Prüfstand: Die Corona-Pandemie bietet die Gelegenheit, die Finanzmarktregulierung zu evaluieren, sagt Stephan Paul, Professor an der Ruhr-Universität Bochum.
Das Wichtigste in Kürze
- Die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken stehen ihren Kunden und Mitgliedern auch in Krisenzeiten zur Seite und versorgen sie mit Liquidität.
- Die staatlichen Hilfsprogramme waren in der Hochphase der Corona-Krise absolut grundlegend und zielführend.
- Die Corona-Krise hat aber auch viele Schwachstellen der Bankenregulierung offengelegt.
- Gesetzgeber und Aufseher mussten die Schnürung des Regulierungskorsetts krisengetrieben im Schnellverfahren lockern.
- Die Banken mussten sich in der Folge mitten in der Krise immer wieder auf wechselnde Rahmenbedingungen einstellen.
- Aus diesem Grund ist es wichtig, Lehren zu ziehen und zu überprüfen, was sich in der Regulierung bewährt hat und wo sie Banken ohne größeren Nutzen einengt.
- Bankvorstände schildern ihre Erfahrungen aus der Praxis. Sie fordern mehr Augenmaß in der Regulierung.
Wenn Michael Dandorfer, Vorstandsmitglied der Münchner Bank eG, an die Hochphase der Corona-Krise zurückdenkt, dann muss er einmal tief durchschnaufen. Denn die Zeit war nicht nur für die Mitglieder und Kunden der Bank, sondern auch für die Mitarbeiter äußerst stressig. Nahezu 300 Kredite mit einem Gesamtvolumen von über 100 Millionen Euro hat die Münchner Bank an Unternehmer ausgereicht, die wegen der Corona-Pandemie unverschuldet in Not geraten waren und schnellstmöglich Liquidität brauchten. „Im Mittel lag der Bedarf bei 50.000 bis 100.000 Euro mit einigen Ausreißern nach oben“, berichtet Dandorfer.
Als Mitte März das Wirtschaftsleben in Bayern weitgehend heruntergefahren wurde, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, war für die Münchner Bank klar: Wir stehen unseren Mitgliedern zur Seite. „Wir haben alle Geschäftsstellen über die komplette Zeit offen gehalten, um jederzeit erreichbar zu sein“, berichtet Dandorfer. Außerdem riefen die Berater systematisch alle Mitglieder und Kunden an, um abzuklären, ob sie in der Corona-Krise Unterstützung benötigen.
Dreimal die Woche setzte sich der Vorstand – bestehend aus Michael Dandorfer und der Vorstandsvorsitzenden Sandra Bindler – mit dem Corona-Kredit-Team aus Markt und Marktfolge zusammen, um über die Kreditanträge zu entscheiden. „Wer wegen Corona in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist, hat schnell Liquidität gebraucht, um handlungsfähig zu bleiben. Deshalb haben wir nach einem einheitlichen Schema entschieden und uns an den Richtlinien der Förderbanken LfA und KfW orientiert. Im Durchschnitt wussten die Kunden nach 2,5 Tagen, ob sie das Geld erhalten“, berichtet Dandorfer. Bei einer Zusage sprang die Münchner Bank mit einer Zwischenfinanzierung ein, bis die staatlichen Stellen das Geld überwiesen.
Die staatlichen Hilfsprogramme seien in der Hochphase der Corona-Krise absolut grundlegend und zielführend gewesen, lobt Dandorfer, auch wenn es in der Umsetzung geknirscht habe. „Ständig gab es Änderungen und neue Formulierungen in den Programmen, das hat uns die Arbeit erschwert.“ Auch von der Bankenaufsicht hätte sich der Vorstand mehr Klarheit erhofft, zum Beispiel wie gestundete Darlehen aufgrund der Corona-Krise aufsichtsrechtlich zu bewerten sind.
„Als Genossenschaftsbank wollen wir möglichst schnell und präzise spielen. Aber wie sollen wir vernünftig angreifen, wenn sich ständig die Position des Tores ändert?“
Generell wünscht sich der Bankvorstand mehr Konsistenz und mehr Augenmaß in der Bankenregulierung. Ständig würden Regeln nachgebessert oder neue eingeführt. Als Beispiel nennt Dandorfer die vielen Kapital- und Liquiditätsvorschriften sowie die zahlreichen Meldepflichten und Verbraucherschutzregeln. „Viele Regularien, die zum Schutz der Kunden gedacht waren, haben sich als Bürokratiemonster entpuppt. Der Formalismus, der dahinter steckt, schreckt viele Verbraucher eher ab als dass er ihnen hilft“, sagt der Vorstand. Die Umsetzung solcher Regeln sei aufwendig und halte die Bank von ihrem Kerngeschäft ab. Dandorfer: „Als Genossenschaftsbank wollen wir – fußballerisch gesprochen – möglichst schnell und präzise spielen. Aber wie sollen wir vernünftig angreifen, wenn sich ständig die Position des Tores ändert?“
Krise legt Schwachstellen der Regulierung offen
Eine verhältnismäßige Bankenregulierung mit Augenmaß – dieses Thema liegt auch GVB-Präsident Jürgen Gros am Herzen. Die Corona-Krise habe viele Schwachstellen der Bankenregulierung offengelegt. Gros sieht deshalb die Zeit für einen „Fitness-Check“ der Bankenregulierung gekommen: „In der Krise hat sich gezeigt, was sich bewährt hat und wo Nachbesserungsbedarf besteht. Das gilt auch für die Bankenregulierung.“
Seit der Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren haben die gesetzlichen und aufsichtlichen Vorgaben die Banken in ihren Handlungsmöglichkeiten immer mehr eingeengt. Bereits 2018 haben Wissenschaftler der Universität Frankfurt die Effekte der europäischen Bankenregulierung auf den deutschen Bankensektor nach der Finanzkrise evaluiert. In der sogenannten SAFE-Studie kamen die Autoren damals zu dem Schluss, dass kleinere Banken einen positiven Beitrag zur Systemstabilität leisten. Sie regten deshalb an, diese Institute gezielt aufsichtsrechtlich zu entlasten. Nach Abschluss aller Reformen sollte die Regulierung nach dem Motto „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“ überprüft und ihr Komplexitätsgrad nach Möglichkeit wieder zurückgefahren werden, so die Empfehlung der Forscher.
„Erwartungen“ der Aufsicht ohne rechtliche Grundlage
Neben der gesetzlichen Regulierung sehen sich die Banken in Deutschland zusehends auch noch mit informellen „Erwartungen“ der Aufsicht konfrontiert, die sich einer rechtlichen Überprüfung entziehen. „Die BaFin verändert schleichend bestehende Aufsichtsinstrumente, etabliert informelle Machtinstrumente und reizt sie mitunter bis an den Rand aus“, schreibt GVB-Präsident Jürgen Gros in einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche. Gros nennt dafür zwei Beispiele: Das BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken sowie die Erwartung der Behörde, dass die Banken unter ihrer Aufsicht vorerst darauf verzichten, Dividenden auszuschütten. „Wenn diese Erwartungshaltung für den Fall der Nichterfüllung gar fundamentale Sanktionen zur Folge haben kann, dann werden in einem Rechtsstaat Grenzregionen beschritten. Die BaFin gebraucht zunehmend unverhohlen ihre in den letzten Jahren gewachsene Autorität“, kritisiert Gros.
Durch die Corona-Krise erhalten die Ergebnisse der SAFE-Studie eine ganz neue Dringlichkeit. Gesetzgeber und Aufseher mussten die Schnürung des Regulierungskorsetts krisengetrieben im Schnellverfahren lockern. Denn ansonsten wären die Banken aufgrund der regulatorischen Fesseln nicht in der Lage gewesen, das zu leisten, wozu sie da sind: Privatleute und Unternehmen mit Liquidität und Finanzprodukten zu versorgen. „Regionale Kreditinstitute sind für eine schnelle und reibungslose Kreditversorgung des Mittelstands unverzichtbar. Das hat die Corona-Krise einmal mehr gezeigt. Die flächendeckende, maßgeschneiderte Beratung der Hausbanken hat in der Not das Schlimmste verhindert“, sagt Gros. Deshalb dürfe es kein schlichtes Zurück zu den alten Regeln geben. „Eine Regulierung muss so praxistauglich sein, dass sie Ausnahmesituationen gewachsen ist – ohne ständigen Änderungsbedarf.“
Regulierung auf Praxistauglichkeit untersuchen
Aus diesem Grund sei es jetzt wichtig, Lehren zu ziehen und zu überprüfen, was sich in der Regulierung bewährt hat und wo sie Banken ohne größeren Nutzen einengt und damit in ihrer dienenden Funktion gegenüber der Realwirtschaft beschneidet, erklärt Gros. Der GVB-Präsident schlägt im ersten Schritt einen Runden Tisch zwischen Vertretern der Politik, Aufsicht, Realwirtschaft und Banken vor, der die regulatorischen Vorgaben überprüfen soll. Erste Ansätze, wo Corona-bedingt Lehren gezogen und Bankenregulierung ganz umfassend auf ihre Praxistauglichkeit untersucht werden sollten, hat der GVB in einem Positionspapier zusammengefasst (siehe nachfolgender Kasten). Der GVB hat das Papier bei politischen Gesprächen in Berlin und München vorgestellt. Dort wurden die Positionen des GVB positiv aufgenommen.
„Fitness-Check für Bankenregulierung“
Der Inhalt des GVB-Positionspapiers im Überblick:
Kreditvergabe an Realwirtschaft nachhaltig unterstützen
- Negative Auswirkungen durch NPL-Backstop vermeiden
- Stärkere Proportionalität bei aufsichtlichen Vorgaben im Kreditgeschäft
- Erleichterung bei Sanierungskrediten
- Kreditvergabe nicht mit Nachhaltigkeitserwägungen vermischen
- Finale Basel-III-Vorgaben anpassen, um Kreditvergabe zu stützen
- Staatliche Hilfskredite bei Eigenkapitalunterlegung berücksichtigen
Regulatorische Anforderung im Bankgeschäft an Kundenbedürfnisse anpassen
- Wertpapiergeschäft entbürokratisieren
- Erleichterungen bei Bankgeschäften außerhalb der Filiale
- Ressourcen richtig einsetzen
Bankenregulierung langfristig verhältnismäßiger gestalten
- Offenlegungspflichten verhältnismäßig gestalten
- Erleichterungen beim aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP) umsetzen
- Meldepflichten lockern
- Berücksichtigung nationaler Besonderheiten im Meldewesen
- Mehr Zeit für die Umsetzung neuer Vorgaben
- Erhöhung der strafzinsfreien Geldanlagen für Banken
- Erleichterung bei Sanierungs- und Abwicklungsplanung
- Umstellung auf elektronische Einreichung von Anzeigen nach § 24 KWG
„Ich stimme den Vorschlägen des GVB zu“, sagt Michael Kruck, Vorstandssprecher der Raiffeisen-Volksbank Donauwörth. Die zunehmende Verschärfung der regulatorischen Rahmenbedingungen sei eine große Herausforderung für Regionalbanken. Exemplarisch nennt der Vorstand die verpflichtende Aufzeichnung von Telefongesprächen in der Anlageberatung. „Das ist ein Dauerthema sowohl bei unseren Kunden als auch bei den Beratern“, berichtet Kruck. Die Pflicht zur Gesprächsaufzeichnung sei ein großer Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte und löse auf beiden Seiten Unbehagen aus. „Wenn man das ändern könnte, wäre vielen geholfen“, meint der Vorstand.
Als weiteres Beispiel nennt Kruck die Wohnimmobilienkreditrichtlinie (WIKR), die die Kreditvergabe an Privatpersonen bürokratischer gemacht habe. „Neben der Aufblähung der Bankorganisation bringt eine solche Verschärfung meistens einen erheblichen Anstieg der Personal- und Sachkosten mit sich“, berichtet Kruck. Für die immer komplizierteren regulatorischen Prozesse benötigten die Banken mehr und mehr Spezialisten, die entsprechend aus- und weitergebildet werden müssen. Das führe wiederum zu Problemen bei kleineren Zweigstellen, da sich dort Spezialisten betriebswirtschaftlich nicht lohnen. „Am Ende werden diese kleinen Filialen auch deswegen nicht überleben“, kritisiert der Donauwörther Bankvorstand.
Neben den genannten Punkten verweist Kruck darauf, dass die aufsichtsrechtlichen Anforderungen gerade im Bereich der Liquiditätssteuerung immer weiter erhöht werden. Beispielhaft nennt er die Liquiditätsdeckungsquote (LCR). Hinzu kommen weitere Vorschriften wie die strukturelle Liquiditätsquote (NSFR) sowie die Liquiditätsablaufbilanz, mit der mögliche Liquiditätsengpässe in der Zukunft aufgedeckt werden sollen. „Kreditgenossenschaften konnten schon immer eine stabile Refinanzierung vorweisen – gerade in Krisen. Für sie sind solche regulatorischen Rahmenbedingungen eine unnötige Belastung. Eine adressatengerechte Regulierung wäre wirkungsvoller und würde dort eingreifen, wo es notwendig ist“, sagt Kruck.
Belastungsmoratorium für Wirtschaft und Banken
In der laufenden Diskussion um weitere Unterstützungsmaßnahmen für die Wirtschaft setzen sich die bayerischen IHKs, HWKs und der Genossenschaftsverband Bayern für ein „Neustart-Programm“ ein, das aus einem Belastungsmoratorium bis 2021 und einem steuerlichen Erleichterungs- und Investitionspaket besteht. Die Unternehmen sollen sich in nächster Zeit voll und ganz auf ihr operatives Geschäft konzentrieren können. Das Papier gibt es auf der GVB-Webseite zum Download.
Auch in der Politik mehren sich die Rufe nach einem Belastungsstopp für Wirtschaft und Banken. Die FDP-Bundestagsfraktion hat ein „Corona-Moratorium zur Finanzmarktbürokratie“ gefordert, das vom GVB unterstützt wird. Ebenso rufen verschiedene Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft sowie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier dazu auf, die Unternehmen in der Corona-Krise breitflächig von Bürokratie zu entlasten. Auch bereits beschlossene Gesetze sollen einem „Belastungs-TÜV“ unterzogen werden, kündigt Altmaier an.
Eine adressatengerechte Regulierung ist auch für Andreas Held ein wichtiger Punkt. In der Hochphase der Krise seien es die Regionalbanken gewesen, die die notleidenden Unternehmen schnell mit Liquidität versorgt haben, gibt der Vorstandsvorsitzende der Raiffeisenbank Gefrees zu bedenken. „Die Politik hat schnelle Hilfen zugesagt, aber die Umsetzung durch die staatlichen Behörden und die Förderbanken hat gedauert. Das war für uns eine Herausforderung“, berichtet Held. Zusätzlich meldete sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bei der Raiffeisenbank Gefrees, weil sie wissen wollte, wie diese mit den Corona-Risiken umgeht. „Wir haben daraufhin unser Risiko-Controlling umgestellt und gezielt für die BaFin dokumentiert. Das war zeitlicher Aufwand zur Unzeit“, schimpft Held. „Wir erleben mit Corona gerade einen Live-Stresstest für Banken und Unternehmen. Da braucht es nicht noch einen aufsichtlichen Stresstest obendrauf.“
Positiv sieht der Gefreeser Bankvorstand dagegen die schnellen Erleichterungen bei der Eigenkapitalregulierung. Die Entscheidung der Aufsicht, den antizyklischen Kapitalpuffer und die sogenannte Eigenmittelzielkennziffer auszusetzen, sei richtig gewesen. „Dadurch haben wir mehr Spielraum bei der Kreditvergabe. Das hat uns und unseren Kunden in der Krise sehr geholfen“, findet Held.
Insofern sei auch der Beschluss des EU-Gesetzgebers konsequent, die ohnehin geplanten Erleichterungen bei der Mittelstandsfinanzierung um ein Jahr vorzuziehen, meint Held. So müssen Banken bei Darlehen an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) weniger Eigenkapital als Sicherheit vorhalten. Die Institute dürfen den sogenannten KMU-Faktor ab sofort bei Mittelstandskrediten bis zu einem Volumen von 2,5 Millionen Euro statt bisher 1,5 Millionen Euro anwenden. Überschreitet der Kredit diese Schwelle, gelten auch darüber hinaus niedrigere Eigenkapitalanforderungen. „Die Entscheidung sendet ein klares Signal, dass der KMU-Faktor sich bewährt. Die reduzierten Eigenkapitalanforderungen helfen dabei, Arbeitsplätze im Mittelstand zu erhalten“, ist sich auch GVB-Präsident Gros sicher.
GVB lehnt EU-Pläne zu Kreditmoratorien ab
Die EU-Kommission will Verbrauchern und Unternehmen die Möglichkeit einräumen, zinslose Stundungen für Kreditraten oder Versicherungsprämien über mindestens sechs Monate in Anspruch zu nehmen. Beim Genossenschaftsverband Bayern (GVB) stoßen diese Vorschläge auf Unverständnis. „Schon jetzt treffen die Banken individuelle Lösungen mit ihren Kunden. Generelle Regelungen sind daher unnötig, da einheitliche Vorgaben den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kreditnehmer kaum gerecht werden können“, sagt GVB-Präsident Jürgen Gros. Die GVB-Pressemitteilung zu den EU-Plänen für ein Kreditmoratorium lesen Sie hier.
Entlastung bei aufsichtlichen Vorgaben
Ähnliche Differenzierungen wie bei der Mittelstandsfinanzierung wünscht sich Bankvorstand Held auch bei der Aufsicht für Regionalbanken. „Die Politik fordert eine möglichst einfache Kreditvergabe, aber bei einer vereinfachten Regulatorik tut sie sich schwer.“ Held schlägt eine Entlastung von kleinen, gut kapitalisierten Banken bei aufsichtlichen Vorgaben nach dem Vorbild des Schweizer Kleinbankenregimes vor. Vor allem beim Meldewesen sieht Held viel Potenzial. Die Corona-Krise sei eine Zäsur, die dazu genutzt werden sollte, auch in der Regulatorik alte Zöpfe abzuschneiden. „Die Krise ist eine Chance, um viele Dinge neu zu ordnen. Wir werden uns genau anschauen, was in der Bank gut und was schlecht gelaufen ist, und daraus unsere Lehren für die nächste Krise ziehen. Das sollte die Aufsicht auch machen und nicht einfach zur alten Regulierungspraxis zurückkehren“, findet Held.
In der Rückschau erkennt auch Andreas Antholzer viele Ansätze, wie die Kreditvergabe in der Hochphase der Corona-Krise hätte erleichtert werden können. Der Vorstandsvorsitzende der Raiffeisenbank Altdorf-Ergolding plädiert vor allem dafür, Anforderungen und Auflagen im Kundenkreditgeschäft risikoabhängig mit mehr Ermessensspielräumen zu gestalten. In der Krise und insbesondere in der Zeit danach sei die vergangenheitsorientierte Bewertung der Kapitaldienstfähigkeit der Kreditnehmer ein großes Problem. Nach § 18 Kreditwesengesetz sind Banken dazu verpflichtet, sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers insbesondere durch Vorlage der Jahresabschlüsse offenlegen zu lassen. Vor allem der Nachweis, dass das Unternehmen zum 31. Dezember 2019 nicht in der Krise war, erforderte zeitnahe Bilanzunterlagen, um diese Auflage der Förderbanken zu erfüllen. „Doch bei vielen Geschäftsleuten war die Buchführung für 2019 im März noch gar nicht abgeschlossen. Das hat viele Steuerberater zur Verzweiflung getrieben“, berichtet Antholzer.
Er schlägt deshalb vor, die Prüfung der Kapitaldienstfähigkeit bis auf Weiteres zu vereinfachen, indem zum Beispiel statt den Abschlüssen der vergangenen Jahre Fortführungsprognosen oder Planrechnungen für die Zeit nach Corona herangezogen werden dürfen. Denn die Dauer der wirtschaftlichen Einschränkungen sei nach wie vor nicht absehbar. „Ob und wann wir wieder das Vorkrisenniveau erreichen, ist seriös aktuell nicht vorhersehbar“, sagt der Bankvorstand. Der durch Corona bedingte Umsatzausfall werde sich in den Jahresabschlusszahlen 2020 niederschlagen und bei der künftigen Bonitätseinstufung und der Kapitaldienstfähigkeit auswirken.
Deshalb wünscht sich Antholzer einen weichen Übergang mit überschaubaren Planrechnungen, bis für die Kreditprüfung wieder die normalen Zahlen herangezogen werden können. Denn die Corona-Krise sei noch nicht vorbei, warnt Antholzer. „Die echten Probleme kommen erst zum Jahreswechsel, wenn sich die Umsatzausfälle in den Bilanzen der Unternehmen niederschlagen und die Nachzahlung gestundeter Steuern, Mieten und Abgaben die Liquidität der Unternehmen doppelt belasten. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Daher wäre es kontraproduktiv, wenn die Aufsicht in der Zwischenzeit die Regulierung wieder verschärft.“
Finanzstabilität muss oberste Priorität haben
Die EU-Kommission will noch dieses Jahr eine neue Strategie vorlegen, um den europäischen Finanzmarkt stärker auf Nachhaltigkeit zu trimmen. In einer Stellungnahme zur „Renewed Sustainable Finance“-Strategie der EU-Kommission fordert der Genossenschaftsverband Bayern (GVB), kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nicht durch umfangreiche, hochkomplexe Vorgaben zu überlasten (mehr im Mitgliederbereich der GVB-Webseite). In einem nachhaltigen Finanzwesen sollte zudem stets das Ziel der Finanzstabilität oberste Priorität haben, da nur ein sicherer Markt das Vertrauen der Investoren in grüne Anlagen gewährleistet.
Die Politik dürfe die Verantwortung für nachhaltiges Handeln nicht auf die Banken abwälzen, fordert GVB-Präsident Jürgen Gros in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung: „Banken dürfen nicht von der Politik zu Ökosheriffs gemacht werden. Das erinnert gefährlich an planwirtschaftliche Methoden.“ Um ihre ambitionierten Klimaziele zu erreichen, solle sich die Politik viel stärker am Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft orientieren, so Gros in einem weiteren Gastbeitrag für das Handelsblatt.