Vertrieb: Viele bayerische Genossenschaften haben in der Corona-Krise neue Absatzkanäle etabliert. „Profil“ hat sich angeschaut, wie es gehen kann.
Der Beitrag kurz zusammengefasst
- In der Corona-Krise hat sich gezeigt, wie effektiv der Genossenschaftsgedanke ist, wenn sich Mitglieder gegenseitig unterstützen und austauschen.
- Die DATEV hat für ihre Mitglieder in der Corona-Krise ein umfangreiches Paket an Unterstützungsleistungen zusammengestellt.
- Unternehmen, die schon vorher stark auf Digitalisierung gesetzt haben, sind bislang besser durch die Krise gekommen.
- Digitalisierte Arbeitsplätze boten in der Corona-Krise mehr Sicherheit, weil sich digitale Tätigkeiten auch gut von zu Hause aus erledigen lassen.
- Genossenschaften sollten als Konsequenz aus diesen Erkenntnissen ihr digitales Know-how ausbauen und sich zum Digitalisierungscoach für ihre Mitglieder entwickeln.
Solidarität ist gerade in Krisenzeiten ein wichtiger Anker. Wenn die Wirtschaft wegen der Corona-Krise herunterfahren muss, wenn Läden wochenlang schließen, Lieferketten brechen und Millionen in Kurzarbeit sind, ist es besonders wichtig, zusammenzustehen und sich gegenseitig zu helfen. Also einem Prinzip zu folgen, dem sich die Genossenschaften schon seit ihrer Gründung verschrieben haben. Die aktuelle Krise hat wieder einmal gezeigt, wie wichtig und lebendig der Genossenschaftsgedanke ist. Eine starke Gemeinschaft kann auch in einer Ausnahmesituation leisten, wozu ein Einzelner nicht in der Lage ist.
Ein anschauliches Beispiel dafür liefert – wie ich meine – die DATEV. In unserer Genossenschaft der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte sind rund 40.000 Mitglieder organisiert. Damit zählt die DATEV zu den größten Genossenschaften und ist zugleich der drittgrößte IT-Dienstleister Deutschlands. Für den steuerberatenden Berufsstand erschließt das Unternehmen seit mehr als fünf Jahrzehnten die Möglichkeiten moderner Informations- und Kommunikationstechniken – ganz nach dem genossenschaftlichen Motto: Was einer nicht schafft, schaffen viele gemeinsam.
Wie dieser Grundsatz in der Praxis wirkt, ist in der Corona-Krise besonders sichtbar geworden: In kürzester Zeit hat die DATEV ein umfangreiches Informations- und Unterstützungsangebot auf die Beine gestellt, ihre Mitglieder zu Fachfragen beraten, Erfahrungsaustausch ermöglicht und Kanzleien Homeoffice-fähig gemacht. Dabei hat sie sich ständig mit ihren Mitgliedern ausgetauscht und deren Feedback einbezogen, um anbieten zu können, was diese gerade am dringendsten brauchen.
Gemeinsam die Krise bewältigen
Die DATEV-Mitglieder – also Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte –, betreuen Unternehmen, von denen nicht wenige durch den wirtschaftlichen Shutdown kurzfristig in Schieflage gerieten oder gar um ihre wirtschaftliche Existenz bangen. Die Politik versprach zwar schnelle Hilfen, aber der Beschluss alleine genügte nicht, damit auf den Konten der Betroffenen wirklich etwas ankam. Dafür mussten sie Anträge stellen, Nachweise erbringen und sich überhaupt erst einmal einen Überblick verschaffen, welche Hilfen es gibt und wer sie in Anspruch nehmen darf. Mit diesen Herausforderungen kamen die Unternehmer zu ihren steuerlichen Beratern. Und die hatten von einem Tag auf den anderen ein enormes, zusätzliches Arbeitsaufkommen zu bewältigen.
Um ihnen selbst durch das Dickicht der unterschiedlichen und teils recht kurzfristig beschlossenen Fördermöglichkeiten zu helfen, begann die DATEV sofort, alle relevanten Informationen zu sammeln, zu sichten und zu bündeln. Dies natürlich in enger Abstimmung mit ihrem Netzwerk aus Mitgliedern und Kunden, Gremien, Mitarbeitern, aber auch System-Partnern, Kammern, Verbänden oder Verbundgruppen. Auf einer eigens eingerichteten Webseite bietet die Genossenschaft seitdem aktuelle Informationen an – etwa dazu, welche Regeln beim Kurzarbeitergeld gelten oder welche neuen Hilfen es zur Liquiditätssicherung gibt. So verschafft sie ihren Mitgliedern einen schnellen Überblick. Zusätzlich informiert sie dort über alle eigenen Unterstützungsangebote, etwa kostenlose Seminare und Beratungen. Für die Steuerberater entwickelte sie darüber hinaus eine Fördermittel-App, die sie individuell – unter anderem je nach Region, Branche und Größe ihrer Mandanten – zu den richtigen Fördermitteln führt.
Viele Mitglieder benötigten aber nicht nur Informationen, sondern auch technische Unterstützung. Schließlich waren viele Kanzleien gar nicht darauf eingestellt, die Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitern und Mandanten virtuell zu organisieren. Mehr als 10.000 sogenannte Remote-Arbeitsplätze richtete die DATEV allein im März und April wöchentlich bei Kunden ein. Zugleich stieg die Nachfrage nach Online-Seminaren massiv, etwa auf der DATEV-Lernplattform LEON. Allein in der letzten Märzwoche verzeichnete die Plattform über 50.000 Besuche, unter anderem, weil die DATEV dort Webinare zum Thema Kurzarbeitergeld kostenlos anbot. Für vertrauliche Videotelefonate mit Mandanten startete die Genossenschaft kurzerhand eine Kooperation mit RED Connect, eine sichere Videokonferenzlösung, die etwa auch Ärzte für virtuelle Sprechstunden nutzen.
Gegenseitige Unterstützung mit Rat und Tat
Aber die zentral bereitgestellten Hilfsangebote sind nur die eine Seite der Medaille. Die Effektivität des Genossenschaftsgedankens zeigte sich zusätzlich darin, wie sich die Mitglieder gegenseitig unterstützten und austauschten. Auch dafür hat DATEV die passenden Plattformen geschaffen, etwa das Videoformat „Von Berater zu Berater“ oder ein Beratungsangebot, bei dem ein DATEV-Consultant und mehrere Steuerberater sich virtuell trafen, um über Strategien und Techniktipps zu sprechen, um möglichst gut durch die Krise zu kommen. Zusätzlich diskutierten die Mitglieder auf der Online-Plattform DATEV Community über Fachfragen rund um die Corona-Krise und gaben sich gegenseitig Hilfestellung im Umgang mit einzelnen Maßnahmen. Und all das gilt auch für die nun vor uns liegende Phase des Neustarts, um Wirtschaft und soziales Leben wieder hochzufahren.
„Die DATEV konnte ihre Corona-Hilfsangebote vor allem bereitstellen, weil sie als Genossenschaft nicht mit jeder Handlung Geld verdienen muss.“
Für die Genossenschaftsmitglieder waren die Angebote in der Krisenzeit eine wertvolle Hilfe. Bereitstellen konnte die DATEV sie in dieser Form vor allem, weil das Unternehmen als Genossenschaft nicht mit jeder Handlung Geld verdienen muss. Schließlich ist das Ziel einer Genossenschaft immer der langfristige Erfolg und das Wohlergehen ihrer Mitglieder. Sie strebt nicht nach Profit, sondern steht für nachhaltiges Wirtschaften. Gerade in schwierigen Zeiten zahlt sich dieses Prinzip aus. Die Gemeinschaft trägt und finanziert in der Krise auch Maßnahmen, mit denen Schwächere gestützt werden. Genossenschaften können also selbstbewusst darauf verweisen, dass sie auch in unsicheren Zeiten einen sicheren Hafen bieten.
Digitalisierung als Chance
Eine weitere Lehre, die wir aus der Corona-Krise ziehen sollten, ist, dass die Digitalisierung ebenfalls helfen kann, Unternehmen krisenfester zu machen. Es zeigt sich, dass Betriebe, die schon vorher stark auf Digitalisierung gesetzt haben, bislang besser durch die Krise kommen. So hat die Corona-Erfahrung die Haltung gegenüber der Digitalisierung im Land ein Stück weit verändert: Wo zuvor vielleicht die Angst davor, den eigenen Job an einen Computer zu verlieren, als einer der Hauptgründe für Digitalisierungsskepsis galt, waren in der Krise die Vorzeichen umgedreht: Im Shutdown wurde offensichtlich, dass digitalisierte Arbeitsplätze plötzlich mehr Sicherheit boten. Tätigkeiten, die mithilfe von Technik ausgeführt werden, lassen sich häufig gut von zu Hause erledigen und sind weniger anfällig dafür, auf Kurzarbeit gesetzt zu werden.
„Mitglieder für die Digitalisierung fit zu machen, ist in der heutigen Zeit gelebte Sorge um ihre Zukunftsfähigkeit.“
Was hat diese Erkenntnis nun mit der Idee der Genossenschaft zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Wer die Digitalisierung aber als eine wichtige Herausforderung unserer Zeit begreift, erkennt schnell einen Konnex: Qua definitionem eine „Selbsthilfeorganisation“, ist die Genossenschaft dafür da, sich um ihre Mitglieder und deren Wohlergehen zu kümmern. Und sie für die Digitalisierung fit zu machen, sie aktiv auf diesem Weg zu unterstützen, ist in der heutigen Zeit gelebte Sorge um ihre Zukunftsfähigkeit. Daher sollten sich Genossenschaften unbedingt zum Digitalisierungscoach für ihre Mitglieder entwickeln und ihr entsprechendes Know-how weiter ausbauen.
Dr. Robert Mayr (*1966) ist Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Als Chief Executive Officer (CEO) der DATEV eG konzentriert er seine Tätigkeit auf die Gesamtsteuerung des Unternehmens sowie die übergreifende DATEV-Strategie. In diesem Sinne vereinigt er in seinem Ressort die Funktionen Unternehmensstrategie einschließlich Märkte und Rahmenbedingungen, Gremien, Mitglieder und Kunden, Datenschutz und Sicherheit, wesentliche Teile der Governance sowie die Unternehmenskommunikation.