Corona-Lehren: Der Lockdown der Wirtschaft war auch ein Lackmus-Test für die Bankenregulierung. Was lief gut, was schlecht? Zeit für einen „Fitness-Check“.
Das Wichtigste in Kürze
- Der europäische Gesetzgeber hat mit dem „CRR Quick Fix“ einige Ad-hoc-Änderungen in der Eigenkapitalregulierung beschlossen.
- Die wesentliche Änderung ist der um ein Jahr vorgezogene erweiterte KMU-Faktor.
- Der KMU-Faktor gilt ab sofort für Mittelstandskredite bis 2,5 Millionen Euro.
- Die EU-Kommission wurde aufgefordert, die anstehende Umsetzung der finalen Basel III-Regeln in der EU im Zuge der Corona-Krise kritisch zu überprüfen.
- Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) hat beschlossen, eine Liste mit Vorschlägen für weitere Änderungen der Eigenkapitalregulierung zu erstellen.
Die Europäische Union hat am 26. Juni 2020 die Verordnung 2020/873 („CRR Quick Fix“) im Amtsblatt final veröffentlicht. Sie setzt kurzfristig Änderungen in den EU-Eigenkapitalverordnungen CRR und CRR II um, um die Kreditvergabe durch die Banken im Rahmen der COVID-19-Pandemie zu erleichtern. Die Änderungen sind seit dem 27. Juni 2020 anwendbar.
Umfangreich ist der CRR-Quick-Fix allerdings nicht. Folgende Sofortmaßnahmen sind für die bayerischen Genossenschaftsbanken relevant:
- Ausgefallene Risikopositionen sind vom Eigenkapitalabzug im Rahmen der Absicherung notleidender Kredite (NPL-Backstop) befreit, sofern sie vom Staat im Rahmen von Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie besichert wurden.
- Bei in der Regel selbst erstellter Individualsoftware wird die Befreiung vom Eigenkapitalabzug vorgezogen.
- Bei Krediten, die mit Rentenbezügen oder Gehalt abgesichert sind, wird die Anwendung des privilegierten Risikogewichts gemäß CRR II vorgezogen (35 statt 75 Prozent).
- Für Zentralbankreserven gilt eine erweiterte Ausnahmeregelung in der Verschuldungsquote (Leverage Ratio).
- Für Schuldtitel, die in der Währung eines anderen Mitgliedsstaats begeben sind, wird wieder eine Übergangsphase zur privilegierten Risikogewichtung eingeführt.
- Der Infrastrukturfaktor und der erweiterte KMU-Faktor werden aus der CRR II vorgezogen.
KMU-Faktor für Kredite bis 2,5 Millionen Euro
Die wesentlichste Änderung ist der um ein Jahr vorgezogene erweiterte KMU-Faktor. Dieser reduziert die Eigenmittelerfordernisse für Kredite an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zusätzlich auf 76,19 Prozent. So soll der Mittelstand einen einfacheren Zugang zu Krediten erhalten. Im Rahmen der Eigenkapitalverordnung CRR II wurde der Faktor nun auf Kredite bis 2,5 Millionen Euro ausgeweitet (bisher 1,5 Millionen Euro). Darüber hinausgehende KMU-Risikopositionen erhalten einen Privilegierungsfaktor von 85 Prozent. Der erweiterte KMU-Faktor kann bereits zum Meldestichtag 30. Juni 2020 angewandt werden. Diese CRR-Änderung soll dauerhaft und nicht temporär sein.
Außerdem erhielt die EU-Kommission den Auftrag, bis Ende 2021 auf Grundlage der Erfahrungen mit der COVID-19-Pandemie zu bewerten, ob den zuständigen Behörden zusätzliche verbindliche Befugnisse gewährt werden sollen, um in außergewöhnlichen Situationen die Beschränkung von Dividenden-Ausschüttungen zu verhängen. Inwiefern sich dies auf die Aufsichtsbefugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auswirken kann, ist noch unklar.
Vorschläge für weitere Änderungen an der CRR
EU-Kommission und EU-Rat haben sich dafür ausgesprochen, keine weiteren Maßnahmen im Rahmen dieser Gesetzesinitiative zuzulassen. Da der „CRR-Quick-Fix“ lediglich einige wenige Erleichterungen aufgreift, hat die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) beschlossen, eine Liste mit Vorschlägen für weitere Änderungen der CRR zu erstellen. Diese sollen anschließend in Brüssel im Rahmen eines künftigen Gesetzgebungsverfahrens eingebracht werden. Hierzu zählt unter anderem die Forderung, dass auf Rechtsgutachten gemäß Artikel 194 CRR für staatliche Haftungsfreistellungen verzichtet werden kann.
Weiter wurde die EU-Kommission dazu aufgefordert, die anstehende Umsetzung der finalen Basel III-Regeln in der EU (CRR III) im Zuge der Auswirkungen der Corona-Krise kritisch zu überprüfen. Die aktuelle Krise zeige, dass die bankaufsichtlichen Regelungen gerade in einem solchen Stressfall mehr Flexibilität aufweisen müssen und die Banken nicht in ein noch starreres Bürokratie- und Eigenkapitalkorsett zwingen dürfe.
Katrin Giersch ist Referentin für Bankaufsichtsrecht beim Genossenschaftsverband Bayern.