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Frau Dr. Schmid, Sie leiten an der Technischen Universität München das Center für „Digital Leadership Development“. Was genau ist „Digital Leadership“?

Ellen Schmid: Grundsätzlich geht es beim Digital Leadership darum, wie Führung im Zeitalter der Digitalisierung möglichst optimal ausgefüllt werden kann. Dabei sind beispielsweise folgende Fragen relevant: Vor welchen neuen Herausforderungen stehen Führungskräfte? Wie können sie diese bewältigen? Und welche Techniken gibt es, um möglichst effektiv zu führen? Mit solchen Fragen sollte sich jedes Unternehmen auseinandersetzen. Unser Ziel am Center für Digital Leadership Development ist es, die Fragen aufzugreifen und praxisnahe Lösungsansätze zu entwickeln. Dadurch ermöglichen wir eine zukunftsweisende, auf digitale Technologien gestützte Führungskräfteentwicklung.

„Für Führungskräfte wird es immer wichtiger, in Netzwerken zu denken“

Wie sollten Führungskräfte mit der veränderten Arbeitswelt umgehen?

Schmid: Das ist eine der zentralen Fragen, zu der noch viel Unsicherheit herrscht. Wir haben deshalb zahlreiche Interviews mit Führungskräften und Personalentscheidern geführt und sie gefragt, was sie für wichtig halten. Eine zentrale Anforderung ist es demnach, Organisationsstrukturen aufzubrechen. Für Führungskräfte wird es immer wichtiger, in Netzwerken zu denken, sich untereinander auszutauschen, aus starren Hierarchien auszubrechen und alte Denkmuster zu hinterfragen. Verstärkt wird der Trend zum agilen Arbeiten dadurch, dass die Projektzyklen immer kürzer werden. Ebenfalls sollten Manager – und dabei vor allem Top-Entscheider – eine Vision für das Unternehmen entwickeln. Bestenfalls entsteht dadurch ein Wir-Gefühl in der Belegschaft und den Mitarbeiter wird das Gefühl vermittelt, am Erreichen eines wichtigen Ziels mitzuwirken.
 

Das passt zu vielen Studien, nach denen Geld allein kein Anreiz ist, um zu motivieren. Viele Menschen wollen in der Arbeit etwas Sinnvolles bewegen.

Schmid: Exakt. Deshalb gehört das Modewort Purpose (engl.: Zweck, Sinn), das nichts anderes als den tieferen Sinn der Arbeit beschreibt, derzeit zum Standardvokabular vieler Unternehmensberater. In diesem Zusammenhang ergibt sich noch eine weitere Anforderung für Führungskräfte, die der individualisierten Erfahrung. Bei Netflix oder Amazon erhalten alle Benutzer ein auf sie zugeschnittenes Film- oder Produktangebot. Deshalb möchten auch immer mehr Mitarbeiter als Individuen mit all ihren Stärken und Schwächen gesehen werden. Gute Führungskräfte gehen nicht nach Schema F vor, sondern haben für jeden Kollegen die richtige Ansprache parat.

Haben gute Führungskräfte ihre Mitarbeiter nicht schon immer individuell motiviert?

Schmid: Ja. Individualität und weitere traditionelle Werte wie Wertschätzung, Transparenz oder Feedback spielen nach wie vor eine große Rolle und sollten von jeder guten Führungskraft beherzigt werden. Was sich geändert hat, sind vor allem die Mittel, wie diese Werte mit Leben gefüllt werden können. Ein Beispiel: Sie wollen ihrem Mitarbeiter zu einer zurückliegenden Leistung gratulieren. Früher hätten sie das wahrscheinlich in einem persönlichen Gespräch gemacht. Heute können sie ihm eine Nachricht auf einer Chat-Plattform wie Microsoft Teams oder WhatsApp schreiben. Oder sie führen ein Unternehmen und wollen alle Mitarbeiter gleichzeitig informieren. Heute geht das unkompliziert auf einem Unternehmensblog oder per Video im Intranet. Mit solchen Mitteln können sie die Erwartungen der Mitarbeiter erfüllen.
 

Sind die Führungskräfte für diese Veränderungen bereit?

Schmid: Bei unseren Untersuchungen haben wir gefragt, was Veränderungen fördert oder hemmt. Und da hat ein Großteil der Befragten geantwortet, dass sie um die Notwendigkeit von Veränderungen wissen. Das ist natürlich die Grundvoraussetzung dafür, sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen. Aber: Es herrscht viel Unsicherheit über die angemessene Reaktion. Welche Konsequenzen die Befragten für sich persönlich ziehen, unterscheidet sich häufig diametral. Ein Teil von ihnen setzt die Scheuklappen auf und macht einfach so weiter wie bisher. Andere sehen vor allem die Chancen der neuen Techniken und überlegen, wie sie diese optimal einsetzen können und welche Fähigkeiten dafür vonnöten sind.
 

Welche Schlüsselfähigkeiten zeichnen einen „Digital Leader“ aus?

Schmid: In einer Studie, die ich gemeinsam mit Dr. Markus Böhm durchgeführt habe, haben wir fünf Fähigkeiten ermittelt, die wir Kompetenzdimensionen nennen. Das sind Technologiekompetenz, Netzwerkkompetenz, Problemlösungskompetenz, Verantwortungskompetenz und Lernkompetenz (siehe Akkordeon).

Technologiekompetenz

Technologiekompetenz bedeutet, dass Führungskräfte ein Grundverständnis für die Funktionsweise von digitalen Techniken brauchen. Sie müssen einfache Tools selbst bedienen können und zu Themen wie Künstliche Intelligenz oder Virtuelle Realität zumindest Basiswissen vorhalten.

Netzwerkkompetenz

Da traditionelle Organisationsstrukturen immer weiter aufbrechen, müssen Führungspersonen schneller Beziehungen aufbauen und Vertrauen schaffen können. Deshalb benötigen sie Netzwerkkompetenz.

Problemlösungskompetenz

Wenn etwa neue Produkte abteilungsübergreifend entwickelt werden, werden auch die Probleme immer komplexer. Dann sind Problemlösungskompetenzen gefragt. An dieser Stelle müssen Führungskräfte die Situation schnell überblicken können. Außerdem sollten sie einen Methodenkoffer vorhalten, um die Probleme schnellstmöglich zu lösen.

Verantwortungskompetenz

Experten können aus Daten bereits heute vielfältige Informationen über Mitarbeiter oder Kunden herauslesen. Über die Chancen und Risiken müssen Führungskräfte ein Bewusstsein entwickeln und reflektieren, ob das Handeln im Einklang mit den Unternehmenswerten steht. Dafür benötigen sie Verantwortungskompetenzen.

Lernkompetenz

Mit der Lernkompetenz ist gemeint, dass sich Führungspersonen stetig weiterentwickeln müssen. Wenn sich das Umfeld ändert, müssen auch sie veränderungsbereit sein.


Nicht jeder Manager besitzt alle diese Kompetenzen. Welche Defizite beobachten Sie?

Schmid: Es gibt nicht ein typisches Defizit. Vielmehr sehen wir ganz unterschiedliche Profile. Die einen bringen eine große Technologiekompetenz mit, dafür hapert es bei den Problemlösekompetenzen. Wiederum andere sind vor allem starke Netzwerker, haben über die Verantwortung im Bereich Datenschutz jedoch wenige Kenntnisse.

„Wer am Ball bleibt und sich regelmäßig mit seinen Defiziten auseinandersetzt, der wird relativ schnell mit Fortschritten belohnt.“

Wie kann es Führungskräften gelingen, ihre Defizite zu beheben und sich alle Fähigkeiten eines Digital Leaders anzueignen?

Schmid: Dafür gibt es unterschiedliche Methoden. Eine Möglichkeit ist es, sich extern weiterzubilden. Dabei sollten Führungskräfte darauf achten, dass der Workshop individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Ebenso ist es möglich, selbst das Heft in die Hand zu nehmen und sich täglich oder wöchentlich Zeitfenster zum Selbstlernen einzurichten. Nehmen wir etwa das Thema Reflektion: Eine Führungskraft nimmt sich vor, pro Tag fünf Minuten zu analysieren, welche Herausforderungen es gab und was gut sowie was schlecht gelaufen ist. Dabei können digitale Anwendungen wie eine App unterstützen, die an den Termin erinnert und Lernfortschritte aufzeigt. Ebenfalls effektiv kann es sein, sich mit Kollegen auszutauschen. Beispielsweise, indem sich zwei Führungskräfte aus unterschiedlichen Abteilungen einmal pro Woche zusammensetzen und über ihre Herangehensweise sprechen. So etwas ist im Alltag häufig gut und einfach umzusetzen. Unsere Studien zeigen übrigens: Wer am Ball bleibt und sich regelmäßig mit seinen Defiziten auseinandersetzt, der wird relativ schnell mit Fortschritten belohnt.

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Video-Interview: Dr. Ellen Schmid, Leiterin des Centers für Digital Leadership Development an der TU München, erklärt „Profil“-Redakteur Christof Dahlmann, wie sich Führungskräfte optimal weiterbilden können. Video: Christof Dahlmann und Karl-Peter Lenhard.

Viele Studierende der TU München sind die Unternehmenslenker von morgen. Stellen Sie bei den „Digital Natives“ ein anderes Führungsverständnis fest?

Schmid: Ein Großteil der Absolventen hat – wenig überraschend – sehr ausgeprägte Technologiekompetenzen. Dadurch können sie die Schwierigkeiten bei der App-Entwicklung oder die Chancen von künstlicher Intelligenz vielleicht etwas besser bewerten. Bei den anderen Kompetenzen spüren wir allerdings keine starken Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Hier sind die individuelle Prägung sowie der Erfahrungshorizont des Einzelnen wichtiger.
 

Frau Schmid, vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Ellen Schmid leitet das Center for Digital Leadership Development an der TU München. Als promovierte Psychologin forscht Sie zum Thema Führung und entwickelt innovative Methoden für die Führungskräfteentwicklung.

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