise überwunden ist, zahlen die Unternehmen die Steuern automatisch nach. Der Staat gibt also Kredit bei überschaubaren Risiken. Die Schritte, die unternommen wurden, sind richtig, aber zu zaghaft. Eine weitere Ausweitung auf bis zu fünf Jahre könnte der Erholung den oft beschworenen „Wumms“ geben.
Die neue Bundesregierung wird sich voraussichtlich auch mit der Einführung des digitalen Euros zu befassen haben. Was erwarten Sie?
Gros: Der digitale Euro kann eine sinnvolle Weiterentwicklung des Geldes und damit der Art und Weise, wie wir in Zukunft zahlen. Die Einführung muss deshalb sitzen – es steht zu viel auf dem Spiel. Keinesfalls darf der digitale Euro die Finanzstabilität beschädigen. Er kann nur eine Ergänzung zu bestehenden Zahlsystemen wie dem Bargeld sein, kein Ersatz. Der digitale Euro darf die Bemühungen um den Kampf gegen Geldwäsche nicht konterkarieren. Sichergestellt sein muss zudem die Geldschöpfung der Banken durch Kreditvergabe. Aus einem Euro Zentralbankgeld machen die Banken so zehn Euro. Nur so lassen sich die Kreditversorgung und damit die Finanzierung der Wirtschaft sicherstellen. Dem darf der digitale Euro keinen Abbruch tun.
Wohnraum ist knapp, in den Ballungszentren steigen Mieten und Immobilienpreise weiter an. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken sind wichtiger Finanzierer von Immobilien – privat wie gewerblich. Was erwarten Sie nach der Wahl vom politischen Berlin auf diesem Gebiet?
Gros: Was sich leider breitmacht, ist eine sehr undifferenzierte Sicht auf die Dinge. Neiddebatten helfen nicht weiter. Auch bei diesem Punkt geht es um die richtigen Rahmenbedingungen. Wenn allerdings im Wahlkampf das Einfamilienhaus infrage gestellt wird, manche leichtfertig mit Mietendeckeln experimentieren und Vorgaben wie die verpflichtende energetische Sanierung oder höhere Steuern eingeführt werden, ist das kontraproduktiv. So macht man Bauen und Wohnen teurer und arbeitet dem Ziel entgegen, erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. Wenn der Staat zum Beispiel Privatleuten Anreize zum Immobilienerwerb geben will, sei es durch Zuschussmodelle oder Steuererleichterungen, dann ist das zu begrüßen. Wer Eigentum, auch Wohneigentum, zum Feindbild erklärt, der dient der Sache nicht, spaltet die Gesellschaft und wendet sich vom freien Markt ab.
Lassen Sie uns noch einen Blick in Richtung Landwirtschaft werfen. Auch für diese Branche könnten sich nach der Bundestagswahl richtungweisende Änderungen abzeichnen. Welche politischen Erwartungen haben Sie für die nächste Legislaturperiode?
Gros: Wie in vielen anderen Bereichen geht es um Planbarkeit und Verlässlichkeit. Landwirtschaft leistet einen unverzichtbaren gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Beitrag. Ständig neue Eingriffe in Eigentumsrechte und den Berufsstand sind inakzeptabel. Es muss sichergestellt sein, dass sich Investitionen auch lohnen und nicht mit neuen Auflagen handstreichartig zunichtegemacht werden. Maßnahmen wie Stallumbauten, Anstrengungen für Insektenschutz und extensiven Ackerbau oder Smart Farming erfordern hohe Investitionen, die sich oft erst nach Jahrzehnten rechnen. Wer Bestandsschutz infrage stellt, gefährdet die Landwirtschaft. Ideologie hilft nicht weiter, vor allem dann nicht, wenn einem der Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft am Herzen liegt.
Genossenschaften spielen eine wichtige Rolle in der Milchwirtschaft. Wo sehen Sie hier die wesentlichen Herausforderungen?
Gros: Fragen der Tierhaltung sorgen immer wieder für emotionsgeladene Debatten. Tierwohl ist ein wichtiges Anliegen. Keine Frage. Dessen sind sich die Bäuerinnen und Bauern auch bewusst. Mehr Tierschutz geht aber nur mit ihnen zusammen. Immer strengere Auflagen beschleunigen den Strukturwandel und machen für immer mehr landwirtschaftliche Betriebe das Wirtschaften unattraktiv.
Genossenschaftliche Energieerzeuger leisten einen wichtigen Beitrag zur Energiewende. Wo drückt Betreibern von Photovoltaikanlagen, Windenergieanlagen, Biogasanlagen, Wasserkraftwerken, Nahwärmenetzen und den genossenschaftlichen Netzbetreibern am meisten der Schuh?
Gros: Es stimmt, Energiegenossenschaften treiben die Energiewende dezentral voran. Sie halten Wertschöpfung in der Region und machen ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit vor Ort sichtbar. Es gibt aber Hemmnisse, um diesen Weg konsequent weitergehen zu können. Nötig ist es beispielsweise, die Netzkapazität zu erweitern, um den weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien verlässlich zu gewährleisten. Für viele Erneuerbare-Energien-Anlagen ist die Teilnahme von Ausschreibungen vorgesehen. Doch die Ausschreibungsbedingungen bevorzugen größere Anbieter und stellen an kleinere Mitbewerber unzumutbar hohe Anforderungen, verbunden mit hohen wirtschaftlichen Risiken.
Immer wieder ist die Klage zu hören, dass die Nutzung der erzeugten Energie durch die Mitglieder von Genossenschaften benachteiligt ist…
Gros: Das stimmt. Es ergibt keinen Sinn, dass die Nutzung selbst erzeugten Stroms so unattraktiv ist. Die dezentrale Selbstversorgung sollte doch eigentlich im Sinne der Energiewende sein. Ich erwarte, dass es in den kommenden vier Jahren dazu Lösungen geben wird, die das sogenannte Energy Sharing diskriminierungsfrei ermöglichen.
„Mitmachen ist unabdingbar notwendig für eine lebendige Demokratie.“
Zum Abschluss noch eine grundsätzliche Frage: Demokratie lebt vom Mitmachen. Was erwarten Sie von den Wählerinnen und Wählern?
Gros: Mitmachen ist unabdingbar notwendig für eine lebendige Demokratie. Allerdings setzt das auch voraus, dass man sich mit Inhalten befasst. Ich kann nur dazu aufrufen, zumindest einen kurzen Blick in die Wahlprogramme der Parteien zu werfen, um sich seine eigene Meinung bilden zu können. Seitens des GVB haben wir unsere Positionen zur Wahl in einer Broschüre zusammengefasst, die sich auf der GVB-Webseite als PDF herunterladen lässt. Außerdem haben wir die Programme einzelner Parteien zu ausgesuchten Politikfeldern nebeneinander gelegt, um erkennen zu können, welcher Kurs sich für die Zeit nach der Bundestagswahl abzeichnet. Die Ergebnisse dieses „Wahlchecks“ finden sich auf der GVB-Webseite im Mitgliederbereich.
Herr Gros, vielen Dank für das Interview!